Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT


INTERVIEW/020: Die DPG stellt vor - Ursuppe der Forschung ...    Dr. Ralf König im Gespräch (SB)



Blick von schräg oben auf eine von zahlreichen Gerüsten, Meßinstrumenten, Kabelschächten und vielen anderen Aggregaten verdeckte, mindestens 3,50 Meter hohe Ringstruktur, die einen Innendurchmesser von 5,50 Metern hat - Foto: © 2015 by Schattenblick

Der Fusionsreaktor Wendelstein 7-X
Foto: © 2015 by Schattenblick

Eine Maschine, in der über einem Abstand von wenigen Dezimetern ein Temperaturunterschied zwischen -270 und hundert Millionen Grad Celsius besteht, stellt Ingenieurwesen und Wissenschaft vor allergrößte Herausforderungen. Der Fusionsreaktor Wendelstein 7-X ist so eine Maschine. In ihr wird eine winzige Menge Wasserstoff (0,005 bis 0,030 Gramm) zur Zündung gebracht, damit ein Plasma entsteht, das zehnmal so heiß ist wie die Sonnenkorona und dabei ein Volumen von rund 30 Kubikmetern einnimmt. Kein bekanntes Material vermöchte so ein Plasma dauerhaft einzuschließen - vor allem aber würde das Plasma bei einem Kontakt mit Materie sofort dramatisch abkühlen und erlöschen. Darum wird es in Magnetfeldern eingeschlossen, die von supraleitenden Stromspulen erzeugt werden, welche fast bis zum absoluten Nullpunkt heruntergekühlt wurden. Feuer und Eis gehen am Fusionsreaktor ein inniges Verhältnis ein.

Plasma wird als der vierte Aggregatzustand (neben fest, flüssig und gasförmig) bezeichnet. In einem Plasma sind Elektronen (negativ geladen) und Atomkerne (positiv geladen) voneinander getrennt. Ungeachtet dieser physikalischen Voraussetzungen zählen Instabilitäten des Plasmas zu den Hauptproblemen bei der thermonuklearen Fusion unter magnetischem Einschluß.

So ähnlich wie man einen Magneten mit einem anderen auf einer Tischfläche anschubsen kann, ohne ihn zu berühren - sofern man die beiden gleichgepolten Seiten aufeinander zubewegt -, kann Plasma durch Magnetfelder in Form gebracht und gelenkt werden. Beide Phänomene sind eng miteinander verbunden. Deswegen klingen die Schilderungen der Physikerinnen und Physiker zum Verhalten von Plasma manchmal so, als würden sie das Verhalten von Magnetfeldern bzw. Magnetfeldlinien beschreiben, und umgekehrt.

In einem Fusionsreaktor wird die Energie nicht wie in einem Kernkraftwerk aus der Spaltung von Atomkernen, sondern aus ihrer Verschmelzung gewonnen. Im Unterschied zum Fusionsreaktorprinzip Tokamak, in dem das Plasma symmetrisch aufgebaut ist und ein Magnetfeld "mitbringt", wird bei dem am IPP (Institut für Plasmaphysik) in Greifswald errichteten Fusionsreaktor Wendelstein 7-X das Prinzip des Stellarators erforscht. Darin bewegt sich das Plasma in einem Ring auf sehr verschlungenen Pfaden und wird durch ein äußeres Magnetfeld gebändigt, das von 50 nicht-planaren, 3,50 Meter hohen, supraleitenden Magnetspulen (aus Niob-Titan) sowie um diese herum von weiteren 20 planaren Magnetspulen generiert wird.


Bild: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, freigegeben als CC-BY-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de] via Wikimedia Commons

Schematische Darstellung des aus fünf verschiedenen Magnetspulentypen aufgebauten Systems (blau) - ohne die 20 planaren Magnetspulen - und des Plasmas (gelb) des Wendelstein 7-X. Die grüne Linie zeigt beispielhaft den Verlauf einer magnetischen Feldlinie auf der Plasmaoberfläche.
Bild: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, freigegeben als CC-BY-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de] via Wikimedia Commons

Rechnerisch birgt ein Gramm Fusionsbrennstoff den Energiegehalt von elf Tonnen Kohle. Damit könnten 90.000 Kilowattstunden elektrischer Strom erzeugt werden. Sollte es jemals gelingen, einen Fusionsreaktor für den Dauerbetrieb aufzubauen, erfüllte sich der Traum der Menschheit nach unbegrenzter Energie, wird schon mal über diese "Science-fiction"-Technologie geschwärmt. [1]

Allerdings hat die Geschichte gezeigt - an einem anderen Ort und in einem anderen Zusammenhang -, daß mittels der Fusion kein Traum, sondern ein Alptraum geschaffen wurde. Der ist aus politischen Gründen anscheinend nicht mehr aus der Welt zu schaffen: die Wasserstoffbombe. Darin erzeugt zunächst eine Atombombe eine so hohe Temperatur, daß die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zur Fusion gebracht werden und die viel stärkere Explosion gezündet wird.

