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ENERGIE/1321: Nutzen statt wegwerfen (idw)


Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt - 27.07.2015

Nutzen statt wegwerfen


Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Energiewende» NFP 70 unterstützt der Schweizerische Nationalfonds (SNF) das interdisziplinäre Forschungsprojekt «THRIVE». Unter der Leitung von IBM Research - Zürich und der Hochschule für Technik Rapperswil entwickeln Wissenschaftler der Empa, der ETH Zürich, der HEIG-VD und des PSI gemeinsam mit Industriepartnern bis 2017 eine mit Abwärme angetriebenen Wärmepumpe. Diese Technologie benötigt im Vergleich zu heutigen Kompressionswärmepumpen nur wenig Strom und kann zudem Abwärme effizient zur Klimatisierung von Gebäuden nutzen.


Gemäss einer vom Bundesamt für Energie (BFE) in Auftrag gegebenen Studie entfallen rund die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs der Schweiz auf die Wärmeerzeugung, etwa zum Heizen oder für zahlreiche technische Verfahren wie Trocknen, Schmieden oder Schmelzen. Der dafür benötigte Energiebedarf wird heute überwiegend durch fossile Energieträger gedeckt. Die dabei entstehende Abwärme wird meist ungenutzt an die Umgebung abgegeben. Betrachtet man den Gesamtstromverbrauch, entfallen davon immer noch annähernd 40% auf die Erzeugung von Wärme und Kälte. Die Energiestrategie 2050 sieht den Ausstieg aus der Kernenergie, die heute 40% des Schweizer Stroms liefert, sowie eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen vor. Dieses Ziel erfordert zwingend, vorhandene Energieressourcen effizienter zu nutzen und den Stromverbrauch nachhaltig zu senken.

Um dies zu ermöglichen, erforschen Wissenschaftler im «THRIVE»-Projekt («Thermally driven adsorption heat pumps for substitution of electricity and fossil fuels») neuartige so genannte Adsorptionswärmepumpen. Da für ihren Antrieb Wärme statt Strom verwendet wird, könnte die Technologie einerseits das Stromnetz entlasten, andererseits die Abwärme von z.B. Fabriken, Kraftwerken und Rechenzentren oder erneuerbaren Quellen wie Solarthermie, Geothermie und Biomasse nutzbar machen. «Abwärme wird bisher viel zu wenig genutzt, da einerseits die technischen Möglichkeiten für eine ökologisch wie ökonomisch sinnvolle Verwendung und andererseits die Notwendigkeit fehlten,» sagt Bruno Michel, Manager der Gruppe «Advanced Micro Integration» am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon und einer der Projektleiter. «Durch den grossflächigen Einsatz von Adsorptionswärmepumpen, wie wir sie im «THRIVE»-Projekt entwickeln wollen, wäre theoretisch bis 2040 eine Reduktion des Strombedarfs für Heiz- und Kühlzwecke um bis zu 65% und des Verbrauchs fossiler Brennstoffe zur Wärmeerzeugung um bis zu 18% möglich.» Dies entspräche einer Einsparung von rund 1.8 Millionen Tonnen CO2.

Wärmepumpen dienen heute meist dazu, Umweltwärme, die eine Temperatur zwischen -5 und 15°C aufweist, in Heizwärme für Räume oder Prozesse aufzuwerten. Traditionelle Wärmepumpen entziehen der Umgebung Wärme, beispielsweise aus dem Erdreich oder der Luft, um ein Kältemittel in einem Verdampfer zu verdampfen. Der entstandene Dampf steigt in einen elektrisch betriebenen Kompressor, der ihn verdichtet und dadurch erhitzt. Im anschliessenden Kondensator verflüssigt sich der Dampf wieder und gibt die Wärme an einen Heizkreislauf ab. Mit diesem Prozess kann sowohl Wärme für die Klimatisierung von Räumen als auch Kälte wie in einem Kühlschrank produziert werden.


