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ENERGIE/617: Heiße Filme - Wasser-Dampf-Strömungen vor der Kamera (idw)


Forschungszentrum Dresden - Rossendorf e.V. - 07.05.2009

Heiße Filme: Wasser-Dampf-Strömungen vor der Kamera

Das FZD auf der Jahrestagung Kerntechnik vom 12. - 14. Mai in Dresden


Das hat vorher noch niemand gesehen - Wasser-Dampf-Strömungen bei 50-fachem Normaldruck und einer Temperatur von 264 Grad! Solche Strömungen träten z.B. im Primärkreislauf von Druckwasser-Reaktoren auf, wenn es zu einem Leckstörfall käme. Für die Sicherheitsbewertung von Kernkraftwerken sind realitätsnahe Experimente zu möglichen Störfällen unverzichtbar. Im Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (FZD) können Wissenschaftler thermohydraulische Phänomene postulierter Störfälle bei hohem Druck und hohen Temperaturen simulieren und mit Hochgeschwindigkeitskameras beobachten.

Flüssigkeits-Gas-Strömungen haben zahlreiche Anwendungen in der Chemie-, Öl- und Energiewirtschaft. In kerntechnischen Anlagen ist die Kenntnis der Strömungsvorgänge besonders wichtig, um die Sicherheit der Anlagen bewerten zu können. So fließt zum Beispiel in einem Druckwasser-Reaktor im ersten Kreislauf normalerweise nur Wasser unter hohem Druck und bei Temperaturen um 300° C. Die im Reaktor in Form von Wärme freiwerdende Energie wird durch das Wasser aufgenommen und in einem Dampferzeuger an einen zweiten Kreislauf abgegeben, der die Turbinen mit Dampf versorgt. Käme es im ersten Kreislauf zu einem Leck, würde in diesem infolge des damit verbundenen Druckabfalls Dampf entstehen. Zahlreiche aktive und passive Maßnahmen sind vorgesehen, um in einem solchen Störfall das sichere Abschalten und Kühlen des Reaktorkerns zu gewährleisten.

Eine der Aufgaben des Instituts für Sicherheitsforschung im FZD ist es, Strömungsphänomene für Wasser-Dampf-Strömungen in Teilbereichen des nuklearen Kühlkreislaufs experimentell zu untersuchen und zu modellieren. Da solche Experimente aus Kostengründen nicht im Maßstab 1:1 durchgeführt werden können, sollen ausgefeilte Computersimulationen der Strömungsvorgänge helfen, die experimentellen Ergebnisse von skalierten Versuchsanlagen auf den realen Maßstab zu übertragen.

Für solche Experimente steht im FZD die TOPFLOW-Anlage zur Verfügung. TOPFLOW ist das Kürzel für "Transient twO-Phase FLOW" (transiente Zweiphasen-Strömung) und ist eine der großen Versuchsanlagen im Forschungszentrum. Die Anlage dient der experimentellen Untersuchung von Dampf-Wasser- und Luft-Wasser-Strömungen. Ein elektrischer Dampferzeuger mit einer Leistung von 4 Megawatt erlaubt die Erzeugung von bis zu 1,5 Kilogramm Dampf pro Sekunde bei 7 Megapascal, d.h. dem 70-fachen des normalen Luftdrucks.

Bisher war es unmöglich, Strömungen von Wasser und Dampf bei hohem Druck und hohen Temperaturen großflächig sichtbar zu machen, denn Anlagenkomponenten, die solchen Drücken standhalten müssen, sind üblicherweise aus massivem Stahl, sind also für Kameras undurchdringbar. Eine am FZD entwickelte Versuchstechnik erlaubt es, Experimente zu unterstellten Störfällen in Kernreaktoren in einer Druckkammer zu betreiben. In dieser Kammer stehen die eigentliche Versuchsstrecke und die Behälter-Atmosphäre im Druckausgleich, so dass die Konstruktionskomponenten des Versuchsaufbaus keinen hohen Druckdifferenzen ausgesetzt sind. Damit können die Wände der Komponenten mit großen Beobachtungsfenstern versehen werden, was den Einsatz von Hochgeschwindigkeits-Videokameras erlaubt. Die so gewonnenen Daten sind wegen ihrer hohen Orts- und Zeitauflösung einmalig und sind mittlerweile auch international begehrt. Partner in aller Welt haben mit dem FZD Kooperationsverträge geschlossen, um diese Daten zu nutzen. Vor allem werden die experimentellen Daten benötigt, um Strömungsberechnungsverfahren wie "Computational Fluid Dynamics (CFD) Codes" weiterzuentwickeln. Diese Programme dienen zur dreidimensionalen Strömungssimulation.

Videobeobachtungen sind dafür besonders wertvoll, weil sie Daten in hoher Zeit- und Ortsauflösung liefern. Deshalb werden sie schon lange z. B. zur Untersuchung von Luft-Wasser-Strömungen in Plexiglas-Kanälen bei Umgebungsdruck eingesetzt. Diese Experimentiertechnik ist aber nur mit Hilfe der aufwändigen Druckkammertechnik auf Wasser-Dampf-Strömungen unter hohem Druck übertragbar. Mit der am FZD nunmehr verfügbaren neuen Drucktank-Technologie können thermohydraulische Versuchsstände bis 7 Meter Länge und 2 Meter Höhe im Druckgleichgewicht betrieben werden.

Weltweit erstmalig wurden so im FZD komplexe Dampf-Wasser-Strömungen bei einem Druck bis zu 5 Megapascal großflächig (ca. 1 auf 1 Meter) mit einer Hochgeschwindigkeits-Videokamera beobachtet. Die Geometrie ist dabei an den so genannten Heißstrang eines deutschen Druckwasser-Reaktors angelehnt. So bezeichnet man jene große Rohrleitung, in der das heiße Kühlwasser vom Reaktor zum Dampferzeuger fließt. Dampf und Wasser strömen in dieser Leitung bei einem Störfall in entgegen gesetzten Richtungen und behindern sich gegenseitig. Der Dampfstrom begrenzt den maximal möglichen Wasserstrom, der in den Reaktorkern zurückfließt und zur Kühlung des Kerns beiträgt. Die genaue Kenntnis über diese Begrenzung des Wasserstroms ist für Sicherheitsanalysen entscheidend.

Die neuen Ergebnisse aus der Videobeobachtung von Dampf-Wasser-Strömungen unter Druck werden beispielsweise im Rahmen einer Kooperation mit dem Softwareentwickler ANSYS direkt in die Entwicklung eines der führenden Programme zur Strömungssimulation, dem Programm CFX, eingespeist. Die Daten bilden so eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung dieses Computerprogramms und können damit am Ende für die Auslegung, Optimierung und Sicherheitsanalyse von Kernkraftwerken und anderen technischen Anlagen genutzt werden. Erst wenn Computerprogramme die komplizierten Dampf-Wasser-Strömungen richtig berechnen können, wird man auf derart aufwendige Experimente verzichten können.

Diese und weitere Ergebnisse aus dem Programm "Nukleare Sicherheitsforschung" des FZD werden auf der Jahrestagung Kerntechnik 2009 vom 12. bis 14. Mai im Internationalen Kongresszentrum Dresden vorgestellt.


Information:
Das Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (FZD) hat das Ziel, strategisch und langfristig ausgerichtete Spitzenforschung in politisch und gesellschaftlich relevanten Forschungsthemen wie Energie, Gesundheit und Schlüsseltechnologien zu leisten. Folgende Fragestellungen stehen dabei im Mittelpunkt:
- Wie verhält sich Materie unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
- Wie können Tumorerkrankungen frühzeitig erkannt und wirksam behandelt werden?
- Wie schützt man Mensch und Umwelt vor technischen Risiken?
Diese Fragestellungen werden in strategischen Kooperationen mit Forschungs- und Industriepartnern bearbeitet. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Betrieb von sechs einmaligen Großgeräten, die auch externen Nutzern zur Verfügung stehen.

Das FZD wird von Bund und Land gefördert und beschäftigt rund 750 Personen. Bei der Auswahl neuer Mitarbeiter stehen Qualität und Internationalität an erster Stelle. Die Ausbildung von wissenschaftlichem und technischem Nachwuchs erfolgt auf hohem Niveau und in enger Zusammenarbeit mit den Hochschulen. Auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf achtet das FZD in besonderem Maße.

Weitere Informationen unter:
http://www.fzd.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution222


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungszentrum Dresden - Rossendorf e.V., Dr. Christine Bohnet,
07.05.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2009