Demgegenüber sind jedoch Fusionsreaktoren so gebaut, daß sie aus prinzipiellen physikalischen Gründen nicht explodieren können. Denn das mittels Mikrowellenstrahlung zur Zündung gebrachte Wasserstoffplasma würde schlicht erlischen, wenn es aus seinem magnetischen Einschluß entwiche oder wenn Luft in die Vakuum-Reaktorkammer gelangte. Das in Wendelstein 7-X erzeugte Plasma ist 250.000 mal dünner als Luft und hat nur die Leistungsdichte einer normalen Glühbirne. [2]

Die Fusionsforschung bewegt sich in vielerlei Hinsicht in technologischen Grenzbereichen. Das wurde in dem Vortrag deutlich, den der Fusionsexperte Dr. Ralf König vom IPP in Greifswald am zweiten Tag der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (13. - 17. März 2017) in Bremen hielt. Der Wendelstein 7-X hat die Aufgabe, die prinzipielle Machbarkeit eines Stellarators zu prüfen. Auch deswegen ist der W7-X, wie er auch genannt wird, mit einer Vielzahl von Meß- und Beobachtungsinstrumenten ausgestattet. Hier wird Grundlagenforschung für Energiesysteme betrieben, wie sie frühestens ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts gebaut werden können.


Schematische Darstellung eines Fusionsvorgangs - Foto: Wykis, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Deuterium und Tritium fusionieren, unter Energieabgabe entsteht ein Neutron und ein Heliumkern.
Bild: Wykis, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Zumindest die an der Erforschung der Fusionsreaktoren beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, daß der Energiebedarf der Menschheit wächst und weder durch Einsparungen noch durch regenerative Energiesysteme gedeckt werden kann, und argumentieren, daß fossile Brennstoffe endlich sind und Treibhausgase emittieren, die zur globalen Erwärmung beitragen; Kernkraftwerke wiederum würden radioaktiven Abfall erzeugen, der Jahrtausende sicher eingeschlossen werden müßte. Daß auch in Fusionsreaktoren radioaktiver Abfall produziert wird, der über mehr als hundert Jahre sicher verbracht werden muß, wird von den Anhängern der Fusionsenergie ebenso als akzeptabel hingenommen wie der Umstand, daß der apparative Aufwand und damit einhergehend der Energieverbrauch, bis daß auch nur ein einziges Gramm Wasserstoff zu einem Plasma gezündet werden kann, dessen Energiegehalt man sich erschließen will, gewaltig ist.

Sollten Fusionsreaktoren jemals den Energiebedarf nicht nur eines technologisch hochgerüsteten Teils, sondern der gesamten Menschheit decken, müßten ganz andere Voraussetzungen gesellschaftlicher und politischer Art geschaffen werden, damit jeder Mensch Zugriff auf die Energie aus Fusionsreaktoren erhielte, die er benötigt. Wenn es aber zu einer solchen Entwicklung kommt, die sicherlich mit den gegenwärtig vorherrschenden politischen Verhältnissen gebrochen hätte, stellt sich sehr die Frage, ob der wirtschaftliche Wachstumskurs beibehalten würde und dann überhaupt noch soviel Energie produziert werden müßte, daß technologische Großprojekte weiter von Interesse wären.

Physikalische Theorien vermögen zwar das Prinzip der Fusion zu beschreiben, aber für die Erzeugung von Fusionsenergie in einem Reaktor werden auch Ingenieure benötigt, die "einfach nur" verschiedene Materialien und Konzepte testen. Die Forscherinnen und Forscher am W7-X stehen vor zahlreichen technologischen Problemen, für die es noch keine vorgefertigten Lösungen gibt. Über einige der Schwierigkeiten und vorläufigen Resultate hat Dr. König in seinem Vortrag berichtet.

Bereits vor zwei Jahren konnte der Schattenblick bei einem Besuch des Wendelstein 7-X den Eindruck gewinnen, daß die an dem Projekt Beteiligten mit Leidenschaft bei der Sache und überzeugt davon sind, an einem ganz besonderen Projekt mitzuarbeiten. [3] Das trifft gewiß auch auf den Referenten zu. Am Rande der DPG-Frühjahrstagung war er bereit, dem Schattenblick einige Fragen zum Stand der Dinge am Fusionsreaktor Wendelstein 7-X zu beantworten. Obgleich manche der Erläuterungen sicherlich für einen Laien nicht einfach einzuordnen sein dürften, vermitteln die Ausführungen insgesamt durchaus einen Eindruck, mit welchen Fragen ein Physiker am Wendelstein 7-X befaßt ist.


Beim Vortrag hinter Stehpult stehend - Foto: © 2017 by Schattenblick

Dr. Ralf König berichtet über den Stand der Forschungen am W7-X
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Vor zwei Jahren berichteten Mitarbeiter des Wendelstein 7-X, daß die Bändigung des Plasmas in einem Stellarator eine knifflige Aufgabe ist. Am 10. Dezember 2015 wurde erstmals ein Plasma erzeugt. Hat sich bestätigt, daß dessen Bändigung eine große Schwierigkeit war?

Dr. Ralf König (RK): Das würde ich so nicht sagen. Als wir das erste Plasma gemacht haben, war dessen Bändigung eigentlich nicht die Hauptschwierigkeit. Das Magnetfeld hat sich genau so verhalten, wie wir das erwartet hatten. Das war die Voraussetzung dafür, daß wir ein hervorragend eingeschlossenes Plasma erzeugen konnten. Natürlich war es etwas ganz Besonderes, zum ersten Mal die supraleitenden Spulen in Betrieb zu nehmen und zu sehen, daß wir schöne glatte Flächen der Magnetfeldlinien erzeugen können. Wir konnten nachweisen, was wir schon mit den Flußfeldmessungen [4] im Vorfeld weitgehend gesehen hatten. Das sah gut aus. Wobei wir in dieser Kampagne noch nicht alles messen und damit nicht alles beobachten konnten. Da waren wir noch stark eingeschränkt. Es gibt somit noch ein paar Feldfehlermessungen, die in der nächsten Kampagne anstehen.

