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ENERGIE/994: Digitalisieren und sparen - Lichtkonzepte für Städte und Kommunen gefragt (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 136/Juni 2012
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Digitalisieren und sparen

Lichtkonzepte für Städte und Kommunen gefragt

von Nona Schulte-Römer



Aktuelle technologische Entwicklungen treiben die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung voran. Dabei zeichnen sich im Schatten des technischen Innovationsgeschehens gesellschaftspolitische Fragestellungen ab, die weit über funktionale Anforderungen wie Sicherheit oder gestalterische Ansprüche an Lichtfarbe und Leuchtendesign hinausgehen. Denn mit der Forderung nach "intelligenter" Steuerung und Lichtqualität steht auch zur Debatte, nach welchen Kriterien bewertet und auf welcher Basis vielfältige Interessen verhandelt oder vermittelt werden sollen.

"Die Digitalisierung der Beleuchtung schreitet voran", so warb die Messe Frankfurt für den Themenschwerpunkt der diesjährigen Light+Building, der Weltleitmesse für Beleuchtungstechnik. Auch Städte und Kommunen testen sogenannte "intelligente" Beleuchtung bereits in Pilotprojekten. Dort werden dann Straßenzüge oder Fußgängerwege so lange minimal beleuchtet, bis ein Fahrzeug oder Passant ein Sensorsignal auslöst, wodurch die Beleuchtung für kurze Zeit ihr volles Niveau erreicht. Die Bandbreite denkbarer Systemlösungen ist groß und reicht von Präsenzmeldern bis zu gekoppelten Beleuchtungs- und Energieinfrastrukturen, die Verkehrsaufkommen berücksichtigen oder Einspeisungen aus regenerativen Stromquellen zulassen. Energie zu sparen ist dabei stets ein vorrangiges Ziel.

In der Diskussion um die Zukunft öffentlicher Beleuchtung kommt der Licht emittierenden Diode, kurz LED, eine zentrale Rolle zu. Mit der Halbleiter-Beleuchtungstechnologie wird elektrisches Licht elektronisch. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Lichtquellen, in denen sich ein Gas entlädt oder ein Glühfaden Licht und Wärme abstrahlt, sind LED-Chips in komplexe elektronische Bauteile eingepasst. Für Lichtsteuerung und Systemlösungen eignen sich die Dioden deshalb besonders gut, weil sie stufenweise dimmbar sind und sich beliebig schnell an- und ausschalten lassen. Mit Gasentladungslampen, die ihr volles Helligkeitsniveau erst Minuten nach dem Einschalten erreichen, sind rasche Schaltfrequenzen dagegen nicht zu realisieren.

Angesichts der neuen Potenziale wird die öffentliche Beleuchtung, bisher Sache von Ingenieuren und Elektroinstallateuren, auch zum politischen Thema. So fördert die Europäische Kommission unter dem Dach ihrer "Digitalen Agenda für Europa" zukunftsorientierte Beleuchtungslösungen und hat mit dem Grünbuch "Lighting the Future" im Dezember 2011 eine breite öffentliche Debatte um künstliches Licht angestoßen. Erklärtes Ziel ist der verstärkte Einsatz von Halbleiter-Beleuchtungstechnologien, also LEDs und organischen Dioden (OLED), der nächsten Innovation am Lichtmarkt. Neelie Kroes, die Vize-Präsidentin der Kommission, bezeichnet den Ausbau von LED-Beleuchtung als Selbstverständlichkeit, denn die Innovation bringe dank eines geringen Energieverbrauchs "mehr Geld ins Portemonnaie und einen gesünderen Planeten". Damit verbindet die Agenda europäische Innovationspolitik mit Klimapolitik - und das im Einklang mit der europäischen Ökodesignrichtlinie, deren Effizienz-Mindestanforderungen an energiebetriebene Produkte das Aus nicht nur für Glühbirnen, sondern auch für Quecksilberdampf-Hochdrucklampen auf der Straße bedeuten.

