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ASTRO/120: Schwarze Löcher - Weshalb brauchen wir diese kosmische Kuriosität (SuW)


Sterne und Weltraum 5/10 - Mai 2010
Zeitschrift für Astronomie

Schwarze Löcher
Weshalb benötigen wir diese kosmische Kuriosität?

Von Andreas Müller


Die Gravitation kann am besten mit Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie beschrieben werden. Diese Theorie sagt die Existenz extrem kompakter Objekte voraus, die seit Ende der 1960er Jahre als Schwarze Löcher Schlagzeilen machen. Seither haben die beobachtenden Astronomen zahlreiche Exemplare entdeckt - anscheinend gibt es im Weltall eine Vielfalt Schwarzer Löcher sehr unterschiedlicher Masse.


In Kürze
Einsteins allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Gravitation äußerst erfolgreich - das bestätigen beeindruckend viele Experimente.
Die Existenz Schwarzer Löcher wird von Einsteins Theorie vorhergesagt. Astronomen beobachten eine Reihe von Himmelsobjekten, die sehr gut mit Schwarzen Löchern erklärt werden können.
Im Prinzip kann jede Masse zu Im einem Schwarzen Loch werden, wenn sie nur hinreichend stark verdichtet wird. Dies geschieht, wenn massereiche Sterne am Ende ihrer Entwicklung kollabieren oder wenn viele Millionen Mal größere Mengen Materie in die Zentren der Galaxien herabstürzen. Die mögliche Entstehung mikroskopischer Schwarzer Löcher wurde noch nicht beobachtet.

Albert Einstein (1879-1955) ist der Schöpfer der überaus erfolgreichen, vielfach experimentell bestätigten Relativitätstheorie. Mit dieser Theorie kam ein radikal neues Verständnis von Raum, Zeit und Materie auf (beziehungsweise von Masse und Energie). Aus Einsteins Forderung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in allen Bezugssystemen folgt, dass Länge und Zeit zu relativen Größen werden. Es klingt verrückt, aber für einen Beobachter am Boden ticken Uhren in einem fliegenden Flugzeug langsamer als auf dem Flughafen, und sie ticken auch im Tal langsamer als auf hohen Bergen. Die Länge eines vorbeifliegenden Flugzeugs erscheint uns in Bewegungsrichtung um einen winzigen Bruchteil verkürzt gegenüber der Länge, die wir messen, wenn das Flugzeug vor uns parkt.

Mittlerweile sind diese Effekte der zeitlichen Dehnung (oder Zeitdilatation) und räumlichen Verkürzung (oder Längenkontraktion) in unserem Alltag angekommen, denn Navigationssysteme wie das GPS müssen sie berücksichtigen, um die hohe Genauigkeit ihrer Positions bestimmungen zu erzielen. Die Relativitätstheorie wurde viele Male erfolgreich getestet: von der Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne über die Drehung der Merkurbahn um ihren sonnennächsten Punkt, die Annäherung von Doppelsternen infolge ihrer Abstrahlung von Gravitationswellen, den Zug der rotierenden Raumzeit der Erde bis zum Nachweis der allermerkwürdigsten Objekte im Kosmos - der Schwarzen Löcher (siehe Bild).


Aus jeder Masse kann ein Schwarzes Loch werden

Aus jeder Masse wird ein Schwarzes Loch, wenn sie nur hinreichend kräftig zusammengequetscht wird. Das kritische Maß für dieses deutschen Astronomen Karl Schwarzschild (1873-1916), der 1916 eine erste Lösung für die Feldgleichung der allgemeinen Relativitätstheorie (ART) veröffentlichte.

Der Schwarzschild-Radius Rs = 2GM/c² hängt nur von der Masse M und von zwei Naturkonstanten ab, nämlich der Vakuumlichtgeschwindigkeit c und der newtonschen Gravitationskonstante G. Für die Masse der Sonne, knapp 2 x 1030 Kilogramm, beträgt er knapp drei Kilometer. Dies bedeutet: Schafft man es, die Sonne zu einer Kugel mit drei Kilometer Radius zu komprimieren, so wird sie zu einem Schwarzen Loch. Auch für die Erde mit ihrer Masse von knapp 6 x 1024 Kilogramm lässt sich sofort ausrechnen, dass sie, auf Murmelgröße (knapp zwei Zentimeter) zusammengequetscht, zu einem Schwarzen Loch würde. Das klingt unglaublich, und Sonne und Erde werden im Lauf ihrer Entwicklung auch nicht zu Schwarzen Löchern werden. Aber offenbar gelingt es der Natur, massereiche Sterne auf die Abmessungen einer Großstadt zu komprimieren und sie zu Schwarzen Löchern umzuformen. Wie macht sie das?


Das Kräftegleichgewicht im Innern der Sterne

Um das zu verstehen, müssen wir uns die Vorgänge im Innern der Sterne anschauen. Sterne bilden sich aus kalten, interstellaren Molekülwolken, die unter der Last ihrer äußeren Schichten kollabieren und dabei durch Verdichtung heiß werden: Jedem Wert des nach innen ansteigenden Drucks entspricht ein bestimmter, ansteigender Wert der Temperatur. Dieselbe Physik führt zur Erwärmung der Fahrradpumpe beim Pumpen.

Ist tief im Innern des Protosterns unter der Last seiner äußeren Schichten ein kritischer Wert der Dichte und Temperatur erreicht, so zündet dort die Kernfusion: Die unter hohem Druck zusammenstoßenden Atomkerne verschmelzen zu schwereren Kernen. Dabei wird Energie in Form von Strahlung freigesetzt. Weil die Lichtteilchen einen Impuls besitzen, üben sie auf die weiter außen liegenden Schichten einen nach außen gerichteten Druck aus, den Strahlungsdruck, der den Stern aufblähen möchte. Und weil der Stern rotiert, versucht auch die Fliehkraft ihn größer zu machen. Sie wirkt von der Drehachse des Sterns nach außen, am stärksten am Äquator und gar nicht an den Polen.

Im Innern der Sterne sind also im Wesentlichen vier Drücke oder Kräfte am Werk: der Gasdruck, der Strahlungsdruck, die Fliehkraft und die Gravitation. Der Stern wird nun genau denjenigen Zustand einnehmen, bei dem sich alle diese Kräfte ausgleichen. Dies nennen Astrophysiker das hydrostatische Gleichgewicht (siehe Kasten).


