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FORSCHUNG/686: Selbstorganisation - Brücken, die Sand verbinden (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2009

Brücken, die Sand verbinden

Von Christian Meier


Eine Sandburg ist ein komplexes Gebilde, zumindest in ihrem Inneren. Denn hier bilden Sandkörner, Wasser und Luft eine filigrane Struktur. Was diese zusammenhält, erforschen Stephan Herminghaus und seine Mitarbeiter am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und gewinnen dabei auch Erkenntnisse für Industrieprozesse, die Vorhersage von Erdrutschen und die Erdölförderung.


Was Sandburgen mit Ölfeldern zu tun haben, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Tatsache aber ist: Nachdem der Physiker Stephan Herminghaus mit seinem Team am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation ein lange ungeklärt gebliebenes Rätsel um die erstaunliche Stabilität von Sandburgen gelöst hatte, bekam er einen Anruf vom Ölkonzern BP.

Aber der Reihe nach: Am Anfang der Geschichte stand pure wissenschaftliche Neugier. Herminghaus faszinierte ein alltägliches Wunder am Badestrand: die eindrucksvolle Allianz von Sand und Wasser. Eine Flüssigkeit macht aus einem gestaltlosen Rieselgut, das durch den engen Hals einer Sanduhr fließt und sich von Windböen widerstandslos zerstäuben lässt, ein festes und formbares Baumaterial für Sandburgen und filigrane Skulpturen. Rätselhaft fanden Stephan Herminghaus und seine Mitarbeiter vor allem folgendes Phänomen: Die Festigkeit des nassen Sandes ist weitgehend unabhängig von der beigemischten Wassermenge. Ein fast noch trockener Sand ist ebenso formbar und stabil wie Sand, der schon fast völlig mit Wasser durchtränkt ist. Deshalb braucht kein Sandburgenbauer ein Rezept für sein Baumaterial.

Um diesem Phänomen systematisch auf den Grund zu gehen, untersuchten die Göttinger Forscher eine Art Modellsand: Glaskügelchen mit Durchmessern zwischen 0,2 und 0,3 Millimetern. Wie die meisten Sandkörner bestehen auch die Glaskügelchen aus Siliziumdioxid. Der Modellsand unterscheidet sich vom Sand am Strand nur darin, dass seine Körner perfekte Kugeln formen. Das Glaskugel-Granulat befeuchteten die Physiker unterschiedlich stark und maßen die mechanischen Eigenschaften der so entstandenen Paste, wie etwa deren Reißfestigkeit.

Dazu füllten sie den nassen Modellsand in ein zylindrisches Gefäß, das sie auf eine rotierende Platte setzten. Dann erhöhten die Forscher langsam die Drehgeschwindigkeit, bis das Granulat auseinanderriss. Aus der Drehgeschwindigkeit berechneten sie die Reißfestigkeit. Außerdem bestimmten sie den Widerstand, den das Granulat Scherkräften entgegensetzt. Diese Kräfte wirken etwa, wenn ein Spielverderber eine Sandburg attackiert, indem er parallel zum Boden gegen die Festung drückt. Schließlich ermittelten die Göttinger Forscher auch die Beschleunigung, der man den nassen Modellsand aussetzen muss, um ihn zum Fließen zu bringen.


Festes Granulat verwandelt sich in fast flüssigen Matsch

Das Ergebnis: Alle drei Größen hängen in gleicher Weise vom Wassergehalt ab. Bereits bei geringsten Wasserzugaben steigen sie schlagartig an: Das ist der Übergang vom Wüstensand zur Paste. Sie bleiben weitgehend konstant, wenn man den Wasseranteil weiter erhöht. Erst bei etwa 20 Volumenprozent Wasser nehmen die drei Größen wieder deutlich ab: Aus dem festen Granulat wird ein fast flüssiger Matsch. Das Granulat zeigt somit ein ähnliches Verhalten wie natürlicher Sand.

Es eignete sich also tatsächlich als Modell, und zwar nicht nur für Sand, sondern auch für das, was bei so manchem Erdrutsch passiert: Wird das Material zu feucht, verliert es seine Steifigkeit. Warum das mitunter sehr plötzlich geschieht und je nach der genauen Zusammensetzung des Bodens bei ganz unterschiedlichem Wassergehalt, ist ein komplexes Problem. Da wartet noch viel Arbeit auf die Wissenschaftler, die sich mit solchen Fragen beschäftigen. Die Göttinger Max-Planck-Forscher widmeten sich zunächst der Frage, warum die Sandpaste bei geringerem Wassergehalt überhaupt so fest zusammenhält.