Der so aufgebaute Handlungsdruck wird von nationalen und europäischen Förderprogrammen begleitet, etwa dem EU-Programm ESOLi (Energy Saving Outdoor Lighting). Dort verspricht man sich von der intelligenten Vernetzung einen um 64 Prozent gesenkten Stromverbrauch für die öffentliche Beleuchtung in der EU. Auch in Deutschland unterstützen Bundesministerien die kommunale Umrüstung veralteter Infrastrukturen auf LED-Technologie mit großzügigen Zuschüssen und im Rahmen von Wettbewerben.

Doch die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung ist trotz der politischen Unterstützung und der beeindruckenden Entwicklung im Bereich Halbleitertechnologie keine Selbstverständlichkeit. Abgesehen von Entwicklungsbedarf bei der Sensortechnik und fehlenden Standards für LED-Produkte, wird das Innovationsgeschehen von organisatorischen und strukturellen Hemmnissen beeinträchtigt. Unklar ist beispielsweise, wie der langfristige Einsatz digitaler elektronischer Systeme bei laufendem Betrieb und mit den gegebenen personellen Ressourcen und Kompetenzen bewerkstelligt werden soll. Wo bereits private Betreiber für öffentliche Beleuchtung sorgen, können bestehende Verträge dazu führen, dass die öffentliche Hand zwar investiert, aber von den Energieeinsparungen finanziell nicht profitiert, weil sich Betriebs- und Instandhaltungskosten an der Zahl der Lichtpunkte bemessen und nicht am Stromverbrauch.

Die in Aussicht gestellten Steuerungsmöglichkeiten werfen noch grundsätzlichere gesellschaftspolitische Fragen auf, die weit mehr als technisches Verständnis und Geschick erfordern. Das neue Maß an flexibler Steuerungsmöglichkeit macht neue Entscheidungen und Abwägungen erforderlich. Während sich das Ein- und Ausschalten öffentlicher Beleuchtung, beispielsweise durch Dämmerungsschalter, am Einbruch der Dunkelheit orientiert und damit objektiv zu bestimmen ist, versprechen "intelligente" Systeme die Befriedigung heterogener Bedürfnisse. Neben Kriterien wie Kosten- und Energieeffizienz gilt es, Sicherheitsaspekte und Überwachungsmöglichkeiten, Aufenthaltsqualität und Atmosphäre, aber auch die Minimierung von Lichtverschmutzung gleichzeitig zu berücksichtigen. Allerdings lassen sich diese Aspekte nicht mit den gleichen Methoden bestimmen. So ist es schwierig, Werte wie individuelles Sicherheitsempfinden oder die Sichtbarkeit des Sternenhimmels zu bemessen oder gegeneinander aufzuwiegen.

Energieeffizienz allein reicht als Kriterium für angemessene öffentliche Beleuchtungssysteme somit nicht aus, denn dann wäre Abschalten die effektivste Lösung, was unter Anhängern eines dunklen Nachthimmels zwar Befürworter fände, aber Sicherheitsaspekten, städtischen Lebensgewohnheiten und wirtschaftlichen Präsentations- und Verkaufsinteressen entgegensteht.

Angesichts der neuen Möglichkeiten setzt sich ein Trend zur disziplinen- und ressortübergreifenden Kooperation fort, der schon älter ist als der Innovationsschub um die LED. In europäischen Städten und Kommunen hat die Lichtplanung in Form von Lichtkonzepten oder Masterplänen seit den 1990er Jahren stark zugenommen. Das zeigt auch eine WZB-Umfrage unter 38 deutschen Großstädten. Der Anteil integrierter Lichtplanung hat sich hier zwischen 2000 und 2010 etwa verdoppelt. Wo Stadtplanungsämter, Stadtmarketing oder Denkmalschutz mit Tiefbauämtern und Energieversorgern an einem Strang ziehen, wächst die öffentliche Beleuchtungsaufgabe über technische Anforderungen hinaus. Zur Debatte stehen sowohl Kriterien zur guten Gestaltung öffentlicher Räume als auch ihre kompetente Verwaltung und die Akzeptanz seitens der Bevölkerung.


