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BUNDESTAG/7774: Heute im Bundestag Nr. 926 - 28.11.2018


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 926
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 28. November 2018, Redaktionsschluss: 18.00 Uhr

1. Reform des Abstammungsrechts gefordert
2. Grundgesetzänderungen beschlossen
3. Verband will Tourismus-Mainstreaming
4. Verfolgte und vertriebene Minderheiten


1. Reform des Abstammungsrechts gefordert

Gesundheit/Anhörung

Berlin: (hib/PK) Gesundheits- und Rechtsexperten fordern eine Reform des Abstammungsrechts und damit auch Regelungen für die Reproduktionsmedizin. Derzeit gebe es nur fragmentarische und unzureichende Regelungen, obgleich diese Fragestellungen enorme praktische Bedeutung hätten und sich auf viele Rechtsgebiete erstreckten, erklärten Fachleute anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Thema künstliche Befruchtung. Zudem müsse das Kindeswohl stärker in den Blickpunkt rücken. Die Experten äußerten sich in der Anhörung am Mittwoch im Bundestag sowie in schriftlichen Stellungnahmen.

Konkret ging es um einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/1832) sowie um einen Antrag (19/5548) der Fraktion Die Linke mit dem Ziel, die Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung auf unterschiedliche Paarkonstellationen auszuweiten. So sollte nach Ansicht der Grünen eine Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung durch die gesetzlichen Krankenkassen zukünftig auch bei eingetragenen Lebenspartnerschaften, verheirateten lesbischen Ehepartnern und nichtehelichen Lebenspartnerschaften ermöglicht werden.

Auch die Linksfraktion fordert einen erweiterten Anspruch auf Kostenerstattung für Kinderwunschbehandlungen. Derzeit würden unverheiratete Paare, lesbische Frauen und solche ohne dauerhafte Partnerschaft sowie aufgrund unterschiedlicher Zuschüsse auch Menschen mit geringem Einkommen diskriminiert. Die Abgeordneten fordern die volle Erstattung der Kosten für medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auch unter Verwendung von Spendersamen. Der Erstattungsanspruch müsse allen Menschen mit ungewollter, medizinisch begründeter Kinderlosigkeit eröffnet werden.

Bisher ist die Kostenübernahme bei den Krankenkassen auf heterosexuelle Ehepaare begrenzt. Die Krankenkassen tragen bei Eheleuten 50 Prozent der Behandlungskosten, wobei nur die Ei- und Samenzellen des Paares (homologe Insemination) verwendet werden dürfen. Was die Restkosten betrifft, stellen Bund und Länder gemeinsam Mittel bereit. Mit einer 2016 in Kraft getretenen Änderung der Richtlinie des Bundesfamilienministeriums "zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion" ist die Bundesförderung auf unverheiratete Paare ausgedehnt worden.

Nach Ansicht der Bundesärztekammer (BÄK) sollten die rechtlichen Fragestellungen zuerst geklärt werden, bevor an eine Leistungsausweitung gedacht werde. So habe der Bundesgerichtshof 2018 festgestellt, dass die Ehefrau der Kindesmutter nicht aufgrund der Ehe zum rechtlichen Mitelternteil des Kindes werde. Die Überschneidung wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Aspekte führe zu einer besonderen Komplexität dieses medizinischen Gebietes, wobei auch "der hohe Rang des Kindeswohls" zu berücksichtigen sei. Es sei ein "schwer überschaubares Normengeflecht" entstanden.

Ähnlich argumentierte die Rechtsanwältin Christina Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu, die darauf hinwies, dass es eine frei wählbare Eltern-Kind-Zuordnung nicht gebe. Auch in einer heterosexuellen Partnerschaft gebe es noch Regelungslücken. Erkenne ein mit der Mutter nicht verheirateter Vater die Vaterschaft nicht an, bestehe trotz genetischer Verbindung keine Möglichkeit, ihn zum rechtlichen Vater des Kindes zu machen. Ebenso könne ein Samenspender nicht aufgrund seiner genetischen Vaterschaft als rechtlicher Vater festgestellt werden. Somit sollte die gesetzliche Festlegung der Elternschaft zwingend überarbeitet werden.

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) erklärte, die möglichen Fallvarianten machten deutlich, dass den verschiedenen Erstattungssystemen kein einheitlicher Plan zugrunde liege. Das widerspreche den Gerechtigkeitsvorstellungen der Bürger. Eine Korrektur sei dringend geboten. Studien zeigten, dass die Motive bezüglich Kindern bei Lesben und Schwulen identisch und "ebenso existenziell" seien wie bei heterosexuellen Eltern.

Der Fachverband pro familia kritisierte, alleinstehende oder lesbische Frauen erlebten Ausgrenzung und eine Tabuisierung der Kinderwunschthematik. Unsinnige Reglementierungen und Rechtsunsicherheiten in Bezug auf Behandlungswünsche veranlassten Frauen und Paare, vermehrt Behandlungen im Ausland wahrzunehmen. Nötig sei ein neues Reproduktionsmedizingesetz. Der Verband sprach sich dafür aus, alleinstehenden und lesbischen Frauen eine heterologe Insemination zu ermöglichen und dafür einen gesetzlichen Anspruch zur partiellen Kostenübernahme zu schaffen.

Der Verein Spenderkinder äußerte sich hingegen kritisch zu einer möglichen Übernahme von Behandlungskosten einer Samenspende. Dies bedeute keine Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und nichtehelichen Paaren zu Ehepaaren, weil die Behandlungskosten für Samenspenden bei Eheleuten auch nicht übernommen würden. Bei einer Samenspende handele es sich um eine besondere Familiengründung zu dritt, die "mit psychologischen Herausforderungen" verbunden sei und nur nach gründlicher Aufklärung eingegangen werden sollte. Mit der Kostenübernahme würde die nötige Reflexion jedoch voraussichtlich entfallen und der Eindruck vermittelt, dass kein Unterschied zu einer homologen Insemination bestünde. Zu berücksichtigen sei überdies, dass bei einer Samenspende den so gezeugten Menschen der genetische Vater bewusst vorenthalten werde. Dies sei ethisch bedenklich.

Die Erweiterung des Leistungsanspruchs auf Fälle der heterologen Befruchtung mit Fremdsamen nicht allein für gleichgeschlechtliche, sondern auch für verheiratete oder andere heterosexuelle Paar berührt nach Aussage des GKV-Spitzenverbandes zahlreiche Fragen der Reproduktionsmedizin. Die damit zusammenhängenden auch rechtlichen Fragestellungen müssten zunächst beantwortet und in Regelungen gefasst werden.

Der Frauenarzt Jan-Steffen Krüssel vom Universitätsklinikum Düsseldorf wies wie andere Sachverständige auf die in den Vorlagen unscharf formulierten Voraussetzungen für eine Kostenerstattung hin und nannte als Beispiele die Begriffe "medizinische Gründe", "auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft" oder "medizinisch begründete Kinderlosigkeit". Die Nutzung dieser unbestimmten Begriffe hätte zur Folge, dass Ärzte in einer rechtlichen Grauzone Entscheidungen treffen müssten. Insofern sei eine Rechtsentwicklung für die Reproduktionsmedizin erforderlich.

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2. Grundgesetzänderungen beschlossen

Haushalt/Ausschuss

Berlin: (hib/SCR) Der Haushaltsausschuss hat am Mittwochnachmittag den Weg für wesentliche Änderungen in der Finanzverfassung des Grundgesetzes bereitet. Mit Stimmen der Vertreter der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen beschloss der Ausschuss Änderungen im Grundgesetz, die Finanzhilfen im Bildungsbereich sowie beim sozialen Wohnungsbau erweitern beziehungsweise ermöglichen sollen. Weitere Änderungen beziehen sich auf die Gemeindeverkehrswegefinanzierung sowie Bundesautobahnen. Die Vertreter der AfD-Fraktion stimmten gegen den Entwurf. Die abschließende Beratung ist für Donnerstagmorgen geplant. Für die Änderungen ist eine absolute Zweidrittelmehrheit nötig. Der Bundesrat ist bei den Grundgesetzänderungen zustimmungspflichtig.

Gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung (19/3440) beschloss der Ausschuss auf Grundlage eines gemeinsamen Änderungsantrages von Koalition, FDP und Grünen eine weitergehende Fassung des Artikels 104c Grundgesetz. Künftig soll der Bund demnach den Ländern "zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen sowie mit diesen verbundene besondere unmittelbare Kosten der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren" können. Neu sind dabei die Zielsetzung ("Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit") sowie die Einbeziehung der zusätzlichen Kosten. Bisher erlaubt der Artikel 104c Grundgesetz Finanzhilfen des Bundes an die Länder "für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur". Der Regierungsentwurf sah vor, die Finanzhilfen durch Hinzunahme der Länder und die Streichung des Wortes "finanzschwach" zu erweitern.

Anlass der von der Bundesregierung angestrebten Verfassungsänderungen ist das Vorhaben der Koalition, über den sogenannten "Digitalpakt Schule" mehrere Milliarden Euro in die digitale Infrastruktur in Schulen zu investieren. Die Mittel sollen dabei über ein Sondervermögen "Digital Infrastruktur" des Bundes an die Länder fließen. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung des Sondermögens (19/4720) beschloss der Ausschuss ebenfalls mit Stimmen von Koalition, FDP, Grünen und Linken bei Ablehnung der AfD.

Teil der von Koalition, FDP und Grünen vorgeschlagenen und beschlossenen Änderungen ist zudem ein Zusätzlichkeits-Kriterium im Artikel 104b Absatz 2 Satz 5 Grundgesetz. Damit soll sichergestellt werden, dass die Länder bei künftigen Finanzhilfen die Mittel des Bundes "in jeweils mindestens gleicher Höhe durch Landesmittel für den entsprechenden Investitionsbereich" ergänzen. Im Artikel 125c Grundgesetz wird dazu ein neuer Absatz 3 eingefügt, nach dem dieses Kriterium nur auf Regelungen zu Finanzhilfen zutrifft, die nach dem 31. Dezember 2019 in Kraft treten. Bestehende Finanzhilfen oder im kommenden Jahr in Kraft tretende sind davon nicht betroffen.

Inhaltlich überwiegend unverändert blieb die Neuregelung zum sozialen Wohnungsbau. Durch Aufnahme eines zusätzlichen Artikels 104d Grundgesetz soll dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, den Ländern zweckgebunden Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Kommunen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus zu gewähren. In der Ausschussfassung wird nun darauf verwiesen, dass bei diesen Finanzhilfen auch das Zusätzlichkeits-Kriterium greifen soll.

Unverändert blieb die Änderung im Artikel 125c Grundgesetz. Dadurch soll die Möglichkeit einer sofortigen Erhöhung und Dynamisierung der Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz geschaffen werden. Damit könnten Bundesprogramme zu den Schienenwegen aufgehoben, geändert oder neu aufgelegt werden. In Artikel 143e soll zudem eine Öffnungsklausel im Bereich der Bundesfernstraßenverwaltung hinsichtlich Planfeststellung und Plangenehmigung ergänzt werden. Auch diese Norm blieb im Ausschuss unverändert.

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3. Verband will Tourismus-Mainstreaming

Tourismus/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) Unter dem Stichwort "Tourismus-Mainstreaming" verlangt der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), künftig jedes neue Gesetzesvorhaben auf seine möglichen Folgen für die Belange der Branche "systematisch abzuklopfen". Vor dem Tourismusausschuss berief sich BTW-Generalsekretär Michael Rabe dafür am Mittwoch auf eine Studie der Unternehmensberatung DIWecon im Auftrag seines Verbandes. In der Untersuchung, die einen "wirtschaftspolitischen Beitrag zur nationalen Tourismusstrategie der Bundesregierung" beschreibt, geht es um Rolle der Bundespolitik für die weitere Entwicklung des Reiseverkehrs. DIWecon ist eine Tochterfirma des in Berlin ansässigen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Bei der Vorstellung der Studie wies Projektleiter Anselm Mattes auf das seit zehn Jahren anhaltende stetige Wachstum im Tourismussektor hin. Dieser trage derzeit vier Prozent zur Bruttowertschöpfung bei und beschäftige 6,8 Prozent der Arbeitnehmer. Er sei damit gewichtiger als "deutsche Leitbranchen" wie Chemie, Autoindustrie oder Maschinenbau. Dabei verzeichne der Übernachtungstourismus ein "deutliches Wachstum", während der Anteil der Tagesreisen eher zurückgehe. Nach wie vor bilde die inländische Nachfrage den größten Block in der Statistik. Der dynamischste Wachstumstreiber sei indes der Reiseverkehr aus dem Ausland.

Mattes sprach sich dafür aus, den Tourismus als "Gesamtsystem" zu betrachten. Das sei wegen der kleinteiligen Struktur der Branche, die aus diesem Grunde statistisch schwer abzubilden sei, bisher nicht oder in unzureichendem Maße der Fall. Die Reiseverkehrswirtschaft bestehe aus "sehr vielen einzelnen Branchen", in denen "alle verschiedenen Produkte" erst ein "gemeinsames Gesamtprodukt" ergäben. Für die Politik bedeute dies, dass jeder staatliche Eingriff, der auf einen Teilbereich wirke, sei es im Umwelt- oder Verbraucherschutz, bei steuerlichen oder Fördermaßnahmen, Folgen für das Ganze habe.

"Völlig falsch" nannte es Mattes, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass Tourismus in die Zuständigkeit der Länder falle. Es seien "sehr viele Maßnahmen auf Bundesebene", wo schließlich der gesamtwirtschaftliche Rahmen gesetzt werde, mit "relevanten" Auswirkungen auf die Reiseverkehrsbranche denkbar. Dazu bedürfe es im Bund einer besseren Koordinierung. Eines der Hindernisse einer stringenten Tourismuspolitik seien die über zu viele Instanzen "zersplitterten" Kompetenzen. Tourismus müsse als "Querschnittsaufgabe" behandelt werden, auch das sei mit dem Begriff "Mainstreaming" gemeint. Mattes bezeichnete es in diesem Zusammenhang als eine sinnvolle Idee, einen ständigen Ausschuss von Staatssekretären aller mit der Materie befassten Ministerien zu bilden.

Unter den Sorgen und Nöten der Branche nannte Mattes den hohen Investitionsbedarf zum Ausbau der Verkehrs- wie auch der digitalen Infrastruktur. Er mahnte ein "faires Regelwerk für die Digitalisierung" an, das der Tendenz zur Monopolbildung großer Reiseplattformen im Internet zum Nachteil kleiner und mittlerer Anbieter entgegenwirken solle. Ein "zentraler Punkt" sei zudem der Fachkräfte- oder eigentlich generell der Arbeitskräftemangel. Einer "steigenden Nachfrage nach touristischen Produkten" stehe ein "zurückgehendes" Angebot auf dem Arbeitsmarkt gegenüber. Hier gelte es, alle Reserven unter Schulabgängern, Älteren Flüchtlingen und Migranten auszuschöpfen, auch durch bessere Löhne.

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4. Verfolgte und vertriebene Minderheiten

Menschenrechte/Anhörung

Berlin: (hib/AHE) "Verdrängte Ethnien - bedrohte Völker" lautet der Titel einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses, in der am Mittwoch Wissenschaftler und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen mit den Abgeordneten diskutiert haben. Neben der ethnischen und religiösen Dimension des Problems und der Vielzahl an Verfolgungen von Minderheiten auf der Welt ging es in der Veranstaltung auch um die Frage, wie Demokratien mit zunehmenden "Ideologien der Ungleichheit" und "kulturellen Schließungstendenzen" umgehen können.

Heiner Bielefeldt (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) warnte davor, das Thema verfolgter oder verdrängter Gruppen insofern zu verkürzen, dass Menschenrechte nur Minderheiten betreffen würde. Die Frage des Umgangs mit Minderheiten sei immer auch eine Testfrage, wie es um eine Gesellschaft insgesamt bestellt sei. Die Mehrheit habe die Aufgabe, den öffentlichen Raum offen zu halten, Institutionen zu stützen, die einen "identitätspolitischen Kollaps" verhindern und Minderheiten angstfreie Teilhabe zu ermöglichen.

Ulrich Delius (Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.) machte darauf aufmerksam, dass es zwar auch, aber eben nicht nur um Verfolgung von ethnischen oder religiösen Minderheiten durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure gehe. So seien weltweit rund 450 Millionen Angehörigen indigener Völker auch durch wirtschaftliche, geografische, klimatische Faktoren bedroht und durch gesellschaftlichen Wandel, Generations- und Rollenkonflikte herausgefordert. Delius warb dafür, die ILO-Konvention 169 zu ratifizieren: Dies könnte ein wichtiges Zeichen an deutsche Unternehmen im Ausland sein, stärker auf die Interessen Indigener einzugehen.

Schwester Hatune Dogan (Hatune Foundation, Warburg) schilderte aus eigenem Erleben die Zurücksetzungen und Diskriminierung ihrer Familie als aramäische Christen in der Türkei. Es sei ihnen verboten worden, ihre Religion auszuüben, ihre Sprache zu sprechen, Lehrer hätten aramäische Kindern mit Schlägen traktiert und sie zu "Soldaten des türkischen Staates" erklärt. Dogan erinnerte daran, dass Christen vor Jahrhunderten im Nahen Osten die Mehrheit gestellt hätten und heute allenfalls noch wenige Prozente der Bevölkerung, "und die werden auch nicht in Ruhe gelassen".

Gudrun Hentges (Universität zu Köln) machte auf die Vielgestaltigkeit der "Ideologien der Ungleichheit" von religiösem Fundamentalismus über Rassismus bis hin zum Antisemitismus aufmerksam. Solche Formen "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" - ein Begriff des Erziehungswissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer - nähmen mit der Konjunktur rechter und extrem rechter Parteien auch in Europa zu. So komme die jüngst vorgestellte Studie "Flucht ins Autoritäre" zum dem Befund, dass die "geschlossene manifeste Ausländerfeindlichkeit" in Deutschland gestiegen sei, sagte Hentges.

Mouhanad Khorchide (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) warb für eine differenzierenden Blick: Während der ägyptische Mufti die Pflicht von Muslimen hervorhebe, Christen den Bau von Kirchen zu ermöglichen, gäbe es andere islamische Geistliche, die zur Zerstörung christlicher Kirchen auf der arabischen Halbinsel aufrufen. Die Frage sei, wie man aus Deutschland heraus jene Kräfte unterstützen könne, die sich für die Menschenrechte einsetzen.

Michael Reder (Hochschule für Philosophie München) sprach mit Bezug auf den Philosophen Jürgen Habermas von "kulturellen Schließungstendenzen", in denen die Sehnsucht nach Homogenität und Festigkeit zum Ausdruck kämen. In der globalisierten und pluralistischen Gegenwart könne man zu solchen Konzepten aber nicht mehr zurück. Demokratie sei nicht nur eine Frage der Verfassung und der Regierungsform, sondern auch der Haltung der Bürgerinnen und Bürger. "Dazu gehört Bildung existenziell dazu, Bildung über globalisierte Zusammenhänge."

Thomas Schirrmacher (Internationales Institut für Religionsfreiheit) argumentierte, dass die Demokratie am Ende nicht am "banalen Vollzug einer Mehrheitswahl" gemessen werde, sondern daran, ob sie die Rechte von Minderheiten garantiere. Es sei wieder und wieder schockierend, welche für eine ungeheuren Energie und Zeit Staaten, Gruppen oder Parteien weltweit darauf verwendeten, dafür zu sorgen, dass es anderen nicht gut gehe und "Minderheiten madig zu machen".

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 926 - 28. November 2018 - 18.00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2018

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