Das hydrostatische Gleichgewicht

Ein Stern ist Spielball der in seinem Innern wirkenden Kräfte. Der Druck des heißen Gases und der erzeugten Strahlung wirkt allseitig nach außen, während die Gravitation die Materie nach innen zieht. Rotiert der Stern, wirkt zudem die Fliehkraft, die von der Rotationsachse weg nach außen gerichtet ist. Im hydrostatischen Gleichgewicht gleichen sich diese Kräfte beziehungsweise Drücke (Kräfte pro Fläche) aus. In diesem Zustand verbleibt der Stern, bis sich die Kräfteverhältnisse in seinem Innern ändern. Die Sternentwicklung spiegelt genau die Veränderungen der beteiligten Kräfte wider, die zu einer neuen Gleichgewichtskonfiguration führen. Offenbar sind die Kräfteverhältnisse bei unserer Sonne recht stabil, denn sie scheint beständig seit vielen Milliarden Jahren, bei recht konstantem Radius und konstanter Leuchtkraft.

(Abbildung der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)


Nun kann der Stern ein ruhiges Dasein fristen, solange sich die Kräfteverhältnisse in seinem Innern nicht ändern. Es gilt ver einfachend die Regel: Je massereicher ein Stern, desto heißer ist sein Zentralbereich und desto schneller verbrennt er seine Reserven. Zum Zünden der nächsten Fusionsstufe, die bei einer höheren Temperatur angesiedelt ist, muss ein Stern eine bestimmte Masse aufbringen. Ist seine Masse zu gering, so bleiben in seinem Zentralbereich Temperatur und Druck unter dem kritischen Wert, und die nächste Fusionsstufe kann nicht zünden. Aus diesem Grund kann unsere Sonne nicht beliebig schwere Elemente produzieren.

Aber selbst die massereichsten Sterne der Milchstraße, die etwa die hundertfache Masse unserer Sonne haben, können keine schweren Elemente wie Gold oder Uran fusionieren. Die Kernphysik macht ihnen hier einen Strich durch die Rechnung, denn bei der Fusion immer schwererer Elemente wird ab einer bestimmten Masse der Atomkerne keine Energie mehr frei. Dann bekommt der Stern ein Problem: Das in der obigen Grafik dargestellte Gleichgewicht gerät aus den Fugen, denn ohne Fusion versiegt die Wärmequelle im Kernbereich, die in den Weltraum abgestrahlte Energie wird nicht ersetzt. Folglich fallen Temperatur und Druck des Gases rapide ab - das Gewicht der äußeren Schichten kann nicht länger kompensiert werden, und der Stern kollabiert. Verursacht wird dieser Kollaps durch die Gravitation, weshalb er Gravitationskollaps genannt wird.


Geburt im Gravitationskollaps

Das weitere Schicksal des Sterns hängt entscheidend davon ab, wie groß die Masse ist, die da in sich zusammenfällt (siehe die Grafik). Kollabieren weniger als etwa anderthalb Sonnenmassen, dann bildet sich ein kompaktes Objekt, das Weißer Zwerg genannt wird. Es wird das Schicksal unserer Sonne sein, zu einem solchen etwa erdgroßen, heißen Körper zu werden. In Weißen Zwergen findet keine Kernfusion mehr statt, aber was verhindert den weiteren Kollaps und springt für den Gasdruck in die Bresche? Es ist die Quantennatur der Materie. Das Sternplasma wird im Gravitationskollaps verdichtet, und irgendwann kommen sich die Elektronen im Stern so nahe, dass das Pauli-Prinzip der Quantenphysik zum Tragen kommt. Dieses Prinzip verbietet den Teilchen mit halbzahligem Spin - und dazu gehören die Elektronen -, einen Zustand zu besetzen, der in allen Eigenschaften (»Quantenzahlen«), inklusive der Ortskoordinaten, übereinstimmt. In dichten Elektronengasen wirkt also eine Art Quantendruck, den die Astrophysiker Entartungsdruck nennen. In den weniger dichten Plasmen des Vorläufersterns spielt er noch keine Rolle, aber beim Gravitationskollaps wird er wichtig.

Was passiert, wenn eine größere Masse kollabiert? Im Bereich von anderthalb bis drei Sonnenmassen werden, anschaulich gesprochen, die negativ geladenen Elektronen in die positiv geladenen Protonen der Atomkerne gepresst, wobei Neutronen entstehen: Dieser »inverse Betazerfall« führt zur »Neutronisierung« der Sternmaterie. Da Neutronen, wie Elektronen, halbzahligen Spin haben, unterliegen auch sie wieder dem Pauli-Prinzip. Neutronen sind allerdings etwa um einen Faktor 2000 massereicher als Elektronen, so dass Neutronensterne noch mal um einen Faktor 2000 kompakter sind als Weiße Zwerge. Ihr Durchmesser beträgt etwa 20 Kilometer, ihre Masse 1,5 bis 3 Sonnenmassen. Neutronensternmaterie hat eine extrem hohe Dichte: Zehn Würfel mit der Kantenlänge von einem Zentimeter aus der äußeren Schicht eines Neutronensterns würden auf der Erde etwa 10.000 Tonnen wiegen - so viel wie der Eiffelturm!

In der Reihe kompakter Objekte ist das allerdings noch nicht das Ende der Fahnenstange. Denn sobald ein Stern mit mehr als drei Sonnenmassen einen Gravitationskollaps erfährt, entsteht ein Schwarzes Loch. Zwar ist im Detail noch nicht geklärt, was beim Übergang vom Neutronenstern zum Schwarzen Loch mit der Materie geschieht - Tatsache ist aber, dass die Materie noch weiter verdichtet und unter den Schwarzschild-Radius komprimiert wird. Vom Standpunkt der Relativitätstheorie ist ein Schwarzes Loch »Masse ohne Materie«, denn die Eigenschaft »Masse« steckt in einem Punkt, der zentralen Singularität. Sie befindet sich beim Radius null, ansonsten ist das Schwarze Loch leer. Verhüllt wird dieses Zentrum von dem Ereignishorizont, der sich (bei einem nicht rotierenden Schwarzen Loch) auf der Höhe des Schwarzschild-Radius befindet. Ein außen stehender Beobachter kann nicht in das Innere des Schwarzen Lochs schauen, weil der Ereignishorizont den Einblick verwehrt.


Schwärze der Löcher, Krümmung der Raumzeit

Werfen wir einen Ball in die Luft, so wird er von der irdischen Gravitation wieder eingefangen und fällt zu Boden. Werfen wir ihn mit höherer Geschwindigkeit, so erreicht er eine größere Flughöhe, wird jedoch wiederum vom Schwerefeld der Erde eingefangen. Eine Rakete kann der Gravitation der Erde entfliehen, wenn sie die Fluchtgeschwindigkeit überschreitet. Diese Grenzgeschwindigkeit hängt von der Masse des anziehenden Körpers und seiner Größe ab. An der Erdoberfläche beträgt sie 11,2 Kilometer pro Sekunde - etwa 40.000 Kilometer pro Stunde.