Wir hatten bislang nur Limiter-Plasmen [5], die noch nicht die Divertorstrukturen [6] abbilden, wo wir sozusagen hinterher die Leistung der Teilchen, die verlorengehen, unterbringen müssen. Das wollen wir uns in der nächsten Experimentkampagne anschauen. Wenn Sie jedoch vorhin in meinem Vortrag die Aufnahmen der Plasmen gesehen haben, konnten Sie erkennen, daß am Ende der Entladung, als die Heizung [7] bereits ausgeschaltet war, die Teilchen noch lange danach zu sehen waren. Sie liefen noch lange auf ihren Bahnen nach. Daran zeigt sich, daß die Teilchen ziemlich gut eingeschlossen waren. Von daher haben wir ein ziemlich gutes Gefühl, daß die Maschine so, wie wir sie gebaut haben, in einem sehr gutem Zustand ist.

Das war ja eine unglaubliche Herausforderung des Engineerings. Wir mußten sämtliche Komponenten, wie beispielsweise die Spulen, auf den Millimeter genau aufstellen. Wenn ich mir das bei dieser Größenordnung von Maschine vorstelle - das war für mich als Physiker beinahe unfaßbar, daß ein Ingenieur das mit diesen riesigen Gewichten und dieser Präzision in alle drei Raumdimensionen schaffen kann. Alles in allem sieht es so aus, als hätten wir das besser hinbekommen als erwartet. Von dem, was wir bis zum jetzigen Zeitpunkt sehen konnten, sind wir begeistert.

SB: Sie hatten in Ihrem Vortrag davon gesprochen, daß das Plasma eine Drehrichtung eingenommen hatte, einmal gegen und einmal mit dem Uhrzeigersinn. War dieses Verhalten berechenbar? Oder ist die Drehrichtung beliebig?

RK: Es war einfach Zufall, daß wir das zum ersten Mal gesehen haben. In der Randschicht vom Stellarator haben wir solche Bilder von den Filamentstrukturen bisher nicht gehabt, aber vielleicht fehlte uns bisher einfach auch die Technik dazu. Möglicherweise hatten wir damals an dem kleineren Stellarator Wendelstein 7-AS in Garching einfach noch nicht den richtigen Blickwinkel gehabt. In England gibt es allerdings eine Maschine, den JET [8] - das ist ein Tokamak -, an dem man schon häufig beobachtet hat, in welche Richtung das Plasma rotiert.

Doch wie gesagt, wir haben bislang nicht die erforderliche Diagnostik für die Randschicht installiert, um daraus wirklich Schlüsse ziehen zu können. Das sieht erst die nächste Kampagne vor. Ich gehe davon aus, daß sich das, was wir in der Randschicht tun, noch einmal deutlich von dem unterscheidet, was ich heute im Vortrag gezeigt habe.

SB: Was genau ist mit Randschicht gemeint?

RK: Dazu muß ich etwas ausholen. Das Plasma hat einen Bereich, in dem die Feldlinien in sich geschlossen bleiben, bis zu einer sogenannten letzten geschlossenen Flußfläche. Außerhalb davon gibt es Feldlinien, die starten von der Wand und enden irgendwo auf der Wand - jedenfalls sieht es so, wenn man in die Maschine hineinschaut. Tatsächlich starten und enden die Feldlinien nicht an der Wand, sondern schließen sich immer irgendwo. Aber wenn man jetzt in die Maschine schaut, kommt die Feldlinie irgendwo aus der Wand und geht irgendwo wieder auf die Wand zu. Das heißt, Teilchen, die von diesen geschlossenen Feldlinien durch Stöße über die letzte Feldlinie der geschlossenen Flußfläche rausspringen, geraten auf diese "endenden" Feldlinien und laufen dann, bis sie irgendwo auf Material treffen. Und das da draußen, in diesem Außenbereich, das ist für mich die Randschicht.

Bei Limiter-Plasmen sieht die Randschicht wesentlich anders aus als bei den Plasmen, die wir in der nächsten Kampagne erzeugen wollen. Da werden im Randbereich Strukturen von Inseln generiert. Das sind in sich geschlossene Bereiche von Feldlinien, die sich schraubenförmig in mehreren Inselstrukturen - vier, fünf, sechs Inseln - um das Plasma herumschlängeln. Diese Strukturen werden dann durch die Kohlenstoff-Targets angeschnitten - so nennen wir die Divertoren. Auf sie wird sozusagen die gesamte Leistung konvektiv hingelenkt. Das betrifft die verlorenen Teilchen und die Energie der verlorenen Teilchen.

Wir versuchen, genau an diesen Oberflächen ein Plasma zu erzeugen, das eine extrem hohe Dichte und extrem niedrige Temperatur hat. Und wenn jetzt schnelle Teilchen aus dem Plasmakern verlorengehen, laufen sie in dieses hochdichte Niedrigtemperaturplasma, werden dort abgebremst, geben dabei ihre Energie an die Teilchen in dem Hochdichteplasma ab und strahlen dann sehr stark. Dadurch gelingt es uns, daß sich die Energie mehr oder weniger auf die ganze Maschine oder zumindest auf einer breiten Fläche verteilt.

