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BUNDESTAG/6203: Heute im Bundestag Nr. 717 - 02.12.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 717
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 02. Dezember 2016, Redaktionsschluss: 09.54 Uhr

1. Zeugen berichten von BND-Pannen
2. Behörde seit 2011 gegen Cum/Ex-Geschäfte
3. Vorwürfe an Regierung im Abgas-Skandal
4. Blinde Stellen im NSU-Komplex


1. Zeugen berichten von BND-Pannen

1. Untersuchungsausschuss (NSA)/Ausschuss

Berlin: (hib/wid) Der Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Guido Müller, hat nach eigenen Worten von Lauschangriffen seiner Behörde auf Ziele mit EU- und Nato-Bezug lange Zeit nichts gewusst. Er habe sich so etwas auch nicht vorstellen können, betonte Müller in seiner Vernehmung durch den 1. Untersuchungsausschuss (NSA): "Von unserer Perzeption aus war das ein No Go." Der heute 50-Jährige war von 2007 bis 2013 Referatsleiter in der mit der Dienst- und Fachaufsicht über die Nachrichtendienste des Bundes betrauten Abteilung 6 des Kanzleramtes. Seither ist er als einer von drei BND-Vizepräsidenten unter anderem zuständig für Haushalt und innere Organisation der Behörde.

Dass auch der BND in der strategischen Fernmeldeaufklärung Suchmerkmale steuerte, die zur Ausspähung von Verbündeten geeignet waren, habe er erst im März 2015 erfahren, erklärte Müller: "Bestimmte Dinge habe ich erst dieses Jahr nachvollziehen können. Im Februar habe ich erstmals einen der Selektoren, die Sie nennen, gesehen." Zuvor sei ihm weder in seiner Zeit als BND-Aufseher im Kanzleramt noch später der Gedanke gekommen, der deutsche Auslandsnachrichtendienst könnte sich auch für befreundete Ziele interessieren. Der Leitfaden für die Tätigkeit des BND sei schließlich das sogenannte Auftragsprofil der Bundesregierung (APB). Dort sei von EU, Nato oder Vereinten Nationen als Objekten der Bespitzelung keine Rede: "Deshalb war das für mich nicht vorstellbar, dass das erfolgt."

In seinen Kontakten mit BND-Mitarbeitern als Referatsleiter im Kanzleramt wie auch später als Vizepräsident seien solche Lauschmaßnahmen nie zur Sprache gekommen. Er hätte sie im übrigen für das "Verbrennen von Ressourcen" gehalten. Von der mündlichen Weisung des Kanzleramts an den damaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler Ende Oktober 2013, die Ausspähung von Verbündeten einzustellen, habe er nichts erfahren. Eine Schriftfassung habe er laut Aktenlage im April 2014 abgezeichnet, aber den Inhalt offenbar nicht zur Kenntnis genommen, weil er nicht in seine Zuständigkeit fiel. Im übrigen halte er die Einschätzung der Kanzlerin, dass Lauschangriffe "unter Freunden" ungehörig seien, nach wie vor für richtig.

Zuvor hatte die frühere Datenschutzbeauftragte des BND dem Ausschuss berichtet, dass auf der Sachbearbeiterebene lange Zeit große Verwirrung geherrscht habe über die Kriterien, nach denen politische Brisanz oder Zulässigkeit einer Abhörmaßnahme zu beurteilen sind. Die Zeugin H.F. war im März 2015 von BND-Präsident Schindler persönlich zur Leiterin einer "Prüfgruppe Selektoren" berufen worden. Sie sollte den Einsatz politisch fragwürdiger Suchmerkmale der amerikanischen National Security Agency (NSA) in der Abhöranlage in Bad Aibling untersuchen und Empfehlungen formulieren.

In Gesprächen mit Mitarbeitern der Abteilung Technische Aufklärung (TA) habe sie immer wieder gehört: "Wir schwimmen so ein bisschen. Uns fehlt die linke Grenze und die rechte Grenze." Es sei zwar klar gewesen, dass Daten deutscher "Grundrechtsträger" nicht erfasst werden durften. Darüber hinaus habe aber niemand genau gewusst, was zulässig und unzulässig war. Dies sei als "wesentliches Manko" empfunden worden.