Statt mit Strom mit Wärme betrieben

Die thermisch betriebene Adsorptionswärmepumpe funktioniert ähnlich. Der grosse Unterschied ist, dass sich anstelle des Kompressors ein Adsorptionswärmetauscher befindet, der anstatt Elektrizität Wärme bei einer Temperatur ab 60°C als Antriebsenergie nutzt. Während des so genannten Adsorptionsprozesses werden von dem Adsorptionswärmetauscher erhebliche Mengen Dampf aus dem Verdampfer aufgenommen (adsorbiert) und dabei im Inneren des Wärmetauschers verdichtet, wodurch Wärme freigesetzt wird. Über die Zufuhr der Antriebswärme von einer äusseren Quelle wird das zuvor adsorbierte Kältemittel wieder aus dem Adsorptionswärmetauscher ausgetrieben (desorbiert). Der dadurch freigesetzte heisse Dampf wird im Kondensator wieder verflüssigt und die entsprechende Kondensationswärme an den Heizkreislauf abgegeben. Auch die Adsorptionswärmepumpe kann sowohl heizen als auch kühlen. Da die Kälte- bzw. Wärmeerzeugung diskontinuierlich erfolgt, sind mindestens zwei parallel arbeitende Adsorptionswärmetauscher für den unterbuchsfreien Betrieb notwendig. Durch ihren geringen Stromverbrauch erreichen Adsorptionswärmepumpen im Vergleich zu herkömmlichen Wärmepumpen ein Mehrfaches der erzeugten Kälte- bzw. Wärmeleistung im Verhältnis zur eingesetzten elektrischen Leistung.

Ausserdem kann als Kältemittel reines Wasser anstelle von zum Teil wenig umweltfreundlichen Kältemitteln genutzt werden. Ein weiterer Vorteil der Technologie ist, dass erneuerbare Wärmequellen verwendet werden können, zum Beispiel solarthermische Anlagen, die typischerweise Temperaturen von bis zu 90°C erzeugen.


Mit einem Rechenzentrum Gebäude heizen und kühlen

Durch die Wärmenutzung eignet sich die Adsorptionswärmepumpe für viele interessante Anwendungen, in denen herkömmliche Wärmepumpen nicht sinnvoll sind. Sie könnte zum Beispiel die Abwärme aus zukünftigen aktiv gekühlten konzentrierten Photovoltaikanlagen oder heisswassergekühlten Rechenzentren nutzen, um Büro- und Wohngebäude zu klimatisieren. Das Aquasar-Computersystem, das von IBM Forschern in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich entwickelt wurde, ist ein Vorreiter für die Heisswasserkühlung von Computersystemen, die nicht nur den Energiebedarf für die Kühlung in Rechenzentren massiv senkt, sondern auch eine Abwärmenutzung ermöglicht.

Für die IBM Forscher ist «THRIVE» der nächste Schritt, um dies Realität werden zu lassen. Rechenzentren könnten sich dann mit der eigenen Abwärme praktisch selber kühlen. «Wir haben im «THRIVE»-Projekt eine einzigartige Möglichkeit, neueste Erkenntnisse aus den Materialwissenschaften, der technologischen Optimierung von Wärmeübertragern und der Zusammenführung von System- und Anlagentechnik aus verschiedenen Disziplinen zu verbinden,» sagt Elimar Frank von der Hochschule für Technik Rapperswil und Ko-Leiter des «THRIVE»-Projektes.


