Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT


INTERVIEW/026: Die DPG stellt vor - Brücken in den Disziplinen ...    Dr. Corvin Zahn im Gespräch (SB)




Mehrere Bilder zeigen mit leichten Unterschieden das gleiche Signal, das an den Interferometern sowohl in Hanford als auch Livingston gemessen wurde. - Foto: 2015 by B. P. Abbott et al. (LIGO Scientific Collaboration and Virgo Collaboration) - CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0), via Wikimedia Commons

Die Wiege der Gravitatinswellenastronomie ist eine Welle.
"Man braucht dann schon Supercomputer, die aus den Meßergebnissen die Kollision von zwei Schwarzen Löchern ableiten können", Corvin Zahn.
Foto: 2015 by B. P. Abbott et al. (LIGO Scientific Collaboration and Virgo Collaboration) - CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0), via Wikimedia Commons

Seit Prof. Dr. Ute Kraus und Dr. Corvin Zahn an der Universität Hildesheim im Jahr 2009 das Schülerlabor "Raumzeitwerkstatt" ins Leben gerufen haben, stellen sie mit ihrer Plattform für Schulunterricht, Hochschullehre und physikdidaktische Forschung die neuesten Konzepte, mit denen sie "Einsteigern" in die Theoretische Physik die schwer verdauliche Einsteinsche Formelwelt in appetitlichen Häppchen (Experimente, Bastelbögen, Computersimulationen und Filme) näher bringen wollen, auf den DPG-Frühjahrstagungen vor. Das Schülerlabor ist u.a. auch in die Lehramtsausbildung an der Universität Hildesheim eingebunden, so daß Studierende die Experimentierstationen und Schülergruppen betreuen und dabei Erfahrung bei der Umsetzung anspruchsvoller physikalischer Themen in den Schulunterricht sammeln können, eine klassische Win-Win-Konstellation für alle Beteiligten. Nach spannenden Unterrichtseinheiten, in denen mit entsprechender Anleitung ein "Schwarzes Loch" aus Bausteinen gebaut wird, und begleitenden Erzählungen wie "Schritt für Schritt ins Schwarze Loch", mit denen die Relativitätstheorie von Albert Einstein zu einem gefühlt-multimedialen Abenteuer werden soll und zahlreichen anderen physikalischen Erlebnissen [1], stellte die Gruppe in diesem Jahr ein neues Modell vor, mit dem sich Gravitationswellen auch für Matheunbedarfte erschließen läßt. Neue Wissenschaftler in spe für diese Materie zu begeistern, scheint nach der unlängst erfolgten, als bahnbrechend gewerteten Entdeckung von Gravitationswellen am Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) in Hanford und Livingston (USA), notwendiger denn je. Denn mit der Entdeckung wurde ein neuer Zweig der Physik, die Gravitationswellenastronomie, begründet.

Am vorletzten Tag der diesjährigen Tagung der Sektion Materie und Kosmos in Bremen (13.-17. März 2017) erläuterte der Physiker und Didakt Dr. Corvin Zahn dem Schattenblick, was es damit auf sich hat.


Der Physiker und Didakt der Universität Hildesheim vor dem Poster seiner Arbeitsgruppe - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Da wackelt die Raumzeit", Corvin Zahn.
Wie man sich ein Verständnis für schwergängige physikalische Theorie erbasteln kann.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben Ihr Poster mit der Überschrift "Sector models of a Gravitational wave" [Sektorenmodelle einer Gravitationswelle] versehen. Darunter sieht man Grafiken, die ein bißchen an eine Bastelanleitung erinnern. Könnten Sie unseren Lesern Ihr Projekt einmal kurz darstellen?

Dr. Corvin Zahn (CZ): Wir haben von der Universität Hildesheim aus eine Webseite eingerichtet, die Sie unter "Spacetimetravel.org" oder über die deutsche Variante "Tempolimit-Lichtgeschwindigkeit" ergoogeln können. [1] Das vorrangige Ziel unserer Arbeitsgruppe ist, Unterrichtsmaterialien auszuarbeiten, mit denen man die Relativitätstheorie auch in der Schule unterrichten kann.

SB: Wir sprachen schon über die Wirkung von Filmen wie Interstellar und manchen Science Fiction Animationen. [2] Welche Medien nutzen Sie, um junge Menschen für die Physik zu begeistern?