Es gab zwar, wie der Abteilungsleiter auf Nachfrage versicherte, eine "Weisungslage". Doch sei diese Weisung als hoch geheim eingestuft gewesen, so dass auch Mitarbeiter der Abteilung selbst sie nicht ohne weiteres zur Kenntnis nehmen durften. Sie sei obendrein für schlichte Sachbearbeiter unverständlich gewesen. Eine nachgeschobene Erläuterung habe die Verwirrung nur vergrößert.

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2. Behörde seit 2011 gegen Cum/Ex-Geschäfte

5. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/MWO) Missbräuchliche Steuererstattungen im Zuge von Cum/Ex-Modellen sind vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) seit 2011 weitestgehend unterbunden worden. Nach einem Hinweis aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) im Frühjahr 2011 ging die Behörde konsequent gegen die ihrer Meinung nach illegalen Geschäfte vor, mit denen der Staat dazu gebracht werden sollte, Investoren über ein Geflecht aus Banken und Beratern eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach zu erstatten. Dies geht aus den Aussagen hervor, die BZSt-Mitarbeiter in der öffentlichen Sitzung des 4. Untersuchungsausschusses (Cum/Ex) des Bundestages machten.

Das Gremium unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD) hatte an diesem Tag nur Zeugen aus dem BZSt geladen, um sich über die Arbeitsweise der Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMF und speziell die Aufarbeitung der Cum/Ex-Thematik zu informieren. Am Ende der siebenstündigen öffentlichen Befragung sagte der Präsident der Behörde, Eberhard Petersen, er sei stolz darauf, wie die Mitarbeiter des zuständigen Referats die Aufarbeitung des Cum/Ex-Betruges in den Griff bekommen hätten. Im Ergebnis seien bedeutende Summen gar nicht erst ausgezahlt beziehungsweise zurückgefordert worden. Und die Arbeit sei noch längst nicht beendet.

Als erste Zeugin schilderte Sachbearbeiterin Jana Stobinsky, wie sie im März 2011, gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit in dem für die Kapitalsteuerentlastung zuständigen BZSt-Referat, mit dem Thema Cum/Ex konfrontiert worden sei. Ihre Aufgabe sei es gewesen, zu überprüfen, ob die von Ausländern einbehaltene Kapitalertragsteuer nach einem Doppelbesteuerungsabkommen auf Antrag erstattet werden kann. Dies war bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bis Ende 2011 möglich. Die Antragsfrist beträgt vier Jahre.

Nach dem vom BMF übermittelten abstrakten Hinweis eines Informanten auf missbräuchliche Gestaltungen mit Cum/Ex-Trades um den Dividendenstichtag, habe man vor dem Problem gestanden, diese Geschäfte ausfindig zu machen, erläuterte Stobinsky. Es seien Kriterien entwickelt und ständig angepasst worden, um aus jährlich rund 20.000 Anträgen potenzielle Cum/Ex-Prüfungsfälle herauszufiltern. Diese seien dann angeschrieben und um Informationen gebeten worden. Ziel sei gewesen, verdächtige Anträge zu stoppen und nicht zur Auszahlung zu bringen.

Große Unterstützung sei vom BMF - auch über den kurzen Dienstweg - und von den Länderfinanzbehörden gekommen, und auch die Abwicklungsgesellschaft Clearstream habe bei technischen Fragen geholfen, sagte Stobinsky. Ihrer Erkenntnis nach hätten sich die Cum/Ex-Akteure 2011 noch einmal einen "ordentlichen Schluck aus der Pulle" genehmigen wollen, denn es seien enorm hohe Antragssummen registriert worden. Um keine Fälle in die Verjährung laufen zu lassen, seien Ermittlungsschreiben verschickt worden. Daraufhin seien Kanzleien und Berater ins Spiel gekommen, die auf eine schnelle Auszahlung der Steuern gedrängt und auch Gutachten vorgelegt hätten. Es habe Indizien für ein Netzwerk aus Beratern und Brokern gegeben, sagte Stobinsky auf eine Frage des SPD-Obmanns Andreas Schwarz. Wie bei einem Puzzlespiel habe man am Ende gesehen, dass immer bestimmte Leute am Werk gewesen seien.

Zur Frage der strafrechtlichen Relevanz sagte Stobinsky, ihr Referat ermittle den Sachverhalt, und bei einem Anfangsverdacht auf Strafbarkeit übernehme die Bußgeld- und Strafsachenstelle des BZSt. Werde aus dem Steuerverfahren ein Strafverfahren, müsse die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden. Mittlerweile arbeite ihr Referat gegen die Zeit, erläuterte sie, denn die Fristen für die Aufbewahrung einschlägiger Unterlagen seien im Ausland oft kürzer als in Deutschland, wo die Frist zehn Jahre betrage.

Zur Entwicklung der Cum/Ex-Praxis sagte die Steuerexpertin auf eine Frage des Linken-Obmanns Richard Pitterle, dass es sich in allen von ihr ermittelten Fällen um Absicherungsgeschäfte gehandelt habe. Seien die von den Ländern 2008 und 2009 verfolgten Fälle noch recht einfache OTC-Geschäfte - also außerhalb des Börsenhandels - zwischen zwei Vertragspartnern gewesen, habe es 2011 eine Fortentwicklung hin zu "Cum/Ex 2.0" gegeben. Es seien dann als weitere Ermittlungshürde Future- und Derivategeschäfte aufgetaucht. Ihrer Meinung nach seien diese Geschäfte durch eine Kette vieler Stationen und über mehrere Ländergrenzen hinweg bewusst verschleiert worden.

Auf eine Frage des Grünen-Obmanns Gerhard Schick zum Vorgehen der Staatsanwaltschaften merkte Stobinsky an, dass es aufseiten der Strafverfolger offenbar keine einheitliche Meinung zu diesen Geschäften und dem damit möglicherweise verbundenen Verdacht auf Steuerhinterziehung gebe. Es gebe Staatsanwaltschaften, die die Sichtweise des BZSt nicht teilten. Auf eine weitere Frage Schicks zu Amtshaftungsklagen gegen die Behörde und deren Mitarbeiter sagte sie, sie sei "massiv angegangen" worden, und die von den Klägern vorgelegt rechtliche Expertise sei als Einschüchterung zu verstehen gewesen. Offenbar seien die Klagen angestrengt worden, um die Legitimität der Cum/Ex-Geschäfte gerichtlich bestätigt zu bekommen, sagte Stobinsky auf Nachfrage von Krüger.

Im Anschluss sagte BZSt-Referentin Sabine Holthausen aus, die seit 2013 im Cum/Ex-Referat St III 3 arbeitet. Ihrer Einschätzung nach werden die Ermittlungen auch dadurch erschwert, dass es noch kein grundsätzliches Urteil des Bundesfinanzhofes zu der Problematik gebe. Ein Lichtblick sei jedoch das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom Februar 2016. Danach gibt es keine Gesetzeslücke zur doppelten Anrechnung von Kapitalertragsteuer und kein mehrfaches wirtschaftliches Eigentum.

Holthausen zufolge wurden bis Ende November 2016 rund 570 Anträge auf Erstattung mit einem Volumen von 2,8 Milliarden Euro überprüft. Davon seien 270 Fälle mit einem Volumen von 1,7 Milliarden Euro noch nicht abschließend geprüft. Von diesem wiederum seien in 120 Fällen mit einem Volumen von 1,2 Milliarden Euro keine Auszahlungen vorgenommen worden, und 500 Millionen Euro seien noch in Prüfung. Bei 100 Fällen sei keine Cum/Ex-Gestaltung erkennbar gewesen. Insgesamt seien 350 Millionen bis 400 Millionen offen. Die Voraussetzungen, diese Gelder zurückzubekommen, seien aber sehr gut. Durch die Arbeit des BZSt gebe es die Chance, einen Steuerschaden zu vermeiden.

Mehrere Fragen der Abgeordneten drehten sich um die Personalausstattung des Referats. Sie habe immer das bekommen, was gebraucht wurde, um die Fälle aufzuklären, sagte Holthausen auf eine Frage der CDU-Abgeordneten Sabine Sütterlin-Waack. So seien in drei Jahren 300 Anträge bearbeitet und 300 Millionen Euro zurückgeholt worden.

Jürgen Binger, der Ende 2011 als Leiter das Referat übernahm, schilderte, wie bei ihm kurz darauf "alle Alarmglocken" angingen, als er eine ungewöhnliche Berufsträgerbescheinigung zu einem Cum/Ex-Fall zu Gesicht bekam, in der auf mehreren Seiten ausgeführt worden sei, was alles nicht zu prüfen gewesen wäre. Auch Binger vertrat die Ansicht, dass mit Amtshaftungsklagen "ganz eindeutig" Druck auf ihn und seine Mitarbeiter ausgeübt werden solle.

Zu möglichen Cum/Ex-Fällen aus den Jahren 2007 bis 2009 sagte Binger, diese würden dann Gegenstand von Ermittlungen, wenn sie in einem Zusammenhang mit aktuellen steuerstrafrechtlichen Ermittlungen stünden. Liegengeblieben seien mit Sicherheit keine Fälle. Für die weitere Arbeit des BZSt hofft Binger auf Rückenwind durch den Cum/Ex-Ausschuss. Es habe bereits Fälle gegeben, in denen Rückforderungsfälle einvernehmlich geregelt werden konnten. Insgesamt könne die Aufarbeitung aber "noch etliche Jahre" dauern. Binger sowie Stobinsky und Petersen wurden anschließend in geheimer Sitzung weiter befragt.

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3. Vorwürfe an Regierung im Abgas-Skandal

5. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/STU) Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft der Bundesregierung Untätigkeit und Verharmlosung des Abgas-Skandals vor. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch bezeichnete das Verhalten der Regierung im Untersuchungsausschuss des Bundestages als "alarmierend"und sprach von "Nichtstun" sowie einer "Wegschau-Mentalität". Es gehe um millionenhaften Betrug an Dieselfahrern, Hunderttausenden Erkrankungen und jährlich 10.600 Toten in Deutschland durch giftige Stickoxide.

Aus Sicht von Resch hätte die Politik seit langem wissen können, dass Autohersteller illegale Einrichtungen verwenden, um die Abgasreinigung zu reduzieren. Seit 2007 habe die Umwelthilfe dies immer wieder thematisiert auf Pressekonferenzen sowie in regelmäßigen Gesprächen mit Politikern. So will die DUH auch mit dem ehemaligen Umweltminister und heutigem Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und der aktuellen Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) darüber gesprochen haben. Letztlich habe man dort auf die Zuständigkeit des Verkehrsministeriums verwiesen, obwohl das Umweltressort für die Luftreinhaltung verantwortlich sei. Da Bundeswirtschaftsministerium habe sich in Gesprächen immer klar als Interessensvertreter der deutschen Wirtschaft gesehen. Vom Verkehrsministerium sieht sich die DUH ausgebremst. Seit 15 Monaten seien alle Versuche für Treffen mit der Spitze des Ministeriums gescheitert. Resch sprach von einem "Bann" gegenüber seinem Verband.

Resch präsentierte den Abgeordneten eine Unmenge an Zahlen, auch aus vielen eigenen Tests, um Grenzwertüberschreitungen von Diesel-Fahrzeugen um ein Vielfaches zu belegen. Für die DUH ist klar, dass Hersteller illegale Abschalteinrichtungen benutzen, damit ihre Autos auf dem Prüfstand die Werte einhalten. Den Beweis könne er nicht erbringen, räumte Resch ein. Den habe es aber auch in den USA nicht gegeben. Dort habe VW den Verstoß eingeräumt. Mit der Haltung, das illegale Verhalten der Hersteller sei belegt, findet die Umwelthilfe kaum Unterstützer. Bis Herbst 2015 habe man "keinen wirklichen Nachhall gehabt", beklagte Resch. Die Bundesregierung habe die Nutzung solcher Einrichtungen vor dem VW-Skandal für eine legale Auslegung der EU-Vorschriften gehalten. Dies sahen auch Prüforganisationen und der ADAC so.

Vertreter von Union und SPD im Ausschuss stellten in der mehr als fünfstündigen Vernehmung von Resch immer wieder kritische Nachfragen. Die CDU/CSU zweifelte an der Glaubwürdigkeit des Zeugen, der die von der Bundesregierung geforderte Belegführung mit einer Toten mit fünf Einschüssen verglich, bei der Polizei sich weigere zu ermitteln, wenn nicht erwiesen sei, dass es sich nicht um Selbstmord handele. Die SPD stellte die von der DUH genutzten Messverfahren in Frage.

Der Verband vertritt seine Haltung aggressiv, mehrfach sprach Resch davon, das Thema immer wieder "skandalisiert" zu haben. Oft beschreitet die DUH den Klageweg. Resch sprach von 10 bis 15 Rechtsverfahren, in denen es um Auskunftsersuchen bis hin zum Entzug von Typzulassungen gehe. Hinzu kommen 15 Klagen gegen Länder und Städte wegen zu hoher Stickoxidwerte.Die Umwelthilfe hatte wegen der hohen Stickoxidwerte in Innenstädten im September vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf ein Urteil erwirkt, wonach die Kommune schnellstmöglich, spätestens 2018, Fahrverbote für Dieselautos verhängen soll. Die nordrhein-westfälische Landesregierung legte Revision ein, stimmte aber einer Sprungrevision zu, so dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sich damit befassen wird. Ein Urteil könnte noch 2017 fallen.

Gegen Opel und seinen Vorstandschef hat die DUH Strafanzeige gestellt, es laufen derzeit Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main.

Scharfe Kritik äußerte Resch an der Arbeit der von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nach Bekanntwerden des VW-Skandals eingesetzten Untersuchungskommission. Der im April vorgestellte Bericht sei lückenhaft. Die DUH klagt auch hier auf Herausgabe weiterer Daten der Untersuchungen von 53 Dieselmodellen. Das Verkehrsministerium betont jedoch, die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen. Dass das Ministerium mehrere Hersteller zu freiwilligen Rückrufen bewegte, weil Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abgasdrosselung in bestimmten Temperaturbereichen bestanden, bezeichnete Resch als "beweisfähig".

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4. Blinde Stellen im NSU-Komplex

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/FZA) Den Einschätzungen des Dortmunder Staatsanwaltes Heiko Artkämper zufolge konnten die deutschen Ermittlungsbehörden vor November 2011 keine Kenntnis von der rechten Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) haben. Zwar habe es schon frühzeitig Vermutungen gegeben, dass hinter der sogenannten Ceská-Mordserie an neun türkisch und griechischstämmigen Kleinunternehmern Rechtsextremisten steckten. Belastbare Hinweise darauf fanden die Ermittler jedoch nicht. Das sagte Artkämper als Zeuge vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestages unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU) aus.

Artkämper leitete unter anderem ab April 2006 das Ermittlungsverfahren zum Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund, dem achten Mordopfer des NSU. Bereits kurz nach der Tat hatte er öffentlich vermutet, dass "ein Durchgeknallter, der Migranten hasst" hinter der Tat stecken könnte. Mit dieser Einschätzung lag er, wie heute bekannt ist, sehr nah an den Tatsachen. Diese frühe Aussage sei allerdings nur eine von vielen Hypothesen gewesen, sagte Artkämper nun als Zeuge vor dem Ausschuss. Handfeste Indizien, dass Rechtsextreme hinter dem Mord steckten, habe man damals nicht finden können. Stattdessen suchten die Dortmunder Fahnder bis 2008 erfolglos im Rauschgiftmilieu nach den Mördern von Kubasik. 2008 stellte Artkämper die Ermittlungen dann vorläufig ein.

Die Abgeordneten fragten unter anderem, warum die einzelnen Ermittlungsverfahren zur Ceská-Mordserie nicht schon vor 2011 in einem Sammelverfahren gebündelt worden seien. Den Grund dafür kenne er nicht, sagte Artkämper und wies jegliche Verantwortung dafür von sich. CDU-Obmann Armin Schulz kritisierte, es habe keinen eindeutigen "Herrn des Verfahrens" gegeben, weshalb die polizeiliche Ermittlungsarbeit sich zuweilen verselbstständigt habe.

Die Obfrau der Linken Petra Pau ergänzte, die polizeiliche Ermittlungsarbeit sei auch teilweise aufgrund von "strukturellem Rassismus" fehlgeleitet gewesen. Man habe die Mordopfer wegen ihrer Herkunft vorschnell mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht, wodurch man einseitig in die falsche Richtung ermittelt und den Hinterbliebenen der Opfer zusätzlich Leid angetan habe. Dem widersprach Artkämper nicht, sah sich aber auch nicht in der Position, Vorschläge zu machen, wie das künftig zu verhindern sei.

Nach Artkämper hörte der Ausschuss Georg Oswald, Kriminalkommissar des BKA, als Zeugen. Er war Mitglied der sogenannten Besonderen Aufbauorganisation "BAO Trio", deren vorsätzliche Aufgabe es war, nach der Enttarnung des NSU im November 2011 die bisherigen Ermittlungen noch einmal neu aufzuarbeiten. Oswald war in diesem Rahmen mit einer ganzen Reihe an Aufgaben betraut. Unter anderem vernahm er eine Vielzahl an Zeugen erneut und fahndete nach weiteren möglichen konspirativen Wohnungen des Terrortrios.

Die Ausschussmitglieder fragten Oswald unter anderem zu den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln 2001 und 2004, die dem NSU zugeschrieben werden. Obfrau Irene Mihalic wollte hierzu wissen, ob es denn überhaupt eindeutige Hinweise darauf gebe, dass die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Bombenleger waren. Nein, die gebe es nicht, antwortete Oswald gerade heraus. Das einzige wirklich belastbare Indiz sei das Bekennervideo der Terrorgruppe.

Der Vorsitzende Binninger hielt Oswald ein Überwachungsvideo vor, dass die zwei mutmaßlichen Täter unmittelbar vor dem Anschlag in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 zeigen soll. Allerdings ist nicht klar zu erkennen, ob es sich dabei tatsächlich um Böhnhardt und Mundlos handelt. Dazu sei das Videomaterial zu schlecht, eine Gesichtserkennung sei nicht möglich gewesen, sagte Oswald und kam doch zu dem Urteil: "Ich persönlich glaube, dass es die beiden sind." Die Statur der Täter stimme durchaus mit denen der NSU-Terroristen überein. Auch Experten der Universität Freiburg hatten auf der Basis einer Gangartanalyse der Männer im Video eine mögliche Identität mit Böhnhardt und Mundlos festgestellt.

Detailliert ging der Ausschuss mehreren Hinweise nach, die auf bisher unentdeckte Unterstützer des NSU schließen lassen könnten. Die Abgeordneten ließen bei den Zeugenbefragungen immer wieder durchblicken, dass sie noch zahlreiche ungeklärte Querverbindungen zwischen Personen aus dem Umfeld des NSU sehen, denen bisher noch nicht ausreichend nachgegangen worden ist. Dabei geht es immer wieder auch um mögliche Verbindungen des NSU zu internationalen Neonazinetzwerken wie "Blood & Honour", "Combat 18" oder den "Hammerskins".

Informationen darüber sollten im Folgenden zwei ehemaligeVerfassungsschützerinnen als Zeuginnen liefern. Dinchen Büddefeld leitete von 2012 bis 2015 die Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Cornelia de la Chevallerie war von 2001 bis 2006 Gruppenleiterin beim Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen. Die Befragung der beiden erwies sich allerdings als wenig ergiebig.

Das lag zum einen daran, dass die Zeuginnen sich an viele Details nicht mehr erinnern konnten. Zum anderen sind Themenkomplexe rund um die Arbeitsweise der Verfassungsschutzämter weitgehend vertraulich eingestuft, was bedeutet, das die Zeugen dazu öffentlich keine Aussage machen dürfen. Einige zentrale Fragen im NSU-Komplex, etwa zu den Hintergründen der Schredderaktion von V-Mann-Akten im BfV, bleiben somit weiter unbeantwortet. In der Summe bestätigten Büddefeld und de la Chevallerie das, was zuvor bereits von Artkämper und Oswald konstatiert worden war: In Sachen Rechtsterrorismus sind die deutschen Behörden bis 2011 weitgehend im Dunkeln getappt.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 717 - 2. Dezember 2016 - 09.54 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2016

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