Es ist eine schwierige Aufgabe, die Belastungszone auf den Divertoren, jenen Kohlenstoffziegeln, breit anzulegen, damit man die Leistungsdichten handhaben kann. Bislang arbeiten wir mit einem ungekühlten Divertor, der kann bis zu zehn Megawatt pro Quadratmeter aufnehmen. Das ist ungefähr die Grenze des technisch Machbaren. Deshalb müssen wir die Leistung möglichst verteilen, damit wir in diesem Bereich bleiben und arbeiten können. [9]


Foto: © 2015 by Schattenblick

"Krumme" Magnetspule des Stellarators vor dem IPP in Greifswald
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Die Magnetspulen sind ja fest installiert. Wie steuern Sie dann die Magnetfelder, bzw. wie leiten Sie etwas zu den Divertoren?

RK: Dazu braucht eigentlich nichts an dem Feld verändert werden, denn die Inselstrukturen im Außenbereich entstehen von vornherein. Das wurde bereits in der gesamten Magnetfeldstruktur berücksichtigt. Damit sie so entstehen, wie sie sind, brauchten wir beim Aufstellen der Spulen die extrem hohe Genauigkeit, von der ich eben sprach. Dadurch wurde sichergestellt, daß wir die Inselstrukturen so bekommen, wie wir sie haben wollten. Jetzt kann man noch ein bißchen zwischen verschiedenen magnetischen Konfigurationen wählen, wie wir das Feld in den Spulen grundsätzlich einstellen. Aber das bleibt eigentlich weitgehend konstant, ob wir jetzt vier, fünf oder sechs solcher Inselstrukturen im Außenbereich haben.

SB: Kann man die Plasmakammer nach dem Erlischen des Plasmas sofort betreten?

RK: Ja, im Augenblick ist das überhaupt kein Problem, weil wir mit Wasserstoff arbeiten und nicht mit Deuterium. Dessen Einsatz ist ab 2020 geplant. Bisher haben wir im Stellarator einen Vorteil, den man normalerweise hat, wenn man zu Deuterium wechselt, noch gar nicht gesehen. Beim Tokamak hingegen zeigt sich ein deutlicher Effekt, daß es sehr viel besser ist, mit Deuterium zu arbeiten als mit Wasserstoff. Wenn es beim W7-X so bleibt, werden wir überwiegend weiter mit Wasserstoff arbeiten. Warum sollten wir uns mit Deuterium belasten? Das ist etwas, das man später zusammen mit Tritium in einem echten Reaktor einsetzen muß. Aber wir wollen uns natürlich das Leben so leicht wie möglich machen, das ist völlig klar.

SB: Da spielen ja auch Zeitverzögerungen eine Rolle oder nicht?

RK: Das war in der Vergangenheit bei der Maschine in Garching der Fall. Ich war da allerdings nur eine Kampagne dabei, weil ich vorher in England beim JET gearbeitet habe. In Garching gab es, wenn ich das richtig erinnere, nur eine oder zwei Wochen Deuteriumbetrieb. Dann stellten wir fest, daß uns das eigentlich nicht viele Vorteile bringt, und haben die ganze Kampagne mit Wasserstoff fortgesetzt. Wie es bei unserem Stellarator sein wird, wissen wir letztlich noch nicht. Möglicherweise kommen wir zu dem Schluß, daß die Verwendung von Deuterium Vorteile bringt. Dann werden wir das natürlich nehmen.

Was den Zugang zur Halle angeht, so kenne ich das eigentlich nur vom JET, da konnte ich eigentlich immer hinein. Auch in Garching hatten wir keine großen Probleme mit dem Zugang zur Maschine. Wir haben extrem gut darauf geachtet, daß wir überall Niedrigkobaltmaterialien [10] verwenden. Jedes Material, das bei uns ankommt, wird daraufhin kontrolliert und muß ein Prüfzertifikat haben.

SB: Aus eigenem Interesse.

RK: Aus eigenem Interesse. Wir wollen natürlich auch nichts anfassen. Da ist man ja selber auch vorsichtig. Und es ist einfach, das zu vermeiden. Ich meine, was man vermeiden kann, will man auch vermeiden. Wie gesagt, wir achten sehr darauf, daß bei allen Materialien, die reinkommen, die Aktivierung niedrig bleibt. Das wird über die ganze Kampagne hinweg so bleiben, und so, wie wir das jetzt gehandhabt haben, sehe ich überhaupt keine Probleme, da nachträglich wieder reinzugehen.


Foto: © W7-AS Team, J. Baldzuhn, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de] via Wikimedia Commons

Blick mit einer Videokamera durch ein Vakuumfenster in toroidaler Richtung, d.h. entlang des Plasmas von Wendelstein 7-AS am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching im Jahr 2000. Der "kalte" Rand des Plasmas erscheint hell und zeigt in der Bildmitte bauchige Inselstrukturen. Diese liegen an den Graphitkacheln der Wand an (linke Seite des erleuchteten Bildausschnitts). Die Wärmestrahlung aus dem heißen Zentrum des Plasmaschlauchs (rechte Hälfte des erleuchteten Bildausschnitts, Durchmesser etwa 30 cm) liegt in nahen Röntgenbereich und ist für die Kamera unsichtbar. Das Plasma erscheint hier daher diffus durchsichtig.
Foto: © W7-AS Team, J. Baldzuhn, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de] via Wikimedia Commons

SB: Was ist Ihre Aufgabe beim Wendelstein 7-X?

RK: Wie man die Randschicht, über die wir jetzt schon so viel gesprochen haben, in den Griff bekommt. Das ist mein Themenschwerpunkt. Früher bei JET war ich mehr mit dem Zentralplasma befaßt. Was beim Tokamak schon seit zwanzig, dreißig Jahren entwickelt wird, ist am Stellarator noch relativ neu. Das heißt, wir haben zum aller erstenmal am W7-AS Untersuchungen mit dem sogenannten Insel-Divertor durchgeführt. Da haben wir außen um das Plasma herum Inselstrukturen erzeugt, hatten jedoch nur eine einzige Experimentkampagne, in der wir das näher untersuchen konnten, bevor die Maschine abgeschaltet wurde. Das Geniale war, daß das unglaublich gut funktioniert hat. Normalerweise ist ja Murphy immer gegen einen, aber in dem Fall war es einfach traumhaft! (lacht)

SB: Was Murphys Gesetz schon wieder bestätigt ...

RK: Zum einen hatten wir im Zentrum des Plasmas eine neue hochdichte H-mode gefunden, auch high densitiy H-mode [11] genannt. Die hatte dafür gesorgt, daß die Verunreinigungen vom Zentrum rausgetrieben wurden und sich nicht ansammelten. Denn das hätte dann dazu geführt, daß die Temperatur im Kern sinkt. Die Verunreinigungen blieben schön in der Randschicht. Gleichzeitig haben wir es geschafft, am Rand des Plasmas eine Entkopplung zu erzeugen, das wird "detached plasma" genannt. Dort wurde die Energie entkoppelt, und wir konnten eine Reduzierung um den Faktor drei bis zwanzig am Rand dieser Leistungsdichten auf die Targets erzeugen. Beide Effekte trugen dazu bei, daß wir hervorragende Plasmen produzieren konnten. Wir vermochten von der Randschicht ganz viel Leistung abzustrahlen, bis zu 90 Prozent - man möchte eben so wenig wie möglich auf die Prallplatten bekommen -, und waren superglücklich, daß das funktioniert hat.

Es ist eines der großen Probleme auch am Tokamak, in der Randschicht soviel Strahlung abzustrahlen, daß wir mit der Leistungsdichte auf dem Target letztlich klarkommen. Das gleiche wird für den ITER [12] gelten, der noch eine Baustelle ist. Da ringt man im Augenblick damit, die Bedingungen so gestalten, daß das hinterher gut funktioniert. Ich würde sagen, am Wendelstein 7-AS hat das bereits perfekt funktioniert, aber leider nur eine einzige Kampagne lang. Wir mußten dann aufhören und konnten nicht mehr weitermachen, weil wir die neue Maschine in Greifswald aufgebaut haben.

SB: Die Greifswalder Maschine hat sozusagen die in Garching abgelöst.

RK: Ja, der Umzug mußte einfach sein. Wir hatten kurz überlegt, ob wir den Wendelstein 7-AS in Garching nochmal in Betrieb nehmen und zwischendurch noch einmal "runterwandern", aber das wäre einfach personell nicht zu schaffen gewesen. Natürlich hätten wir gerne viel mehr darüber gelernt, zum Beispiel wie jene hochdichte H-Mode tatsächlich zustandekommt, damit wir wissen, wie wir sie jetzt in Greifswald erneut erzeugen können. Denn so richtig verstanden haben wir an dieser Stelle die Physik leider noch nicht, da fehlt uns noch einiges. Eine einzige Meßkampagne ist viel zu kurz, um das herauszufinden. Danach werden wir am Wendelstein 7-X von neuem suchen müssen. Aber vielleicht finden wir sie auch ganz einfach - das vermag niemand vorherzusagen.

Der Wendelstein 7-AS besaß übrigens einen so kleinen Durchmesser, das war schon eine ganz andere Arbeit, wer immer darin tätig sein mußte. Ich weiß noch, wie wir bei der letzten Kampagne den Divertor eingebaut haben. Da mußten wir die Ingenieure sprichwörtlich an den Füßen reinschieben, wobei die Leute ihre Hände von Anfang an nach vorne nehmen mußten. Da durfte man nicht in Panik geraten. Natürlich mußten wir die Leute auch wieder an den Füßen rausziehen - ich fand es eine unglaubliche Leistung, in was für engen Verhältnissen die da drinnen gearbeitet haben.

SB: Als Außenstehender kann man den Eindruck gewinnen, daß die Ingenieure und Physiker, die mit dem Stellaratormodell befaßt sind, und die, die mit dem Tokamak arbeiten, ein bißchen miteinander wetteifern.

RK: Ich muß ganz ehrlich sagen, das empfinde ich nicht so. Ich bin natürlich ein Zwitter, weil ich zehn Jahre bei JET an einem Tokamak gearbeitet habe und sehr viele Leute auf beiden Seiten kenne. Auch arbeite ich immer noch auf dem Gebiet der Diagnostikentwicklungen, die ich in Greifswald einige Jahre lang geleitet hatte, sehr viel mit Kollegen von ITER zusammen. Damals hatten wir uns mindestens zweimal im Jahr getroffen, um Dinge zu besprechen. Auch in Garching waren wir ständig im Gespräch.

SB: Jedenfalls hat die Stellaratorfraktion bewiesen, daß das Prinzip funktioniert.

RK: Ja, wobei man wissen muß, daß die Tokamaks uns von der Größenordnung her einfach zwanzig Jahre und somit mindestens eine Maschinengeneration voraus sind. In den Anfangszeiten war die Berechnung der dreidimensionalen Geometrie des Stellarators schlicht zu schwierig. Es besteht ja die Aufgabe, die Teilchenverfolgung in drei Dimensionen zu berechnen, um das ganze System zu optimieren. Das konnte man in den 70er Jahren noch nicht. Es gab dazu noch keine Computertechnik. Deshalb hat man sich zu der Zeit auch nicht getraut, eine Maschine von der Größenordnung des JET als Stellarator zu bauen. Das Risiko war einfach zu hoch. Insofern gehen wir nun einen parallelen Weg, daß wir im Augenblick etwas für den Tokamak weiterentwickeln und dabei die ganze Technologie lernen, die wir auch für den Stellarator brauchen. Welches Modell spielt von daher keine Rolle.

Ich glaube schon, daß sich langfristig der Stellarator durchsetzt, er hat letztendlich das größere Potential. Und ich kenne auch sehr viele Tokamak-Kollegen, die das ebenfalls so sehen. Okay, wir haben noch nicht gezeigt, daß es wirklich geht. Da sind auch noch einige Hürden vor uns. Aber vom Konzept her sieht man jetzt schon, daß eine Maschine, die kontinuierlich läuft, bei der man nur das Feld einschaltet und es ist da, einen riesigen Vorteil hat gegenüber einer Maschine, die man ständig rauf- und runterfahren muß. Denn am Tokamak hat man das Problem, daß man immer einen Transformator hochfahren muß, um dann einen Strom im Plasma zu erzeugen, der das poloidale Feld erzeugt und damit sozusagen das ganze erst stabil einschließt. Beim Wendelstein 7-X erzeugen wir mit den krummen Spulen schon einen ganz guten Einschluß der Teilchen und haben dieses Steuerungsproblem in dem Sinne nicht. Wir verändern das Magnetfeld eigentlich kaum.


Ringstruktur, bei der blaue Pfeil in Laufrichtung des Rings weist, der rote Pfeil senkrecht dazu um die Oberfläche des Rings herum - Bild: DaveBurke, freigegeben als CC-BY-SA-3.0-Unported [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Schematische Darstellung der polodialen (rot) und toroidalen (blau) Richtung, beispielsweise in einem Tokamak-Fusionsreaktor
Bild: DaveBurke, freigegeben als CC-BY-SA-3.0-Unported [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Wenn man andere technologische Großprojekte als Vergleich nimmt, dann war es oft so, daß die erste Generation noch völlig anders aussieht als die heutigen Entwicklungen. Das heißt, wir machen auf der Schiene weiter, wo wir am weitesten vorausgehen können, und das sind nun mal die Tokamaks. Gleichzeitig entwickeln wir damit bereits die nächste Generation auch für den Stellarator mit. Wir haben jetzt einen großen Sprung gemacht von der kleinen Maschine in Garching zu der schon ziemlich großen Maschine in Greifswald. Aber ITER ist natürlich nochmals eine ganz andere Dimension.

SB: Sollte einmal ein Stellarator in der Größe von ITER gebaut werden, gäbe es es da von der Geometrie der Magnetspulen her einen Unterschied zu Wendelstein 7-X oder spielt die Größe keine Rolle?

RK: Wir haben schon Studien durchgeführt, wonach der große Radius der Maschine bei Stellaratoren immer sehr viel größer sein wird. Damit ist der Torus als ganzes im Durchmesser sehr viel größer. Die Spulentechnik für einen Demo-Reaktor [13] könnte sogar die Technik von ITER sein. Das heißt, an dieser Baustelle bräuchte man möglicherweise nicht mal einen Sprung in der Technologie, das sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus. Was hinterher wirtschaftlich besser ist, ist eine andere Frage. Ein bißchen größer zu bauen bedeutet nicht immer, daß es teurer wird, wenn im anderen Fall die Technologie viel zu schwierig ist. Und die kann durchaus aufwendig und teuer sein. Es sieht eigentlich so aus, als ob das mit den Spulen von der Größe, den Kräften und der Form her so zu gehen scheint.

SB: Wie ist der Stand der Dinge in Wendelstein 7-X und wie geht es jetzt weiter?