CZ: Ich finde es gut, daß es solche Filme gibt. Es sollte nur wesentlich mehr darauf geachtet werden, daß die Animationen dann einen wirklich fundierten physikalischen Hintergrund haben, so daß die Ideen, die darin verarbeitet werden, nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Das ist auch mit ein Grund, warum wir unsere Webseite eingerichtet haben, um dort Dinge anzubieten, die unterhaltsam, verständlich, aber vor allem auch physikalisch richtig sind.

Wir bieten Texte, verschiedene Materialien, Anleitungen, Bilder und dergleichen an, die sich beispielsweise Lehrer herunterladen können, um damit den Unterricht anschaulich zu gestalten. Es gibt dort auch ein paar Animationen, in denen man sich mal anschauen kann, wie es denn aussieht, wenn man mit Lichtgeschwindigkeit durch die Stadt braust oder wenn man in ein Schwarzes Loch fällt. Die Idee dahinter ist, das alles frei verfügbar für den Physikunterricht zu machen.

SB: Haben Sie dabei bestimmte Schulen als Zielgruppe im Auge oder sind Ihre Materialien schulübergreifend für alle jungen Menschen gedacht?

CZ: Vom Niveau her gehen wir praktisch von der zehnten Klasse aus und dann aufwärts bis hin zu Studium oder Grundstudium. Vor allem für Studierende, die sich nicht den vollen mathematischen Apparat aneignen können oder wollen, oder Lehrer, die das als interaktives Begleitmaterial verwenden, um sich damit ein bißchen räumliches Vorstellungsvermögen anzueignen und so etwas wie Gravitationswellen oder Schwarze Löcher besser zu verstehen.

SB: Was hat Sie auf die Idee gebracht, das Einsteinsche Universum beziehungsweise Gravitationswellen gewissermaßen in Bausteinen begreiflich zu machen?

CZ: Die Grundidee der Allgemeinen Relativitätstheorie ist, daß sich die Gravitation durch Geometrie beschreiben läßt. Die Raumzeit, also die Verbindung von Raum und Zeit hat geometrische Eigenschaften, die aber nicht unserer euklidischen Welt entsprechen. Die geometrischen Gesetze, die wir kennen, müssen hierfür modifiziert werden. Unsere Idee ist nun, daß wir alle aus dem Alltag ein Gefühl für diese euklidische Welt mitbringen, in der Parallelen einfach parallel verlaufen, Dreiecksberechnungen gemacht werden können, also all das, was wir schon in der Schule gelernt haben, angewendet werden kann: 'Die Summe aller Innenwinkel eines Dreiecks beträgt 180 Grad', 'der Umfang des Kreises ist 2πr' und so weiter.

Einstein hat gesagt, man könne Gravitation erklären oder beschreiben, indem man davon ausgeht, daß wir nicht in einer euklidischen Welt leben, sondern in einer Welt, in der die Geometrie ein bißchen anders ist. In dieser gekrümmten Raumzeit laufen zum Beispiel freie Teilchen, also auch ein Stein, den man wirft, auf einer Geraden. Das ist im Prinzip eine ganz simple Beschreibung. Man ersetzt die Gravitationskraft durch eine Krümmung der Raumzeit. Es gibt keine Gravitationskraft mehr, sondern die Erde läuft auf einer geraden Linie um die Sonne. Das kann man sich natürlich nur schlecht vorstellen. Aber die Raumzeit ist so gekrümmt, daß die Erde darin einfach geradeaus laufen kann. Sie oder der Stein, den man wirft, laufen auf einer geradlinigen Feldlinie, so würde man es relativistisch ausdrücken.

SB: Ist das quasi eine andere Beschreibung für die gleiche Beobachtung?