Das zu untersuchen ist schon schwierig genug. Denn um ihre Beobachtungen zu verstehen, mussten sie in das Granulat hineinschauen. "Wir wollten wissen, wie sich das Wasser in den vielen engen Hohlräumen zwischen den Kügelchen verteilt", sagt Herminghaus. Ein Lichtmikroskop half ihnen nicht weiter, weil die vielen Kügelchen das Licht in alle Richtungen brechen.

Die Lösung bot die Röntgentomografie. Dabei wird das nasse Granulat, ähnlich wie bei einem Computertomografen im Krankenhaus, von allen Seiten mit einem Röntgenstrahl durchleuchtet. Da Wasser, Glaskugeln und Luft die Röntgenstrahlung unterschiedlich stark absorbieren, entsteht bei jeder Aufnahme ein scharf umrissenes Schattenbild. Aus der Kombination der Bilder berechnet ein Computer die räumliche Struktur der Probe, und zeigt auch, wie sich das Wasser im Raum verteilt. Je ein solches dreidimensionales Bild nahm das Team von Herminghaus am Elektronensynchrotron in Grenoble für unterschiedliche Wassermengen auf.

"Als wir die Bilder betrachteten, staunten wir", berichtet Herminghaus. Mit zunehmender Wassermenge habe sich die räumliche Struktur der Wasserverteilung zwischen den Sandkörnern mehrmals grundsätzlich verändert, berichtet der Forscher. "Wir fragten uns: Wie kann es sein, dass die mechanischen Eigenschaften davon nichts merken?"


Kapillarbrücken bilden einen Ring um die Kontaktstelle

Folgendes spielt sich im Granulat ab: Bereits bei sehr geringen Wasserzugaben bilden sich sofort Wasserbrücken zwischen jeweils zwei Körnern. Das Wasser versucht, möglichst viel Glas zu bedecken, weil die Wassermoleküle von der Glaswand angezogen werden. Deshalb wandert das Wasser dorthin, wo es zwei Kugeln gleichzeitig berührt: zu den Kontaktpunkten zwischen zwei Kügelchen. Die so entstehende flüssige Verbindung zwischen zwei Kugeln nennen Physiker eine Kapillarbrücke. Sie bildet einen Ring um die Kontaktstelle herum.

Ab etwa drei Prozent Wassergehalt fangen diese Kapillarbrücken an miteinander zu verschmelzen, sodass einzelne Wassernester entstehen. Gibt man noch mehr Wasser hinzu, verbinden sich die kleinen Nester zu größeren Nestern. Bei rund zehn Prozent Wassergehalt werden diese so groß, dass sich in der Probe Wasserstraßen bilden, die von ihrem einen Ende zum andern reichen. "Ein Pantoffeltierchen könnte nun durch die Probe hindurchschwimmen, ohne an die Luft zu müssen", sagt Herminghaus.

"Dass diese komplexen Umwandlungen keine Änderung der mechanischen Stabilität mit sich bringen, konnten wir intuitiv nicht verstehen", konstatiert der Physiker. Nur das Geschehen bei wenig Wasserzugabe, solange sich im Granulat nur einzelne Wasserbrücken befinden, verstanden die Forscher leicht. Die Grenzfläche zwischen der Kapillarbrücke und der Luft wölbt sich konkav, also in das Wasser hinein. Dadurch entsteht ein Unterdruck im Wasser, der die Kügelchen aneinandersaugt.

Kommt nun mehr Wasser ins Granulat, strömt dieses in die Kapillarbrücke, sodass sie wächst. Die konkave Wölbung der Wasseroberfläche nimmt daher ab und mit ihr der Unterdruck. Die Abnahme der Saugwirkung wird aber durch die Zunahme der Kontaktfläche mit den Glaskugeln, auf die sie wirkt, gerade ausgeglichen. Deshalb bleibt die durch die Kapillarbrücken ausgeübte Anziehungskraft zwischen den Kügelchen konstant und mit ihr die Festigkeit des Granulats.

"Spannend wird es aber, wenn zwei wachsende Kapillarbrücken sich verbinden", sagt Herminghaus. Dies geschieht immer dann, wenn sich zwei benachbarte Kapillarbrücken berühren. Dann verschmelzen sie und füllen den gesamten Hohlraum zwischen jeweils drei Kugeln mit Wasser. Weil die drei Kugeln meist in Kontakt miteinander stehen, gibt es eine dritte Kapillarbrücke, die zwangsläufig mitverschmilzt: ein Kapillarbrücken-"Trio" entsteht. Weil die beteiligten Kugeln etwa gleich groß sind, bildet sich das Trio immer dann, wenn die Kapillarbrücken eine ganz bestimmte Größe erreicht haben, also auch immer beim gleichen Unterdruck, dem sogenannten Verschmelzungsdruck.

