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FORSCHUNG/930: Schrödingers Katze auf dem Prüfstand (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 9/12 - September 2012

Makro-Quantenphysik
Schrödingers Katze auf dem Prüfstand

Von Markus Aspelmeyer und Markus Arndt



Was passiert mit den manchmal geheimnisvollen Phänomenen der Quantenphysik, wenn man immer größere und schwerere Objekte betrachtet? Darüber stritten schon Erwin Schrödinger und Albert Einstein. Neue Experimente mit Systemen großer Masse sollen jetzt Hinweise zur Klärung dieses fundamentalen Rätsels liefern.


AUF EINEN BLICK

Tot und lebendig?

1. Ein scheinbar paradoxes Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger beschäftigt Quantenphysiker und Philosophen seit Jahrzehnten. Es geht um die fundamentale Frage, ob auch ein makroskopisches Objekt in unbeobachtetem Zustand mehrere sich eigentlich ausschließende Eigenschaften annehmen kann - ob etwa eine Katze zugleich lebendig und tot zu sein.

2. Dahinter steht das Problem des Messprozesses in der Quantenphysik: Bei der Beobachtung reduziert sich der vorher mehrdeutige Zustand verschiedener Möglichkeiten auf genau eine Wirklichkeit.

3. Seit einigen Jahren verbuchen Physiker große Fortschritte bei quantenphysikalischen Experimenten mit makroskopischen Objekten. Die Antworten beeinflussen unser grundlegendes Verständnis von Wirklichkeit und Kausalität.


»Lieber Schrödinger, Du bist faktisch der einzige Mensch mit dem ich mich wirklich gern auseinandersetze ...« So schreibt Albert Einstein im April 1935 aus Kalifornien an seinen Freund Erwin Schrödinger nach Oxford, wo der Wiener Theoretiker damals am Magdalen College arbeitete. Mit diesem Brief beginnt zwischen den beiden großen Geistern eine Grundsatzdiskussion über die Interpretation der Quantenphysik, die bis heute unter Forschern andauert: Was sagt die quantenmechanische Wellenfunktion über die physikalische Welt aus?

Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger (1887-1961) hatte die Wellenfunktion 1926 als eine zentrale mathematische Größe der Quantentheorie eingeführt. Zusammen mit der so genannten Schrödinger-Gleichung lassen sich daraus Wahrscheinlichkeiten für die Ergebnisse zukünftiger Messungen an einem physikalischen System berechnen (siehe Kasten Druckausgabe). Aber heißt das gleichzeitig, dass die Wellenfunktion deshalb etwas in der Welt real Existierendes beschreibt? Oder ist sie schlicht ein mathematisches Hilfsmittel ohne Bezug zur Realität, ein »Katalog von Erwartungswerten« (Schrödinger) zur Berechnung des möglichen Ausgangs zukünftiger Messungen? Die Diskussion darüber hat den öster eichischen Physiker zur Formulierung seines berühmr ten Gedankenexperiments von »Schrödingers Katze« geführt (siehe Kasten Druckausgabe). Letztlich geht es um die Frage, ob die Gesetze der Quantenphysik auch noch für Objekte gelten, die - wie etwa eine Katze - im Bereich unserer makroskopischen Erfahrung liegen, den die klassische Physik beschreibt.

Ein einfaches Quantenexperiment zeigt die Problematik auf: Ein Strahl von Molekülen, jedes einzelne aus mehreren Dutzend oder auch 100 Atomen zusammengesetzt, trifft auf ein Gitter mit 50 Nanometer breiten Spalten, die mit einem Abstand von 100 Nanometern in eine dünne Membran geschrieben sind. Dahinter befindet sich ein Detektorschirm. Wird nun der Ursprungsort der Teilchen in der Quelle sehr präzise festgelegt, so bleibt ihr seitlicher Impuls und damit ihre Quergeschwindigkeit in gewissen Grenzen unbestimmt oder »unscharf« - und zwar auf Grund der heisenbergschen Unschärferelation. Ihr zufolge lassen sich Ort und Geschwindigkeit eines Objekts nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen. Genauer: Das Produkt aus Ort und Geschwindigkeit kann einen gewissen Minimalwert nicht unterschreiten, der durch eine Fundamentalkonstante (das plancksche Wirkungsquantum) gegeben ist.

Für jedes der Moleküle gibt es dann bei seinem Flug von der Quelle zum Detektor durch die verschiedenen Spalten des Gitters mehrere gleichwertige Wege. Das Teilchen gelangt somit in eine quantenmechanische Überlagerung (Superposition) von fundamental ununterscheidbaren Möglichkeiten - die Basis für echte Quanteneffekte, hier insbesondere der Materiewelleninterferenz. Verhielten sich alle Moleküle wie Billardkugeln, die den Gesetzen von Newtons klassischer Mechanik folgen, so würde man - bei guter Bündelung des Molekularstrahls - auf dem Schirm für die Teilchenverteilung einen Schlagschatten des Gitters erwarten (durchgezogener Strahl Bild a im Kasten der Druckausgabe). Das Experiment liefert jedoch ein völlig anderes Ergebnis:

→ Die einhüllende Schattenlinie ist viel zu breit, um von klassischen Objekten zu stammen.
→ Es bilden sich Interferenzstreifen, sobald das Gitter mehr als einen Spalt aufweist.

Tatsächlich ist die übergroße Breite der »Schattenlinien« abermals eine Folge der Unschärferelation: Jeder der nur 50 Nanometer breiten Gitterspalte schränkt wiederum lokal die Wahl der möglichen Durchtrittsorte ein und sorgt so für eine quantenmechanische Unbestimmtheit und Aufweitung des Impulses quer zur Flugrichtung der Teilchen. Sähe jedes Molekül nur einen Spalt, so würde man einen verbreiterten Molekularstrahl auf dem Detektorschirm erwarten, etwa der schwarzen Linien im Kasten Bild b Druckausgabe. Stellt man den Molekülen jedoch viele Spalten, also ein ganzes Gitter entgegen, bietet sich ein anderes Bild. Orte auf dem Schirm, die von den Molekülen bei der Beleuchtung durch nur einen Spalt durchaus erreicht werden könnten, bleiben dann dunkel - Interferenzstreifen entstehen (rote Kurve in Kasten Bild a der Druckausgabe). Damit realisiert die Quantenphysik das sprichwörtliche »Weniger ist mehr« auf eine ungewöhnliche Art.

