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FORSCHUNG/991: Was hält die Welt der Moleküle zusammen? (idw)


Universität Rostock - 22.08.2013

Was hält die Welt der Moleküle zusammen?

Mit Röntgenstrahlen auf der Suche nach Antworten



Mittels Röntgenstrahlen wollen Theoretische Physiker der Universität Rostock und ein internationales Experimentatorenteam unter Federführung des Helmholtz-Zentrums in Berlin (HZB) die Welt der Moleküle und Atome besser verstehen. Der Arbeitsgruppe des experimentellen Physikers Prof. Emad F. Aziz gelang es, durch Entwicklung einer neuen Versuchsstation am Berliner Elektronenspeicherring BESSY II, Messungen an einem Mikro-Flüssigkeitsstrahl, das heißt unter in situ Bedingungen, durchzuführen. Dabei werden Absorptions- und Emissionsspektren gemessen (siehe Abbildung), in denen die Information über das Geschehen auf molekularer Ebene kodiert ist. Die Entschlüsselung dieses Codes wird durch ab initio, also nur auf fundamentalen Prinzipien basierenden Verfahren, möglich, wie sie in der Arbeitsgruppe des Theoretikers Professor Oliver Kühn am Institut für Physik der Universität Rostock eingesetzt werden. "Experiment und Theorie gehen hier Hand in Hand und ermöglichen ganz neue Erkenntnisse über das chemische Bindungsverhalten zwischen Atomen", erläutert Professor Kühn.

© Universität Rostock

Vereinfachte Darstellung des experimentellen Aufbaus aus einem Mikro-Flüssigkeitsstrahl und einer Röntgenstrahlquelle. Das emittierte Licht zeigt ein charakteristisches Spektrum, dem die berechneten Elektronendichteverteilungen zugeordnet werden können.
© Universität Rostock

Die Eigenschaften molekularer Systeme werden wesentlich durch die chemischen Bindungen zwischen den Atomen bestimmt. Die dafür verantwortlichen Elektronen sind gemäß den Gesetzen der Quantenmechanik im Raum verschmiert. Sie sind umso mehr delokalisiert, je weiter sie vom Atomkern entfernt sind. Gewöhnliche spektroskopische Methoden, zum Beispiel mit ultraviolettem Licht, untersuchen nur die Eigenschaften von über die Moleküle delokalisierten Valenzelektronen. Die übrigen Elektronen, welche sich dicht bei den Atomkernen befinden, bleiben unbeobachtet. Die weiche Röntgenspektroskopie ermöglicht es jedoch, die Elektronendichte in der unmittelbaren Umgebung eines ausgewählten Atoms zu untersuchen. Dabei wird ein Rumpfelektron angeregt, welches bei seiner Rückkehr in die Nähe des Atomkerns innerhalb von wenigen Femtosekunden (10-15 s) Licht emittiert, das Informationen über die chemische Bindung zu benachbarten Atomen enthält.

In den gerade veröffentlichten Arbeiten standen Übergangsmetallkomplexe im Mittelpunkt, die bei vielen chemischen Prozessen in Natur und Industrie auf Grund ihrer katalytischen Eigenschaften eine große Rolle spielen, wie etwa bei einem Abgaskatalysator. "Von entscheidender Bedeutung für die katalytische Aktivität ist die Fähigkeit der Übergangsmetalle, Bindungen einzugehen und wieder zu lösen. Die Verteilung der Elektronendichte liefert hier den Schlüssel zu einem Verständnis auf atomarer Ebene", so Oliver Kühn. Dies wurde exemplarisch für Lösungen von Eisenpentacarbonyl, Fe(CO)5, untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, in welchem Maße Elektronen des Eisens und der Carbonylgruppen miteinander wechselwirken und dadurch die chemische Bindung aufbauen.

In einer weiteren Untersuchung wurden Eisen- und Kobaltionen in wässriger Lösung studiert (Fe2+, Fe3+ und Co2+). Dabei handelt es sich um die einfachsten Modellsysteme für Grenzflächen von Ionen und Lösungsmitteln, die fundamental für das Verständnis von funktionalen Materialien und biologischen Systemen sind. Durch einen Vergleich experimenteller und theoretischer Resultate konnten Schlussfolgerungen hinsichtlich der Gründe für die unterschiedlich stark ausgeprägte Wechselwirkung dieser Ionen mit den Wassermolekülen in ihrer unmittelbaren Umgebung gezogen werden.

Die jüngst veröffentlichten Arbeiten sind nur ein erster gemeinsamer Schritt in Richtung einer systematischen Untersuchung komplexer molekularer Systeme mit den Methoden der Röntgenspektroskopie. Das dabei angestrebte vertiefte Verständnis der Grundlagen von katalytischen oder Grenzflächenprozessen auf atomarer Ebene könnte eines Tages neue Möglichkeiten ihrer Kontrolle aufzeigen.

Als es Wilhelm Röntgen im Jahre 1895 gelang, mit der später nach ihm benannten Strahlung in das Körperinnere zu schauen, war eine neue Ära eingeleitet. Während uns heute die damit verbundenen Diagnosemöglichkeiten in der Medizin allgegenwärtig sind, wird die Röntgenstrahlung inzwischen zunehmend auch in vielfältigen weiteren Forschungsgebieten genutzt.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution210

[1] http://dx.doi.org/10.1002/ange.201303310
[2] http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.111.083002

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Rostock, Ingrid Rieck, 22.08.2013 12:21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2013