Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

BUNDESTAG/3282: Heute im Bundestag Nr. 287 - 11.06.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 287
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 11. Juni 2012 Redaktionsschluss: 16:45 Uhr

1. Viel Zustimmung für Arzneimittel-Novelle - Kritik vor allem an Lockerungen des Werbeverbots
2. Sachverständige sehen Euratom-Vertrag kritisch



1. Viel Zustimmung für Arzneimittel-Novelle - Kritik vor allem an Lockerungen des Werbeverbots

Ausschuss für Gesundheit (Anhörung)

Berlin: (hib/MPI) Die von der Bundesregierung geplante Arzneimittel-Novelle stößt bei Experten auf breite Zustimmung, im Detail jedoch auf zum Teil harsche Kritik. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/9341) am Montag erntete das zentrale Vorhaben, das Eindringen von gefälschten Arzneimitteln in die legale Lieferkette zu verhindern, weitgehend Zustimmung. Mit dem Gesetzentwurf soll eine entsprechende EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Ein weiteres Ziel des Entwurfs eines "Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften" ist die Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Human-Arzneimittel hinsichtlich der Pharmakovigilanz. Damit ist die Überwachung von auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln auf Nebenwirkungen gemeint, die beispielsweise in den Zulassungsstudien noch nicht entdeckt wurden. Auch hierzu liegen Europäische Richtlinien vor. Auch dieser Punkt war in der Anhörung weitgehend unstrittig.

Ferner sollen im Heilmittelwerbegesetz Änderungen zur Anpassung an die europäische Rechtsprechung vorgenommen werden, die laut Gesetzentwurf der weiteren Liberalisierung des Heilmittelrechts dienen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und die BUKO Pharmakampagne bemängelten in diesem Zusammenhang die geplanten Lockerungen des Werbeverbots im Bereich nicht verschreibungspflichtiger Medikamente. Die Möglichkeit für Hersteller, künftig für nicht verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel zu werben, schaffe "eine neue Sorglosigkeit" bei Verbrauchern im Hinblick auf diese Produkte, betonten die Verbraucherschützer. "Auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel haben Nebenwirkungen und bergen bei längerer oder übermäßiger Einnahme beträchtliche Risiken". Bedenkenloser Konsum nach dem Motto "rezeptfrei also harmlos" könne zu "Organschäden, Sucht und Tod führen", heißt es in der Stellungnahme.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe kritisierte zudem die vorgesehene Möglichkeit, bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten "mit Patientenschicksalen zu werben". Für die Bundesärztekammer bemängelte die Professorin Ursula Gundert-Remy das Vorhaben, das Verbot der Werbung mit Gutachten abzuschaffen. Es bestehe die Gefahr, dass nur positive Gutachten zur Werbung herangezogen würden und damit das Vertrauen im Arzt-Patienten-Verhältnis beeinträchtigt werde, betonte Gundert-Remy. Hedwig Diekwisch von der BUKO Pharmakampagne fügte hinzu, bei der Werbung mit Gutachten sei "Rosinenpickerei" zu befürchten.

Unter anderen der vzbv kritisierte auch die geplante Ausweitung der Arzneimittelpreisverordnung auf solche EU-Länder, die befugt sind, Arzneimittel nach Deutschland zu versenden. "Die Bundesregierung strebt mit diesem Rabattverbot eine Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen im Versandhandel an, die vor allem chronisch kranke Menschen künftig finanziell stark belasten wird", kritisierten die Verbraucherschützer in ihrer Stellungnahme. Die Neuregelung führe dazu, dass ausländische Versandapotheken ihren deutschen Kunden keine Boni oder Rabatte mehr gewähren dürfen. Betroffen sein werden vor allem chronisch kranke Menschen, die in Zukunft erhebliche Zuzahlungen für Medikamente leisten müssen. Es sei zu befürchten, dass sie sich die vorgeschriebenen Zuzahlungen zu ihren Medikamenten nicht leisten können. Die European Association of Mail Service Pharmacies (EAMSP) machte in der Anhörung zudem europarechtliche Bedenken gegen die geplante Neuregelung geltend.

Auf Zustimmung bei der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) stieß in der Anhörung die von der Koalition geplante Möglichkeit, dass Ärzte in speziellen Notfallsituationen sterbenskranken Patienten in der ambulanten Behandlung Betäubungsmittel zur Verfügung stellen dürfen. Der DGP-Präsident Friedemann Nauck begrüßte dies ausdrücklich.

Thema der Anhörung war zudem ein Antrag der Fraktion Die Linke (17/9556). Der vzbv wandte sich gegen den Vorstoß der Linken, den Versand verschreibungspflichtiger Medikamente ganz zu verbieten. Aktuell lägen keinerlei Erkenntnisse vor, dass der Versandhandel mit Medikamenten prinzipielle Sicherheitsprobleme aufwirft. Dagegen sprach sich der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) für eine "Beschränkung des Versandhandels auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel" aus. Der Versandhandel sei "ein Einfallstor für Arzneimittelfälschungen", betonte die BAH. Der Frankfurter Rechtsprofessor Hilko J. Meyer wandte sich gegen die weit verbreitete Auffassung, dass ein Verbot des Versandes verschreibungspflichtiger Medikamente verfassungsrechtlich nicht machbar sei. Die Frage hätten nicht Verfassungsrichter zu beantworten, sondern die Abgeordneten.