Lichtqualität: ein Bewertungsproblem

"Das rechte Licht, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort", so lautet das Ziel, auf das sich Lichtgestalter, Stadtplaner, Hersteller und Politiker verständigen können. Offen bleibt dabei allerdings, wer darüber urteilen und entscheiden soll, welches Licht zu welcher Stunde an welcher Stelle das angemessene ist. Lichtempfinden ist nicht nur individuell, sondern auch kulturell verschieden. Mit welchen Methoden soll das "rechte Licht" also ermittelt werden, wo darf es gedimmt oder gar abgeschaltet werden? Je nachdem, wen man fragt, können Antworten auf diese Fragen unterschiedlich ausfallen. Gründe dafür sind nicht nur teils gegensätzliche Interessen von Stadtplanern, Herstellern oder Lichtdesignern, sondern auch deren unterschiedliche Arbeitsmethoden und Instrumente der Wissensproduktion.

Eine wichtige, wissenschaftlich fundierte Orientierung bietet die europäische Straßenbeleuchtungsnorm EN 13201. Dort sind Richtwerte zur Bemessung der Helligkeit öffentlicher Räume oder ihrer gleichmäßigen Beleuchtung für unterschiedliche Straßentypen festgehalten. Die Empfehlungen basieren auf photometrischen Werten, in die nicht nur physikalische, sondern auch physiologische Erkenntnisse einfließen, zum Beispiel über das Helligkeitsempfinden des menschlichen Auges, das im grünen Spektralbereich am größten ist.

Während dieses Wissen über unser Sehvermögen durch Laborexperimente belegt ist, lassen sich andere empirische Befunde weniger gut allgemein begründen, etwa die unter Nordeuropäern stark verbreitete Vorliebe für wärmere Lichtfarben. Auch in deutschen Breitengraden gehen regelmäßig Beschwerden bei Stadtverwaltungen ein, wenn dort effizientere, dafür "kalte" Straßenbeleuchtung eingesetzt wurde. Im Süden, so belegen die Verkaufszahlen von Leuchtenherstellern, stößt kaltweißes Licht auf größere Akzeptanz. Selbst wenn das Phänomen noch nicht abschließend erklärt ist, wird deutlich, dass sich die Lichtfarbe von Straßenbeleuchtung durchaus auf die wahrgenommene Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume auswirkt. Das legen auch Bürgerinitiativen nahe, die mit Denkmalschutz-Argumenten für den Erhalt der Berliner oder Düsseldorfer Gasbeleuchtung eintreten.

Aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten fällt die Bewertung von angemessenem Licht auf lokaler Ebene also differenziert aus. Wie ein Experten-Workshop im WZB zeigte, greifen Lichtdesigner daher auf ein erweitertes Methodenrepertoire zurück, um die nächtlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse von Anwohnern oder Touristen, Jugendlichen oder alten Menschen zu verstehen. Als Ergänzung zu photometrischen Berechnungen dienen neben ausgiebigen Beobachtungen vor Ort auch nächtliche Rundgänge mit Anwohnergruppen. Zentral ist dabei, welchen Stellenwert potenzielle Beleuchtungsziele wie Plätze, Straßen, Unterführungen oder Parks im Alltag der Menschen einnehmen. Die Identifikation sogenannter Angstorte oder Treffpunkte, die mehr Licht verdienen, ist dabei ebenso wichtig wie Informationen über nächtlich ungenutzte oder überbeleuchtete Räume, wo Licht reduziert werden kann.