Schwarze Löcher sind so kompakt, dass ihre Fluchtgeschwindigkeit am Schwarzschild-Radius identisch ist mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit - knapp 300.000 Kilometer pro Sekunde. Da nichts schneller ist als das Licht, kann am Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs nichts entkommen. Selbst ihr eigenes Licht wird von Schwarzen Löchern eingefangen, so dass sie von außen betrachtet schwarz aussehen müssen. Diese charakteristische Eigenschaft verleiht den Schwarzen Löchern ihren Namen.


Lichtablenkung in der Raumzeit

Um eine intuitive Vorstellung von der vierdimensionalen, gekrümmten Raumzeit zu bekommen, vergessen wir eine Raum- und die Zeitdimension und betrachten die von einer Masse hervorgerufene Delle in einer zweidimensionalen Raumzeit. In dieser gekrümmten Raumzeit breitet sich ein Lichtstrahl, falls er von der Masse beziehungsweise der Delle hinreichend weit entfernt ist, geradlinig aus - so sind wir es im Alltag gewohnt (unterer Strahl). Kommt der Lichtstrahl der Masse hinreichend nah, so wird er abgelenkt, weil die Geometrie ihm keine andere Wahl lässt (oberer Strahl). Dieser »Gravitationslinseneffekt« wird in der Relativitätstheorie mit der Veränderung der Geometrie des Raums durch die Anwesenheit von Masse (beziehungsweise Energie) erklärt. Bei hinreichend kompakter Masse wird der Lichtstrahl in einer Art Trichter verschluckt und kommt nie wieder zum Vorschein. Genau dies geschieht beim Schwarzen Loch: Schwarze Löcher sind dunkle Fallen der Raumzeit.

(Abbildung der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)


Einstein führte 1915 ein vollkommen neues Verständnis der Schwerkraft ein. Demnach ist Gravitation gar keine zwischen Massen wirkende Kraft, vielmehr ist sie eine geometrische Eigenschaft von Raum und Zeit. Die Relativitätstheorie verknüpft den dreidimensionalen Raum mit der eindimensionalen Zeit zu einem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum. Eine solche Raumzeit kann sich kein Mensch vorstellen, und doch bewegen wir uns täglich durch Raum und Zeit. Das Neue an Einsteins Vorstellung ist, dass die Geometrie der Raumzeit durch die in ihr enthaltenen Massen und Energien aller Art (einschließlich der Dunklen!) bestimmt wird. Der eingangs beschriebene Ball fällt nicht auf die Erde zurück, weil sie ihn mit ihrer Gravitationskraft anzieht (Newtons Verständnis der Gravitation), sondern weil ihre Masse die Raumzeit so krümmt, dass die Bahn des Balls in der Raumzeit zur Erdoberfläche gebogen wird. Der Ball folgt der gekrümmten Raumzeit aus rein geometrischen Gründen. Nur so wird auch verständlich, dass Licht von Massen eingefangen werden kann - ein Sachverhalt, den Newton mit seiner Vorstellung der Gravitation nicht erklären konnte. Das obige Bild illustriert die Lichtablenkung in der Raumzeit.

Vergleichen wir nochmals den geworfenen Stein mit dem Lichtstrahl. Wirft man einen Stein senkrecht nach oben, so verliert er kinetische Energie, weil er gegen das Schwerefeld Arbeit verrichtet. Bei Licht ist es genauso: Breitet sich ein Lichtstrahl in der Nähe einer Masse aus, so »zieht« die Masse am Licht. Es verliert Energie, was sich darin äußert, dass es röter wird, denn gemäß der Beziehung E = hv ist Licht höherer Energie E blauer (es hat eine höhere Frequenz v) und dementsprechend Licht geringerer Energie röter; der Buchstabe h steht für das Plancksche Wirkungsquantum.

Dieser Vorgang wird Gravitationsrotverschiebung genannt, weil Gravitation die Ursache für die Verschiebung der Wellenlänge des Lichts zum energieärmeren, roten Ende ist. Betrachten wir den vorüberziehenden Wellenzug einer Lichtwelle als Taktgeber für eine Uhr, so ist der Takt bei blauem Licht höher als bei rotem, denn der blaue Wellenzug enthält mehr Wellenberge und Wellentäler pro Zeiteinheit. Gravitationsrotverschiebung heißt demnach auch, dass Uhren langsamer ticken, wenn sie tief in einer Delle der gekrümmten Raumzeit sitzen. Dieser relativistische Effekt ist analog zur Gravitationsrotverschiebung und heißt gravitative Zeitdilatation.


Schwarze Löcher sind in unserer Zukunft

So kommt, bezogen auf Schwarze Löcher, ein weiterer, merkwürdiger Effekt zum Tragen. Die Zeit ist relativ - ihr Ablauf hängt vom Bezugssystem ab. Zeit verrinnt unterschiedlich schnell, je nachdem wie schnell wir uns bewegen und wie nah unsere Uhr einer Masse ist.

Uhren ticken auf Bergspitzen schneller als im Tal. In der Nähe Schwarzer Löcher tritt eine extreme Situation ein: Weil der Ereignishorizont eine Grenze ist, von der unendlich gravitationsrotverschobene, also keine Strahlung ausgeht, bleibt die Uhr hier stehen. Von außen werden wir niemals sehen können, wie ein Gegenstand in ein Schwarzes Loch fällt, denn er wird immer röter und dunkler werden, sich immer langsamer dem Ereignishorizont nähern und schließlich aus unserem Blickfeld verschwinden - sein Licht wird uns nicht mehr erreichen. Bezogen auf die Zeit muss man also folgern, dass das Schwarze Loch (genauer: sein Ereignishorizont) für uns in der Zukunft liegt. Das Innere des Schwarzen Lochs bleibt uns deshalb verborgen, weil wir nicht in die Zukunft blicken können. So merkwürdig uns der Zeitdehnungseffekt erscheinen mag, er wurde doch bereits 1976 mit dem Experiment Gravity Probe A - einer Atomuhr, die auf einer Raumsonde mitflog - experimentell bestätigt. Die heutigen Navigationssysteme verdanken ihre Genauigkeit dem Umstand, dass sie die einsteinsche Zeitdilatation korrekt berücksichtigen.