Interdisziplinäre Forschung

In THRIVE analysieren die Wissenschaftler und Industriepartner Einsatzmöglichkeiten und Marktbedingungen von Adsorptionswärmepumpen in der Schweiz und entwickeln die nötigen System- und Materialtechnologien für zukünftige Adsorptionswärmepumpen. Wissenschaftler der Abteilung «Building Energy Materials and Components» der Empa, des Departments für Materialwissenschaft der ETH Zürich und des Instituts für Solartechnik der Hochschule für Technik Rapperswil arbeiten zusammen mit den Materiallieferanten Zeochem und MOF Technologies sowie mit dem Hersteller ETS Energie-Technik-Systeme an der Entwicklung der Sorptionsmaterialien, Wärmetauschern und weiterer Komponenten einer kompakten Wärmepumpe mit einer Kapazität von 10 Kilowatt (kW) für Kühlung und 30 kW für Heizung. «Durch die Entwicklung neuartiger Adsorbermaterialien auf Kohlenstoff- und Silikatbasis lässt sich deren thermische Energiedichte wesentlich erhöhen, wodurch das System insgesamt deutlich effizienter und auch wirtschaftlicher wird,» erklärt Empa-Forscher Matthias Koebel.

Das «Laboratoire d'énergétique solaire et de physique du bâtiment» der «Haute Ecole d'Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud» (HEIG-VD) arbeitet zusammen mit den Unternehmen ewz und Danfoss sowie dem Verein InfraWatt an der Identifizierung von Anwendungsszenarien für thermisch angetriebene Wärmepumpen in der Schweiz. Die Technology Assessment Group des Paul Scherrer Instituts (PSI) führt eine Nachhaltigkeits- und Kostenbewertung der Adsorptionswärmepumpen-technologie durch und vergleicht diese mit herkömmlichen Technologien. Das Projekt steht weiteren Industriepartnern auf Material-, Konstruktions- und Systemebene offen zur Zusammenarbeit.

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Projekte der Empa:
Photovoltaik der nächsten Generation
Für hocheffiziente photovoltaische Bauteile kommen ultrareine Materialien mit optimierten elektronischen und optischen Eigenschaften zum Einsatz. Neben den «Licht einfangenden» Schichten beruht die Funktionsweise einer Solarzelle auch auf Schichten für die Ladungstrennung und das Aufsammeln der elektrischen Ladungen an den Elektroden. Um die Energiewandlungseffizienz der Zellen weiter zu steigern, möchte das Team um Frank Nüesch diese Zwischenschichten weiter optimieren.

Energiearmer Beton

Ziel des Projekts ist es, die graue Energie beim Betonbau deutlich zu reduzieren. Dabei geht es sowohl um die graue Energie einheimischer Baustoffe wie Zement als auch um die graue Energie von importierten Baustoffen wie Baustahl. Empa-Forscher unter der Leitung von Pietro Lura und Giovanni Terrasi arbeiten an einer Methode, den zurzeit üblichen Bewehrungsstahl durch vorgespannte Kohlenstofffasern zu ersetzen.

Erneuerbare Energieträger für die Stromerzeugung

«Power-to-gas» ist ein Konzept zur Umwandlung von Elektrizität in chemische Energieträger wie Methan, das aus erneuerbarem Wasserstoff (H2) und CO2 mit Hilfe eines Katalysators erzeugt wird. Das Projekt zielt auf das bei der Zementherstellung anfallende CO2 ab, das trotz Filterung immer noch hohe Konzentrationen an Schwefelverbindungen aufweist, die übliche Katalysatoren zerstören. Empa-Forscher um Andreas Borgschulte wollen nun Methanisierungsprozesse aus der Natur kopieren, die just derartige Schwefelverbindungen als Katalysator nutzen.


Literaturhinweis
Prognos AG, Infras AG, TEP Energy GmbH im Auftrag des Bundesamtes für Energie (BFE) Bern, Analyse des schweizerischen Energieverbrauchs 2000 - 2012 nach Verwendungszwecken (2013)
http://www.bfe.admin.ch/themen/00526/00541/00542/02167/index.html?lang=de&dossier_id=02169
Weitere Informationen über das NFP 70: www.nfp70.ch

Weitere Informationen unter:
http://www.empa.ch/plugin/template/empa/3/160012//l=1

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1017

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt,
Cornelia Zogg, 27.07.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2015

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