RK: Wir schließen zur Zeit den "In-vessel-Ausbau" ab. Wie ich gezeigt habe, sind die Divertoren eingebaut. Die sind noch ungekühlt, was verhindert, daß sie bei unseren Experimenten zerstört werden. Mittlerweile hat sich das als großer Vorteil erwiesen. Denn wenn man jetzt hohe Leistungen fährt, ist das Schlimmste, was passieren kann, daß wir den Kohlenstoff verdampfen. Dadurch gelangt zuviel Dreck ins Plasma, und mehr Dreck ins Plasma heißt immer, daß es sofort erkaltet, ausgeht und stirbt. Das ist wie, als wenn in der Maschine ein Vakuumleck auftritt. Wir brauchen ein extrem hohes Vakuum in der Maschine, damit ein Plasma brennt. Wenn da auch nur ein bißchen Luft reinkäme, ginge es sofort aus, da es gar nicht aufrechtzuerhalten ist, so stark würde es von den Atomen her strahlen. Mit diesen ungekühlten Divertoren, die man praktisch nicht kaputt machen kann, können wir zunächst lernen, mit der Maschine umzugehen, bevor wir mit dem wassergekühlten Divertor weiterarbeiten. Das wird voraussichtlich im Jahre 2020 sein. Bis dahin müssen wir noch die Überwachung erweitern, damit wir einen Wert von zehn Megawatt pro Quadratmeter lokal niemals überschreiten. Deswegen werden wir dann mit zehn Infrarotkameras auf jeden der Divertoren schauen und darauf achten, daß wir sie im Notfall abschalten können, bevor es zur Überhitzung kommt und wir irgendwelche Schäden erzeugen, die dann wieder Reparaturzeit kosten.

Wir denken, daß wir ungefähr in der letzten Augustwoche soweit sind, daß wir alles eingebaut und die Maschine auch schon wieder "commissioned", also die Systeme in Betrieb genommen haben. Das bedeutet, daß die Luft abgepumpt ist und wir uns die Vakuumtests angeschaut haben. Die Magnete sind dann kalt gefahren und stehen betriebsbereit da. Das erste Plasma wird voraussichtlich Ende August, Anfang September erzeugt. Dann haben wir dreizehn Wochen Betrieb. Um Weihnachten herum werden wir die Maschine öffnen, um noch einige Sachen einzubauen, mit denen Tests gemacht werden. Die Amerikaner haben für uns Elemente gebaut, die wir zum Schutz einbauen und für das nächste Projekt der Maschine bis Sommer nächsten Jahres testen wollen. Anschließend werden wir den Umbau angehen und den ungekühlten Divertor durch einen wassergekühlten ersetzen. Der Umbau der ganzen Wandkomponenten, der Wasseranschlüsse etc. wird vermutlich bis Frühjahr 2020 dauern, so daß wir dann mit der nahezu voll ausgebauten Maschine wieder in Betrieb gehen können.

SB: Wenn Sie von Diagnostiken sprechen, scheint da mehr mit gemeint zu sein, als sich ein Laie darunter vorzustellen vermag.

RK: In der Kampagne, die ich in meinem Vortrag gezeigt habe, haben wir 25 bis 30 Diagnostiken in Betrieb gehabt und werden noch einmal die gleichen Größenordnung Diagnostiken hinzunehmen. Dadurch erhalten wir einen ziemlich guten Ausbaustand, bei dem man für die nächste Kampagne die meisten Messungen machen kann, die man machen möchte. Dann kommen immer noch einzelne Überwachungsgeräte hinzu, wenn man feststellt, wo noch etwas gebraucht wird, wo es vielleicht neue Entwicklungen gegeben hat, etc.

Bei einer neuen Kampagne kommt hinzu, daß die Komponenten noch in Betrieb genommen werden müssen, um zu sehen, daß alles sauber funktioniert. Wir denken, daß das auch ein gewisses Maß von Lernen bedeutet für die endgültige Kampagne mit den gekühlten Divertoren von 2020 an. In den nächsten Jahren werden wir sehr, sehr viel lernen, das wird ziemlich spannend werden, denke ich, und es macht auch Spaß.

SB: Herr König, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.


Mit zwei Armen ausgestatteter Roboter in der dicht an dicht mit Kacheln ausgekleideten Plasmakammer - Foto: The Naked Cat Fighter, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Der MASCOT-Telemanipulator in der Plasmakammer des JET, 2. Februar 2016
Foto: The Naked Cat Fighter, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en] via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article163536873/Wo-aus-Science-Fiction-unbegrenzte-Energie-wird.html

[2] http://www.ipp.mpg.de/11715/zuendbedingungen

[3] Einen Bericht und zwei Interviews mit leitenden Physikern zum Besuch des Wendelstein 7-X finden Sie im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT:

BERICHT/001: Kernfusion und Plasmaforschung - Im Spannungsfeld der Vielversprechen ... (SB)
INTERVIEW/001: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ... Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (1)
INTERVIEW/001: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ... Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (2)
INTERVIEW/004: Kernfusion und Plasmaforschung - alte Gefahren im neuen Gewand ... Prof. Dr. Robert Wolf im Gespräch (SB)

[4] Im Juli 2015 wurde die Ausmessung des Magnetfeld abgeschlossen. Die supraleitenden Magnetspulen hatten das Magnetfeld zum Einschluß des Plasmas laut IPP "wunschgemäß" aufgebaut.
http://www.ipp.mpg.de/de/aktuelles/presse/pi/2015/07_15

[5] Limiter sind materielle Begrenzungen, auf die sowohl das Plasma als auch die Magnetfeldlinien treffen. Wenn das Plasma auf einen Limiter trifft, erlischt es; zugleich wird das Begrenzungsmaterial sehr stark belastet. Deshalb sind in heutigen Fusionsreaktoren Divertor-Strukturen üblich.

