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ENERGIE/1639: Kälte aus der Sonne (idw)


Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt - 25.06.2019

Kälte aus der Sonne


Kann man mit Abwärme kühlen? Klar doch. Ein Schweizer Forschungsprojekt mit Empa-Beteiligung, das im November erfolgreich endete, hat es eindrücklich demonstriert. Nun läuft ein grösseres EU-Projekt an: industrielles Kühlen - dank der spanischen Sonne.

Manchmal ist es unumgänglich, irgendetwas aufzuwärmen. Kartoffelsuppe oder Risotto, Tomatensugo oder Schokoladenpudding - ohne Hitze nicht machbar. Ein kleiner Teil der Wärme landet im Magen, der grosse Rest heizt dagegen (ungewollt) die Umgebung auf. Denken wir über die Küche hinaus, fallen uns die nächsten Abwärme-Verdächtigen ein: Der Laptop wird warm, noch mehr aber der Serverpark des Internetproviders. Wir duschen heiss und lassen das warme Wasser durch den Abfluss laufen, im Waschsalon um die Ecke geschieht genau das gleiche. Schliesslich gehen wir vor die Tür und starten unser Auto: Dessen Motor verwandelt mehr als drei Viertel der Energie, die im Benzin steckt, in Abwärme und nur den kleineren Teil in den gewünschten Vortrieb.

Bis jetzt ging all diese Wärmeenergie verloren. Doch das soll sich ändern. Ein Team aus europäischen Forschern beginnt nun damit, Abwärme «einzusammeln». Ein Team der Empa ist mit dabei.

Für Matthias Koebel begann das Interesse am Wärmesammeln mit dem Schweizer Forschungsprojekt THRIVE («Thermally driven adsorption heat pumps for substitution of electricity and fossil fuels»). Angestossen hatte das Projekt IBM Research Zurich. Das Forschungslabor in Rüschlikon stelle sich die einfache Frage: Lässt sich mit der gewaltigen Abwärme eines grossen Rechenzentrums etwas Sinnvolles anfangen? Reicht die Energie vielleicht, um genau dieses Rechenzentrum aktiv zu kühlen? Als Partner holten die IBM-Forscher eine Reihe von Schweizer Material- und Systemspezialisten an Bord: Die ETH Zürich, die Hochschule für Technik Rapperswil (HSR), die Waadtländer Ingenieurhochschule HEIG-VD, das Paul-Scherrer-Institut (PSI) - und die Empa. Ziel war es, eine Adsorptionswärmepumpe zu entwickeln, die Abwärme in Kühlleistung verwandelt.

Adsorptionswärmepumpen nutzen Hitze, um Kühlleistung zu erzeugen. In der Kühlzone der Anlage verdunstet Wasser und sorgt für Kühlung. Der Wasserdampf wird in der warmen Zone der Anlage von einem Absorbermaterial aufgefangen. Wenn das Absorbermaterial gesättigt ist, wird es durch Hitze von aussen wieder getrocknet und steht für einen weiteren Kühlzyklus zur Verfügung.

Prototyp der Kühlanlage

Im November 2018, nach 47 Monaten Arbeit, endete das Forschungsprojekt erfolgreich. Im Rahmen von THRIVE hatten die HSR-Forscher zunächst eine Forschungswärmepumpe mit einer Leistung von 1 kW (Kilowatt) und später einen Prototyp einer Adsorptionswärmepumpe mit zehnmal grösserer Leistung erstellt. Diese Leistung würde ausreichen, um ein Einfamilienhaus in Südeuropa im Sommer zu klimatisieren.

Adsorptionswärmepumpen sind jedoch nicht nur für die Kühlung einzelner Häuser oder Serverparks nützlich, sondern könnten auch die Effizienz von Fernwärmenetzen verbessern, errechneten Forscher der HEIG-VD. Würde man sie künftig für die stationäre Wärmeversorgung einsetzen, ergäbe das schweizweit eine Energieersparnis von vier bis neun Prozent, im Bereich der Industrieabwärme noch weitere drei bis sechs Prozent, kalkulierten Forscher des PSI. Koebels Team gelang es, ein neues Absorptionsmaterial zu entwickeln. Die Kühlleistung des neuen Mittels ist mehr als dreimal grösser als die des Ausgangsmaterials zu Beginn des Projekts.

Nun möchte der Empa-Forscher auf diesem neu entwickelten Material aufbauen. «Wir haben einen porösen Kohlenstoffschwamm entwickelt, der dank seiner Mikroporen extrem viel Wasser aufnehmen kann und sich daher sehr gut für Adsorptionswärmepumpen eignet», erläutert Koebel. Das Material wird mittels Pyrolyse aus einem Kunstharz hergestellt. «Mit dieser Methode sind wir in der Lage, das Material auf den gewünschten Einsatzzweck masszuschneidern.»

Anpassbar an jeden Zweck

Dadurch lassen sich Adsorptionswärmepumpen künftig an verschiedene Aufgaben anpassen. So liefert etwa eine Holzpelletheizung höhere Temperaturen als der Abwärmestrom einer Grossküche. Um die vorhandene Wärme möglichst effizient in Kühlleistung umzuwandeln, muss das Absorbermaterial der Wärmepumpe spezifisch auf die Wärmequelle und das erwünschte Kälteniveau abgestimmt werden. «Wir definieren das passende Material zuerst anhand von Materialparametern und stellen es dann her», so Koebel.

Mit dieser Expertise ist das Empa-Team nun an einem neuen EU-Forschungsprojekt namens «HyCool» beteiligt, das im Mai 2018 startete und drei Jahre lang laufen wird. Das Ziel: Der Aromahersteller Givaudan und der spanische Lebensmittelproduzent Bo de Debò möchten den Kühlbedarf ihrer Produktionsanlagen so weit als möglich mit Hilfe von Abwärme und Solarenergie decken. Dazu wird die Adsorptionswärmepumpe mit einer herkömmlichen Wärmepumpe kombiniert. Es entsteht eine sogenannte Hybrid-Wärmepumpe, die zwar zusätzlich Strom verbraucht, dafür aber extrem flexibel ist.

Solarkühlung für spanische Fertiggerichte

Die notwendige Wärme für die Kühlung soll auf dem Dach einer spanischen Fabrik bei Barcelona solar erzeugt werden: Ein 400 Quadratmeter grosses Feld von Spiegeln bündelt Sonnenlicht auf ein Rohr. In diesem Rohr wird Wasserdampf erzeugt, der über die Adsorptionswärmepumpe die nötige Kühlleistung erbringt. Auf dem gleichen Weg erhält die Fabrik Prozesswärme von bis zu 180 Grad Celsius und Wärme von bis zu 65 Grad Celsius für die Heisswasserversorgung und die Heizung der Fabrikhallen im Winter.

Auch in Zukunft wird es notwendig sein, Dinge aufzuwärmen. Doch wir werden lernen müssen, sehr viel sorgsamer mit der erzeugten Abwärme umzugehen. Fossile Brennstoffe einsparen heisst auch: Energieverschwendung vermeiden, indem man Abwärme auf industriellem Niveau besser nutzt.



Weitere Informationen unter:
https://www.empa.ch/web/s604/kalte-aus-der-sonne
https://hycool-project.eu/project/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1017

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, 25.06.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2019

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