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ENERGIE/584: Die geothermische Revolution (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - September 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Die geothermische Revolution


Sauber, erneuerbar, beständig und weitverbreitet auf unserer Erde: Schon jetzt wird geothermische Energie in zahlreichen Heiz- und Elektrizitätskraftwerken genutzt. Forscher sind derzeit dabei, neue Techniken zu entwickeln, mit denen die Nutzung der Geothermie in einer weitaus größeren geografischen Zone ermöglicht werden soll. Ein Besuch in der Pilotanlage von Soultz-sous-Forêts im Elsass.


Auf den ersten Blick gibt es in Soultz-sous-Forêts nichts Besonderes: Ein typisches kleines Dorf im Elsass an der deutsch-französischen Grenze, dessen idyllische Atmosphäre kaum die Aufregung ahnen lässt, die auf einem nahe gelegenen Hügel herrscht. Seit 20 Jahren ist hier nämlich ein ambitioniertes Forschungsprojekt im Gange. Das Ziel? Die Errichtung der allerersten Anlage zur Stromerzeugung aus Geothermie mithilfe des Enhanced Geothermal System - EGS (Stimuliertes geothermisches System). Hierbei handelt es sich um ein revolutionäres Konzept, das in den 1970er Jahren in den USA entworfen wurde und mit dessen Hilfe die Erdwärme aus Tiefen gewonnen werden kann, die zuvor unerreichbar schienen.

Ingenieure, Geologen, Geophysiker, Seismologen, Staplerfahrer, Kranführer, Elektromechaniker. Der "harte Kern" des Soultz-Projektteams besteht zwar lediglich aus 15 ständigen Mitarbeitern, doch auf der Anlage sind noch viele andere Experten aus den verschiedensten Fachbereichen und in unterschiedlichster Zusammensetzung anzutreffen. Seit Januar 2008, als mit der Errichtung der oberirdischen Anlagen begonnen wurde, die zur Umwandlung der Erdwärme in elektrische Energie notwendig sind, wird sogar noch intensiver gearbeitet. Ende Mai kann das Projekt endlich die Früchte aus 20 Jahren beharrlicher Forschung ernten. Denn jetzt produziert diese neuartige Geothermieanlage, die einer europäischen Zusammenarbeit entsprungen ist und über öffentliche und private Gelder finanziert wurde, ihre ersten Kilowattstunden Strom. Eine großartige Weltpremiere!


Erkundung einer wenig bekannten Umgebung

Das Konzept der Geothermie, also der Gewinnung von unterirdischer Wärme, die hauptsächlich durch den Zerfall radioaktiver Elemente im Gestein des Erdmantels entsteht, ist an sich nichts Neues. Diese Entwicklung geht seit der Erdölkrise in den 1970er Jahren noch schneller voran. Schon jetzt erzeugen viele Geothermieanlagen auf der ganzen Erde elektrischen Strom oder speisen ihre Energie in Fernwärmenetze. Allerdings unterscheiden sie sich in einem grundlegenden Punkt von der Soultz-Anlage: nämlich hinsichtlich des Grundwassers. Bei den bisherigen Anlagen kommt eine einfachere Technik (1) zum Einsatz: Das warme Wasser eines Aquifers wird an die Oberfläche gepumpt, um es in ein Wärmenetz einzuspeisen oder um Turbinen anzutreiben, die dann elektrischen Strom erzeugen.

Die Einzigartigkeit des in Soultz entwickelten Konzepts besteht genau darin, dass man auf hydrogeologische Ressourcen vor Ort verzichten kann. Denn das Wasser wird von der Oberfläche aus in die natürlichen Spalten kristallinen Gesteins eingeleitet, das sich in einer Tiefe befindet, aus der man eine ausreichende Wärmemenge zur weiteren Nutzung gewinnen kann. In der geografischen Zone der Oberrheinischen Tiefebene, dort, wo die Pilotanlage Soultz errichtet wurde, erforschen die Wissenschaftlern seit 20 Jahren die Eignung von Granit.