[6] In einem Fusionsreaktor müssen Teilchen (Verunreinigungen, vor allem Helium, das bei der Fusion von Wasserstoffkernen entsteht) und Energie aus dem Plasma abgeführt werden, ein vollständiger magnetischer Einschluß wäre deshalb gar nicht ideal. Vielmehr wird das Plasma durch die Form des Magnetfelds so gelenkt, daß es an den Stellen auf die Wand (die sogenannte erste Wand) trifft, wo die Divertoren - Prallfeldplatten - angebracht sind. Wenn Plasma auf einen Divertor trifft, erkaltet es und gibt seine Energie ab. Da diese Teilchen das übrige Plasma verunreinigen würden, werden sie abgepumpt. Beim Tokamak sind die Divertoren am Boden angebracht, wo die Magnetfeldlinien "enden", beim Stellarator mit seinem aufgespaltenen Plasmarand sind die Divertoren an bestimmten, vorausberechneten Stellen der Wand angebracht.

[7] Mittels einer Hochfrequenz-Heizung werden elektromagnetische Wellen in das Plasma eingestrahlt, um es zu zünden.

[8] JET (Joint European Torus) ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt und die derzeit größte Fusionsanlage der Welt. 1983 in Betrieb genommen, wird in der Anlage mit Brennstoffmischungen aus den Wasserstoffisotopen Deuterium und dem radioaktiven Tritium experimentiert.

[9] "Leistung verteilen" bedeutet, den Bereich möglichst breit zu machen, an dem das Plasma auf das "Target" des Divertors trifft. So berichtete Dr. König, daß man schon froh gewesen sei, daß der Bereich beim W7-X nicht einen Millimeter, sondern einen Zentimeter breit war. Durch eine Veränderung der Anstellwinkel der Targets zum Randschichtplasma (in der sogenannten Abschälschicht, dem Bereich, der außerhalb des Einschlusses liegt) könne die Leistung sogar noch mehr verteilt werden.

[10] Solange in Wendelstein 7-X mit leichtem Wasserstoff experimentiert wird, wird die dabei erzeugte Röntgenstrahlung von den Wänden des Plasmagefäßes aufgefangen, berichtet das IPP. Beim Einsatz von Deuterium hingegen würden auch Neutronen freigesetzt, die von der 1,80 Meter dicken Betonwand der Werkshalle aufgefangen werden. Die Neutronen können allerdings die Geräte im Inneren der Halle geringfügig aktivieren, so daß dort Gammastrahlung freigesetzt wird. Vor allem Kobalt kann durch Neutronen leicht aktiviert werden, das heißt, es würde radioaktiv. Aus diesem Grund wird beim W7-X darauf geachtet, kobaltarme Materialien zu verwenden.
http://www.ipp.mpg.de/9358/strahlenschutz

[11] H-mode ist die bevorzugte Einschlußvariante des Plasmas. Andere Varianten nennen sich L-mode (low confinement) und I-mode (improved confinement). Diese haben eine weniger gute Energieeinschlußzeiten.

[12] ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) ist ein Experimentalreaktor und Gemeinschaftsprojekt von Europa, Japan, den USA, der russischen Föderation sowie China, Süd-Korea und Indien. Bei ITER, das auf dem südfranzösischen Nuklearstandort Cadarache errichtet wird, soll einmal eine Fusionsleistung von 500 MW und damit das Zehnfache dessen liefern, was zur Aufheizung des Plasmas verbraucht wird. Vor kurzem haben Bundestagsabgeordnete der Linken und der Grünen die enorm hohen Kosten kritisiert, die ITER verschlingt. Im vergangenen Jahr war dessen Gesamtbudget auf über 20 Milliarden Euro erhöht worden. Die Agentur "Fusion for Energy", die die Beiträge der 28 EU-Mitgliedsstaaten und der Schweiz zum Bau des ITER koordiniert, wies die Vorwürfe zurück.
https://www.welt.de/wirtschaft/article163533796/EU-Agentur-weist-Kritik-am-Fusionsreaktor-Iter-zurueck.html

[13] Mit Demo wird ein Demonstrationskraftwerk bezeichnet, in dem umgesetzt werden soll, was man vom Fusionsreaktor ITER gelernt hat. Aber selbst Demo soll noch nicht kommerziell Energie erzeugen, sondern nur zeigen, daß dieser Schritt möglich ist.


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT zur DPG-Frühjahrstagung in Bremen erschienen:

BERICHT/004: Die DPG stellt vor - Verantwortung der Wissenschaft ... (SB)
BERICHT/005: Die DPG stellt vor - Endlichkeit nicht vorgesehen ... (SB)
INTERVIEW/009: Die DPG stellt vor - unzureichend treibt voran ...    Prof. Dr. Claus Lämmerzahl im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Die DPG stellt vor - Schwingungen und Perspektiven ...    Prof. Dr. Klaus Fredenhagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 1) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Die DPG stellt vor - das Mögliche auch nutzen ...    Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Die DPG stellt vor - die Maßstäbe prüfen ...    Martina Gebbe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Die DPG stellt vor - unbekannten Emissionen auf der Spur ...    Dr. Stefan Schmitt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Die DPG stellt vor - Zusammenschau ...    Dr. Irena Doicescu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Die DPG stellt vor - Vermächtnis der Vergleiche ...    Dipl. Ing. Stefanie Bremer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 2) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Die DPG stellt vor - die Sonne im Blick ...    Prof. Dr. Katja Matthes im Gespräch (SB)
INTERVIEW/019: Die DPG stellt vor - Wissenschafts- und Selbsterkenntnis ...    Prof. Dr. Hardi Peter im Gespräch (SB)


10. April 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang