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GESCHICHTE/035: Wer flog zuerst? (idw)


Hochschule Coburg - 02.12.2016

Wer flog zuerst?


Ein Streit bewegt seit langem die Luftfahrt. Es geht um den ersten motorisierten Flug der Geschichte. War es der Deutsche Gustav Weißkopf oder doch das amerikanische Bruderpaar Wright? Ein Symposium des Deutschen Museums München lud im November Befürworter beider Seiten zur Diskussion ein. Prof. Dr. Philipp Epple von der Hochschule Coburg überprüfte dafür die Technik von Weißkopfs Fluggerät.


1901 ist der Franke Gustav Weißkopf aus Leutershausen zum ersten Mal mit einem motorisierten Flugobjekt geflogen. Das berichten Pressemeldungen und Zeitzeugen. Einziges Problem ist: Es gibt keinen Fotobeweis. Der Flug der Brüder Wright in den USA im Jahr 1903 ist dagegen fotografisch belegt. Die Brüder gelten seitdem als die ersten Flieger der Luftfahrtgeschichte. Anhänger des Flugpioniers Weißkopf stellen das immer wieder in Frage.

Das Deutsche Museum in München hat zu einem Symposium der "Frühen Geschichte der Luftfahrt" eingeladen, um die Frage nach dem ersten motorisierten Flug zu diskutieren. Im Zentrum steht die Frage, was für die Theorie spricht, Weißkopf als ersten Flieger einzustufen. Die Idee ging von Wolfgang M. Heckl, Leiter des Deutschen Museums, und Joachim Herrmann, Bayerischer Staatsminister des Innern, für Bau und Verkehr, aus. Dr. Tom Crouch, Kurator des Smithsonian National Air and Space Museum in Washington, vertritt die herrschende Meinung, nach der den Brüdern Wright der erste motorisierte Flug gelang. Er sieht in der umfangreichen Dokumentation der Flugentwicklung durch die Wrights den Beweis für ihren Erfolg. Weißkopf dokumentierte seine Arbeit nicht in diesem Umfang. Der Luftfahrtexperte John Brown, Kollege von Tom Crouch, wiederspricht. Er fordert eine Anerkennung Weißkopfs als ersten Flieger. Dafür greift er auf Zeitzeugen, sowie Pressemitteilungen von 1901 zurück, die es bis in die Zeitschrift Scientific American geschafft haben. Die Zeugenaussagen sind jedoch problematisch. Sie wurden erst dreißig Jahre nach Weißkopfs Flug aufgezeichnet.

Das Deutsche Museum überlegte sich aufgrund der verhärteten Fronten einen neuen Ansatz. Der Werkstattleiter der Flugwerft Schleißheim Peter Hanickel untersuchte gemeinsam mit Experten die Technik von Weißkopfs Fluggerät 21. Die Ergebnisse stellte er auf dem Symposium vor. Prof. Epple analysierte dafür den Propeller Weißkopfs.

Weißkopfs Flugmaschine wurde durch zwei Propeller angetrieben. Prof. Epple berechnete den Schub und die erforderliche Antriebsleistung der Propeller. Er orientierte sich an Zahlen, die Pressemitteilungen von 1901 nannten und an einer Propellernachbildung des Deutschen Museums. Epple berechnete, ob bei der angegebenen Propellerdrehzahl der notwendige Schub für den Abflug erreicht wird. Er ging von einer Drehzahl von 650 bis 750 Umdrehungen die Minute aus. Die Variation beugt einer möglichen Ungenauigkeit der überlieferten Daten vor. Epple berechnete nach der Propellertheorie zusätzlich, welche Motorleistung für den Start der Propeller notwendig ist. Er findet heraus: Die Zahlen sind physikalisch nicht haltbar. Der Propeller Weißkopfs hätte nicht den Schub erzeugen können, um das Fluggerät anzutreiben. Mithilfe der numerischen Strömungssimulation überprüfte Epple das Ergebnis erneut. Dabei unterstützte ihn Nico Mathiebe, der an der Hochschule Coburg Maschinenbau studiert. Das Ergebnis bestätigt: Weißkopfs Konstruktion ist mit diesem Propeller nicht flugtauglich. Der Propeller leistet nicht genug, um die Flugmaschine in die Luft zu heben.

Die Untersuchung von Motor und Aerodynamik liefert ein ähnliches Ergebnis. Die Flügel Weißkopfs orientieren sich an dem Gleitflieger von Otto Lilienthal. Lilienthal gelang der erste Gleitflug der Geschichte, da er die Flügel seines Geräts mit Querstäben verstärkte. Weißkopf verzichtete bei seinen Flügeln darauf. Dadurch falten sich die Flügel beim Start zusammen und verlieren ihre Aerodynamik.

Weißkopfs Motor stellt für Wissenschaft und Technik bis heute ein Rätsel dar. Bis jetzt konnte er nicht erfolgreich nachgebaut und getestet werden. Der Nachbau von Weißkopfs Fluggerät, der 1998 geflogen ist, war mit einem modernen Motor und einem anderen Propeller ausgestattet. Das berichtet der damalige Testpilot Horst Philipp auf dem Symposium. Als Beweis für Weißkopfs Flug im Jahr 1901 kann das daher nicht gewertet werden. Das Symposium zeigte, dass aus technischer Sicht einiges gegen Weißkopfs Flug 1901 spricht. Seine Leistung als Flugpionier bleibt aber unbestritten. "Zum Fortschritt der Luftfahrt hat er viel beigetragen" sagt Prof. Epple.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution285

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hochschule Coburg, Dr. Margareta Bögelein, 02.12.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2016

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