Albert Genter vom Bureau de Recherches Géologiques et Minières - BRGM (Büro für geologische und Bergwerksforschungen) (FR) ist Strukturgeologe. Wissenschaftlicher Koordinator für das Soultz-Projekt ist er erst seit September 2007, doch den Standort kennt er bereits viel länger: Er hat über den Granit von Soultz seine Dissertation geschrieben. "Die Feldversuche begannen im Jahre 1987 mit den Arbeiten für die Bohrung GPK1, mit deren Hilfe wir die ersten Kernbohrungen durchführen und, dank verschiedener Techniken zur akustischen Abbildung, die Eigenschaften der Spalten im Gestein bestimmen konnten", erklärt er mit Hinweis auf eine alte Bohrung, die sich genau neben den Büros der Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) "Wärmebergbau", der für das Projekt verantwortlichen Stelle, befindet.

"So haben wir ein genaueres Bild vom Untergrund erhalten. Die früheren, im Zuge von Erdölförderprogrammen gesammelten Daten haben nur sehr wenig Aufschluss über das unterhalb der Sedimentschichten liegende kristalline Gestein gegeben. Da es für den Abbau nicht interessant genug ist, konnte es nur selten die Aufmerksamkeit der Geologen auf sich ziehen. Aus diesen Daten konnten wir allerdings den für diese Region untypischen geothermischen Temperaturgradienten ermitteln: Der durch die zunehmende Tiefe bedingte Temperaturanstieg ist hier viel höher als anderswo."

"Die amerikanischen Forscher, auf die das EGS-Konzept ursprünglich zurückgeht, haben dieses Phänomen Hot-Dry-Rock-Geothermie genannt. Die Untersuchungen in Soultz haben allerdings gezeigt, dass der dortige Granit gar nicht trocken ist. Wir haben dort natürliches Wasser entdeckt, das zwar in kleinen, aber ausreichenden Mengen vorhanden ist, um es im Rahmen der Geothermieanlage zu nutzen. Dieser salzhaltige Aquifer diente dann als Speicherstätte, mit deren Hilfe das zum Zurückleiten bestimmte Wasser in die Spalten gepumpt werden konnte."

Wenn die Anlage aber nun ein Aquifer nutzt, ist dann nicht die Einzigartigkeit dieses Projekts gefährdet? "Keinesfalls", versichert Genter "Wir sind ganz einfach Opportunisten: Das Wasser wird in die Anlage gepumpt, dann aber in ein Spaltensystem eingeleitet, in dem zuvor so gut wie kein Wasser vorhanden war."


Gestein öffnen

Dank dieser Pionierforschung konnte ein Spaltennetz aufgespürt werden, das groß genug ist, um als System für die geothermische Zirkulation zu dienen. Das Wasser konnte allerdings nicht direkt in dieses Netz eingeleitet werden, da die Spalten im Granit durch natürliche Ablagerungen wie Kalkspat und sonstige kiesel-, ton- und eisenhaltige Ablagerungen blockiert waren. Vor Aufnahme der Zirkulationstests, mit denen die Systemeigenschaften geprüft werden sollten, musste zunächst die Umgebung bearbeitet werden, um sie nutzbar zu machen.

"Für die Aufweitung der Spalten und die Verbesserung der Verbindungen innerhalb des natürlichen Netzes mithilfe von Bohrungen haben wir zwei Techniken eingesetzt. Bei der klassischen Methode beziehungsweise der hydraulischen Stimulierung werden Tausende Kubikmeter Wasser mit recht hohem Durchsatz eingeleitet, um die Spalten im Gestein wieder zu öffnen. Das Problem dabei ist, dass mit dieser Technik Mini-Erdheben ausgelöst werden. Die meisten von ihnen waren zwar äußerst schwach, andere Jedoch hatten eine Stärke, die sogar zu spüren war (etwa Stärke 2 auf der Richterskala)."(2) Die hydraulische Stimulierung ist also eine sehr heikle Sache. 2006 endeten Versuche hierzu mit einem Erdbeben der Stärke 3,4, als Forscher in Basel an einem ähnlichen Projekt arbeiteten.

"Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet sind diese mikro-seismischen Phänomene ein positives Zeichen, weil damit die Effizienz der Stimulierung deutlich wird. Allerdings haben sich konkrete Probleme ergehen: Der Standort ist von zahlreichen Wohnhäusern umgeben, was selbstverständlich zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus hat die hydraulische Stimulierung nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt - die Vernetzung zwischen den Bohrungen blieb noch zu gering. Deshalb wollen wir die Stimulierung nun auf chemischem Wege erreichen. Es wurden schwache Säuren in Wasser gelöst und anschließend in den Untergrund geleitet, um die vorhandenen hydrothermischen Ablagerungen zu lösen."

Volltreffer! Die seit 2006 durchgeführten Zirkulationstests haben gezeigt, dass die Kombination aus chemischer und hydraulischer Stimulierung die Hydraulikleistung des Systems in ausreichendem Maße verbessern konnte. So konnte das Soultz-Projekt in einen höheren Gang schalten: mit dem Bau des Elektrizitätswerks.


Oberirdisch - unterirdisch

Etwa 1 km von den EWIV-Büros entfernt befindet sich auf einem kleinen Hügel der Kern von Soultz: der Ort, an dem in Zukunft das eigentliche Elektrizitätswerk stehen wird. Ein verworrenes Labyrinth aus Rohren und große Anlagen ringsherum: zwei rote Schlote, Abscheider und eine riesige grüne Plattform sowie der Kühler. "Die Abscheider dienen zur Trennung des flüssigen Wassers vom Dampf. Da das Bohrloch mehrere Monate geruht hatte, enthält das heraufgepumpte geothermische Wasser noch viele Gesteinspartikel, sodass es nicht in das Injektionsbohrloch zurückgeleitet werden kann. Durch diese Verunreinigungen können die Filter verstopfen und die Werksanlagen beschädigt werden."

"Der Kühler wird zur Verflüssigung des Isobutans benutzt. Dies ist das Übertragungsmedium, mit dem man die Wärme des geothermischen Wassers im Inneren der Wärmetauscher gewinnt, wodurch dann die Turbine des Werks angetrieben werden kann. Angesichts der Tatsache, dass es rings um den Standort keine ausreichend kalte Wasserquelle gibt, haben wir uns für ein Luftkühlsystem mit neun Ventilatoren entschieden."

Dem Kühler nachgeschaltet, ist die Turbine als Schlüsselelement des Werks im eigenen Gehäuse sorgfältig isoliert. Sie ist an einen Generator gekoppelt und kann auf diese Weise Strom erzeugen, der dann in das Stromnetz eingespeist wird. Der Wärmetauscher befindet sich gleich nebenan. Er besteht aus einem Geflecht von Zylindern und Rohren, in dem geothermisches Wasser und Isobutan zirkuliert.

Im Zentrum dieser oberirdischen Anlagen erhebt sich das Herz der Station, das geothermische Tripel in Form von drei Bohrlöchern, die bis in 5000 m Tiefe reichen. Dies sind die ältesten Anlagen des Standorts, um die sich alle Aufmerksamkeit der Forscher gedreht hatte, noch bevor die oberirdischen Werksanlagen hinzugekommen waren. Bei GPK3 handelt es sich um das Injektionsbohrloch, durch welches das Wasser in den Untergrund eingeleitet wird. Die Förderschächte GPK2 und GPK4 holen es wieder zurück an die Oberfläche und transportieren es als geothermisches Wasser in die oberirdischen Anlagen. An der Oberfläche sind die Bohrlochköpfe nur 6 m voneinander entfernt, in der Tiefe jedoch liegen zwischen den drei Bohrungen etwa 650 m.

"Auf diese Weise befindet sich das Wasser lange genug in den Spalten, um sich aufheizen zu können. Ursprünglich haben wir eine Tiefe angestrebt, in der wir 200°C erreicht hätten, also den Siedepunkt der verwendeten Übertragungsmedien. Aufgrund des Temperaturverlustes während des Aufstiegs hatte das zurückgepumpte Wasser allerdings nicht mehr als 170 bis 180°C. Glücklicherweise gibt es heutzutage organische Medien wie Isobutan, die sich durch Dualität auszeichnen und deren Siedepunkte geringer sind. Durch die Bohrarbeiten zu den drei Schächten haben wir außerdem herausgefunden, dass der geothermische Temperaturgradient nicht konstant ist. Je tiefer wir bohrten, desto langsamer stieg die Temperatur. Heute wissen wir, dass die optimale Tiefe zwischen 3000 und 3500 m liegt."