Die Quanteninterferenz komplexer Moleküle am Gitter demonstrierten Markus Arndt und seine Kollegen an der Universität Wien in den Laboren von Anton Zeilinger vor 13 Jahren zum ersten Mal. Mit einer rund 1000-mal empfindlicheren Detektoranordnung schritten kürzlich Thomas Juffmann und seine Kollegen in der Gruppe von Markus Arndt auf diesem Weg weiter voran: Die Forscher filmten den Wellen-Teilchen-Dualismus direkt mit einer CCD-Kamera, indem sie verfolgten, wie quantenmechanische Interferenzmuster sich aus einzelnen Farbstoffteilchen in Echtzeit aufbauen. Der Film macht beide Aspekte der Welt sichtbar: einerseits die Teilchennatur jedes einzeln fluoreszierenden Moleküls, womit man meint, dass jedes Molekül sehr präzise - hier auf bis zu zehn Nanometer genau - auf dem Detektorschirm lokalisierbar ist; andererseits seine quantenmechanische Wellennatur, die benötigt wird, um zu erklären, wie sich alle weit voneinander entfernten Teilchen wie von Geisterhand gelenkt zu einem Streifenmuster arrangieren (siehe Kasten der Druckausgabe; siehe www.spektrum.de/Quantenfilm).

Juffmann und Kollegen benötigten für ihre Experimente besonders dünne Nanostrukturen, die nur noch 100 Atomlagen dick waren. Das minimiert die sonst störenden Kräfte (die so genannten Van-der-Waals-Kräfte) zwischen vorbeifliegenden Teilchen und den Gitterwänden. Zwei israelischen Forschern von der Tel Aviv University, Aleksander Tsukernik und Ori Cheshnovsky, gelang es, solche Gitter herzustellen, womit das Wiener Team die Quantennatur noch größerer Moleküle untersuchen konnten, die aus mehr als 100 Atomen bestehen und von den Chemikern Jens Tüxen und Marcel Mayor von der Universität Basel speziell für diesen Zweck chemisch synthetisiert wurden.

Das Ergebnis des Experiments widerlegte die klassische Annahme, dass ein Molekül nur auf genau einem Weg durch die verschiedenen Spalte des Gitters treten kann - sozusagen: entweder rechts oder links um eine Strebe herum. Die Quantentheorie sagt dagegen die gemessenen Interferenzen richtig voraus. Ihr zufolge wird Materie durch eine Wellenfunktion beschrieben, die sich gleichberechtigt entlang aller möglichen Wege ausbreiten kann. Außerdem kann sie auch makroskopisch ausgedehnt (»delokalisiert«) sein; in dem Laborversuch am Ende der Flugstrecke über einige zehntel Millimeter hinweg. Die heute bekannten Gesetze der Quantenphysik gelten im Prinzip für beliebig große Objekte. Ent sprechend lassen sich solche Überlagerungen auch auf makroskopische Zustände übertragen - mit dramatischen Konr sequenzen für unser Weltbild. Genau da um geht es im berühmten Beispiel von Schrödingers Katze. Schrödinger konstruierte im Gedankenexperiment eine »Höllenmaschine«, mit der sich der Überlagerungszustand eines einzelnen Teilchens auf die Zustände »tot« und »lebendig« einer Katze übertragen lässt. Das bedeutet in Analogie zum Vorherigen: Es lässt sich prinzipiell ein Experiment durchführen, dessen Ergebnis im Widerspruch zu der Annahme steht, dass die Katze zu jedem Zeitpunkt definitiv entweder tot oder lebendig war.

Für Einstein war das ein klarer Beleg, dass die Quantenmechanik die Realität nicht korrekt erfasst, wie er in seinem Brief von 1935 auf den Punkt brachte: »Durch keine Interpretationskunst kann diese Psi-Funktion [Wellenfunktion; Anmerkung der Verfasser] zu einer adäquaten Beschreibung eines wirklichen Sachverhaltes gemacht werden.« Auch unsere eigene makroskopische Erfahrung sagt uns, dass es »in Wirklichkeit« weder ein Zwischending zwischen tot und lebendig gibt noch, wie im genannten Beispiel, die gleichzeitige Anwesenheit an zwei völlig unterschiedlichen Orten.


Schrödingers Katze, seine Gleichung und die Wellenfunktion

Im Jahr 1935 schlug Erwin Schrödinger ein scheinbar paradoxes Gedankenexperiment vor: Man nehme eine Katze und sperre sie in eine Kiste. Außerdem stelle man noch ein Giftfläschchen dazu sowie ein radioaktives Element, das zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt zerfallen wird. Sobald das geschieht, setzt ein Mechanismus Giftgas frei und tötet augenblicklich das Tier.
Das klingt grausam, verdeutlicht aber nur ein fundamentales Dilemma der Quantentheorie, mit dem der österreichische Theoretiker ihre Unvollständigkeit demonstrieren wollte. Das Problem: Der radioaktive Atomkern ist nach den Gesetzen der Quantentheorie zunächst in einem Überlagerungszustand aus »zerfallen und nicht zerfallen«. Würden diese Gesetze nun auch für makroskopische Objekte wie eine Katze gelten, müsste sich auch diese in einem Überlagerungszustand, nämlich »lebend und tot«, befinden. In dieser Phase sind für Atom und Katze lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich.
Erst beim Öffnen der Kiste (dem Moment der Beobachtung oder Messung) ändert sich die Lage dramatisch. Dann springt das Atom in einen der beiden Zustände »zerfallen« oder »nicht zerfallen« - und die Katze entsprechend in »tot« oder »lebendig«. So erklärt es jedenfalls die Kopenhagener Interpretation dieser bizarren Quantenphänomene, der die meisten Physiker anhängen.
Als Ursache wird in dem Kopenhagener Bild ein »Kollaps der Wellenfunktion« postuliert, also eine Reduzierung von einem überlagerten Mischzustand zu einem eindeutigen Zustand. Alternativ besagt die Dekohärenztheorie, dass dieser Kollaps nicht eigens gefordert werden muss. Stattdessen würde bereits die Wechselwirkung des Systems mit der Umgebung einen der zulässigen Zustände herbeiführen, was dann einem »effektiven« Kollaps der Wellenfunktion entspräche.
Die Wellenfunktion (fachlich oft mit dem griechischen Buchstaben Ψ, Groß-Psi bezeichnet), ebenfalls Schrödingers Schöpfung, beschreibt den Überlagerungszustand der Objekte gemäß einer mathematischen Gleichung, die der Theoretiker 1926 aufstellte:
iħ ∂/∂t Ψ (x,t) = ĤΨ (x,t).
Dabei ist i die imaginäre Zahl √-1, die so genannte reduzierte Planck-Konstante iħ entspricht 1,05·10-34 Joulesekunden (die so genannte reduzierte Planck-Konstante), das Zeichen ∂/∂t steht für die partielle Ableitung nach der Zeit, und H steht für den so genannten Hamilton-Operator, in dem die Bewegung der Objekte sowie äußere Kräfte enthalten sind. Das Wichtigste in diesem Naturgesetz, die veränderliche Funktion Ψ hängt selbst von Ort und Zeit ab. Sie steht für den Systemzustand - jetzt und in Zukunft.
Auch wenn das reichlich abstrakt klingt - im Prinzip beschreibt die Gleichung eindeutig, wie sich die Wellenfunktion aus einem gegenwärtigen Zustand in die Zukunft hineinentwickelt. Und der Ĥ-Operator repräsentiert die Energie des Systems.
Das revolutionäre Konzept der Quantenphysik besagt nun, dass die Wellenfunktion selbst nicht messbar ist. Lediglich ihr Betragsquadrat, |Ψ|2, nimmt eine Bedeutung in der Realität an, nämlich als Wahrscheinlichkeitsverteilung. Dieses Betragsquadrat von Ψ also an, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein bestimmtes Objekt in einem bestimmten Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befindet.
Diese Interpretation hat tiefe Auswirkungen auf die Frage der Kausalität der Welt: Einzelmessungen sind nicht mehr deterministisch vorbestimmt, sondern nur noch statistisch festgelegt, während das Ensemble exakt vorhersagbar bleibt.
Reinhard Breuer