CZ: Ja. Die Phänomene, die rauskommen, sind die gleichen, weil man natürlich die gleiche Wirklichkeit beschreiben muß. Es ist nur so, daß die alte Newtonsche Theorie, in der die Gravitation eine Kraft ist, einige Beobachtungen gar nicht erklären kann, während die Einsteinsche Theorie, die für allgemeine Fälle mit der Newtonschen übereinstimmt oder zumindest die gleichen Aussagen macht, aber doch in einigen Sonderfällen, in denen die Newtonsche Physik versagt, etwas verdeutlichen kann. Nehmen Sie zum Beispiel den Merkur, der eiert auf einer Ellipsenbahn um die Sonne, aber beschreibt keine richtige Ellipse, sondern eine Ellipse, die sich noch ein bißchen dreht. Diese Beobachtung, die man schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genau berechnet hat, konnte man sich aber mit der klassischen Mechanik von Isaac Newton nie erklären. Danach würde die Bahn immer gleich verlaufen. Mit der Einsteinschen Theorie wird dagegen genau so eine Rosettenbahn beschrieben, wie man sie auch beobachten kann. Oder denken Sie an Schwarze Löcher. So etwas gibt es in der alten Newtonschen Theorie gar nicht. Die Einsteinsche Relativitätstheorie sagt sie dagegen voraus. Man hat natürlich bis heute noch keines direkt gesehen [2], weil die einfach zu weit weg und meistens viel zu klein sind. Aber man hat vor etwa zwei Jahren erstmals Gravitationswellen gemessen, die auf zwei Schwarze Löcher zurückgehen sollen und die man sich nur erklären kann, wenn man die Einsteinsche Theorie voraussetzt. Gravitationswellen sind ebenfalls Eigenschaften von Raumzeit, die in der Newtonsche Physik nicht vorhersagt werden.


Drehung des Merkurperihels. Gezeigt sind drei Umläufe, die nicht exakt gleich, sondern etwas verschoben stattgefunden haben. - Grafik: 2005 by CWitte CC-BY-SA-3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/], via Wikimedia Commons

Die Einsteinsche Theorie kann Phänomene erklären, auf welche die Newtonsche Physik keine Antwort weiß, wie die sonderbare Umkreiselung der Sonne durch den Merkur.
Grafik: 2005 by CWitte CC-BY-SA-3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/], via Wikimedia Commons

SB: Gravitationswellen sind eines der Hauptthemen dieser Tagung. Ich frage mich allerdings, warum man nicht in den Weltraum muß, um sie wahrzunehmen, sondern Gravitationswellen-Observatorien auf der Erde stationiert hat?

CZ: Man kann Gravitationswellen auch hier wahrnehmen. Ich glaube, am 14. September 2015 haben zum ersten Mal Detektoren Gravitationswellen angezeigt, veröffentlicht wurde die Studie dann Anfang 2016, ziemlich genau 100 Jahre, nachdem Einstein ihre Existenz vorhergesagt hat. Das Problem ist allerdings, daß die Auswirkungen auf der Erde so gering sind, daß es extreme meßtechnische Voraussetzungen benötigt, um sie zu erfassen. In den USA gibt es dafür die beiden Detektoren des Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory (LIGO). Das sind lange Arme, beziehungsweise Röhren, an denen Spiegel aufgehängt sind. Man kann die Länge der Arme oder den Abstand zwischen den beiden Spiegeln messen, das sind vier Kilometer. Und dieser Abstand ändert sich um ein Tausendstel des Durchmessers eines Protons, wenn eine Gravitationswelle ankommt. Das ist einfach undenkbar wenig. Da läßt sich vorstellen, daß die Konstruktion des Detektors eine technologische Herausforderung gewesen ist. Man hat vierzig Jahre lang daran gebaut und verbessert. Jetzt sind sie empfindlich genug, daß sie ein Verschmelzen von zwei Schwarzen Löchern beobachten konnten, die 1,3 Milliarden Lichtjahre von hier entfernt sind. Das ist eine gewaltige Entfernung. Sie läßt sich gar nicht vorstellen. In der letzten Sekunde, bevor die beiden Schwarzen Löcher fusionierten, setzten sie 50-mal mehr Energie frei als alle Sterne des Universums zusammen zum gleichen Zeitpunkt an Licht produziert haben. Wenn zwei Schwarze Löcher zusammenstürzen, erzeugt das wahnsinnig viel Energie in diesem kurzen Zeitraum. Das sind weniger als eine halbe Sekunde, da wurde mehr Leistung erzeugt wie von allen Sternen zusammen. Wenn das hier ankommt, wackelt das den Spiegel um ein Tausendstel eines Protondurchmessers.

SB: Ein Proton, das heißt doch kleiner als ein Atom beziehungsweise kleiner als der Kern eines Wasserstoffatoms (1H), wenn ich Sie recht verstehe? [3]

CZ: Ein Tausendstel davon.

SB: Meine Güte, das ist weniger als wenn ein Floh hustet, könnte man das auf einem Interferometer messen. Und daraus will man dann tatsächlich schließen, daß es irgendwo in der Milchstraße zu einer Fusion von Schwarzen Löchern gekommen ist?

