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BUNDESTAG/6234: Heute im Bundestag Nr. 748 - 15.12.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 748
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 15. Dezember 2016, Redaktionsschluss: 17.53 Uhr

1. Kritik an Ermittlern im Kasseler Mordfall
2. Speicherungen in der Falldatei Rauschgift
3. Strategic Communication Network


1. Kritik an Ermittlern im Kasseler Mordfall

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/FZA) Der Mord an Halit Yozgat am 4. April 2006 in Kassel ist der neunte und letzte Fall in der sogenannten Ceská-Mordserie, die heute der rechten Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zugerechnet wird. Mit den offenen Fragen, die der Fall nach wie vor aufwirft, hat sich der 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestags befasst.

Allen bisherigen Erkenntnissen nach betraten die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am frühen Abend des 4. April 2006 das Internetcafé des damals 21-jährigen Halit Yozgat und schossen ihm zweimal aus kurzer Distanz in den Kopf. Obwohl sich zum Tatzeitpunkt insgesamt sechs weitere Personen in den Telefonkabinen und Computerräumen des Cafés aufhielten, gab es keine Augenzeugen und die Täter konnten unbemerkt flüchten. Einer dieser sechs Personen war kurioserweise ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, der damalige V-Mann-Führer Andreas Temme.

Was Temme genau am Tatort trieb, ist bis heute ungeklärt. Weil er sich als Zeuge nicht bei der Polizei meldete, geriet Temme zunächst unter Tatverdacht und wurde am 21. April 2006 vorläufig verhaftet. Die Ermittler stießen erst durch die Auswertung eines Computers im Internetcafé auf ihn. An dem PC hatte sich Temme kurz vor dem Tatzeitpunkt privat in einem Chat eingeloggt. In den zahlreichen Aussagen, die Temme seitdem bei der Polizei, vor Gericht und in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gemacht hat, beteuerte er stets, von dem Mord nichts mitbekommen zu haben. Auch die Leiche habe er beim Verlassen des Cafés nicht gesehen. Daran bestehen weiterhin erhebliche Zweifel. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde trotzdem im Januar 2007 eingestellt. Auch die Richter am Münchener Oberlandesgerichts haben Temmes Aussagen trotz aller Zweifel als glaubwürdig anerkannt.

Zu den damaligen Ermittlungen befragte der Ausschuss unter anderem den Kasseler Staatsanwalt Götz Wied, der ab 2006 das Mordverfahren im Fall Yozgat leitete, bis es nach der Enttarnung des NSU im November 2011 vom Generalbundesanwalt übernommen wurde. Im Zentrum der Vernehmung stand die Frage, ob gegen Temme als Tatverdächtigen tatsächlich umfassend ermittelt worden ist und warum das entsprechende Ermittlungsverfahren so schnell eingestellt worden ist. Dies sei, so ließen die Abgeordneten immer wieder durchblicken, nicht der Fall. Insbesondere wollte der Ausschuss aufklären, ob Temme im Vorfeld der Tat relevante Informationen über den geplanten Mord hatte oder ob er sogar daran beteiligt war.

Die Abgeordneten kritisierten mitunter scharf, wie damals mit Temme als Tatverdächtigen umgegangen worden ist. Laut des Abgeordneten Thorsten Hoffmann (CDU) sei die Polizei am 21.4.2006 um 17 Uhr zu Temme nach Hause gefahren, um ihn als Tatverdächtigen vorläufig festzunehmen und seine Wohnung zu durchsuchen. Temme habe sich daraufhin den Beamten als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Hessen zu erkennen gegeben, worauf diese vorerst auf eine Hausdurchsuchung verzichteten. Das sei ein Fehler gewesen, gab Wied nun zu. Seiner Kenntnis nach habe es auch keine Maßnahmen vonseiten der Polizei gegeben, die Wohnung zu sichern, um einer möglichen Vernichtung von Beweisen vorzubeugen

Auch fragten die Abgeordneten nach der Aussage eines der im Café anwesenden Zeugen, der behauptet hatte, Temme habe eine Plastiktüte mit sich getragen, in der sich ein schwerer Gegenstand befunden habe. Wied sprach daraufhin von mehreren Unstimmigkeiten in den Aussagen des besagten Zeugen. So habe dieser in einer erster Vernehmung noch behauptet, mit dem Vater von Halit Yozgat gesprochen zu haben, später meinte er, es sei das Opfer selbst gewesen. Von Temme habe er überhaupt erst in der späteren Vernehmung berichtet. Die Plastiktüte habe er auch nur auf konkrete Nachfragen der Beamten erwähnt. Außerdem gab er an, im Café ein Computerspiel gespielt zu haben, was sich anhand der Computerdaten nicht bestätigte. Nach der Plastiktüte sei deshalb nicht weiter gesucht worden, obwohl die Mörder nachweislich an anderen Tatorten eine Plastiktüte verwendet hatten, um die Projektile aus der Mordwaffe aufzufangen.

Warum Wied darauf verzichtete, einen Haftbefehl gegen Temme zu erlassen, konnte der Staatsanwalt dem Ausschuss nicht wirklich plausibel machen. "Das war eine der schwersten Entscheidungen, die ich bisher treffen musste", gab er an. Gegen einen dringenden Tatverdacht Temmes habe unter anderem gesprochen, dass bei ihm die Tatwaffe nicht gefunden werden konnte und dass er als Verdächtiger "leicht zu ermitteln" war. Wer einen Mord begehen wolle, setze sich nicht vorher an den Tatort und melde sich dort an einem PC an, stellte Wied fest. Da habe aus seiner Sicht dagegen gesprochen, dass Temme der Täter sei.

Immer wieder ging es auch um den rechten V-Mann Benjamin Gärtner, den Temme damals als Quelle führte und mit dem er vor und unmittelbar nach dem Mord telefoniert hatte. Der Ausschuss wollte von Wied unter anderem erfahren, welche Kenntnisse er damals über Gärtner und die rechtsextreme Szene von Kassel hatte. Wied, der bereits im November 2015 als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Hessen ausgesagt hatte, konnte dazu keine neuen Informationen liefern. Er bestätigte zwar, schon damals habe es die These von einem ausländerfeindlichen Hintergrund der Ceská-Morde gegeben. Man sei dieser These auch gründlich nachgegangen, habe zum Beispiel die Funkzellendaten der unterschiedlichen Tatorte verglichen. Hinweise auf die Identität der Täter oder einen Bezug zu Rechtsextremen seien nicht gefunden worden. Auch die Person Gärtner habe man überprüft, habe ihn aber nicht mit dem Mord in Verbindung bringen können. Eine Vernehmung von Gärtner und den anderen Quellen, die Temme als V-Mann-Führer betreute, sei damals nicht möglich gewesen. Eine entsprechende Aussagegenehmigung habe das hessische Landesamt für Verfassungsschutz verweigert.

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2. Speicherungen in der Falldatei Rauschgift

Inneres/Antwort

Berlin: (hib/STO) Die "Falldatei Rauschgift" (FDR) ist Thema einer Antwort der Bundesregierung (18/10590) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/10396). Wie die Fraktion darin ausführte, kritisierten Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder nach einer unabhängigen Datenschutzkontrolle die rechtswidrige Speicherung von personenbezogenen Daten in der Datei. Bei der FDR handelt es sich der Fraktion zufolge um eine bundesweite Verbunddatei, in der Polizeibehörden aus Bund und Ländern personenbezogene Daten speichern. Es dürften nur Straftaten mit länderübergreifender oder erheblicher Bedrohung gespeichert werden, um zukünftige Ermittlungen im Betäubungsmittelbereich zu erleichtern.

Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort darlegt, bezog sich die Datenschutzkontrolle der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfD)I) auf die Speicherungen in der FDR mit Stand Juli 2015. Gemäß dem Bericht über die "Datenschutzrechtliche Kontrolle der FDR und weiterer Dateien im Bereich der Bekämpfung der Arznei- und Betäubungsmittelkriminalität" der BfDI vom 12. Oktober 2015 habe "das Bundeskriminalamt selbst keine unzulässigen Speicherungen vorgenommen", schreibt die Regierung zur Frage nach der Zahl der festgestellten Mängel in der FDR. Zu der datenschutzrechtlichen Prüfung beim Zollkriminalamt (ZKA) führe die BfDI in ihrem Prüfungsbericht konkret 62 Fälle an. Weiter heißt es in der Antwort, dass die Prüfberichte der Landesdatenschutzbeauftragten nicht vorlägen. Insoweit könne keine Aussage zu rechtswidrigen Speicherungen durch die Verbundteilnehmer in den Ländern getroffen werden,

Die rechtswidrigen Datensätze beim ZKA werden der Regierung zufolge "nach Prüfung entweder gelöscht, anonymisiert oder zusätzlich dokumentiert". Vor der "Migration der Daten in die zeitnah in Betrieb gehende Anwendung PIAV" werde durch eine datenschutzrechtliche Überprüfung der derzeit in der FDR gespeicherten Daten sichergestellt, dass nur solche Daten übernommen werden, die datenschutzrechtlichen Erfordernissen genügen.

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3. Strategic Communication Network

Inneres/Antwort

Berlin: (hib/STO) Über das "European Strategic Communication Network" (ESCN) berichtet die Bundesregierung in ihrer Antwort (18/10591) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/10386). Wie die Regierung darin ausführt, handelt es sich beim ESCN um ein "für ein Jahr von der Europäischen Kommission finanziertes, von Belgien geleitetes und vom Vereinigten Königreich unterstütztes Projekt". Derzeit seien 19 Mitgliedstaaten am ESCN beteiligt.

Beim ersten Netzwerktreffen des ESCN am 18. November 2016 habe das Sekretariat die Zielsetzung des Projekts skizziert, heißt es in der Antwort weiter. Demnach wolle das ESCN Mitgliedsstaaten anlassbezogen bei der strategischen Kommunikation im Rahmen der Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus beraten. Darüber hinaus solle "durch Vernetzung verstärkt zum Austausch von Informationen und Best Practices im Bereich dieser strategischen Kommunikation beigetragen werden".

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 748 - 15. Dezember 2016 - 17.53 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2016

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