Eine dritte Position zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und weitgehend subjektiver Designpraxis bieten sozialwissenschaftliche Studien zur Bestimmung von guter Lichtqualität und angemessener Beleuchtung. So untersuchten französische Forscher um den Geografen Jean-Michel Deleuil vom Institut National des Sciences Appliquées in Lyon in einem Quasi-Experiment, ob eine allein auf Verkehrszonen fokussierte Straßenbeleuchtung öffentliche Zustimmung findet. Die Studie zeigte, dass Probanden eine auf Straßen und Wege beschränkte Beleuchtung bei ansonsten dunkler Umgebung als unangenehm empfanden. Somit ist es zwar technisch möglich, den Lichtstrom von LED-Leuchten präzise und energieeffizient auf öffentliche Räume zu lenken, ohne Vorgärten und Fassaden mitzubeleuchten. Im Hinblick auf Sicherheitsgefühl und Aufenthaltsqualität erweist sich ein gewisses Maß an Umgebungshelligkeit aber als wünschenswert und ist damit relevant für die Frage nach einer angemessenen Beleuchtung.

Gesellschaftlich unproblematisch scheint es dagegen, das Helligkeitsniveau zu reduzieren, um Strom zu sparen. So ergab ein weiterer Feldversuch zur Akzeptanz von gedimmter Straßenbeleuchtung, dass ein verringertes Beleuchtungsniveau der Mehrheit der Versuchspersonen gar nicht auffiel. Diskussionsbedarf entsteht somit erst dort, wo wissenschaftlich ermittelte und in Gremien verhandelte Werte der technischen Norm unterschritten werden. Doch wem ist dann Folge zu leisten? Den Wählern auf der Straße, die weniger Licht gar nicht bemerken und mehr Klimaschutz befürworten, oder den Experten, unter ihnen auch Hersteller, die normkonform Argumente wie Verkehrssicherheit und Sehkomfort anführen?

Bewertungskonflikte und Methodendiskussionen um die gerechte und richtige Bewertung von Lichtqualität können auf dem Weg zur digitalen Beleuchtung durchaus als Chance verstanden werden. So erlaubt es die ressortübergreifende Entwicklung von Lichtkonzepten, unterschiedliche Anforderungen und Perspektiven bei der Planung öffentlicher Beleuchtung zu berücksichtigen. Auch neue Vernetzungsplattformen ermöglichen und fördern den produktiven Austausch: Ein solches Forum bietet etwa das 2002 gegründete internationale Städtenetzwerk LUCI, bei dessen regelmäßigen Treffen Städte ihre Beleuchtungsprojekte vor Ort vorstellen und mit Herstellern, Wissenschaftlern und Designern diskutieren.

Im konkreten Fall ist die Frage nach dem angemessenen Licht ebenso komplex wie die lokale Ausgangssituation. Intelligent lassen sich öffentliche Beleuchtungsinfrastrukturen nur dann vernetzen und steuern, wenn neben organisatorischen und technischen Hürden auch sozialräumliche Bedingungen mitbeachtet werden. Angesichts dieser Herausforderung zeigen Planer und Entwickler Interesse an sozialwissenschaftlichen Studien, etwa zu nächtlichem Raumnutzungsverhalten oder gruppenspezifischen Nachtaktivitäten. "Wir brauchen gesellschaftswissenschaftliche Forschung, um Skripte für digitale Lichtlösungen zu entwickeln", so ein Entwickler von Beleuchtungssystemen auf der Light+Building. So bietet die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung auch der sozialwissenschaftlichen Stadt- und Raumforschung ein neues und methodisch anspruchsvolles Beschäftigungsfeld.


Nona Schulte-Römer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit. Sie beschäftigt sich aus soziologischer Perspektive mit innovativer Lichtplanung und -gestaltung von städtischen Räumen. In ihrem Promotionsprojekt untersucht sie LED-Projekte im Bereich öffentlicher Beleuchtung und fragt, welche Rolle lokale Akteure im Innovationsgeschehen spielen.
schulte-roemer@wzb.eu

Literatur

Deleuil, Jean-Michel (Ed.): Eclairer la ville autrement. Innovations et expérimentations en éclairage public. Lausanne/Lyon: Presses Polytechnique et Universitaires Romandes 2009.

Schulte-Römer, Nona: "Light for Remaking Cities. Trends and reflections on Urban Design". In: PLDC 3rd Global Lighting Design Convention. Madrid: VIA-Verlag 2011, S. 60-63.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 136, Juni 2012, Seite 18-21
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2012