CZ: Das hat man ganz einfach anhand dieses Spiegels gemessen, der die Laserstrahlen des Interferometers reflektiert. Dieser Spiegel wackelt und den Unterschied kann man messen. Daraus läßt sich dann zurückrechnen, was jetzt kollabiert sein muß. Und in diesem Fall war das Ergebnis mit der Einsteinschen Vorhersage kompatibel, daß sich zwei Schwarze Löcher umkreist haben, sich immer näher gekommen und schließlich miteinander verschmolzen sind. Das wackelt ein bißchen an der Raumzeit. Das Signal breitet sich als Welle in Lichtgeschwindigkeit aus und kommt dann 1,3 Milliarden Jahre später bei uns an. Wie man sich das vorstellen kann, was das im Einzelnen bedeutet, daß die Raumzeit verformt ist oder sich bewegt, versuchen wir jetzt mit unseren Modellen so anschaulich darzustellen, daß man es auch versteht.

Die Krümmung der Raumzeit ist ein geometrisches Phänomen. Sie läßt sich mit geometrischer Anschauung beschreiben. Das heißt, wir machen zunächst ein geometrisches Modell unseres Raumes, indem wir den Raum vermessen. Der gekrümmten Kugeloberfläche können wir uns annähern, indem man sie in einzelne Sektoren herunterbricht, ähnlich wie bei einem Globus und erst einmal eine gekrümmte Kugeloberfläche beschreibt, die aus einzelnen Facetten besteht, wir sagen dazu Sektoren. Je kleiner man die Sektoren wählt, umso genauer nähert man sich der Kugelform an.

Aus anschaulichen Gründen haben wir uns für eine relativ grobe Aufteilung entschieden. Nun könnte man die einzelnen Viereck-Flächen ausschneiden und flach auf den Tisch legen. Dann hätten wir das, was wir als Sektormodell der Kugeloberfläche bezeichnen. Jeder Sektor ist eine maßstabsgerechte Abbildung eines Ausschnitts aus der Kugeloberfläche. Auf dieser Eins-zu-Eins-Korrespondenz von der gekrümmten Fläche zu meinem Sektormodell kann ich jetzt Geometrie anwenden und beispielsweise über die Sektoren zwei Parallelen laufen lassen. Das heißt, ich kann eine gerade Linie konstruieren und das gleiche mit einer parallel dazu startenden Linie machen, indem ich einfach ein Lineal anlege und die Geraden immer weiter über die Ränder der Sektoren fortsetze. Dann kann man deutlich sehen, daß sich die Parallelen allmählich annähern beziehungsweise aufeinander zulaufen. Das ist nicht die Geometrie, die wir kennen. Parallelen bleiben normalerweise parallel.

SB: Ich verstehe, warum Sie den Globus daneben abgebildet haben.


Auf einer Kugel ist die Winkelsumme eines Dreiecks im allgemeinen nicht 180°. - Bild: 2007 By Lars H. Rohwedder, Sarregouset CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons Gerade Linien, die auf den Sektoren der Kugelfläche einfach über den Rand gezeichnet werden, ergeben eine gekrümmte Bahn. - Foto: © 2017 by Schattenblick

links: Dreiecke sind auf einer Kugeloberfläche ebensowenig "euklidisch" ...
Bild: 2007 By Lars H. Rohwedder, Sarregouset CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons
rechts: ... wie die trapezförmigen Sektoren oder Geraden, die man darüber legt.
Foto: © 2017 by Schattenblick

CZ: Genau. Wenn Sie sich vorstellen, Sie starten am Äquator nach Norden auf zwei parallelen Bahnen, dann treffen sich die Wege wie zwei Längengrade am Pol. Parallel startende Linien sind auf einer gekrümmten Fläche irgendwann nicht mehr parallel. Das gleiche erwarten wir auch im Raum.

Der gekrümmte Raum hat ebenfalls eine andere Geometrie als die euklidische, auch zwei parallel startende Linien können darin irgendwann vielleicht aufeinander zu- oder voneinander weglaufen.

Um dafür ein Modell zu bilden machen wir das gleiche mit dem Raum, nur daß wir statt einer Kugelfläche ein Stück gekrümmten Raum in Klötze zerlegen. Diese können wir im Raum vermessen, aus Pappe ausschneiden und dann wie Bausteine nachbauen. Damit kann man im Prinzip genau das gleiche wie bei der Kugelfläche machen. Wenn Sie sich vorstellen, daß man durch diesen Raum jetzt parallele Geraden legt, dann würden die anschließend auch entsprechend aufeinander zulaufen.