Röntgendoppelsterne

Das bisher Dargelegte geschieht in den Tiefen des Weltraums tatsächlich. Die Astronomen führen uns mit leistungsstarken Teleskopen Phänomene vor Augen, die wir nur mit der Annahme kompakter Schwarzer Löcher beschreiben können. Ein Beispiel ist das Objekt Cyg X-1, die hellste Röntgenquelle im Sternbild Cygnus (Schwan), siehe obiges Bild.

Nach den Beobachtungen der letzten Jahrzehnte spielt sich hier Folgendes ab. Ein Schwarzes Loch mit zehn Sonnenmassen umkreist alle sechs Tage einen blauweißen Riesenstern mit etwa 20 Sonnenmassen und »frisst« ihn dabei auf. Damit ist gemeint: Zwischen den beiden Himmelskörpern gibt es einen Punkt, an dem sich - newtonsch gesprochen - die Gravitationskräfte von Stern und Schwarzem Loch gegenseitig aufheben. Der Riesenstern ist so groß, dass er an diesen »inneren Lagrangepunkt« heranreicht: Hier wird das Sternplasma nicht mehr vom Stern gehalten und tritt zum Schwarzen Loch über. Weil der Stern rotiert, bringt die überfließende Materie Drehimpuls mit und kann daher nicht auf kürzestem Wege in das Loch hineinstürzen: Sie wird abgelenkt und erreicht das Loch auf einer spiralförmigen Bahn. Auf diese Weise bildet die einstürzende Materie eine um das Schwarze Loch rotierende Materiescheibe aus. Solche Akkretionsscheiben werden einige Millionen Grad heiß und leuchten im Röntgenbereich entsprechend hell; die Plasmateilchen, aus denen sie bestehen, bewegen sich unmittelbar vor dem Loch fast so schnell wie das Licht.


Gammastrahlenausbrüche

Mit der Entstehung Schwarzer Löcher gehen Sternexplosionen einher. Die heftigsten bekannten Sternexplosionen, die Hypernovae, beobachten wir als Gammastrahlenausbrüche (englisch Gamma Ray Bursts, GRBs). Lange Zeit war die Natur dieser 1967 entdeckten himmlischen Gammablitze rätselhaft. Seit den 1990er Jahren wissen wir, dass es im Wesentlichen zwei Typen von GRBs gibt. Nach ihrer Dauer teilt man sie in kurzzeitige (kürzer als zwei Sekunden) und langzeitige (länger als zwei Sekunden) ein. Numerische Modellrechnungen haben gezeigt, dass die kurzzeitigen Ausbrüche bei der Verschmelzung von kompakten Objekten in Doppelsternsystemen, beispielsweise von zwei Neutronensternen oder einem Neutronenstern und einem stellaren Schwarzen Loch, auftreten. Hingegen treten die langen GRBs auf, wenn ein einzelner massereicher Stern kollabiert.

In beiden Fällen entsteht ein Schwarzes Loch, aus dessen Umgebung in zwei diametral entgegengesetzte Richtungen je ein fast lichtschneller Materiestrahl herausschießt. Die Entstehung solcher ultrarelativistischen Jets kann erklärt werden, wenn man annimmt, dass hier ein schnell rotierendes Schwarzes Loch einfallendes Plasma aufsammelt und die darin eingefrorenen Magnetfelder verdrillt (siehe den unten stehenden Kasten). Das geht nicht lange gut: So, wie in einem verdrillten Gummiband Spannungsenergie gespeichert ist, speichern die verdrillten Magnetfelder Rotationsenergie des Schwarzen Lochs. Die Magnetfeldlinien wirken für das einstürzende Plasma wie Leitplanken und lassen es teilweise an den Polen des rotierenden Lochs wieder ausströmen. Zum andern zerstören sich Magnetfeldlinien unterschiedlicher Polarität gegenseitig; dabei wird die magnetisch gespeicherte Energie auf das Plasma übertragen, das sich nun noch schneller bewegt. So ist es zu einem guten Teil gelungen, die Entstehung der Jets in Computersimulationen nachzuvollziehen.


Verdrillte Magnetfelder

Rotierende Schwarze Löcher versetzen in ihrer Umgebung alles in Drehung, was ihnen zu nahe kommt - Materie, elektromagnetische Felder, und damit auch Licht. Magnetfelder, die der elektrisch geladene Akkretionsfluss an das Schwarze Loch heran transportiert, werden von der mitrotierenden Raumzeit förmlich aufgewickelt. Die nebenstehende Sequenz zeigt von links nach rechts ein immer schneller rotierendes Schwarzes Loch, charakterisiert durch den wachsenden Rotationsparameter a (a ist ein Maß für den spezifischen Drehimpuls; a = 0 bedeutet: Schwarzschild-Metrik, keine Rotation; a = 0,998 entspricht der maximalen Kerr-Metrik). Die Bilder basieren auf Computersimulationen, die allerdings nicht berücksichtigen, dass sich die Magnetfeldlinien gegenseitig vernichten können. Auf den Achsen entspricht eine Einheit dem Gravitationsradius GM/c².

(Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)


Wie entsteht der Gammablitz? Die Jets treffen mit aller Heftigkeit auf die interstellare Materie der Umgebung. Vom Zentrum der Sternexplosion läuft in Richtung beider Pole je eine Stoßfront nach außen, in der die von den mitgeführten Magnetfeldern beschleunigten Elektronen heftig strahlen. Diese Strahlung (Synchrotronstrahlung) ist bei solch hohen Elektronengeschwindigkeiten in Bewegungsrichtung gebündelt und blauverschoben, das heißt intensiver und energiereicher. Deshalb sieht ein Beobachter dieser Szene einen intensiven Gammablitz. Der Beobachter muss nahezu in Bewegungsrichtung stehen, damit er in den gebündelten Gammablitz schauen kann, anderenfalls bleibt der Blitz für ihn unsichtbar. Weil die Stoßwelle im Laufe ihrer Ausbreitung abgebremst wird, verliert die Gammastrahlung nach der Explosion an Energie und wird im Ultravioletten, Optischen, Infraroten und schließlich im Radiobereich sichtbar. Dies ist das viel beobachtete Nachglühen der GRBs.

Mittlerweile werden Gammastrahlenausbrüche mehrmals pro Monat beobachtet, und es scheint heute auf Grund der gesammelten Daten klar, dass sie uns die Geburt neuer Schwarzer Löcher im Kosmos kundtun.