*

2. Sachverständige sehen Euratom-Vertrag kritisch

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (Anhörung)

Berlin: (hib/HLE) Gegen die heutige Atompolitik in der EU und besonders gegen den Euratom-Vertrag sind in einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie am Montag erhebliche Bedenken laut geworden. Allerdings ist nach Angaben von Professor Matthias Schmidt-Preuß (Universität Bonn) ein isolierter Austritt Deutschlands aus der Euratom-Gemeinschaft nicht möglich. Artikel 106 I des Euratom-Vertrages ermögliche den Austritt aus der Euratom-Gemeinschaft nur zusammen mit einem Austritt aus der Europäischen Union. Schmidt-Preuß verwies auf das Nachbarland Österreich, das 1995 nur der EU habe beitreten wollen, nicht aber Euratom. Das sei nicht möglich gewesen. Wer nur in beide reingehen könne, könne auch nur aus beiden zusammen rausgehen, argumentierte Schmidt-Preuß.

Hans-Gerd Marian ("NaturFreunde Deutschlands") forderte, Euratom endlich aufzulösen. Die Organisation beklagte, dass die EU-Kommission ein europäisches Volksbegehren gegen die Atomkraft als unzulässig bezeichnet habe, weil der die Förderung der Atomenergie beinhaltende Vertrag eine Bürgerinitiative gegen Atomkraft verhindere. "Ein weiteres Mal erweist sich damit der Euratom-Vertrag als ein Vehikel der Atomlobby, die sich über demokratische Prinzipien stellen will", kritisierte die Organisation "NaturFreunde".

Der Sachverständige Wolfgang Renneberg (Büro für Atomsicherheit) bezeichnete die Europäische Union im Bereich der nuklearen Sicherheit aus eigener rechtlicher und technischer Kompetenz als nicht handlungsfähig. "Ganz im Gegensatz dazu steht der politisch medial vorgetragene Anspruch der Kommission, die nukleare Sicherheit in Europa garantieren zu wollen", kritisierte der Sachverständige, der als Beleg den europäischen Stresstest für Kernkraftwerke anführte: "Die 'Prüfung' wurde von denjenigen durchgeführt, die die Kernkraftwerke seit Jahren betreiben und beaufsichtigen."

"Euratom und seine Instrumente sind nicht mehr tragbar", erklärte Patricia Lorenz (Antinuclear Campaigner). Sie warf den europäischen Institutionen vor, unter dem Vorwand von Sicherheitsverbesserungen Kredite zu gewähren, "die jedoch dem Neubau und zum Beispiel jetzt beim aktuellen Vorhaben der Lebensdauerverlängerung sowjetischer Reaktoren in der Ukraine dienen". Ein Austritt aus Euratom bei gleichzeitigem Verbleib in der EU hielt sie für möglich.

Für ein Festhalten am Euratom-Vertrag argumentierte Frank. J. Scheuten (Kanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte und Notare Essen). Der Vertrag akzeptiere die souveräne Entscheidung jedes Mitgliedsstaates über das Ausmaß der friedlichen Nutzung der Kernenergie in seinem Hoheitsgebiet. Über das Einstimmigkeitserfordernis habe jeder Mitgliedsstaat bei wichtigen Entscheidungen wie Vergabe von Krediten oder Investitionshilfen eine sehr weitgehende Mitgestaltungsmöglichkeit. "Auch die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem kurzfristigen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Europäischen Gemeinschaft einen Sonderweg geht, ist keine Rechtfertigung für die Überlegung, den Euratom-Vertrag grundlegend zu überarbeiten oder gar zu kündigen", erklärte Scheuten. Professor Thomas Fanghänel (Institut für Transurane) verwies auf die große Bedeutung von Euratom für Standards und Sicherung der nuklearen Sicherheit.

Grundlage der Anhörung waren zwei Anträge von Oppositionsfraktionen. So fordert die SPD-Fraktion in einem Antrag (17/8927), den Euratom-Vertrag an die Herausforderungen der Zukunft anzupassen. Deshalb soll sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass "schnellstmöglich" eine Regierungskonferenz einberufen wird, die den Vertrag grundlegend überarbeitet. Dabei soll die Sonderstellung der Atomenergie abgeschafft werden. Alle Passagen des Euratom-Vertrages, die Investitionen in die Atomenergie begünstigen, sollen gestrichen werden, fordern die Abgeordneten. Die freiwerdenden Mittel sollen stattdessen außerhalb des Euratom-Rahmens für die Forschung und Entwicklung von erneuerbaren Energien eingesetzt werden.

Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will den Euratom-Vertrag grundlegend überarbeiten lassen und fordert außerdem Vorbereitungen zu einem europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie (17/7670). In dem Antrag verlangen die Abgeordneten unter anderem die Schaffung einer "Europäischen Gemeinschaft für erneuerbare Energien". Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich für die Abschaffung der in dem Euratom-Vertrag festgeschriebenen Sonderstellung der Kernenergie einzusetzen.

*

Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 287 - 11. Juni 2012 - 16:45 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2012