Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → MEINUNGEN

LAIRE/064: Forscher verknüpfen MRT-Ergebnisse mit Sozialverhalten (SB)


Fragwürdige Studie zur Hirnstruktur und sozialer Kontaktfreudigkeit


Wer heutzutage wissen will, was im Kopf eines Menschen vorgeht und wie es darin aussieht, bohrt dazu in der Regel nicht mehr die Schädeldecke auf, um zwischen den faltenreichen Eiweißklumpen herumzufuhrwerken. Heute wird die von außen induzierte Anregung sämtlicher Atomkerne im Gehirn gemessen, was keine erkennbaren Schäden hinterläßt. Allerdings haben demgegenüber die Deutungen des Beobachteten keine sonderlichen Fortschritte erfahren. In der Regel sind die Experimente mit Hilfe der modernen Magnetresonanztomographie (MRT) auf eine Weise zielführend angelegt, daß die Ergebnisse den Erwartungen der Forscher entsprechen. Vor allem die Zunft der Psychiater und Psychologen scheint von der Hoffnung getragen, mit einem apparativen Großaufwand den Eindruck erwecken zu können, daß die produzierten Interpretationsresultate per se Plausibilität zugesprochen werden muß.

Es ist zu beobachten, daß viele Forscher, die mit dem MRT arbeiten, anscheinend so sehr beeindruckt von ihrer Tätigkeit sind, daß sie fundamentale wissenschaftliche Ansprüche mißachten und Deutungen liefern, die alles andere als stichhaltig sind. Das jüngste Erzeugnis im breiten Spektrum an Hirnforschungsversuchen lautet, daß Personen, die besonders kontaktfreudig sind, in zwei Hirnbereichen eine dichtere Graue Substanz aufweisen. Für die Studie, die zu diese Ergebnis kam, zeichnete eine internationale Forschergruppe um den Psychiater Graham Murray von der Universität Cambridge verantwortlich. [1]

Der Versuch wurde mit 41 männlichen Personen durchgeführt. Diese mußten zunächst einen Fragebogen ausfüllen, bei dem sie Aussagen bewerten mußten wie "Ich stelle zu den meisten Menschen eine herzliche persönliche Beziehung her" oder "Ich mag es, anderen Menschen so gut ich kann gefällig zu sein". [2] Dann werteten die Forscher den Fragebogen aus und ordneten die Probanden nach ihrer Punktezahl, mit der angegeben wurde, ob sie kontaktarm (niedrige Punktzahl) oder gesellig, emotional warm bzw. kontaktfreudig (hohe Punktzahl) sind.

Im zweiten Teil des Versuchs wurde mit der Magnetresonanztomographie die Graue Substanz, die einen besonders hohen Anteil an Nervenzellen enthält, ausgemessen. Nun korrelierten die Forscher die Punktzahl, die in den Fragebögen erreicht wurde, mit der Konzentration an Grauer Substanz und stellten fest, daß eine höhere Punktzahl mit einer höheren Konzentration im orbitofrontalen Cortex und vertralen Striatum - beide Regionen werden mit Wohlbefinden und Belohnung assoziiert -, einherging.

Die Meßmethoden sind von vornherein äußerst fragwürdig. Es beginnt damit, daß die Forscher die eigene Einschätzung der Probanden, als wie gesellig sie sich empfinden, zur Grundlage nahmen und im Anschluß an die Versuche den Aspekt der eigenen Einschätzung kurzerhand wegließen. Plötzlich wird behauptet, die Personen seien wahrhaftig gesellig. Solch eine unzulässige Gleichsetzung dürfte besonders Psychiatern nicht passieren, lebt doch dieser Berufsstand geradezu von der Fehleinschätzung von Menschen hinsichtlich ihrer Bedeutung für ihr soziales Umfeld. Eigentlich müßte das Ergebnis der Forscher zusammengefaßt lauten: Wir haben eine Korrelation zwischen dem Ausmaß, für wie gesellig sich 41 Probanden empfinden, und der Konzentration der Grauen Substanz in zwei Hirnarealen beobachtet.

Das Experiment muß aber noch fundamentaler in Frage gestellt werden: Wieso überhaupt Hirnregionen mit der Selbsteinschätzung von Probanden abgleichen, wenn nicht bereits eine vorgefaßte Ansicht darüber besteht, daß es einen wie auch immer gearteten kausalen Zusammenhang zwischen Hirnstruktur und Verhalten gibt? Überspitzt gesagt: Wenn man die Ergebnisse der Befragung mit dem Umfang der dicken Zehen (oder einer beliebigen anderen anatomischen Eigenart) korrelierte, kämen womöglich ähnliche Ergebnisse heraus. Allerdings dürften die beteiligten Forscher einige Schwierigkeiten haben, eine solche Studie finanziert zu bekommen - um es vorsichtig zu formulieren. Vermutlich würden sie damit schnurstracks auf die andere Seite der Experimentanordnung gelangen, das heißt in die Obhut ihrer Berufskollegen von der klinischen Psychiatrie geraten.

Das bedeutet jedoch, daß hier Forschung auf der Basis einer vorgefaßten Meinung betrieben und diese prompt bestätigt wurde. Besaß Wissenschaft nicht ursprünglich einmal einen höheren Anspruch? Wenn die obige Forschung dennoch von staatlichen oder privaten Institutionen gefördert wird, dann liegt das an der Nutzanwendung oder in Aussicht gestellten Nutzanwendung der Resultate. Dahinter steht die uralte Erwartung, ins Gehirn der Menschen schauen zu können und mehr über seine Absichten und sein Verhalten zu erfahren. Perspektivisch eröffnen sich hier Möglichkeiten der Gesinnungskontrolle und Sanktionierung unliebsamer Zeitgenossen.

Am Ende könnte es tatsächlich keine Rolle mehr spielen, daß die wissenschaftlich-technologischen Voraussetzungen entsprechender "Gehirn-Scanner", zu deren Entwicklung die vorliegende Arbeit eines von vielen Mosaiksteinchen beiträgt, zur Messung der politischen, sozialen und emotionalen Einstellung der Bürger dem Anspruch der Wissenschaft von Anfang an nicht genügt hat.

Gesellschaftliche Exekutivorgane, die bereits vergleichbare Meßgeräte wie zum Beispiel den Lügendetektortest, bei dem während einer Befragung physiologische Werte als Interpretationshilfe für die Antworten abgegriffen werden, einsetzen, werden sicherlich zu den Hauptabnehmern entsprechender technologischer "Errungenschaften" zur sich logisch an solche Meßmethoden anschließende Menschennormierung und -sanktionierung zählen. Das gelte auch dann, wenn dies gar nicht in der Absicht der Forscher, die sich von ihren Erkenntnissen bessere Therapiemöglichkeiten versprechen, liegt.


*


Anmerkungen:

[1] Graham Murray, u.a.: "The brain structural disposition to social interaction", in: The European Journal of Neuroscience, Mai 2009, (DOI 10.1111/j.1460-9568.2009.06782.x)

[2] "Wer gesellig ist, hat deutlich mehr Gehirnzellen", Die Welt, 19. Mai 2009
http://www.welt.de/wissenschaft/hirnforschung/article3769158/Wer-gesellig-ist-hat-deutlich-mehr-Gehirnzellen.html

27. Mai 2009