Massengiganten in den Kernen von Galaxien

Neben den stellaren Schwarzen Löchern mit typischerweise zehn bis hundert Sonnenmassen gibt es eine zweite, wesentlich massereichere Klasse - die extrem massereichen Schwarzen Löcher mit Millionen bis Milliarden Sonnenmassen. Hier tummeln sich die massereichsten Schwarzen Löcher überhaupt, wahre Massengiganten. Die Astronomen sind sogar davon überzeugt, dass bis auf wenige Ausnahmen jede Galaxie in ihrem Zentrum ein solches extrem massereiches Schwarzes Loch beheimatet. Es gibt auch Galaxien, in deren Zentren man mehr als ein Schwarzes Loch beobachtet - das ist zu erwarten, weil Galaxien einander manchmal so nahe kommen, dass sie miteinander verschmelzen. Die dabei entstehende neue Galaxie beherbergt dann, zumindest zunächst, zwei getrennte extrem massereiche Schwarze Löcher, die aber bald verschmelzen.

Ob und wie sich die in den Zentren der Galaxien befindlichen Schwarzen Löcher dem Beobachter kundtun, hängt von ihrer Masse, aber auch von dem Aktivitätszustand ab, in dem sie sich gerade befinden. Das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis hat vier Millionen Sonnenmassen. Allerdings hungert es gegenwärtig (es sammelt kaum Materie an), ist also inaktiv und weitgehend unauffällig.

Ganz anders verhält es sich bei aktiven Galaxienkernen (englisch Active Galactic Nuclei, AGN) wie den Quasaren, Blazaren, Radiogalaxien und Seyfert-Galaxien (siehe Bild auf S. 48). Hier wird das zentrale Schwarze Loch innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit mit viel Materie gefüttert und wächst dabei schnell an. Der heiße Materiestrom leuchtet hell in allen Farben und ist in vielen Spektralbereichen aus großer Entfernung beobachtbar. Auch bei diesen großen Brüdern der stellaren Schwarzen Löcher kann es zur Ausbildung von Jets kommen. Die gigantischen Jets der im Radiobereich hellen Quasare und Radiogalaxien sind vielfach beobachtet worden und erstrecken sich über mehrere tausend bis Millionen Lichtjahre. Bei den Blazaren schauen wir direkt in den auf uns gerichteten Jet hinein. Wegen der starken Bündelung und heftigen Blauverschiebung ihrer Strahlung erscheinen uns diese aktiven Galaxien viel leuchtkräftiger, als sie tatsächlich sind.


Die hellsten Röntgenfeuer

Die zwei Klassen der stellaren und der extrem massereichen Schwarzen Löcher sind schon seit Jahrzehnten bekannt. Gibt es auch Schwarze Löcher mit Massen, die dazwischenliegen?

In jüngster Zeit häufen sich Beobachtungen, die dies nahelegen. Seit den 1980er Jahren werden rätselhafte ultrahelle Röntgenquellen (kurz ULXs für ultra-luminous X-ray sources) beobachtet, deren Röntgenleuchtkraft mindestens 1032 Watt beträgt - das ist das Billionenfache dessen, was die Sonne im Röntgenbereich aussendet. Nehmen wir an, dass diese Leuchtkraft durch Akkretion freigesetzt wird (wir kennen keinen anderen Mechanismus, der dies leisten würde), so können wir die Masse des akkretierenden Objekts abschätzen. Denn die bei der Akkretion maximal freigesetzte und dann pro Zeiteinheit abgestrahlte Gravitationsenergie hängt über die so genannte Eddington-Relation mit der Masse des akkretierenden Objekts zusammen. Die beobachtete Röntgenleuchtkraft der ULXs legt somit nahe, dass ULXs Schwarze Löcher mittlerer Masse, etwa tausend Sonnenmassen, sein könnten. Alternativ könnten es auch stellare Schwarze Löcher in extremen Akkretionszuständen sein.

Zusammen mit den Röntgenbeobachtungen von Kugelsternhaufen, die möglicherweise ebenfalls Schwarze Löcher von einigen tausend bis zehntausend Sonnenmassen enthalten, verdichten sich die Hinweise auf die Existenz Schwarzer Löcher mittlerer Masse. Dies wäre ein durchaus befriedigendes Ergebnis, denn die große Lücke zwischen den Massen stellarer und extrem massereicher Schwarzer Löcher erscheint kaum plausibel und ist bislang physikalisch nicht zu erklären.


Der Nachweis Schwarzer Löcher

Die Astronomen verfügen mittlerweile über ein ganzes Arsenal von Methoden zum Nachweis für Schwarze Löcher. Sie alle, und auch solche, die noch Zukunftsmusik sind, werden im unten genannten Sachbuch vorgestellt. Hier sollen zwei prominente Verfahren herausgegriffen werden.

Die weiter oben dargelegte Abschätzung der Massen akkretierender Schwarzer Löcher mit Hilfe der Eddington-Relation beruht auf unserem Verständnis des Akkretionsprozesses. Demnach wird bei der Akkretion auf massereiche Schwarze Löcher mehr Gravitationsenergie freigesetzt - und damit eine höhere Leuchtkraft erzeugt - als bei Schwarzen Löchern geringerer Masse. Vergleicht man Gammastrahlenblitze mir der Strahlung der ULXs und der aktiven Galaxienkerne, so scheint dies zuzutreffen. Allerdings spielen dabei auch unbekannte Größen eine Rolle, beispielweise der Wirkungsgrad, mit dem die bei der Akkretion freigesetzte Gravitationsenergie in Strahlungsenergie umgesetzt wird.

Viel einsichtiger ist die kinematische Methode, deren Prinzip leicht am Sonnensystem demonstriert werden kann. Wir sind in der Lage, die Masse der Sonne zu bestimmen, ohne sie anzuschauen: Das dritte keplersche Gesetz setzt die Umlaufzeit eines Planeten und die große Halbachse seiner Bahn in Bezug zur Masse des Zentralkörpers, den er umkreist (siehe Bild). Das gleiche Gesetz gilt auch für Sterne, die ein Schwarzes Loch umkreisen. Auf diesem Weg gelang die Bestim mung der Masse des Schwarzen Lochs im galaktischen Zentrum. Weil diese Methode auf der Vermessung von Bewegungen beruht, zählt sie zu den kinematischen Methoden.

Allerdings kann man nicht oft genug darauf hinweisen, dass der strenge Existenznachweis für klassische Schwarze Löcher im Sinne der Relativitätstheorie sehr schwer zu erbringen ist. Mit der bloßen Bestimmung einer Masse und eines Volumens, innerhalb dessen sich diese Masse befindet, ist es nicht getan. Derartige Messungen erlauben allenfalls einen indirekten Schluss auf die Existenz Schwarzer Löcher.

Vergessen wir nicht, dass klassische Schwarze Löcher als Lösungen der Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie vor allem zwei Charakteristika haben, nämlich einen Ereignishorizont und eine zentrale (Krümmungs-)Singularität. Kann man beides überhaupt nachweisen? Erinnern wir uns an die Problematik mit der Zeit: Das Schwarze Loch und sein Ereignishorizont liegen in der Zukunft des Beobachters. Das gilt erst recht für die Singularität, die tief im Innern des Lochs sitzt. Da man etwas, was erst in der Zukunft kommen wird, nicht im Hier und Jetzt nachweisen kann, muss der strenge Nachweis eines Schwarzen Lochs scheitern.

Der Nachweis eines Schwarzen Lochs im Hier und Jetzt muss scheitern, weil es in der Zukunft liegt.

Was den Astronomen bleibt, sind indirekte Schlussfolgerungen, etwa auf Grund der Abschätzung der Kompaktheit eines Himmelskörpers, das heißt seiner Masse pro Volumen: Man bestimmt die Masse nach einem der oben beschriebenen Verfahren und misst eine obere Grenze für das Volumen - und damit eine untere Grenze für die Kompaktheit. In vielen Fällen legt dieses Verfahren die Existenz Schwarzer Löcher nahe, weil schlichtweg nichts anderes, was unsere Physik zu bieten hat, in Frage kommt. So wissen wir, dass im Zentrum des Milchstraßensystems eine Masse von vier Millionen Sonnenmassen in einem Gebiet sitzt, das kaum größer ist als unser Sonnensystem. Was könnte das anderes sein als ein Schwarzes Loch?


Gibt es Alternativen zum klassischen Schwarzen Loch?

Das Kuriositätenkabinett der Astrophysiker bietet einen Zoo exotischer Objekte an, die hinsichtlich ihrer Kompaktheit durchaus mit den Schwarzen Löchern mithalten können. Dazu gehören verallgemeinerte Formen Weißer Zwerge und Neutronensterne, die als Fermionensterne bezeichnet werden. Derartige Objekte bestehen aus dicht gepackten Fermionen. Das sind Teilchen mit halbzahligem Spin, die miteinander wechselwirken können. Die Theorie kennt auch Bosonensterne; das sind Objekte, die aus Bosonen bestehen, das heißt aus Teilchen mit ganzzahligem Spin. In den Weiten des Alls könnten bislang nicht bekannte Fermionen- und Bosonensterne existieren, allerdings ist es den Theoretikern noch nicht gelungen, die ganze beobachtete Breite der Massenskala Schwarzer Löcher nur mit Fermionen- oder nur mit Bosonensternen zu erklären.

Es wurden in der jüngeren Vergangenheit Alternativen zu den Schwarzen Löchern vorgeschlagen, die in ihrem Innern eine Blase Dunkler Energie enthalten (so genannte Gravasterne) oder die aus Strings bestehen (dazu gehören die so genannten »Fusselbälle« oder auch die Holosterne). Diese theoretischen Modelle sind ein durchaus spannendes Forschungsgebiet, aber es gibt begriffliche Schwierigkeiten, die Anlass zur Skepsis geben. Gravasterne sind etwas stark konstruierte Lösungen der einsteinschen Theorie, deren Entstehungsweise in der Natur unklar bleibt. Holosterne verbergen offenbar auch eine Singularität in ihrem Innern. Das größte Manko ist allerdings, dass Grava- und Holosterne keine Rotation zeigen, während bei vielen kosmischen Kandidaten Schwarzer Löcher doch Anzeichen einer Rotation beobachtet werden. Insbesondere lässt sich die Entstehung relativistischer Jets nur mit rotierenden Schwarzen Löchern erklären. Unter dem Strich ist das rotierende Modell in Gestalt der 1963 gefundenen Kerr-Metrik, einer exakten Lösung von Einsteins ART, das Beste, was Astrophysiker heute haben, um die vielfältige Welt der kosmischen Schwarzen Löcher zu beschreiben. Wir benötigen diese kosmische Kuriosität!


Mikroskopische Schwarze Löcher?

Abseits der Astronomie eröffnet sich heute ein vollkommen neues Feld der Erforschung Schwarzer Löcher. Es hat mit der Teilchenphysik zu tun und bietet vielleicht die Möglichkeit, Schwarze Löcher im irdischen Labor zu untersuchen.

Was wie Sciencefiction klingt, ist ein aktuelles, brisantes Gebiet der Teilchenphysik: die Schwarzen Minilöcher. Wir bewegen uns auf der Massenskala Schwarzer Löcher ganz nach unten, bis wir Massen von einigen tausend Protonen erreichen. Zur Erinnerung: Protonen sind positiv geladene Elementarteilchen, aus denen, zusammen mit den Neutronen, Atomkerne bestehen. Beide Teilchensorten bestehen ihrerseits aus jeweils drei Quarks, und beide haben eine Masse von etwa 1,7 x 10-24 Gramm.

Die Idee ist nun: Schwarze Minilöcher sollten entstehen, wenn es gelingt, die Protonen auf einem winzigen Raumge biet zusammenzupferchen. Genau dies geschieht in den modernen Teilchenbeschleunigern, die der Erforschung des Teilchenzoos und der fundamentalen Naturkräfte dienen. Im Jahr 2008 startete der gegenwärtig modernste und größte Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf. Er besteht im Wesentlichen aus einem 27 Kilometer langen Ring, in dem Protonen mit Hilfe starker elektrischer und magnetischer Felder nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden. Der »Teilchenunfall« wird kontrolliert herbeigeführt, und an vier zum Teil haushohen Detektoranlagen namens ATLAS, CMS, Alice und LHCb werden die dabei entstehenden neuen Teilchensorten nachgewiesen.

Sinn und Zweck dieser physikalischen Grundlagenforschung ist der experimentelle Nachweis theoretisch postulierter Teilchen, allen voran des Higgs-Teilchens. Weiterhin ist von großem Interesse, ob es eine Art Spiegelteilchen zu den bereits bekannten Teilchen gibt, nämlich so genannte supersymmetrische Teilchen. Sie wären auch für Astronomen interessant, weil sie die bisher nur indirekt beobachtete Dunkle Materie ausmachen könnten. Schließlich geht es auch um die Frage, ob die Natur über die drei klassischen Raumdimensionen (Länge, Breite und Höhe) hinaus noch weitere Raumdimensionen bereithält.

Hier kommen die Schwarzen Mini-Löcher ins Spiel. Gibt es mehr als drei Raumdimensionen, dann verändert sich eine fundamentale Größe der Physik, die Planck-Energie. Sie wurde nach Max Planck (1858-1947), dem »Vater der Quantentheorie«, benannt und kennzeichnet ein Regime, bei dem die Effekte der Quantentheorie wie auch die Effekte der Relativitätstheorie gleichermaßen wichtig werden. Zahlenmäßig lässt sich dieses Regime fassen durch Gleichsetzen des Gravitationsradius (der fundamentalen Länge der ART) mit der ComptonWellenlänge (der fundamentalen Länge der Quantentheorie). Aus dem Gleichsetzen folgt der Wert der so genannten Planck-Masse, die sich durch Anmultiplizieren mit c² in eine Planck-Energie umrechnen lässt. Eigentlich benötigt man, um die in diesem Bereich auftretenden Phänomene zu beschreiben, eine Theorie der Quantengravitation. Man kann zeigen, dass der Wert der Planck-Energie von der Anzahl der Raumdimensionen abhängt. In den zehndimensionalen Stringtheorien, einer Variante der Quantengravitationstheorien, wird die klassische Planck-Energie von 1019 Gigaelektronvolt auf etwa ein Teraelektronvolt (1000 Gigaelektronvolt) reduziert. Anschaulich bedeutet dies, dass Effekte einer Quantengravitation bereits bei um einen Faktor 1016 kleineren Energien zu erwarten sind - Energien, die mit dem LHC erreichbar sind. Ein Effekt dieser Quantengravitation ist die Entstehung Schwarzer Minilöcher, die sich demnach am LHC bilden könnten.

Schwarze Löcher in Teilchenbeschleunigern? Als dieses Szenario bekannt wurde, war die Aufregung in der Öffentlichkeit groß, weil man sich um die Sicherheit moderner Teilchenbeschleuniger Sorgen machte. Doch man kann Entwarnung geben. Diese Schwarzen Löcher sind nicht größer als Elementarteilchen und haben auch vergleichbare Massen. Schwarze Minilöcher sind daher - auf Grund der Eddington-Relation aus der Akkretionstheorie - extrem ineffizient im Aufsammeln von Materie. Ein Miniloch von einem Teraelektronvolt (1012 eV) Masse kann pro Sekunde nur 10-36 Gramm akkretieren. Unter der Annahme einer konstanten A kkretionsrate und einer Akkretionseffizienz von zehn Prozent hätte das Miniloch nach einigen Trillionen Jahren gerade einmal die Masse eines einzigen Elektrons verschluckt.

Doch so viel Zeit hätte ein Miniloch gar nicht. Denn wie Stephen Hawking in den 1970er Jahren herausfand, müssen Schwarze Löcher zerstrahlen - und zwar umso schneller, je masseärmer sie sind. Deshalb spielt die Emission von Hawking-Strahlung für Minilöcher eine große Rolle: Ein Miniloch zerstrahlt im Nu, seine berechnete Lebensdauer beträgt ungefähr 10-24 Sekunden - dagegen ist ein Wimpernschlag eine Ewigkeit! Die Hawking-Strahlung besteht aus neuen Teilchen, die aus der Vernichtung des Minilochs entstehen. Diese Teilchen können im Prinzip am LHC experimentell nachgewiesen werden, ihre charakteristischen Signaturen würden von der Existenz eines Mini-Lochs zeugen (siehe Bild).

Schließlich liefert uns die Natur selbst ein starkes Argument, weshalb Schwarze Minilöcher nicht zu alles verschlingenden Objekten werden können. Dazu muss man wissen, dass wir und der Rest des Weltalls von energiereicher kosmischer Strahlung bombardiert werden. Sie besteht aus Photonen, Elektronen, Protonen und Neutronen sowie aus schweren Atomkernen, und in ihr wurden höchste Energien von 1020 Elektronvolt pro Teilchen gemessen. Demgegenüber sind die am LHC erzeugten Teilchenenergien von 1012 bis 1013 Elektronvolt winzig! Offenbar hat diese höchstenergetische kosmische Strahlung noch kein gefährliches, alles verschlingendes Miniloch erzeugt, denn das hätten wir längst bemerkt - dann wären der Mond oder auch andere Himmelskörper eines Tages plötzlich auf rätselhafte Weise verschwunden ... Doch nichts dergleichen wurde beobachtet. Also haben wir vom LHC nichts zu befürchten.


Alternative Ansätze

Als Karl Schwarzschild 1916 die Singularitäten der ART entdeckte (Schwarze Löcher heißen sie erst seit 1967), war Albert Einstein alles andere als begeistert. Er wehrte sich vehement gegen die Vorstellung, dass es in der Natur etwas derart Seltsames geben könnte. Er und viele andere Gegner der Schwarzen Löcher wurden eines Besseren belehrt. So seltsam uns die klassischen Schwarzen Löcher erscheinen mögen, so einfach werden wir sie nicht los. Im Gegenteil: Die Astronomen entdecken heute in den Weiten des Universums eine Vielzahl kompakter Objekte, die sehr gut mit Schwarzen Löchern erklärt werden können - allerdings mit rotierenden. Die erst 1963 von dem Neuseeländer Roy Patrick Kerr entdeckte »Kerr-Lösung« der ART ist bislang das Beste, was wir zur Beschreibung Schwarzer Löcher haben. Und diese kerrschen Schwarzen Löcher rotieren!

Spannende Zeiten stehen uns bevor, sowohl in der beobachtenden Astronomie als auch in der Erforschung der Gravitation und in der experimentellen Teilchenphysik. Es ist zu erwarten, dass die Astronomen in den nächsten Jahren erstmals Gravitationswellen nachweisen werden - indirekt ist dies an Doppelpulsaren bereits gelungen. Die Wellenform der Gravitationswellen trägt eine Fülle von Informationen über das Milieu, aus dem sie kommen. Während der Nachweis klassischer Schwarzer Löcher mit Hilfe elektromagnetischer Wellen prinzipiell scheitern muss, könnte er mittels der Gravitationswellen gelingen, weil sich die Raumzeit mit ihrer Hilfe viel exakter vermessen lässt.

Die Theoretiker entwickeln zurzeit mehrere Varianten von Quantengravitationstheorien, die an Beobachtungen getestet werden können. Bislang können wir in Einsteins bewährte Relativitätstheorie großes Vertrauen setzen. Alternative Gravitationstheorien müssen sich solche Lorbeeren erst noch verdienen, und wir können darauf gespannt sein, welcher Ansatz in den nächsten Jahren das Rennen machen wird.

