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FORSCHUNG/992: Forscher klären grundsätzliches Phänomen der elektrischen Leitung (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 29.08.2013

Wie Wasserwellen im Halbleiter:
Forscherteam klärt grundsätzliches Phänomen der elektrischen Leitung

"Nature": Quantenmechanische Interferenz führt zur "0,7-Anomalie"



Ein internationales Forscherteam hat ein seit Langem beobachtetes, aber unverstanden gebliebenes Phänomen der elektrischen Leitung erklärt. Genau wie Licht kommt auch die elektrische Leitfähigkeit in Quanten vor. Verdrängt man das letzte Leitfähigkeitsquant aus einem Halbleiter, sinkt die Leitfähigkeit dennoch nicht direkt auf null. Zuvor kommt es zu quantenmechanischer Interferenz, berichtet das Team, an dem Physiker der Ruhr-Universität Bochum um Prof. Dr. Andreas Wieck beteiligt waren, in der Fachzeitschrift "Nature". "Das Ergebnis erklärt den Transport von Elektronen in Feststoffen grundlegend - ob in der Hochstromleitung im Kraftwerk oder der Speicherzelle im PC", sagt Wieck.

Widerstand und Leitfähigkeit kommen in Quanten vor

"Seit 25 Jahren wissen wir, dass sich der elektrische Widerstand nicht beliebig fein einstellen lässt", sagt Andreas Wieck vom Lehrstuhl Angewandte Festkörperphysik. "Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass wir den Lautstärkeregler am Radio im Prinzip nur in bestimmten - allerdings sehr, sehr feinen - Schritten einstellen können, aber nicht beliebig genau." In anderen Worten: Der elektrische Widerstand (R) wird von Quanten bestimmt, also wohl definierten Paketen. Den Kehrwert des elektrischen Widerstands (1/R) bezeichnet man als elektrische Leitfähigkeit. Diese Leitfähigkeit nimmt nur Werte an, die ein ganzzahliges Vielfaches von 2e2/h sind, wobei "e" für die Elektronenladung steht und "h" für das Plancksche Wirkungsquantum.

Die 0,7-Anomalie der elektrischen Leitfähigkeit

Alle elektrischen Leiter sind aus Vielfachen und Kombinationen dieses Leitfähigkeitsquants 2e2/h zusammengesetzt. Mit der modernen Nanotechnologie können Forscher in Halbleitern relativ leicht Bereiche erzeugen, die nur wenige Hundert Nanometer lang und breit sind und in die nur ein einzelnes Leitfähigkeitsquant "hineinpasst". Durch solche Versuche lässt sich der Wert von 2e2/h messen. Wissenschaftler untersuchten auch, was passiert, wenn sie das letzte Leitfähigkeitsquant aus dem Halbleiter verdrängen. Die Annahme: Die Leitfähigkeit sinkt sofort auf null, der elektrische Widerstand des Halbleiters wird unendlich. Die Messungen ergaben hingegen: Bevor die Leitfähigkeit auf null geht, nimmt sie noch einmal 70 Prozent ihres Ausgangswertes 2e2/h an. Für dieses Phänomen, die sogenannte 0,7-Anomalie, gab es bis heute keine Erklärung.

Grundlage der Anomalie entschlüsselt

Das Team aus niederländischen, spanischen, israelischen und deutschen Physikern hat das Rätsel nun gelöst - mit neuen Messungen an Halbleitern, die die Wissenschaftler vom RUB-Lehrstuhl für Angewandte Festkörperphysik herstellten. Die Gruppe zeigte, dass es sich bei der 0,7-Anomalie um quantenmechanische Interferenz handelt. "Das muss man sich ähnlich wie Wasserwellen vorstellen", erklärt Professor Wieck. "Wirft man zwei Steine in einen stillen See, überlagern sich die Wasserwellen der beiden. Dabei verstärken sie sich an bestimmten Orten und löschen sich an dazwischen liegenden Orten aus." Die Forscher maßen den Widerstand in dem dünnen Halbleiter, und zwar an Engstellen verschiedener kontinuierlich einstellbarer Längen. Dabei beobachteten sie eine periodische Änderung des Auftretens der 0,7-Anomalie. Theoretische Berechnungen des Teams zeigten, dass dieses Phänomen der Kern der 0,7-Anomalie ist. Diese periodischen Änderungen postulierte Jacques Friedel bereits in den 1960er-Jahren; sie erhielten den Namen "Friedel-Oszillationen."


Titelaufnahme
M.J. Iqbal, R. Levy, E.J. Koop, J.B. Dekker, J.P. de Jong, J.H.M. van der Velde, D. Reuter, A.D. Wieck, R. Aguado, Y. Meir, C.H. van der Wal (2013): Odd and even Kondo effects from emergent localization in quantum point contacts, Nature, DOI: 10.1038/nature12491

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Jens Wylkop M.A., 29.08.2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2013