Wie ein Klötzchenmodell für eine Gravitationswelle aussehen würde, zeigt das Poster. Die Klötzchenwände im gekrümmten Raum werden dabei zusammengedrückt und wieder auseinandergezogen.- Foto: © 2017 by Schattenblick

"Das gleiche würde für eine Gravitationswelle so aussehen", Corvin Zahn
Foto: © 2017 by Schattenblick

Das gleiche für eine Gravitationswelle würde so aussehen, wie in diesem Puzzle aus Klötzen, die eine Momentaufnahme einer Gravitationswelle darstellen. Wenn man zwei definierte Punkte hat, zum Beispiel zwei Staubteilchen im Weltall, und daran zieht eine Gravitationswelle vorbei, dann verschiebt sich ihr Abstand zueinander leicht, wie etwa diese Spiegel des Interferometers in dem LIGO-Observatorium. Würde man das als Zeitfolge in einem Film darstellen, dann kommt so eine Waber-Bewegung dabei heraus.

SB: Was ist der Vorteil des Klötzchenmodells gegenüber Punkten? So eine Welle läßt sich doch eigentlich als Wabern in einer Teilchen- oder Staubwolke sehr viel besser vorstellen und entspricht auch mehr der Vorstellung von einem relativ leeren Weltraum.

CZ: Die Idee dabei ist, daß wir den Leuten, die an unseren Kursen teilnehmen, diese Modelle als Bastelbögen aus Pappe zum Nachbauen in die Hand geben können. Das läßt sich gut ausschneiden, aufkleben, und zusammenkleben und gerade in der kurz bemessenen Zeit eines solchen Lehrgangs gut bewerkstelligen. Die Veranstaltungen, die wir anbieten, dauern in der Regel nicht länger als einen Nachmittag. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß man, wenn man sich dafür tatsächlich einige Stunden Zeit nimmt und sich darauf konzentriert, anhand dieser Bastelmodelle wirklich verstehen kann, was es bedeutet, daß die Raumzeit gekrümmt ist. Der Vorteil dabei ist, daß ich überhaupt nicht rechnen muß, sondern quasi alles mit einem Lineal nachvollziehen kann.

Zum Beispiel können Sie im unteren Abschnitt des Posters die gleiche Welle noch einmal verdeutlicht in einem Raumzeitdiagramm dargestellt sehen. Ist Ihnen das ein Begriff?

SB: Ich hätte eigentlich unter dem Ausdruck ein Koordinatensystem erwartet. Diese Art der Darstellung ist neu für mich.

CZ: Vielleicht kennen Sie diese typischen s-t-Diagramme aus der Physik, in denen auf der x-Koordinate der Weg und auf der anderen y-Koordinate die Zeit abgetragen wird. Bei der Relativitätstheorie ist es üblich, daß man die Zeit nach oben aufträgt und den Raum nach rechts. In der zweiten Abbildung sind zum Beispiel drei ruhende Steine abgebildet. Wenn man die jetzt fallen läßt, wie im dritten Bild, dann laufen sie auf geraden Linien wie auf Geodäten.

Nach der Relativitätstheorie laufen freie Teilchen auf einer Geraden. Wenn ich also ein Lineal ansetze, würde das einfach geradlinig weiterlaufen, ohne daß ich etwas rechnen müßte. Gleichzeitig entspricht das einer Zerlegung der Raumzeit. Also die rechte Kante der zweiten Kästchenreihe ist eigentlich identisch mit der linken Kante der ersten. Denn in Wirklichkeit bilden die Kanten ja zusammen eine Einheit. Das wurde hier willkürlich aufgeteilt. Ich kann also die Abstände mit einem Lineal nachmessen und die Lücken in der Grafik einfach überspringen, und daraus dann ablesen, daß die Teilchen frei und unbeschleunigt fallen und dennoch ihren Abstand zueinander ändern, weil der Raum zwischendurch seine Geometrie ändert. Mit diesen Diagrammen lassen sich praktische Beispiele - etwa was in dem LIGO-Detektor schlußendlich wackelt - sehr nachvollziehbar illustrieren. Weil man es in dieser Darstellung sehen kann.

