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WERKSTOFFE/912: Umweltfreundlicher Autolack aus Maisstärke soll Kratzer von selbst reparieren (idw)


INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien gGmbH - 30.05.2016

Umweltfreundlicher Autolack aus Maisstärke soll Kratzer von selbst reparieren


Oberflächliche Mikrokratzer im Autolack sind harmlos, aber verschandeln die glänzende und makellose Oberfläche von Luxuskarossen. Ein neuer Lack von Saarbrücker Forschern soll nun Abhilfe schaffen: Aus Maisstärke gefertigt ist der Autolack in der Lage, wegen der besonderen Anordnung seiner Moleküle kleine Kratzer selbst zu reparieren. Den neuartigen Lack entwickeln Wissenschaftler der Universität des Saarlandes und des INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien gemeinsam. Für die nächsten drei Jahre werden sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 1,1 Millionen Euro gefördert.


Für die netzartige Struktur der neuen Lacke verwenden die Wissenschaftler ringförmige Abkömmlinge der Maisstärke, sogenannte Cyclodextrine. Diese fädeln sie wie Perlen auf mikroskopische Kunststofffäden auf. In den so entstehenden sogenannten Polyrotaxanen sind die Perlen auf dem Faden frei beweglich, und werden durch sperrige Stoppermoleküle am Abfädeln gehindert. Über eine chemische Reaktion werden die Fäden anschließend über die Perlen miteinander vernetzt. "Das entstehende Netzwerk ist beweglich und elastisch wie ein Strumpf", erklärt Gerhard Wenz, Professor für Organische Makromolekulare Chemie an der Universität des Saarlandes. Nach einem oberflächlichen Lackkratzer kleidet das Material die Lücke wieder aus und der Kratzer verschwindet binnen weniger Tage.

"Das Besondere an unserem Ansatz ist die gute Umweltverträglichkeit", betont Professor Wenz. "Die Cyclodextrine sind ein Naturmaterial, welches bereits industriell aus Maisstärke gewonnen wird. Wir wollen die chemischen Reaktionen nur in Lösungsmitteln durchführen, die unbedenklich für die Gesundheit sind." Zwar sei das Grundprinzip solcher Lacke schon aus Japan bekannt - sie ließen sich jedoch bislang nur mit teuren Ausgangsmaterialien und hochgiftigen Lösungsmitteln herstellen. "Unser geplantes Herstellungsverfahren soll schlussendlich ein klimafreundliches Produkt ohne Schadstoffemissionen bereitstellen, das auch von der Kostenseite überzeugt", führt Wenz weiter aus. Für die Anwendung im großen Stil genüge es nicht, kleine Mengen im Labor zu erzeugen. Vielmehr müssen Verfahrenstechniken entwickelt werden, mit denen sich die Lacke in einer Pilotanlage im Kilogrammmaßstab herstellen lassen.

Auch das erfolgreiche Upscaling reicht nicht alleine für eine industrielle Anwendung aus. "Die Lacke müssen die Anforderungen der Automobilindustrie erfüllen. Dazu werden wir umfangreiche Testverfahren durchführen", sagt Carsten Becker-Willinger, Leiter des Programmbereichs Nanomere am INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken. Neben der Entwicklung wirtschaftlicher Applikationsverfahren, wie die Sprühtechnik über Roboter, sind umfangreiche Verkratzungs-, Klima- und Bewitterungstests geplant. Sie sollen den Beweis erbringen, dass die Lacke im Sinne der Automobilhersteller einsetzbar sind und die Kratzer auch wirklich innerhalb weniger Tage ausheilen. Bei all diesen Testreihen werden die üblichen ISO-Richtlinien der Lackindustrie berücksichtigt. "Nur wenn wir diese Normrichtlinien erfüllen, ist eine industrielle Anwendung denkbar", fasst der Saarbrücker Forscher die geplanten Aktivitäten zusammen.

Hintergrund:
Das Forschungsprojekt "Selbstheilende Fahrzeuglacke auf Basis von Cyclodextrin-Polyrotaxanen" wird im Rahmen der Fördermaßnahme VIP+ mit insgesamt 1,1.Millionen Euro für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Fördermaßnahme "VIP+ - Validierung des technologischen und gesellschaftlichen Innovationspotenzials" hat sich zum Ziel gesetzt, die Lücke zwischen ersten Ergebnissen aus der Grundlagenforschung und einer möglichen Anwendung zu schließen. Mit VIP+ werden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Vorhaben von bis zu drei Jahren mit bis zu 1,5 Millionen Euro gefördert.


Weitere Informationen unter:
https://www.bmbf.de/de/vip-technologische-und-gesellschaftliche-innovationspotenziale-erschliessen-563.html


Das INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien erforscht und entwickelt Materialien - für heute, morgen und übermorgen. Chemiker, Physiker, Biologen, Material- und Ingenieurwissenschaftler prägen die Arbeit am INM. Vom Molekül bis zur Pilotfertigung richten die Forscher ihren Blick auf drei wesentliche Fragen: Welche Materialeigenschaften sind neu, wie untersucht man sie und wie kann man sie zukünftig für industrielle und lebensnahe Anwendungen nutzen?

Dabei bestimmen vier Leitthemen die aktuellen Entwicklungen am INM: Neue Materialien für Energieanwendungen, Neue Konzepte für medizinische Oberflächen, Neue Oberflächenmaterialien für tribologische Systeme sowie Nano-Sicherheit und Nano-Bio. Die Forschung am INM gliedert sich in die drei Felder Nanokomposit-Technologie, Grenzflächenmaterialien und Biogrenzflächen. Das INM mit Sitz in Saarbrücken ist ein internationales Zentrum für Materialforschung. Es kooperiert wissenschaftlich mit nationalen und internationalen Instituten und entwickelt für Unternehmen in aller Welt. Das INM ist ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft und beschäftigt rund 220 Mitarbeiter.

Weitere Informationen unter:
http://www.leibniz-inm.de
http://www.uni-saarland.de
http://www.leibniz-gemeinschaft.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1598

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien gGmbH,
Dr. Carola Jung, 30.05.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2016

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