Ähnliches geschieht, wenn das Kapillarbrücken-Trio sich mit weiteren Brücken oder anderen Trios zu größeren Nestern vereint. "All dies lässt sich mit der Tomografie sehr schön verfolgen und bestätigen", sagt Herminghaus. Somit hatten die Forscher verstanden, was bei der Wasserzugabe über drei Prozent Wassergehalt hinaus passiert: Es entstehen keine neuen Brücken mehr, sondern die vorhandenen wachsen zu Nestern zusammen.


Der Druck wirkt von allen Seiten

Doch es blieb ein Rätsel übrig: Warum wirkt sich der Unterdruck auch dann noch unverändert auf die Stabilität des Materials aus, wenn bereits ein großer Teil der Körner von Wasser umgeben zu sein scheint? Auf diese gleichsam im Wasser schwimmenden Körner wirkt der Druck dann von allen Seiten und sollte sich völlig ausgleichen. Unterm Strich bliebe keine Saugwirkung übrig, welche das Granulat zusammenhalten könnte.

Auch hier lieferten die Röntgentomogramme den entscheidenden Hinweis. Sie zeigten nämlich, dass es auch dann noch viele luftgefüllte Hohlräume gibt. "Das Granulat ist nicht von einem 'See', sondern von einer filigranen Wasserskulptur durchdrungen", erklärt Herminghaus. Alle Körner stehen mit Wasseroberfläche in Kontakt und werden von deren Oberflächenspannung mechanisch stabilisiert.

Nun ist ein Becher voller Glaskugeln kein natürlicher Sand, denn dessen Körner formen alles andere als perfekte Kugeln. Dennoch sind sich die Göttinger Physiker sicher, dass ihr Erklärungsmodell auch für Sand gilt. Sie haben nämlich nicht nur festgestellt, dass die mechanischen Eigenschaften in natürlichem feuchten Sand beinahe in gleicher Weise von der Flüssigkeitsmenge abhängen wie im Modellsand. Wie das Röntgentomogramm zeigte, bildeten ihre Wassernester auch eine sehr ähnliche Struktur.

Auch die Hersteller von Tabletten kennen seit Langem das Phänomen, dass sich die mechanischen Eigenschaften von feuchten Granulaten nicht ändern - auch wenn ihr Flüssigkeitsgehalt variiert. Die Pharmaproduzenten verwenden Rührmaschinen, die Trägerpulver und Wirkstoff mit einer Flüssigkeit vermengen, um daraus die Pillen zu formen. "In einem weiten Feuchtigkeitsbereich verbrauchen die Mixer immer etwa gleich viel Leistung", berichtet Herminghaus. Der Widerstand, den das Gemisch den Rührern entgegensetzt, ändert sich also nicht wesentlich, wenn es nasser wird.

Herminghaus betont, dass seine Forschungsergebnisse nicht nur für Sandbildhauer und Pillenhersteller wichtig sind. "Sie können vermutlich auf die meisten in der Natur vorkommenden Sande und eine große Zahl weiterer Sedimente angewendet werden", sagt der Physiker. Die meisten natürlichen Sedimente sind nämlich durch den langen Transport in Wasser und Wind recht gut "sortiert", wie es im Geologenjargon heißt. Im Klartext: Alle Körnchen sind etwa gleich groß. So bestimmt etwa die Fließgeschwindigkeit eines Flusses die Größe der Körner, die sich in seinem Bett ablagern. "Deshalb könnten unsere Ergebnisse helfen, Erdrutsche besser zu verstehen und vielleicht sogar einmal rechtzeitig vorherzusagen", sagt Herminghaus.

Die Forschung von Herminghaus lässt sich auch noch in einen weiteren Kontext einordnen, der Physiker in aller Welt brennend interessiert. Nämlich die Frage, ob es übergeordnete, universell geltende Gesetzmäßigkeiten für Komplexität und Selbstorganisation gibt. Oder anders gefragt: Werden völlig unterschiedliche Systeme wie feuchte Granulate, Ameisenkolonien oder das menschliche Gehirn von den gleichen Komplexitäts-Regeln regiert? Solche Regeln, so die Hoffnung vieler Physiker, würden es einfacher machen, die Physik hochkomplizierter Phänomene zu verstehen.


Auf richtige Fragen gibt es einfache Antworten

In dieser Frage ist die Physikerwelt gespalten. "Ich habe mich viel damit beschäftigt und bin zu der Meinung gelangt, dass es solche universellen Gesetze nicht gibt", sagt Herminghaus. Er hält die Suche nach allgemeingültigen Formeln hier eher für behindernd. "Jedes komplexe System ist ein Fall für sich, dem man sich als Wissenschaftler ganz neu stellen muss", sagt er.

Dennoch hat er eine Art Methodik entwickelt, sich komplexen Systemen zu nähern. Er geht ähnlich vor wie ein Kriminalist: "Ich versetze mich gewissermaßen in das System hinein und stelle mir bildlich vor, wie es funktioniert", erläutert der Physiker. Zur Methode gehört auch, wenn man so will, eine intelligente Verhörtechnik: "Wenn man einem komplexen System die richtigen Fragen stellt, gibt es erstaunlich einfache Antworten", sagt Herminghaus. Es zeige einem dann oft sehr simple Regeln, nach denen es funktioniert. Die Aufgabe des Forschers sei es, die richtige Frage zu finden.

Wie überraschend einfach die Antworten sein können, zeigte die Göttinger Gruppe ebenfalls am feuchten Granulat aus Glaskugeln. Sie untersuchten, wie es auf unterschiedlich starkes Schütteln reagiert. Dafür füllten sie es in ein flaches zylindrisches Plastikgefäß und stellten dies auf einen Rüttler. Dann änderten sie die Energie und die Beschleunigung des Rüttelvorganges, indem sie entweder die Amplitude oder die Frequenz des Rüttlers variierten.

Das feuchte Granulat zeigte dabei ein sehr komplexes Verhalten. Es durchlief ähnliche Phasenübergänge wie ein Festkörper, der beim Erhitzen schmilzt und dessen Teilchen sich schließlich zu einem Gas verflüchtigen. In ähnlicher Weise lagen die Körnchen bei geringer Beschleunigung dicht aneinandergepackt und blieben unbeweglich, was dem festen Zustand entspricht. Erhöhte sich die Beschleunigung, gingen sie in eine Art flüssige Phase über, in der sich die Teilchen schneller bewegten und durch das Granulat wanderten.

Richtig interessant wurde es, als die Forscher bei hoher Beschleunigung auch die Energiezufuhr erhöhten. Dann zeigte sich eine dritte, gasförmige Phase, in der sich die Körnchen sehr schnell und frei bewegten. Diese Gasphase existierte in der Mitte der Plastikschale. Darum herum blieb ein Ring der flüssigen Phase erhalten, in dem die Teilchen sich wesentlich langsamer bewegten. Weil die mittlere Teilchengeschwindigkeit ein Maß für die Temperatur ist, besaß diese Doppelphase also zwei Temperaturen. Wahrlich ein komplexes Geschehen, wie man es beim Kochen von Wasser auf dem Herd kaum erleben dürfte.


Der Computer bringt Licht in komplexe Systeme

Die Vermutung liegt nahe, dass ein solches Verhalten von sehr vielen unterschiedlichen Eigenschaften und Details des feuchten Granulats abhängt. In Computersimulationen haben die Göttinger Physiker aber gezeigt, dass dem nicht so ist. "Wir fragten uns, wie die Phasenübergänge von dem Verlauf der Kraft abhängen, mit der eine Kapillarbrücke an den Kügelchen zieht, wenn sie sich voneinander entfernen", erläutert Herminghaus. Die Brücke gleicht einer Feder, die umso stärker zieht, je mehr Abstand die Glaskugeln voneinander haben, und die bei einer bestimmten Zugkraft reißt.

Dieses Verhalten simulierten die Forscher im Computer und erhielten ein Phasendiagramm, das dem beobachteten gut entsprach. Dann machten sie eine gewagte Annahme: Das Verhalten des Systems hänge gar nicht davon ab, wie sich die Zugkraft der Kapillarbrücke mit dem Abstand der Kugeln verändert, sondern nur von der Energie, die man hineinstecken muss, um die Brücke zu zerreißen.

Und tatsächlich: Als sie die Simulation unter dieser Annahme wiederholten, erhielten die Forscher das gleiche Phasendiagramm wie bei der Simulation zuvor. Sie hatten mit der Energie, die zum Brechen der Kapillarbrücke nötig ist, die wesentliche Stellschraube gefunden, die das Verhalten des gerüttelten feuchten Granulates beschreibt.

Für Stephan Herminghaus zeigt dieses Beispiel, worin ein Schlüssel zum Verständnis komplexer Systeme liegt: die wesentlichen Eigenschaften des Systems zu identifizieren und die vielen irrelevanten Details auszublenden. "An seinen wesentlichen Stellen ist jedes System einfach", sagt Herminghaus. "Die Kunst, diese 'wesentliche Stelle' zu finden, lässt sich nicht im Studium erlernen, sie kann nur ein Ergebnis langjähriger Erfahrung sein."


Neue Erkenntnisse sollen die Förderung effizienter machen

"Ich glaube, dass es diese Fähigkeit ist, die BP überzeugt hat, unsere Forschung zu fördern", sagt der Physiker. Der Ölkonzern hat nämlich ein Problem: In den Ölfeldern bleiben Reste, die sich nicht oder nur schwer ausbeuten lassen. Wenn das Öl nicht mehr von selbst an die Oberfläche sprudelt, helfen die Ölförderer nach, indem sie Wasser ins poröse Gestein pumpen, welches das Öl herausdrücken soll. Dabei bilden sich im Untergrundgestein Ölnester, die nicht mehr zu den Förderrohren gelangen: Das Öl bleibt in der Tiefe.

"Diese Nester haben eine ganz ähnliche Struktur wie die Wassernester in einem Granulat und sollten ähnlichen Gesetzmäßigkeiten folgen", sagt Herminghaus. Noch komplexer wird es, wenn man einmal Kohlendioxid in leeren Ölfeldern speichern will. Dann muss man nicht zwei, sondern drei Komponenten, nämlich Kohlendioxid, Wasser und restliches Rohöl zwischen die Körner quetschen. "Hier gibt es noch enormen Forschungsbedarf", sagt Herminghaus.


BP unterstützt die Forschung finanziell

"Die nachhaltige Energieversorgung der Welt ist ein vielschichtiges Problem", sagt Herminghaus. "Die Aufgabe von uns Wissenschaftlern ist es, das Wissen zu liefern, auf dessen Basis die richtigen Entscheidungen getroffen werden können." Nun fördert BP die Forschung seiner Abteilung zehn Jahre lang mit jährlich einer Million US-Dollar. Die Göttinger haben mit dem Ölkonzern aber vereinbart, dass sie ihr Forschungsprogramm weiterhin selbst bestimmen. "Wir wollten uns keine Forschungsagenda aufoktroyieren lassen", sagt der Physiker. "Es ist schön und ermutigend, dass auch große Industrieunternehmen wie BP dies akzeptieren."

Und so geht die Forschung am Göttinger Max-Planck-Institut weiter wie geplant. Als Nächstes will Herminghaus neue Arten von Modellsand untersuchen. Sie bestehen aus winzigen Platonischen Körpern wie etwa Tetraedern und Oktaedern. "Ziel ist es, den Einfluss der Körnchenform auf die Stabilität des nassen Granulates zu verstehen", sagt der Physiker. Damit nähern er und seine Mitarbeiter sich einem genauen Verständnis, wie Feuchtigkeit natürliche Sande zusammenhält, deren Partikel unterschiedlich geformt sind. Und daraus lernen sie vielleicht auch mehr darüber, wie sich Öl in den unregelmäßig geformten Poren von Felsen verhält.


Glossar

Siliziumdioxid
Sammelbegriff für chemische Verbindungen mit der Summenformel SiO2; fasst Modifikationen der Oxide des Siliziums zusammen. Es gibt kristallines und amorphes SiO2, die bekannteste kristalline Form ist Quarz.

Röntgentomografie
Bildgebendes Verfahren zur Darstellung einer Schicht innerhalb des zu untersuchenden Objekts. Während der Belichtung werden der Röntgenfilm und die Strahlenquelle gegenläufig bewegt. Dadurch entsteht ein scharfes Bild der Strukturen in der Fokusebene, während alles andere verwischt wird.

Kapillarbrücke
Flüssige Verbindung, die über die Kraft der Oberflächenspannung eine Wechselwirkung zwischen den Körnern erzeugt.

Platonische Körper
Vollkommen regelmäßige Körper aus gleichgroßen, gleichseitigen und gleichwinkligen Vielecken. In jeder Ecke eines solchen Körpers stoßen genau gleich viele Flächen aneinander.

Phasendiagramm
Schematische Darstellung von Phasen und ihren Phasengrenzen in Abhängigkeit von Temperatur, Druck und Zusammensetzung. Solche Diagramme können Stoffe mit ihren festen, flüssigen und gasförmigen Aggregatzuständen beschreiben.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2009, Seite 48-55
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2010