Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

BUNDESTAG/3149: Heute im Bundestag Nr. 154 - 22.03.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 154
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 22. März 2012 Redaktionsschluss: 09:40 Uhr


1. Nachhaltigkeit in die Tat umsetzen
2. Guantanamo "offene Wunde" im Menschenrechtsverständnis
3. Experten: Spieleautomaten müssen stärker reguliert werden
4. SPD und Grünen mahnen Dialog mit Ungarn über EU-Grundrechte an
5. SPD und Grüne: Historischer Verantwortung gegenüber Namibia gerecht werden


*


1. Nachhaltigkeit in die Tat umsetzen

Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Berlin: (hib/KOS) Angesichts der internationalen Finanzkrisen, der Probleme mit der Nahrungsmittel- und Treibstoffversorgung, der enormen Jugendarbeitslosigkeit und der Umweltzerstörung müssen Konzepte und Visionen über eine nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft in die Tat umgesetzt werden: Dieses forderte am Mittwochabend zum Abschluss eines Symposiums der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" Achim Steiner, Direktor des UN-Umweltprogramms. Auch Martine Durand, Chefstatistikerin der OECD, appellierte an die Politik, aus der Debatte über eine Neudefinition des Wohlstandsbegriffs konkrete Konsequenzen für eine Strategie der Nachhaltigkeit zu ziehen, die über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für Wirtschaftswachstum hinaus reicht: "Sonst nützt das alles nichts."

Mit dem Symposium wollte die Enquetekommission unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) die wissenschaftliche Öffentlichkeit in ihre Debatten mit einbeziehen. Kernauftrag des Gremiums ist es, mit Hilfe einer Neubewertung des Wohlstandsbegriffs Wege hin zu einem qualitativen Wachstum aufzuzeigen.

Steiner mahnte, Wachstum nicht nur einfach von einem ökologischen Standpunkt aus als Problem zu bekämpfen. Im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Entwicklung ziele eine "Green Economy" vielmehr auch auf die Bekämpfung von Armut und Erwerbslosigkeit oder die Gewährleistung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. Der UN-Politiker bezeichnete die Versorgung der Menschheit mit Lebensmitteln als Herausforderung, die noch größer sei als das ökologische Umsteuern in der Energiepolitik. Letzteres könne nicht einfach einhergehen mit einer Reduzierung des Elektrizitätsverbrauchs, vielmehr werde man für die Versorgung der Bevölkerung etwa in Afrika mehr Strom benötigen. Aus Sicht Steiners lässt sich gleichwohl der globale Bedarf an Primärenergie durch Investitionen in Energieeffizienz und in erneuerbare Energien bis 2050 um fast 40 Prozent senken. Der Ausbau regenerativer Energien sei nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern schaffe zudem neue Jobs, womit im Sinne der Nachhaltigkeit ein Beitrag zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit ("Eines der größten gesellschaftlichen Risiken") geleistet werde.

Der Chef des UN-Umweltprogramms kritisierte die Subventionspolitik im Energiesektor, in der Landwirtschaft und in der Fischereiwirtschaft als Beispiele für Fehlsteuerungen, die eine nachhaltige Entwicklung verhindern. So flössen weltweit hunderte Milliarden Dollar in die Nutzung fossiler Energieträger. Im Agrarbereich "ist Subventionspolitik oft Klientelpolitik, die keine Anreize für ein nachhaltiges Wirtschaften setzt", beklagte Steiner. Gleiches gelte für den Großteil der 27 Milliarden Dollar, die in die Fischerei gesteckt würden, deren bisherige Praktiken die Gefahr einer Überfischung der Meere heraufbeschwörten. Steiner gab sich überzeugt, dass ein anderes Fischereimanagement samt der Einrichtung von Schutzgebieten und dem Abbau von Flottenkapazitäten kurzfristig zwar zum Verlust von Arbeitsplätzen, langfristig aber zu einem Anstieg des Fischfangs und der Schaffung neuer Jobs führen werde.

Der UN-Repräsentant appellierte an die Bundestagsabgeordneten, das Umsteuern in der Energiepolitik nicht nur als Kostenproblem zu diskutieren, sondern deutsche Pionierleistungen wie etwa garantierte Einspeisetarife für Strom aus erneuerbaren Energien verstärkt in die globale Debatte einzubringen.

Durand warb für den von der OECD entworfenen "Better Life Index" als neue Messgröße für gesellschaftliches und individuelles Wohlergehen. Die Statistikerin plädierte dafür, neben dem BIP Kriterien wie etwa die Bildung, den Zustand der Umwelt, den Wohnraum, das individuelle Einkommen, die Gesundheit oder die Qualität der Arbeit heranzuziehen, um Lebensqualität zu berechnen. Ein "Index für besseres Leben" lasse sich nur über Befragungen der Bürger ermitteln, so Durand. Globale Zahlen wie etwa die Gesamtsumme staatlicher Bildungsausgaben seien nicht aussagekräftig, da diese Gelder ineffektiv eingesetzt werden könnten und dann bei den Leuten nicht ankämen.

Der Schweizer Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger erläuterte unter Verweis auf wissenschaftliche Erhebungen etwa in den USA, dass steigende Einkommen die Bürger im gesellschaftlichen Schnitt nicht zufriedener machten. Deshalb mache es keinen Sinn, möglichst hohe Wachstumsraten anzustreben, eine solche Politik erschwere zudem eine nachhaltige Entwicklung und verleite dazu, "unvernünftige Risiken einzugehen". Allerdings, so Binswanger, sei ein "gewisses Wachstum" nötig, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.


*


2. Guantanamo "offene Wunde" im Menschenrechtsverständnis

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Berlin: (hib/TYH) Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), hat die deutschen Parlamentarier aufgefordert, sich weiterhin für die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba einzusetzen. Hauptadressat müsse der Kongress sein, sagte er am Mittwochnachmittag vor dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Zwar hätten sich die Haftbedingungen in Guantanamo deutlich verbessert und entsprächen europäischen Standards, dennoch sei es inakzeptabel, dass Gefangene jahrelang ohne ein rechtsstaatliches Verfahren festgehalten würden. Zudem sei es aus deutscher Sicht unzulässig, Prozesse gegen Terrorverdächtige vor einem Militärgericht zu führen. Guantanamo untergrabe den Glauben an die westliche Menschenrechtspolitik, sagte er.

Die CDU/CSU-Fraktion erkundigte sich nach der Schnittstelle von Gefangenen, die festgehalten würden, und solchen, die aus "organisatorischen Gründen" - etwa weil die Rückkehr in ihr eigenes Land den Tod bedeuten könnte - nicht aus Guantanamo herauskämen. Die FDP-Fraktion fragte, ob es derzeit konkrete Aufnahmeanträge von den USA an Deutschland gebe - eine Frage, die Löning verneinte.

Die SPD-Fraktion wollte wissen, ob es Überlegungen gebe, das Gefangenenlager in ein anderes Land, etwa in die USA selbst, zu verlegen. Auch Deutschland sei in der Verantwortung, betonten die Abgeordneten. Was in Guantanamo geschehe, betreffe auch die Bundesrepublik im Kampf gegen den Terrorismus.

Dieser Meinung schloss sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an. "Guantanamo ist eine offene Wunde im westlichen Menschenrechtsverständnis", betonte sie. Der Druck von deutscher Seite wäre jedoch wirkungsvoller, wenn er mit der Bereitschaft einherginge, weitere Gefangene aus Guantanamo aufzunehmen. Bislang hat die Bundesregierung zwei ehemalige Insassen aufgenommen.


*


3. Experten: Spieleautomaten müssen stärker reguliert werden

Ausschuss für Gesundheit (Anhörung)

Berlin: (hib/SKE) Spieleautomaten in Spielhallen und Gaststätten müssen stärker kontrolliert werden. Wie die meisten Experten während der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss am Mittwochabend betonten, hätten Automaten einen hohen Suchtfaktor. Ein Großteil der Spielsüchtigen verliere ihr Geld an diesen Geräten.

Tilmann Becker, Professor an der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim, sprach sich für eine Spieler-Sperrdatei auch für Geldspielautomaten aus. Süchtige könnten sich freiwillig eintragen lassen und würden dann am Spiel gehindert. Allerdings müsse es möglich sein, sich begrenzt sperren zu lassen. "Ich denke an eine Mindestsperre von einem Jahr und jeder Spieler kann darüber hinaus wählen, wie lange er sich sperren lässt." Darüber hinaus müsse jeder Spieler eine persönliche Identifikationskarte für Automaten erhalten.

Auch Ilona Füchtenschnieder von der Landesfachstelle Glücksspielsucht in Nordrhein-Westfalen sprach sich für eine Sperrdatenbank aus, die sowohl für jeden Spielort gilt, also sowohl Spielbanken als auch Spielhallen und Gaststätten. Sie plädierte zudem dafür, Automaten ausschließlich in stark kontrollierten Casinos aufzustellen. "Gastronomische Betriebe sind aus meiner Erfahrung heraus überfordert mit der Kontrolle. Sie haben zu wenig Personal dafür, außerdem sind die Geräte häufig so aufgestellt, dass sie nicht einsehbar sind", sagte Füchtenschnieder.

Die SPD spricht in ihrem Antrag (17/6338), der der Anhörung zugrunde lag, von hochgerechnet rund 500 000 pathologischen Glücksspielern und rund 800 000 problematischen Spielern in Deutschland. Die Sozialdemokraten bezeichnen Geldspielautomaten unter Berufung auf das Projekt "Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie" (PAGE) als "Suchtfaktor Nummer 1".

Meike Lukat, Kriminalhauptkommissarin aus Düsseldorf, bemängelte die Zulassung der Geräte durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt. Für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch die Betreiber der Automaten sei es notwendig, etwa Gewinne und Verluste der Geräte zu kontrollieren. Nach derzeitigem Stand könnten Betreiber diese Daten leicht manipulieren.

Der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie, Paul Gauselmann, betonte, ein Großteil der Branche engagiere sich bereits, etwa für den Jugendschutz. "Wir leiden als Branche unter zehn Prozent schwarzen Schafen", sagte Gauselmann. Und: "Es gibt in Deutschland keine Nachweise, dass der Jugendschutz in Spielhallen nicht eingehalten wird." Auch dränge der Verband darauf, dass die Physikalisch-Technische Bundesanstalt nur Geräte freigebe, die nicht zu manipulieren seien. Er sprach sich für eine "Entsperrungskarte" aus, die die Kunden vom Kneipenwirt oder vom Aufsichtspersonal erhalten müssten, um an den Geräten zu spielen. "Der Wirt hat dann die Gesichtskontrolle" und er könne den Ausweis des Gastes verlangen, wenn er das Alter kontrollieren wolle.


*


4. SPD und Grünen mahnen Dialog mit Ungarn über EU-Grundrechte an

Europa/Antrag

Berlin: (hib/AS) Den Schutz der Grundrechte in Ungarn mahnen SPD und Bündnis 90/Die Grünen an. In einem gemeinsamen Antrag (17/9032) fordern sie die Bundesregierung auf, gegenüber der ungarischen Regierung und Ministerpräsident Viktor Orbán "endlich deutlich" zu machen, dass sich Deutschland um die demokratische Verhältnisse und die Gewaltenteilung im Land sorgt. Vor allem das neu erlassene Mediengesetz stehe nicht im Einklang mit den Grundwerten- und -rechten der EU. Die beiden Fraktionen regen an, dass die ungarische Regierung ermutigt werden soll, einen unabhängigen Bericht darüber verfassen zu lassen, ob die neue Verfassung sowie die verabschiedeten Gesetze mit den Grundwerten und -rechten in der EU vereinbar seien.

Gleichzeitig betonen die Fraktionen, dass Deutschland Ungarn für den Fall des Eisernen Vorhanges 1989 zu großem Dank verpflichtet sei. Sie erinnern auch an den deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrag, der sich in diesem Jahr zum zwanzigsten Mal jährt. Der Bundestag, heißt es in dem Papier, bekräftigt daher sein Interesse, die deutsch-ungarischen Beziehungen weiter zu verstetigen und zu verbessern.


*


5. SPD und Grüne: Historischer Verantwortung gegenüber Namibia gerecht werden

Menschenrechte und humanitäre Hilfe/Antrag

Berlin: (hib/TYH) Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia stärken. In einem gemeinsamen Antrag (17/9033), der am Donnerstagabend erstmals im Plenum behandelt wird, fordern die Abgeordneten die Bundesregierung auf, die "politische und moralische Verantwortung für das historische Unrecht zu übernehmen, das an den Herero, Nama und an Angehörigen anderer Volksgruppen in deutschem Namen in Namibia geschehen ist". Anfang des vorigen Jahrhunderts hatten deutsche Kolonialtruppen einen Aufstand der Herero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika brutal niedergeschlagen. Zehntausende Menschen starben.

Der deutsche Bundestag müsse die schwere Schuld anerkennen, die deutsche Kolonialtruppen auf sich geladen hätten, fordern die Abgeordneten in ihrem Antrag weiter. Zudem müsse betont werden, dass die Niederschlagung des Aufstandes ein "Kriegsverbrechen und Völkermord" war. Die Abgeordneten fordern weiter, die Republik Namibia bei ihren Bemühungen zur Aufnahme in den UN-Menschenrechtsrat zu unterstützen und die Beziehungen zu dem westafrikanischen Staat auch auf UN-Ebene zu intensivieren. Des Weiteren soll laut Antrag sichergestellt werden, dass die Rückgabe von während der Kolonialzeit geraubten Kulturgütern angeboten werde.


*


Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 154 - 22. März 2012 - 09:40 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2012