SB: Was normalerweise kompliziert mathematisch zu errechnen wäre, würde man auf diese Weise grafisch darstellen?

CZ: Ja, wenn man sagt: 'Ich nehme an, die Beschreibung der Raumzeit ist durch diese Sektoren richtig.' Die Mathematik für die Raumzeit und die meisten Gleichungen aus Einsteins Relativitätstheorie sind für die Schule zu kompliziert. Selbst für das Grundstudium ist es noch zuviel. Man muß eigentlich erstmal ein halbes Jahr oder ein Jahr Differentialgeometrie studieren, um die Mathematik dazu in den Griff zu bekommen.

SB: Gestern wurde im Vortrag von Prof. Albrecht Giese gesagt, daß ohnehin nur ungefähr zehn Leute in der Welt in der Lage wären, mit der Raumzeit zu rechnen und man nach Lorentz sehr viel einfacher auf die gleichen Ergebnisse kommen könnte. Warum ist das so kompliziert?

CZ: Da hat der Herr Giese ein bißchen übertrieben. Sehen Sie, an dem LIGO-Observatorium wurde ungefähr vierzig Jahre lang gebaut und gearbeitet, um die Voraussetzungen für eine Messung zu schaffen. Wenn schließlich ein Ergebnis veröffentlicht wird, in dem die Messung von Gravitationswellen, wie vorhergesagt, schlußendlich bestätigt werden kann wie im vergangenen Jahr, nennt man zu Beginn der Studie alle Autoren, die an dem wissenschaftlichen Gesamtwerk beteiligt waren. Raten Sie mal, wie viele Autoren am Anfang auf diesem Paper stehen? Tausend Autoren. Das heißt, mindestens tausend Leute sind an dieser Kooperationen beteiligt gewesen. Diese stammen aus 75 Institutionen, verteilt über die ganze Welt. Eine Milliarde Dollar wurden in dieses wirklich große Experiment investiert. Und die beteiligten Wissenschaftler verstehen durchaus, was sie tun. Das heißt, sie können mathematisch mit der Raumzeit umgehen. Und das sind nur die Wissenschaftler, die am LIGO Projekt gearbeitet haben. Wenn Sie alle zusammenführen, die die Raumzeit verstehen, dann kommen Sie auf Hundertausende oder sogar Millionen, die damit wirklich rechnen können.

SB: Ist es dann überhaupt noch nötig, mit noch anschaulicheren Modellen einen leichteren Einstieg in das anspruchsvolle Fachgebiet zu bieten?

CZ: Der Vorteil von diesem Modell ist, daß es sich um keine Analogie handelt, sondern man kann sagen, das ist die Wirklichkeit. Wenn Sie die Längen hier ausrechnen, dann sind sie maßstabsgerecht exakt aus den Einsteinschen Originalgleichungen ausgerechnet. Diese Modelle erlauben somit den nahtlosen Anschluß an die mathematische Formulierung. Das heißt, jemand, der auf diese Weise in das Thema einsteigt, muß das nicht irgendwann wieder vergessen und das "Richtige" lernen, weil es nur eine Analogie oder ein Spielzeug ist. Sondern er kann weiter mit diesem Modell arbeiten.

Die Gravitation wird durch die gekrümmte Raumzeit und die Bewegung in der Gravitation wird durch geradlinige Linien beschrieben. Das ist ganz einfach. Wenn man es in einem Koordinatensystem beschreiben will, wird die Rechnung kompliziert. Hier benötigt man nur ein Lineal und gezogene Linien, um zu zeigen, wie sich ein Teilchen durch den Raum bewegt. Von daher sind wir davon überzeugt, daß man mit diesem Modell sehr gut die notwendigen Grundlagen vermitteln kann, ohne daß man Kompromisse im Hinblick auf eine Analogie machen müßte.

Wir haben auch schon Analogmodelle für Gravitationswellen für die Kurse in unserem Schülerlabor an der Uni Hildesheim genutzt. [4] Zum Beispiel sind diese Gummitücher, in die man Kugeln hineinlegt, zunächst auch recht anschaulich. Daran wird von außen gezogen, um damit mehr oder weniger den Abstand zwischen den Kugeln zu verändern. Man will damit den zeitlichen Verlauf der Teilchenanordnung nachstellen. Das ist aber genaugenommen ist das ein bißchen falsch.


