Max-Planck-Institut für Informatik - 19.12.2016
Frei einstellbare Bildwiederholraten - höhere Bildqualität und Möglichkeiten für Filmschaffende
Saarbrücker Informatiker haben eine Technologie entwickelt, die in Bildausschnitten eines Videos die Darstellung geänderter Bildwiederholraten ermöglicht und damit Filmproduktionen und Videokünstlern ein neues Gestaltungsmittel an die Hand gibt. Mit dieser richtungsweisenden Bearbeitungsmethode für Bewegtbilder ist es möglich, Bildausschnitte eines Videos mittels geänderter Bildwiederholraten beliebig in Richtung höherer Brillianz und Detailreichtum oder gewünschter Ästhetik, z.B. "Kino-Look", zu verändern. Durch geschickte Implementierung der Algorithmen gibt es keine unerwünschten visuellen Artefakte (z.B. flackern oder ruckeln) zwischen den lokalen Teilbereichen.
Visuelle Artefakte im Film oder im Video sind häufig der begrenzten
Bildwiederholrate (BWR) geschuldet. Diese legt fest, wie weit ein Objekt
bestimmter Geschwindigkeit zwischen aufeinanderfolgenden Einzelbildern
verschoben wird. Schnelle Bewegungen führen bei niedrigen BWRn ggf. zu
störenden Effekten wie Verschwimmen, Flackern oder Ruckeln. Teilweise
treten auch optischen Illusionen auf, wie z.B. der Wagenradeffekt bei dem
ein Speichenrad rückwärts zu laufen scheint, wenn die BWR zu niedrig und
der Szene nicht angepasst ist. Höhere BWRn können diese Artefakte
reduzieren oder vermeiden, feinere Details darstellen und die Brillianz
erhöhen. Die bessere Bildqualität ist in der Lage, bewegte Objekte
präziser darzustellen, erzeugt jedoch ggf. gleichzeitig einen plastischen
"Soap-Opera-Look", den manche Zuschauer nicht mögen.
Es gibt schon einige Beispiele, Filme mit unüblichen BWRn zu produzieren. "Der Hobbit" wurde bspw. mit 48 Einzelbildern je Sekunde, frames-per-second (fps), gedreht und die Disneystudios haben mit geänderten Frequenzen bis hinab zu 6 fps innerhalb eines 48 fps Films experimentiert. Durch Einsatz variabler anstatt der derzeit verfügbaren begrenzten Anzahl von festen BWRn lassen sich je nach Intension Teile der Darstellung hervorheben oder abdämmen, natürlich erscheinen oder künstlerisch verändern. Dem Filmproduktionsteam eröffnet sich hierdurch ein zusätzliches Gestaltungsmittel.
In den Arbeitsgruppen von Dr. Piotr Didyk, Universität des Saarlandes, und
Professor Karol Myszkowski, Max-Planck-Institut für Informatik,
Saarbrücken, entstand die Idee, mittels Computeralgorithmen
unterschiedliche Bildwiederholraten zu emulieren. Piotr Didyk,
Nachwuchsgruppenleiter am Exzellenzcluster Multimodal Computing and
Communication erläutert: "Wir wollten beliebig wählbare Ausschnitte des
Bildes mit frei wählbarer BWR darstellen. Eine der vielen Herausforderung
bestand darin, keine Brüche in der Darstellung beim Übergang zu erzeugen,
sondern die Bereiche verschiedener Bildfrequenz gleitend ineinander
übergehen zu lassen." Durch diese Technologie ist es möglich, verschiedene
Bildbereiche mit jeweils individueller und die Zwischenbereiche mit
gleitend angepasster Bildwiederholrate darzustellen; dabei werden keine
störenden visuellen Effekte erzeugt
(http://resources.mpi-inf.mpg.de/FrameRateEmulation).
Dr. Krzysztof Templin, der Hauptbeteiligte an dieser Forschung, ehem. Doktorand bei Prof. Myszkowski und Prof. Hans-Peter Seidel und Erstautor der zugehörigen Veröffentlichung führt aus: "Die Bildfolge wird insgesamt so synchronisiert, dass als Ende ein Video-Stream mit der BWR des Anzeigegerätes entsteht. Dank unserer Technologie zeigt die Darstellung aber die Effekte lokal angepasster BWRn." Potentielle Anwender dieser Technology sind Filmstudios und Video-Künstler, auch Filmhochschulen zeigten sich besonders interessiert.
Derzeit untersuchen die Wissenschaftler Möglichkeiten zur Nutzung der Technologie in Filmproduktionen und Fernsehern, ein internationales Patent wurde beantragt. Der Öffentlichkeit wurde die Technologie der variablen Bildwiederholrate in diesem Sommer in Anaheim, Kalifornien mit einem Vortrag vorgestellt. Vom 24. bis 28. Juli fand dort die weltweit größte und bedeutendste Konferenz zu Computergrafik statt, die SIGGRAPH. Eine Veröffentlichung, die (nach einem rigorosen Auswahlprozess) auf der SIGGRAPH angenommen wird, ist ein Meilenstein für jeden Computergrafiker.
Die Technologie soll jetzt aus dem Stadium des Labormusters zu einem kommerziellen Produkt weiterentwickelt werden. Die Universität des Saarlandes Wissens- und Technologietransfer GmbH ist dazu der saarländische Partner in Zusammenarbeit mit Max Planck Innovation GmbH, der Transferstelle der Max-Planck-Gesellschaft.
Hintergrund:
Ob Kinofilm, ob Video im Computermonitor, oder Nachrichtensendung im TV -
bei diesen Darstellungen wird üblicherweise von Bewegtbildern gesprochen
und vom Zuschauer auch so empfunden. Gleichwohl handelt es sich um eine
schnelle Abfolge von Einzelbildern, die durch menschliches Auge und Gehirn
zu einer kontinuierlichen Bewegung zusammengefasst wird. Sind die
Veränderungen von einem Einzelbild zum nächsten nur klein und folgen die
Bilder schnell genug aufeinander, kommt die optische Wahrnehmung an die
Grenze der zeitlichen Auflösung und das Gehirn erfasst ununterbrochene
Verschiebungen.
Seit Jahrzehnten wird für das Kino mit 24 Bildern je Sekunde gefilmt. Ungefähr mit dem Aufkommen des Tonfilms war diese BWR der de-facto Standard für Kinofilme. Die Sehgewohnheiten des Kinopublikums sind durch diese Wiedergabetechnik geprägt und unterscheiden sich vom visuellen Eindruck beim Fernsehen oder dem eines Computermonitors. Wiedergabetechnik im Filmtheater (24 fps) und Fernsehen (50 / 60 Halbbilder je Sekunde bei PAL / NTSC) war bis vor kurzem auf fixe Bildwiederholraten ausgelegt, erst mit Computer(röhren)monitoren seit ca. 1990 wurden die Anzeigen flexibler. Aktuelle LED-Monitore haben wieder eine bevorzugte Anzeigefrequenz.
Weitere Informationen unter:
http://resources.mpi-inf.mpg.de/FrameRateEmulation/
http://www.kwt-uni-saarland.de/de/meta/kwt-wut.html
http://www.max-planck-innovation.de/
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution684
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Informatik, Bertram Somieski, 19.12.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2016
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