Wo liegt die Grenze zur klassischen Physik?

Heißt das, dass sich Objekte »auf Makroebene« eben doch nicht nach den kontraintuitiven Gesetzen der Quantenphysik, sondern gemäß der klassischen Mechanik Isaac Newtons und der Elektrodynamik James Maxwells verhalten? Wenn dem so wäre: Wo läge die Grenze? Bei welcher Masse, Größe, Quantenzahl oder strukturellen Komplexität würden die Theorien einander ablösen oder ineinander übergehen? Wie würde das aussehen? Könnte vielleicht sogar die Gravitation dabei eine Rolle spielen, an deren Vereinheitlichung mit der Quantenphysik sich die Theoretiker schon seit Generationen die Zähne ausbeißen (siehe SdW 4/2012, S. 34)?

Diese Art der Lösung des Katzenparadoxons würde zur Folge haben, dass die Quantentheorie für die Makroebene zumindest erweitert werden müsste. Ein ungewöhnlicher Schritt, den viele Physiker mit Skepsis betrachten. Denn die Quantenmechanik - und präziser noch ihre relativistische Form, die Quantenelektrodynamik - hat sich über 100 Jahre hinweg in allen Experimenten bravurös behauptet.

Andererseits: Bleibt die Quantenphysik auch makroskopisch gültig, müssen wir unser Weltbild in mehreren Punkten radikal ändern, so etwa unser Verständnis von Raum und Zeit sowie den Wirklichkeitsbegriff von Zuständen makroskopischer Objekte. Darüber wären nun wiederum andere Physiker nicht glücklich.

Es läuft auf die fundamentale Frage hinaus: Gibt es jenseits einer bestimmten Schwelle die Quantensuperposition »objektiv« nicht mehr, oder ist die Welt fundamental »quantisch«? Könnte es also sein, dass wir die Quantenphänomene bei großen Objekten nur nicht sehen können, weil sie im Labor nicht messbar sind, wenn mehr als 100 oder auch 100 Billionen Teilchen zusammenwirken? Diese Fragen sind derzeit - immer noch - völlig offen. Niemand hat darauf eine Antwort, die nicht neue Probleme aufwerfen würde. Physiker nähern sich diesem Thema aber durch reale Quantenexperimente mit immer größeren und schwereren Objekten. Masse und Ort spielen dabei eine besondere Rolle.

Eine offensichtliche Erklärung für die Schwierigkeit, Quantenphänomene zu beobachten, besteht darin, dass ihre Beschreibung fast immer explizit das (reduzierte, also durch 2 π geteilte) plancksche Wirkungsquantum ħ enthält. Die so genannte Wirkung hat die physikalische Einheit eines Drehimpulses, aber auch des Produkt aus »Energie mal Zeit« oder »Impuls mal Weglänge«. Mit ħ = 1,05·10-34 Joulesekunden ist das Wirkungsquantum um 33 Größenordnungen kleiner als beispielsweise der Drehimpuls des Pendels einer alten Standuhr. Bei einem Unterschied um so viele Zehnerpotenzen ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass man die Quantisierung des Standuhrpendels nicht beobachtet. Auch Interferenzphänomene sind kaum makroskopisch zu erwarten. Eine 170 Gramm schwere Billardkugel mit einer Stoßgeschwindigkeit von zirka zwei Metern pro Sekunde wäre im ruhenden Bezugssystem des Pooltisches durch eine Quantenwelle von 2·10-33 Meter Länge beschrieben. Eine so winzige Strecke überfordert völlig die Messgenauigkeit sämtlicher heutiger Laborgeräte. Damit passt die Größe des Wirkungsquantums also recht gut zur physikalischen Alltagserfahrung.

Hinzu kommt: Selbst wenn man der Quantenphysik eine universelle Gültigkeit zugesteht, so kann gerade die Wechselwirkung zwischen einzelnen Teilen eines komplexeren Quantensystems dafür sorgen, dass bei keinem seiner Teilkomponenten Quanteneigenschaften sichtbar werden. Das ist die Einsicht der Dekohärenztheorie, die schon früh von den Quantenphysikern Anthony Leggett (University of Illinois), Hans-Dieter Zeh und Erich Joos (Universität Heidelberg) und Wojciech Zurek (Los Alamos National Laboratory) entwickelt wurde. Ihre Kernaussage lautet: Koppelt ein einfaches Quantensystem an ein großes externes Gebilde mit vielen anderen Teilchen (dem »Wärmebad«) an, so gibt es Information über seinen Zustand an das Bad ab. Das zuvor isolierte Quantenobjekt ist nun mit Elementen aus dem Bad »verschränkt« - sie bilden jetzt ein größeres Quantensystem.

Der Begriff der quantenmechanischen Verschränkung wurde erstmals 1935 von Erwin Schrödinger formuliert und bezeichnet die Quantensuperposition von gemeinsamen Eigenschaften mehrerer physikalischer (Teil-)Systeme. Bei ihnen lässt die Wellenfunktion des Gesamtsystems keine vollständige separate Beschreibung der Teile mehr zu. Dieses Phänomen war für Schrödinger »das charakteristische Merk mal der Quantenphysik«. Es bedeutet aber, dass man bei isolierter Betrachtung des eigentlich mit seiner Umgebung korrelierten Teilsystems schwächere und unter Umständen keine Quanteneffekte mehr sehen kann, etwa keine Interferenzen. Bei der Verschränkung des Quantensystems mit der Umgebung gehen die am Teilsystem beobachtbaren Quanteneigenschaften verloren.

Quantitative Untersuchungen zur Dekohärenz gelangen 1996 dem französischen Team um Serge Haroche in den Laboren der École normale supérieure in Paris. Mit Hilfe von Rubidiumatomen und einem Hohlraum mit spiegelnden Innenwänden kreierten sie eine experimentelle Version von Schrödingers Katze »aus Licht« und konnten unter kontrollierten Bedingungen ihren Zerfall studieren. Die kontrollierte Dekohärenz von materiellen Objekten durch Streuung von Licht wurde auch schon früh in der Atominterferometrie in Laboren des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) sowie der Universität Konstanz nachge wiesen. Physiker der Universität Wien konnten 2004 zeigen, dass große Moleküle sich sogar von sich aus, rein thermisch, mit der Umgebung verschränken, ohne dass es eine äußere Störung geben muss. Die perfekte Isolation von der Umwelt ist somit eine der größten Herausforderungen bei makroskopischen Quantenexperimenten.

Das Schöne an der Dekohärenz: Sie kann vollständig innerhalb der etablierten Quantenphysik verstanden werden und erklärt zudem, warum sich reine Quantenphänomene nur eingeschränkt beobachten lassen. Damit bildet sie ein Schlüsselproblem in vielen jungen Technologien, vom Quantencomputer bis hin zu Quantensensoren. Es bleibt aber eine fundamentale Herausforderung für den Wirklichkeitsbegriff. Dekohärenz macht die Welt nämlich nicht »real« im engeren Sinn. Sie erklärt uns nicht den »Kollaps der Wellenfunktion«, warum also bei einer konkreten Messung genau ein bestimmtes Einzelereignis aus einer großen Zahl möglicher Resultate realisiert wird.

Im Gegenteil: Da das Modell auf quantenmechanischer Verschränkung basiert, bleibt in jedem Experiment alles in einem Überlagerungszustand. Es gibt keinen endgültigen Messprozess, die Quantenüberlagerungen von Möglichkeiten werden nie in ein Einzelergebnis aufgelöst, sondern durch Wechselwirkungen nur in immer komplexere Superpositionen überführt. Das Dilemma mit dem »Kollaps« führt manche Physiker zur Vielwelten-Theorie. Während seiner Dissertation an der Princeton University schlug Hugh Everett III 1954 eine Interpretation der Quantenphysik vor, die das Messproblem auflösen soll. Demnach bliebe die Theorie universell gültig, zugleich würde aber die klassisch verbotene Überlagerung makroskopisch unterscheidbarer Zustände dadurch vermieden, dass bei einer Messung nicht im »Kollaps« ein bestimmter Endzustand auf unklare Weise ausgewählt wird. Everetts kühne Idee: Bei jeder Messung würden alle möglichen Zustände eines Systems in verschiedenen Welten tatsächlich realisiert. Diese Hypothese ist zwar in sich logisch konsistent, hat aber den offensichtlichen Nachteil, wahrlich verschwenderisch mit der Zahl der Universen umzuspringen. Sie ist zudem prinzipiell nicht falsifizierbar und daher für die wissenschaftliche Diskussion nur von eingeschränktem Wert.


Wirkt Gravitation auf die Unschärferelation?

Physiker, die sich mit fortwährenden Überlagerungszuständen nicht recht abfinden können, fragen sich, ob man nicht stattdessen die Grundgleichungen der Quantenphysik selbst modifizieren müsste, damit sich auf der Ebene von Makroobjekten wieder klassisches Verhalten zeigt. Diese Änderungen sollten klein genug sein, dass man sie in keinem der bisherigen Experimente entdecken konnte, andererseits groß genug, um auf makroskopischer Skala ausschließlich die Gesetze der klassischen Physik gelten zu lassen.

Die ersten Ideen, durch nichtlineare Erweiterungen der Quantentheorie einen »klassischen Unterbau« zu verordnen, gehen bereits auf Louis de Broglie (1892-1987) zurück, dem Vater der Idee einer mit der Materie verknüpften Wel lenfunktion. Die Hoffnung des französischen Theoretikers war, die gängige lineare Quantentheorie als Grenzfall einer nichtlinearen Wellenmechanik herleiten zu können, die auf klassischen Konzepten beruht. »Linear« bedeutet dabei, dass jede Überlagerung von zwei oder mehr Wellenfunktionen der Theorie wieder eine gültige Wellenfunktion derselben Gleichungen ist.

1976 formulierten die polnischen Physiker Iwo Bialynicki-Birula und Jerzy Mycielski eine nichtlineare Erweiterung der Schrödinger-Gleichung, in der sich die Wellenfunktionen von Objekten mit größerer Masse zeitlich nicht verändern und sich somit wie kleine Billardkugeln verhalten. Für weniger massereiche Objekte würden weiterhin die Regeln der herkömmlichen Quantentheorie gelten, und die Wellenfunktion könnte sich wieder im Raum ausbreiten (»delokalisieren«). Doch diese nichtlineare Erweiterung der Theorie konnten Roland Gähler, Anthony G. Klein und Anton Zeilinger bereits 1981 durch ein hochpräzises Beugungsexperiment mit Neutronen experimentell ausschließen, da die spezielle Form der Nichtlinearität die höheren Beugungsordnungen der Materiewelle direkt beeinflussen müsste - was sich aber nicht nachweisen ließ.

Eine andere mögliche Erweiterung der Quantentheorie schlug ein italienisches Forscherteam um Giancarlo Ghirardi, Alberto Rimini und Tullio Weber 1986 vor. Ihre Idee lautete, der Schrödinger-Gleichung einen winzigen nichtlinearen stochastischen Term hinzuzufügen. Dieses mathematische Zusatzelement sorgt automatisch dafür, dass Überlagerungszustände von Positionen mit der Zeit auf lokalisierte Zustände im Raum reduziert werden. Das klingt kompliziert, bewirkt aber, dass die Wellenfunktion bei ihrer Entwicklung »objektiv kollabiert«, also von einem ausgedehnten delokalisierten Zustand auf eine kleine (aber nicht punktförmige) räumliche Domäne zusammenschnurrt.

Der Kollaps verläuft nach diesen Berechnungen jedoch so blitzartig, dass selbst die präzisesten Experimente der letzten Jahrzehnte ihn weder gefunden haben - noch hätten finden können. Im Licht neuer theoretischer Ansätze gehen die Vorhersagen mit diesem Modell inzwischen so weit, dass man seine Gültigkeit testen könnte, wenn es experimentell gelänge, die Quantensuperposition von Objekten im Bereich zwischen 105 und 109 Prootonenmassen zu beobachten.

Eine weitere Klasse von Kollapstheorien nimmt explizit Bezug auf die mögliche Rolle der Gravitation. Wie wirkt sich die heisenbergsche Unschärfe eines massereichen Teilchens auf die Raumzeit aus? Was passiert mit dem Gravitationsfeld eines schweren Teilchens, wenn es sich in einer Superposition aus verschiedenen Orten befindet und schwer genug ist, dass sein Gravitationsfeld auf sich selbst rückwirken kann?

Fragen dieser Art haben unabhängig voneinander etwa die ungarischen Physiker Frigyes Károlyházy und Lajos Diósi sowie der englische Physiker Sir Roger Penrose bearbeitet. Ähnlich wie bei den oben beschriebenen Modellen kommt es auch hier zu einer verstärkten Dekohärenz von Quantenüberlagerungen, deren Stärke mit Masse und Größe der untersuchten Teilchen und ihrer Wellenfunktionen anwächst. Solche Abwandlungen der Quantentheorie entsprechen jedoch keinesfalls bereits einer neuen Theorie der Quantengravitation, die immer noch den heiligen Gral der Physik dar stellt. Im Gegenteil: Hauptursache für das Verschwinden der Quantensuperposition in diesen Modellen ist gerade die Annahme, dass das Gravitationsfeld nicht quantisiert vorliegt. Aus Experimenten, die solche erweiterten Theorien testen, hoffen Forscher gleichzeitig indirekt etwas über die Möglichkeit einer Quantengravitation zu lernen.

Lange Zeit waren die Kollapsmodelle eher Teilphilosophischer Diskussionen um die Bedeutung von Messprozess und Wellenfunktion. Doch mittlerweile erwarten viele Physiker, dass man mögliche Effekte solcher Kollapsmodelle auch im Labor testen kann. Welche Experimente stellen also die Quantenphysik auf den Prüfstand der makroskopischen Welt? Wo könnte man erwarten, dass die Vorhersagen der gängigen Theorie widerlegt werden? Alle diskutierten Kollapsmodelle haben eines gemeinsam: Je besser sich die Zustände einer Quantenüberlagerung unterscheiden lassen, desto schneller verschwinden die Quanteneffekte. Allerdings nehmen auch die Dekohärenzeffekte der althergebrachten Quantentheorie zu - »Große Katzen dekohärieren schneller«. Es wird daher in Zukunft wichtig sein, diese Effekte in Experimenten voneinander zu unterscheiden. Dabei helfen zwei wesentliche Eigenschaften:

→ Die erweiterten Kollapstheorien treffen ihre Vorher sage- im Gegensatz zur Dekohärenztheorie - selbst für komplett isolierte Objekte.
→ Es werden Experimente gesucht, in denen konventionelle Dekohärenz und ein möglicher »Kollaps« unterschiedlich mit Laborparametern skalieren, etwa mit dem Volumen.

Die Grundidee dabei lautet wie folgt: Erzeuge eine Quantensuperposition aus zwei oder mehreren, möglichst makroskopisch separierten Ortszuständen eines massereichen Objekts; dann versuche, Quanteninterferenzeffekte zu sehen. Sollte sich die Welt auf der Makroebene fundamental anders verhalten als auf der Mikroebene, würde man erwarten, an eine Grenze zu stoßen, oberhalb derer sich keine Interferenzeffekte mehr erzeugen lassen, unabhängig von der Isolation.

Geht man allerdings ins Detail der vielen Modelle, die den Kollaps der Wellenfunktion beim Messprozess beschreiben, wird schnell klar, dass die Anforderungen an mögliche Experimente gewaltig sind. Zum Beispiel erwartet man erste mögliche Effekte durch die von Ghirardi und Kollegen vorgeschlagenen »spontanen« Kollapsmodelle in einem Massebereich ab etwa 105 bis 108 atomaren Masseneinheiten (amu) und einer Separation der möglichen Ortszustände von rund 100 Nanometern. Die bislang noch unbestätigten Einflüsse der Gravitation auf den Kollaps vermuten Experten bei den aktuellen Modellen mit mehr als 109 und 1016 Protonenmassen. Wir wollen zwei Vorhaben skizzieren, die in diese Region vordringen können:

→ Quanteninterferenzen mit noch komplexeren Molekülen, Clustern und Nanokristallen;
→ Quantenexperimente mit massereichen mechanischen Objekten.

Wir haben eingangs das einfachste aller Interferenzexpe rimente beschrieben, nämlich die Beugung von Materiewellen an einem Gitter. Tatsächlich haben Forscher bei größeren Massen viele Varianten der Quanteninterferenz untersucht. Insbesondere hat sich eine Idee des Physikers John Clauser, damals noch an der University of California in Berkeley, als fruchtbar für die Arbeit mit makroskopischen Materiewellen herausgestellt: Alle Interferometer benötigen eine anfänglich feste Phasenbeziehung zwischen den Teilwellen, die am Schluss überlagert werden sollen. Eine solche ist bei typischen Quellen für Cluster und Moleküle jedoch nicht auto matisch gegeben. Erst eine raffinierte Anordnung von drei hintereinandergeschalteten nanostrukturierten Gittern ermöglicht das Kunststück. Zuerst werden Teilchen, die aus thermischen oder sonstigen ungeordneten Quellen ausgestoßen werden, durch ein Gitter vorstrukturiert und delokalisiert. Danach werden diese Objekte am zweiten Gitter gebeugt, was sich mit einem dritten Gitter nachweisen lässt.


Quanteninterferenzen am Gitter

Das Gitterbeugungsexperiment mit Licht ist ein Standardversuch des fortgeschrittenen Physikunterrichts. Es demonstriert den Unterschied zwischen Strahlenoptik und Wellenoptik für elektromagnetische Wellen. Die gleiche Idee lässt sich auch auf Materiewellen übertragen.
Die Beugung massereicher Moleküle an einem Nanogitter (a) ist ein Paradebeispiel für die nichtlokale Natur der Quantenphysik. Die Farbstoffmoleküle (Phthalocyanine) werden mit Hilfe eines fokussierten Laserstrahls von einem Glas abgedampft (b). Die effektive Quellgröße (Laserfokus plus Kollimationsspalt) ist so klein, dass die Orts-Impuls-Unschärfe jedes Molekül in einen Zustand zwingt, der zunächst über mehrere der nur 100 Nanometer voneinander getrennten Spalte delokalisiert ist. Damit gibt es mehrere prinzipiell ununterscheidbare Wege für jedes Molekül von der Quelle zum Ziel. Auf dem Detektionsschirm werden die Teilchen mittels laserinduzierter Fluoreszenzmikroskopie einzeln und mit einer Ortsauflösung von etwa zehn Nanometern abgebildet.
Der Auftreffpunkt jedes Einzelmoleküls ist prinzipiell nicht vorhersagbar, und die entsprechende Wellenfunktion ist bis zum Detektor über mehr als 100 Mikrometer delokalisiert. Das Ensemble aller Moleküle arrangiert sich aber dennoch zu regulären Interferenzstreifen, die quantenmechanisch streng vorherbestimmt sind.
Die Wellenfunktion der PcH2-Moleküle aus Bild c durchdringt im Versuchsaufbau von Bild b ein Nanogitter an mehreren Orten zugleich und erzeugt so ein streng vorherbestimmtes Interferenzmuster (d), das aber aus zufälligen Einzelereignissen aufgebaut wird.
Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.


In der Gruppe um Markus Arndt an der Universität Wien wurde von Stefan Gerlich, Lucia Hackermüller und Kollegen nach diesem Prinzip das so genannte Kapitza-Dirac-TalbotLau-Interferometer (KDTL) entwickelt (siehe Spektrum der Wissenschaft 1/2012, S. 40). Mit Teilchen der Baseler Chemiker Jens Tüxen und Marcel Mayor sowie des Chemikers Paul Fagan (Dupont, US-Bundesstaat Delaware) gelang es den Wiener Experimentatoren erstmals, eine kontrastreiche Quanteninterferenz mit Molekülen von mehr als 400 Atomen und Massen um 7000 atomaren Einheiten zu erzielen.

Die Wellenfunktion dieser Objekte war bei dem Interferenzexperiment räumlich über das rund 100-Fache des Moleküldurchmessers ausgedehnt (»delokalisiert«), was dem 100.000-Fachen ihrer De-Broglie-Wellenlänge entsprach. Wesentlich kamen in diesem Versuch Gitter aus Licht zum Einsatz. Diese beeinflussen die Moleküle durch die Wechselwirkung zwischen dem elektrischen Feld des Lichts und der Polarisierbarkeit der Moleküle. Lichtgitter werden insbesondere in den Experimenten der nächsten Generation relevant, in denen auch die Präparation und Detektion des Molekularstrahls rein optisch erfolgen wird.

Materiewelleninterferometrie mit Lichtgittern hat viele mögliche Anwendungen. Zunächst geht es darum, die Massengrenze der zu beugenden Objekte in Laborexperimenten noch um weitere zwei Größenordnungen, also auf eine Million amu, auszudehnen. Für Massen zwischen 106 und 109 amu werden derzeit vor allem Experimente in der Schwerelosigkeit diskutiert, die natürlich eine sehr lange Vorlaufzeit haben. Aber unabhängig davon, wie die Messungen der nächsten Jahre ausgehen werden - ob sie die Quantenphysik perfekt bestätigen oder von ihr abweichen -, die Resultate werden in jedem Fall erlauben, neue Grenzwerte für die mögliche Gültigkeit alternativer Theorien zur etablierten Quantenphysik zu definieren. Darüber lässt sich die Interferometrie mit Materiewellen auch in Quantensensoren einsetzen, etwa zur Vermessung äußerer Kräfte oder innerer Teilcheneigenschaften. Das führt in der physikalischen Chemie zu interessanten Anwendungen, etwa zur präzisen Charakterisierung optischer, elektrischer und magnetischer Eigenschaften von komplexen Molekülen und Clustern.

In den letzten fünf Jahren gab es außerdem rasante und unerwartete Entwicklungen an der Grenze zwischen Quantenphysik und Mikromechanik. Mehrere Forschungsgruppen arbeiten derzeit intensiv daran, mechanisch schwingende Nano- und Mikroresonatoren mit gut kontrollierten Quantensystemen zu verbinden. Das Ziel dabei ist, die Quantenkontrolle über einen mechanischen Freiheitsgrad zu gewinnen, zum Beispiel den Schwingungszustand einer winzigen Biegefeder, eines einseitig eingespannten Stabs, ähnlich einem Sprungbrett. Das erschließt spannende neue Anwendungen, darunter für

→ mechanische Sensoren, die dank Quanteneigenschaften mit bislang unerreichter Auflösung Abstände, Kräfte, Massen und Energie messen könnten, und
→ mechanische Transportmechanismen für Quantencom puter, um einzelne Quanten-Bits auf einem Chip miteinander zu verknüpfen.

Dadurch öffnet sich ein völlig neues Fenster für makroskopische Quantenexperimente. Die Objekte in diesen Experimenten bestehen aus vielen Atomen, die sich als ein Objekt kollektiv im Raum bewegen - etwa bei einer Stabschwingung. Mechanische Quantenkontrolle bedeutet daher die Möglichkeit, die gesuchten Überlagerungszustände eines massereichen, makroskopischen Objekts herzustellen.

Forscher verfolgen weltweit Ansätze mit verschiedenen mechanischen Gebilden, die einen Massenbereich von mehr als 20 Größenordnungen überdecken: von Atomwolken mit 105 Atomen über nano- und mikromechanische Objekte mit bis zu 1015 Atomen bis hin zu kilogrammschweren mechanischen Objekten mit mehr als 1025 Atomen, etwa als Spiegel in Gravitationswellendetektoren.

Weitere Experimente zur Makro-Quantenphysik

In einer Reihe weiterer Experimente spielen ebenfalls makroskopische Überlagerungszustände eine zentrale Rolle:
→ Die Überlagerung von supraleitenden Strömen, die in einem Schaltkreis sowohl im als auch gegen den Uhrzeigersinn umlaufen können (SQUID = superconducting quantum interference device).
→ Die Überlagerung von Billionen von gemeinsamen Spins zwischen zwei Atomwolken, wie sie Eugene Polzik und seine Mitarbeiter in Kopenhagen erzeugten.
→ Die Materiewelleninterferenz von Millionen von Atomen, die gemeinsam als ultrakaltes Gas in einem Bose-Einstein-Kondensat (BEC) präpariert wurden. Dabei können die Atome bei Temperaturen von wenigen Nanokelvin über Millimeterdistanzen und hunderte Millisekunden delokalisiert sein. Solange die Atome nicht miteinander verschränkt sind, bleibt die interferierende Masse und die De-Broglie-Wellenlänge in diesen Experimenten jeweils die jedes einzelnen Atoms - so wie auch ein Laser seine Farbe behält, wenn man seine Intensität erhöht. Mehrere Gruppen arbeiten daran, ultrakalte Atome miteinander zu verschränken, um die Messgenauigkeit zu erhöhen.
Auch quantenphysikalisch verschränkte Zustände von Ionen und Atomen können sich heutzutage über Distanzen von mehreren Metern und im Fall von Photonen sogar von bis zu 140 Kilometern ausbreiten.


Quantenobjekte können an zwei Orten zugleich sein

Die Grundidee ist eigentlich simpel: Die Forscher versuchen, die bereits kontrollierbaren Quanteneigenschaften eines mikroskopischen Systems auf das makroskopische mechanische System zu übertragen, also zum Beispiel den Überlagerungszustand eines elektronischen Qubits auf den räumlichen Überlagerungszustand eines mechanischen Objekts. Ein Qubit ist allgemein ein Quantensystem mit zwei überlagerten Zuständen, das quantenmechanische Äquivalent eines Bits. Erst durch Messung werden die beiden Zustände voneinander unterscheidbar. Als kleinstmögliche Speichereinheit dient ein Qubit auch als Maß für die Quanteninformation in Quantencomputern. Eine Wechselwirkung zwischen Qubit und mechanischem Objekt kann also eine Überlagerung von zwei möglichen Orten des Objekts erzeugen.

Das ist 2010 erstmals Forschern um Aaron O'Connell in den Labors von Andrew Cleland und John Martinis an der University of California in Santa Barbara gelungen. Die Physiker konnten bei einem mikromechanischen Objekt mit 1013 Atomen die Quanteninterferenz von zwei räumlich getrennten Zuständen beobachten. Ein erster viel versprechender Schritt! Trotz der vergleichsweise großen Masse von einem Nanogramm konnte dieses Experiment allerdings keine der angesprochenen Kollapsmodelle testen. Die beiden räumlich getrennten Zustände hatten lediglich einen Abstand von einem millionstel Atomdurchmesser - noch viel zu klein, um Effekte jenseits der gängigen Quantentheorie unterscheiden zu können. Ein anderer Typ von Experimenten beleuchtet quantenmechanische Objekte mit Lichtteilchen. Die Forscher nutzen dabei die Kraftübertragung der Photonen, wenn sie von einem Objekt reflektiert werden: den Lichtdruck. Damit lassen sich die mechanischen Eigenschaften vollständig mit Laserlicht oder Mikrowellen steuern. Mit den Methoden der Quantenoptik lassen sich so Quantenzustände der mechanischen Bewegung erreichen. Das erfordert, thermische Anregungen der Objekte so stark zu unterdrücken, dass die Bewegung durch die Quantenphysik beschrieben wird. Eine effiziente Methode dafür ist die Laserkühlung. Diese war auch die Grundlage von zwei neuen Experimenten vom Jahr 2011. Dabei bombardierten die Physiker ein mechanisches Objekt nur mit Photonen. Deren Lichtdruck reichte, um es in den Quantengrundzustand der Schwingung zu versetzen. In diesem Zustand ist die Beegungsenergie vor allem durch die Unschärfe des w quantenmechaischen Wellenpakets gegeben. Ein Lichtresonnator sorgte dabei dafür, dass je nach Bewegungsrichtung des Objekts wenige oder viele Photonen auf das Objekt trafen. Nahezu jedes einzelne Photon konnte es daher ein wenig abbremsen (»kühlen«), bis nur noch Quantenfluktuationen die Bewegung dominierten. Ähnlich könnte man auch ein Auto abbremsen, indem man es mit Tennisbällen bewirft.


Nanokugeln, eingefangen in einem Käfig aus Licht

Im Experiment bestrahlten Forscher um John Teufel am National Institute of Standards sowie an der University of Colorado eine schwingende Membran von 15 Mikrometer Durchmesser und 100 Nanometer Dicke mit Mikrowellen. In dem zweiten Laborversuch verwendeten Jasper Chan sowie die Kollegen um Oskar Painter (California Institute of Technology) und Markus Aspelmeyer (Universität Wien) Laserlicht, um einen Lichtwellenleiter bis auf seinen quantenmechanischen Grundzustand abzukühlen. Der in diesen Versuchen erreichte Zustand ist der Ausgangspunkt für weitere Quantenexperimente, insbesondere für die Erzeugung von Überlagerungszuständen verschiedener Orte des massereichen mechanischen Objekts. Analog zu den Experimenten der Amerikaner um O'Connell, Cleland und Martinis könnte man sich beispielsweise vorstellen, die Überlagerungszustände mittels Photonen durch Lichtdruck auf die Mechanik zu übertragen - auf Grund der geringen Kraftübertragung von Photonen wird die räumliche Trennung der Zustände allerdings ähnlich winzig sein.

Die Herausforderung für solche Makroexperimente liegt darin, komplementär zu den Laborversuchen mit Materiewellen die räumliche Dimension der Überlagerung zu vergrößern. Es gilt, Konzepte der Mikroquantenmechanik mit denen der Materiewelleninterferometrie zu verknüpfen, wie kürzlich von Forschern um Oriol Romero-Isart in der Gruppe von Ignacio Cirac am Max-Planck-Institut für Quantenoptik vorgeschlagen. Die Idee ist, eine Nanokugel in einem Lichtkäfig einzufangen, darin räumlich zu fixieren und danach dieses Objekt durch quantenoptische Kontrolle in ihrem Quantengrundzustand der Bewegung zu präparieren. Ist die Nanokugel fixiert, kann sie als Teilchenquelle für Interferometer dienen. Dann wäre man am Ziel. Man würde massereiche Objekte mit 1010 Atomen oder noch mehr benutzen und mit ihnen die Überlagerungszustände um mehr als den Durchmesser der Teilchen voneinander trennen.

Auf dem Weg zur makroskopischen Quantenphysik er warten die Physiker enorme Herausforderungen:

→ Die Dekohärenz, also die Unterdrückung von Interferenz durch Wechselwirkung mit der Umwelt, muss so klein wie möglich gehalten werden - nur so lassen sich die gesuchten Quantenphänomene sichtbar machen.
→ Die Experimente funktionieren daher nur im bestmöglichen Ultrahochvakuum.
→ Die innere Temperatur der Teilchen sowie die äußere Umgebung müssen deshalb idealerweise auf die Temperatur von flüssigem Helium abgekühlt werden.

Schon kurzwellige Photonen eines nicht tiefgekühlten Teilchens oder einer warmen Umgebung würden bereits genügend Information über den Ort des Teilchens transportieren. Auch muss sich die quantenmechanische Delokalisierung eines massereichen Objekts nach einem Doppelspalt - für Teilchen im Bereich von 1010 amu - einige hundert Sekunden lang ungestört entwickeln können, um messbar zu werden.

Bei so schweren Gebilden kommt nun überraschenderweise die Gravitation ins Spiel, und zwar durch die Erde. Ihre Schwerkraft würde über einen Zeitraum von mehreren Minuten die untersuchten Objekte einfach aus der Apparatur »nach unten« herausziehen. Wie geht man als Experimentator damit um? Es gibt zwei Möglichkeiten, die Erdanziehung zu kompensieren: womöglich durch äußerst homogene elektromagnetische Felder. Sie könnten die Teilchen in der Apparatur schweben lassen, ohne die Entwicklung der Quanten ustände zu stören. Alternativen böten ein Satellit z oder die Internationale Raumstation mit ihrer fast schwere losen Umgebung. Für solche Quantenexperimente könnten diese tatsächlich interessante Forschungsplattformen bereitstellen. Die Europäische Weltraumbehörde ESA fördert bereits solche Ideen. Das Weltall bietet nicht nur Hochvakuum und weit gehend Schwerelosigkeit; es existieren auch viele optische Technologien in einer weltraumtauglichen Ausführung.

Eine weitere Perspektive bieten Experimente direkt im Grenzgebiet zwischen Quantenphysik und Gravitation. Erst kürzlich hat dazu ein Forscherteam um Igor Pikovski bei Caslav Brukner an der Universität Wien und Myungshik Kim am Imperial College London einen Vorschlag veröffentlicht. Darin beschreiben die Physiker, wie es per Quantensteuerung massereicher mechanischer Objekte möglich sein sollte, im Labor Vorhersagen diverser Varianten der Quantengra vitationstheorie zu testen.

Konkret geht es um die Frage, welche beobachtbaren Konsequenzen die mögliche Existenz einer minimalen Längenskala hat. Die meisten dieser Theorien gehen jedenfalls davon aus, dass es eine solche kleinste Länge gibt: die so genannte Planck-Länge (10-35 Meter). Wenn das zutrifft, würde der Raumbegriff spätestens unterhalb dieser Größenordnung seine Bedeutung verlieren. Dann müsste man aber eine kleine mathematische Korrektur an der Unschärferelation anbringen, wie sie Werner Heisenberg 1927 formuliert hatte. Wie erwähnt besagt dieses Naturgesetz, dass sich Ort und Ge schwindigkeit (eigentlich: Impuls) eines Objekts nicht gleichzeitig beliebig genau beobachten lassen. Allerdings lässt diese Relation zu, dass etwa der Ort eines Objekts beliebig genau bestimmt sein kann, wenn nur im Gegenzug die Geschwindigkeit beliebig unbestimmt bleibt. Das würde jedoch der Annahme einer kleinsten (Planck-)Länge widersprechen. Wenn also tatsächlich eine kleinste Längenskala existiert, so muss das in der mathematischen Formel mit einer Korrektur explizit berücksichtigt werden.

Doch der erwartbare Effekt ist so klein, dass es für absehbare Zeit unmöglich sein wird, ihn durch direkte Beobachtung der Orts- und Geschwindigkeitsverteilung eines einzelnen Objekts zu messen. Die höchste Genauigkeit bei Ortsmessungen liegt derzeit bei etwa 10-19 Meter. Das liegt also noch 16 (!) Größenordnungen von der Planck-Länge entfernt. Der Vorschlag von Pikovski und Kollegen umgeht diese Begrenzung, indem er die optische Quantensteuerung mechanischer Objekte ausnutzt. Damit könnten Experimentatoren an massereichen mechanischen Objekten mit Hilfe von kurzen Laserpulsen sehr exakte Operationen ausführen, etwa eine Veränderung des Orts oder der Geschwindigkeit. Führt man nun mehrere Operationen dieser Art hintereinander aus, dann lässt sich das Objekt nach einigen Zwischenschritten wieder in seinen ursprünglichen Zustand überführen.

Klassisch könnte man den Anfangs- und Endzustand einer solchen Sequenz nicht unterscheiden. Quantenmechanisch ginge das aber. Denn die schrödingersche Wellenfunktion hat sich bei dem Durchlauf verändert. Sie hat eine zusätzliche Phase erhalten, die die Information über die Wegänderung des mechanischen Objekts enthält. Das Erstaunliche des neuen Vorschlags lässt sich fachlich so beschreiben: Die Phase der Mechanik wird auf das Lichtfeld aufgeprägt und auf Grund des Strahlungsdrucks nichtlinear verstärkt.

Werden nun die Lichtpulse optisch gemessen, dann lassen sich Änderungen im Wert der Phase registrieren - auch solche, die durch eine modifizierte heisenbergsche Unschärferelation verursacht werden sollten. Im Prinzip würde sich also so ein Laborexperiment dazu eignen, bestimmte Vorhersagen der Quantengravitation auf der sonst unerreichbaren Planck-Skala zu überprüfen.

Wenn also Makro- und Quantenwelt im Labor zusammen treffen - was werden wir aus diesen Experimenten lernen? Eines ist sicher: Vorläufig wird Raum für verschiedene Deutungen der Resultate bleiben. Sollten alle Experimente bei hoher Masse und Komplexität lediglich die Vorhersagen der etablierten Quantenphysik bestätigen, bliebe der philosophische Erkenntnisstand aus Sicht des Quantenphysikers unverändert. Gleichwohl würden dann etliche alternative Vorstellungen über die Welt ausgeschlossen werden - etwa jene, die den Kollapsmodellen zu Grunde liegen.

Nicht weniger spannend ist die andere Variante. Nehmen wir an, die Forscher würden im Labor auf reproduzierbare Abweichungen von den etablierten Vorhersagen der gängigen Quantentheorie stoßen. Dann wäre es eine Herausforderung, zu entscheiden, ob diese mit »neuer Physik« oder doch im Rahmen der gängigen Quantentheorie ablaufen. "


DIE AUTOREN
Markus Aspelmeyer (links) ist Professor für Quantum Information on the Nanoscale an der Universität Wien.
Markus Arndt ist Professor für Quantennanophysik an der Universität Wien. Beide sind Mitglied des Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ).


QUELLEN
Chan, J. et al.: Laser Cooling of a Nanomechanical Oscillator into its Quantum Ground State. In: Nature 478, S. 89-92 2011
Hornberger, K. et al.: Colloquium: Quantum Interference of Clusters and Molecules. In: Reviews of Modern Physics 84, S. 157-173, 2012 
Juffmann, T. et al.: Real-Time Single-Molecule Imaging of Quantum Interference. In: Nature Nanotechnology 7, S. 297-300, 2012
Pikovski, I. et al.: Probing Planck-Scale Physics with Quantum Optics. In: Nature Physics 8, S. 393-397, 2012
Zeilinger, A.: Einsteins Schleier. Die neue Welt der Quantenphysik. C.H. Beck, München, 8. Auflage 2005


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 45:
Schrödingers Katze hat ein langes Leben: Aktuell untersuchen Forscher, ob auch Makroteilchen Quantenobjekte sind.

Abb. S. 51:
Membranen (links) und Spiegel: Mit solchen Objekten testen Physiker, ob die Quantenphysik auch für die Makrowelt gültig ist. Die Membranbewegung moduliert die Länge eines Kondensators. Genauso verändert der schwingende Spiegel (rechts) die Länge eines optischen Resonators. In beiden Fällen variiert dadurch die Zahl der Photonen, die auf die Objekte treffen: Ihr Strahlungsdruck koppelt die Mechanik an die Photonen.

© 2012 Markus Aspelmeyer, Markus Arndt, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 9/12 - September 2012, Seite 44 - 54
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2012