Jugendliche halten ein elastisches Tuch, auf das größere, farbig unterscheidbare Punkte gemalt wurden. Wird das Tuch gedehnt, verändern sich die Abstände zwischen den Punkten. -Quelle: © 2016 Ute Kraus und Corvin Zahn, mit freundlicher Genehmigung [4]

"Analogmodelle sind anschaulich, aber oft ein bißchen falsch", Corvin Zahn
Quelle: © 2016 Ute Kraus und Corvin Zahn, mit freundlicher Genehmigung [4]

Aber wir setzen solche Unterrichtsmaterialien durchaus ein. Zu uns kommen auch Schulklassen, mit denen wir Kurse machen, in denen wir im Prinzip den Standard vermitteln. Da ist wissenschaftlich nichts Großartiges dabei. Es ist eher so, daß wir versuchen, etwas so gut darzustellen und in die Schule zu bringen, woran sich die Lehrer gewöhnlich schwer tun - die Einsteinsche Theorie klassischerweise. Lehrerfortbildung gehört auch einmal im Jahr zu unserem Programm. Und das Material wird von den Leuten sehr gut angenommen. Es kommen auch Studenten, die Realschullehrer werden wollen. Das sind alles keine "Überfliegerphysiker". Die wollen auch nicht in erster Linie Physik verstehen, sondern halt Realschullehrer werden. Das Material, das Sie hier auf dem Poster sehen, bieten wir jetzt zum ersten Mal in Semester im Kurs Relativitätstheorie an, und verwenden es auch selbst im Unterricht. Wir haben das Gefühl, daß am Ende tatsächlich alle ein Verständnis für das Thema und die Grundlagen entwickeln, ohne daß sie die Mathematik lernen müssen. Denn dafür würde auch die Zeit in den Kursen gar nicht reichen.

SB: Braucht man die Zeit allein, um in die Mathematik einzusteigen, oder für die langwierigen Berechnungen? Benötigt man nicht eigentlich spezielle Großrechner, um die Gleichungen überhaupt lösen zu können?

CZ: Das kommt darauf an, was Sie machen wollen. Es gibt verschiedene Ansätze. Wenn Sie nur die Grundlagen untersuchen wollen, dann kann man analytisch auch schon einiges von Hand auf Papier rechnen. Das Problem bei diesen Gleichungen ist, daß sie - mathematisch ausgedrückt - nicht linear sind. Das bedeutet, daß man nicht verschiedene Effekte einfach überlagern und zusammenzählen kann. Alles beeinflußt sich gegenseitig. Das macht das Rechnen kompliziert. So daß man dann schon Supercomputer braucht, die zum Beispiel die Kollision von zwei Schwarzen Löchern aus den Meßergebnissen ableiten können.

SB: Wie schnell bekäme man dann ein Ergebnis?

CZ: Die Supercomputer, die dafür eingesetzt werden, rechnen oft monatelang.

SB: Waren deshalb 75 Institute an dem LIGO-Projekt beteiligt, um den Rechenaufwand aufzuteilen?

CZ: Einmal wurden Aufgaben aufgeteilt, doch es gibt auch verschiedene Aspekte. Der experimentelle Aufwand ist bei dem LIGO Projekt sehr hoch. Zum Beispiel haben auch Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik, die mit GEO600 südlich von Hannover selbst einen kleinen Gravitationswellendetektor betreiben, der als Technologieentwicklungsdetektor benutzt wird, viele optische Instrumente dafür entwickelt. Sämtliche Spiegel, Spiegelbeschichtungen, Reinräume und auch die Lasertechnik werden dort angefertigt. Das sind Spezialisten, die können gut Optik. Andere Institute machen dann wieder die Spiegelaufhängung, um zu gewährleisten, daß die möglichst wenig Wechselwirkung mit der Umgebung haben. In Hannover können sie mit ihren Detektoren tatsächlich die Wellen von der Nordsee messen. Nordseewellen bewegen die Erde insgesamt so, daß man sie in dem Interferometer nachweisen kann. So empfindlich sind diese Instrumente. Wenn draußen ein Traktor vorbeifährt, müssen sie kurz pausieren mit dem Messen, weil das einfach zu viele Störungen verursacht.

SB: Da fragt man sich natürlich sofort, wie man denn ausschließen kann, daß es bei den sensationellen Messungen 2015 nicht doch ein Traktor oder ein hustender Floh war?