Bevorstehende Aufgaben

Neben den drei Bohrlöchern, die bereits für die Förderung der Erdwärme genutzt werden, wurden in Soultz zwei weitere Bohrungen angelegt. Die Bohrung GPK1 in 3600 m Tiefe wird für weitere Pionierforschungsarbeiten genutzt, viel wichtiger ist jedoch die Bohrung ESP1 in 2200 m Tiefe, die der Überwachung des Anlagenbetriebs dient. Sie ist mit unzähligen thermischen und hydraulischen Kollektoren ausgestattet. "Eigentlich sollte sie viel tiefer gehen. Bei den Bohrarbeiten ist aber eine horizontale Krümmung entstanden, sodass wir alles abgebrochen haben. Aus geothermischer Sicht war das eine Enttäuschung, aber aus geologischer Sicht eher ein Glücksfall. Mithilfe dieser Bohrung können wir vollständige Granitproben entnehmen und so die Struktur und Art des Gesteins viel genauer bestimmen. Die Proben aus den anderen Schächten lagen uns nur in Form von Gesteinsschutt vor, aus denen wir die ursprüngliche Zusammensetzung des Gesteins lediglich herleiten konnten."

ESP1 ist nicht die einzige Überwachungsmöglichkeit für Soultz. Seit Anfang der 1990er Jahre wurde rings um den Standort ein Schachtnetz zur seismischen Überwachung errichtet. Genau wie ESP1 waren auch diese 1500 m tiefen Bohrungen einst Erdölförderschächte, die nun im Rahmen der Untersuchungen eine neue Verwendung finden. "Die Daten dieser seismischen Stationen werden mit denen des Réseau National de Surveillance Sismique - RéNaSS - in Straßburg zusammengeführt."

Mit dem nutzbaren Spaltennetz, der Fertigstellung des Kraftwerks und den ersten erzeugten Kilowattstunden im Juni 2008 hat das Soultz-Projekt nun sein Hauptziel erreicht. Die noch bevorstehenden Aufgaben sind aber auch nicht zu unterschätzen. "Wir haben zwar schon zahlreiche Injektions- und Fördertests durchgeführt, aber letztere nie länger als einige Monate", erklärt Marion Schindler, Geophysikerin an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe - BGR - (DE) und Beauftragte für die Erfassung und Zentralisierung der hydraulischen und thermischen Daten der Anlage. "In den vergangenen Jahren wollten wir zahlreiche Daten zu Seismik, Temperatur, Druck und Qualität des geothermischen Wassers sammeln, und zwar mit dem Ziel, das langfristige Verhalten der Spalten zu ermitteln", berichtet sie voll Begeisterung weiter. "Das sind Informationen, die für ähnliche, schon jetzt im Aufbau befindliche Anlagen auf der ganzen Welt unentbehrlich sind, aber auch für die Anlagen, die noch in Planung sind."

J. V. R.


Anmerkungen
(1) Hier beziehen wir uns auf geothermische Hoch- und Niedrigtemperatursysteme.
(2) Zitate ohne Referenz sind von Albert Genter.

info
www.soultz.net


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 40-41: Die drei Bohrlöcher des Kraftwerks
GPK2 (rechts) ist mit einer langrohrigen Pumpe ausgestattet, deren Motor an der Oberfläche installiert ist und die Pumpe in 350m Tiefe. Um herauszufinden, welches System selbst unter den schwierigsten Bohrbedingungen am widerstandsfähigsten ist, wird eine elektrische Tauchpumpe ESP, bei der sich Motor und Pumpe im Bohrloch befinden, auf GPK4 getestet werden.

Abb. S. 41: Darstellung des Erdwärmeprinzips in Soultz.

Abb. S. 42: Prinzip der hydraulischen Spaltung.
Dies ist durch die Injektion von Druckwasser oder durch Entkalkung möglich. Durch das Wasser wird das Gestein längs der Risse leicht mitgeschwemmt (Abb. 2). Lässt der Druck nach, greift dieses nicht mehr genau ineinander und der für die Wasserzirkulation notwendige Raum entsteht (Abb. 3).


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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - September 2008, Seite 40 - 42
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2009