Nun steht der LHC am Start, ein Großprojekt der Teilchenphysik, das bereits riesige Datenmengen liefert, die vielleicht einmal darauf hinweisen werden, dass im Detektor ein Schwarzes Miniloch entstand und »verpuffte«. Falls dieser Nachweis gelänge, hätte das revolutionäre Folgen für unser Weltbild, denn es wäre der Beweis für eine räumlich mehr als dreidimensionale Welt.


Andreas Müller ist Astrophysiker und Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München.


W I S - wissenschaft in die schulen!

Die Wirkung der Gezeitenkraft wird nirgends so deutlich wie in der Nähe eines Schwarzen Lochs - dieser Erfahrung kann man sich rechnend, zeichnend und sogar sportlich annähern. Wie Schüler in der gymnasialen Oberstufe aktiv mit den Inhalten dieses Beitrags arbeiten können, zeigen unsere didaktischen Materialien, die unter www.wissenschaft-schulen.de kostenfrei abgerufen werden können. Unser Schulprojekt führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad und dem Haus der Astronomie in Heidelberg durch.


Literaturhinweise

Müller, A.: Schwarze Löcher. Die dunklen Fallen der Raumzeit. Ein Buch für interessierte Laien, Schüler, Lehrer, Studenten und Amateurastronomen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2009.

Janka, H.-T.: Supernova-Explosionen und rasende Neutronensterne. In: Sterne und Weltraum 1/2007, S. 44-52.

Gillessen, S.: Eine Nacht im Zentrum der Milchstraße. In: Sterne und Weltraum 2/2009, S. 52-61.

Gillessen, S.,Genzel, R.: Galaktisches Zentrum: Jagd auf das Schwarze Loch. In: Sterne und Weltraum 12/2006, S. 36-44.

Hirose, S.:.: Magnetically Driven Accretion Flows in the Kerr Metric, II. In: Astrophysical Journal 606, S. 1083-1097, 2004.

Klose, S. et al.: Licht vom Rande der Welt. In: Sterne und Weltraum 10/2009, S. 26-28.

Müller, A.: Wirbel der Raumzeit. In: Sterne und Weltraum 10/2004, S. 24-31.

Neumayer, N., Meisenheimer, K.: Ins Herz von Centaurus A. In: Sterne und Weltraum 9/2009, S. 42-51.

Nicolai, H., Pössel, M.: Strings: Grundbausteine des Kosmos? Sterne und Weltraum Special Gravitation, Nachdruck 1/2005, S. 73-79.

Theisen, S., Pössel, M.: Neues von den Superstrings. In: Sterne und Weltraum 3/2007, S. 36-46.

Weblinks zum Thema:
www.astronomie-heute.de/artikel1025409


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 41:
Schwarze Löcher können wir nicht sehen - aber simulieren. Hier ist der Anblick eines Schwarzen Lochs dargestellt, das im Zentrum einer leuchtenden, gegen den Uhrzeigersinn rotierenden, leicht geneigten Akkretionsscheibe ruht. Das Loch ist nur deshalb als schwarzer Fleck zu erkennen, weil die umgebende Scheibe leuchtet. Relativistische Effekte sorgen für die Blauverschiebung der Strahlung links vom Schwarzen Loch und für deren Gravitationsrotverschiebung in seiner Umgebung. Dadurch wird das Bild der Scheibe insgesamt verzerrt.

Abb. S. 43:
Ist das Fusionsmaterial im Innern eines Sterns verbraucht, nehmen Gas- und Strahlungsdruck rapide ab, und die nach innen gerichtete Gravitation lässt die Gaskugel zusammenstürzen. Das Schicksal des kollabierenden Sterns hängt dabei von seiner Masse ab. Ist sie kleiner als etwa 1,5 Sonnenmassen, so entsteht ein Weißer Zwerg. Bei 1,5 bis 3 Sonnenmassen gibt es eine Sternexplosion (Supernova vom Typ II), und der Sternkern kollabiert zum Neutronenstern. Kollabieren mehr als drei Sonnenmassen - wobei dieser Grenzwert nicht so genau bekannt ist -, entsteht ein Schwarzes Loch.

Abb. S. 46:
Von dem 6000 Lichtjahre entfernten Doppelsternsystem Cyg X-1 (künstlerische Darstellung im kleinen Bild) ist im Röntgenlicht nur die leuchtende Gasscheibe um das Schwarze Loch zu sehen (großes Bild). Das Schwarze Loch selbst, mit nur 60 Kilometer Durchmesser, lässt sich mit keinem Teleskop auflösen, so dass hier kein schwarzer Fleck zu sehen ist. Selbst seine erheblich größere Akkretionsscheibe erscheint nur als heller, verwaschener Fleck.

Abb. S. 48:
Dieses Bild ist ein Gruppenfoto der massereichsten Schwarzen Löcher in den Kernen aktiver Galaxien. Es wurde mit dem europäischen Röntgenteleskop XMM-Newton aufgenommen und zeigt zahllose Röntgenquellen in einem Feld doppelt so groß wie der Vollmond. Die meisten Quellen erscheinen punktförmig; von Rot über Grün nach Blau nimmt die Energie ihrer Röntgenstrahlung zu. Das Licht der fernsten der hier abgebildeten Quellen ist zwölf Milliarden Jahre unterwegs gewesen, bevor es uns erreichte.

Abb. S. 49:
Das dritte keplersche Gesetz setzt die Periode τ und die Halbachse a der Umlaufbahn eines Himmelskörpers in Beziehung zur Masse M des von ihm umlaufenen Zentralkörpers. Damit lässt sich die Masse von Planeten, Sternen oder auch Schwarzen Löchern bestimmen.

Abb. S. 50:
Die Teilchenphysiker am CERN haben bereits simuliert, woran ein im Teilchen detektor entstandenes Schwarzes Miniloch zu erkennen wäre: Es würde sofort durch die Emission von Hawking-Strahlung förmlich explodieren. Die Linien repräsentieren Teilchen, die nach dem Verschwinden des Minilochs aus dem Feuerball entstehen. Das Besondere an diesem Ereignis ist seine kugelsymmetrische Form. Daran wäre es, falls es tatsächlich stattfände, relativ leicht zu erkennen.


© 2010 Andreas Müller, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 5/10 - Mai 2010, Seite 40 - 51
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/52 80, Fax: 06221/52 82 46
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
Tel.: 06221/912 66 00, Fax: 06221/912 67 51
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2010