CZ: Um solche Störungen auszuschließen, benutzt man für die Beobachtungen in den USA zwei Detektoren, die 3.000 Kilometer voneinander entfernt sind. Das heißt, nur ein Signal, das beide Detektoren gleichzeitig messen, wird überhaupt ernst genommen. Wenn ein Traktor an der einen Seite vorbeifährt, dann mißt man das auf der anderen Seite nicht. Das kann man unterscheiden. Das Signal, auf dem der erste Gravitationswellen-Nachweis beruht, war demzufolge ein Wellenzug, der exakt zur gleichen Zeit in beiden Detektoren gemessen worden ist. Das heißt, er muß von außen gekommen und kann nicht auf der Erde entstanden sein, sonst hätte man unterschiedliche Messungen erhalten. Das LIGO arbeitet schon sehr genau. Man könnte sagen, es ist total verwanzt mit Detektoren, Seismographen und was es sonst noch an Meßgerätschaften gibt. Wenn irgendwo eine kleine Störung auftritt, dann wird sie auch registriert. Die Messung wurde im September gemacht und bis das Ergebnis ein halbes Jahr später veröffentlicht wurde, hat man es auf sämtliche Fehlerquellen überprüft, und wir sind uns ganz sicher, daß es tatsächlich die erste echte Gravitationswelle ist, die gemessen wurde.

SB: Vielen Dank Herr Dr. Zahn für den ausführlichen Einblick in Ihre Arbeit.


Anmerkungen:

[1] http://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/

[2] Siehe auch Interview mit Diplomphysiker Thomas Reiber:
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/report/nrin0025.html

[3] Der Durchmessereines freien Protons beträgt etwa 1,7 x 10?15m, also 1,7 Femtometer (fm). 1 Femtometer ist 10 ?12?15 Millimeter

[4] Weitere Experimente und Modelle für Schüler der Schulstufen 9 bis 13 zum Thema stellen Ute Kraus und Corvin Zahn in ihrer Ausarbeitung: "Gravitationswellen: Modelle und Experimente zu Signalformen, Wirkungen und Detektion" vor, die auf Ihrer Webseite zum Download verfügbar ist:
http://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/gwave16/gwave16_de_w.pdf


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT zur DPG-Frühjahrstagung in Bremen erschienen:

BERICHT/004: Die DPG stellt vor - Verantwortung der Wissenschaft ... (SB)
BERICHT/005: Die DPG stellt vor - Endlichkeit nicht vorgesehen ... (SB)
BERICHT/006: Die DPG stellt vor - Weltraumgravitationsforschung in spe ... (SB)

INTERVIEW/009: Die DPG stellt vor - unzureichend treibt voran ...    Prof. Dr. Claus Lämmerzahl im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Die DPG stellt vor - Schwingungen und Perspektiven ...    Prof. Dr. Klaus Fredenhagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 1) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Die DPG stellt vor - das Mögliche auch nutzen ...    Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Die DPG stellt vor - die Maßstäbe prüfen ...    Martina Gebbe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Die DPG stellt vor - unbekannten Emissionen auf der Spur ...    Dr. Stefan Schmitt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Die DPG stellt vor - Zusammenschau ...    Dr. Irena Doicescu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Die DPG stellt vor - Vermächtnis der Vergleiche ...    Dipl. Ing. Stefanie Bremer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 2) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Die DPG stellt vor - die Sonne im Blick ...    Prof. Dr. Katja Matthes im Gespräch (SB)
INTERVIEW/019: Die DPG stellt vor - Wissenschafts- und Selbsterkenntnis ...    Prof. Dr. Hardi Peter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/020: Die DPG stellt vor - Ursuppe der Forschung ...    Dr. Ralf König im Gespräch (SB)
INTERVIEW/021: Die DPG stellt vor - bis zum letzten Augenblick ...    Dr. Rolf König im Gespräch (SB)
INTERVIEW/022: Die DPG stellt vor - Ozon und sein doppeltes Gesicht...    Prof. Dr. Markus Rex im Gespräch (SB)
INTERVIEW/023: Die DPG stellt vor - selbstredend ...    Prof. Dr.-Ing. Klaus Hofer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/024: Die DPG stellt vor - im Spiegel der Grenzen ...    Dr. Miriam Sinnhuber im Gespräch (SB)
INTERVIEW/025: Die DPG stellt vor - Schwarze Löcher nachzuweisen ...    Dipl.-Phys. Thomas Reiber im Gespräch (SB)

15. Mai 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang