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BUNDESTAG/8521: Heute im Bundestag Nr. 664 - 07.06.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 664
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 7. Juni 2019, Redaktionsschluss: 10.02 Uhr

1. Umfeld des Attentäters im Visier
2. General hatte Wunschkandidaten


1. Umfeld des Attentäters im Visier

1. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/pst) War der Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 wirklich die Tat eines Einzelnen? Das ist eine der Fragen, die der 1. Unteruchungsausschuss des Bundestages zu beantworten sucht. Besonders die schnelle Abschiebung von Bilel ben Ammar, einem Freund des Attentäters Anis Amri, beschäftigt die Abgeordneten. Auf seiner Sitzung hörte der Ausschuss drei Staatsanwälte als Zeugen, die zwar nicht mit dem Anschlag selbst befasst waren, aber in anderem Zusammenhang mit Personen im Umfeld des Lkw-Attentäters.

Ben Ammar hatte sich am Abend vor dem Attentat mit Amri zum Abendessen getroffen und war nach dem Anschlag zehn Tage lang abgetaucht, bevor er festgenommen wurde. Allerdings konnten die Ermittler den Verdacht einer Tatbeteiligung oder Mitwisserschaft nicht erhärten. Wegen anderer Delikte, darunter dem mehrfachen Bezug von Sozialleistungen durch falsche Identitäten, blieb er jedoch in Untersuchungshaft, bis er am 31. Januar 2017, keine sechs Wochen nach dem Anschlag, in seine tunesische Heimat abgeschoben wurde. Die Staatsanwältin, die wegen dieser Straftaten ermittelt und auch die Abschiebung veranlasst hatte, stellte nun ihre Sicht der Vorgänge dar.

Oberstaatsanwältin Eva-Maria Tombrink von der Berliner Generalstaatsanwaltschaft schilderte Ben Ammar als einen Mann mit islamistischer Gesinnung. Diese allein sei aber keine Straftat, betonte Tombrink. Allerdings war Ben Ammar wegen gewöhnlicher Kriminalität schon zu einer Bewährungsstrafe und zwei Geldstrafen verurteilt worden, ein weiteres Verfahren stand an. Nach Tombrinks Angaben bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er unter Anrechnung der Untersuchungshaft erneut nur eine Bewährungsstrafe erhalten hätte. Für diesen Fall fürchtete aber die Bundesanwaltschaft, die in Sachen Breitscheidplatz ermittelte, dass es Ben Ammar seinem Freund Amri nachtun und ebenfalls einen Anschlag verüben könnte, so Tombrinks Darstellung dieser Tage. Deshalb habe sie in Abstimmung mit den Karlsruher Kollegen für eine schnelle Abschiebung gesorgt.

Mehrere Abgeordnete fragten intensiv nach, ob diese Sorge wirklich der einzige Grund für die schnelle Abschiebung gewesen sei. Immerhin kursieren Spekulationen, dass damit etwas vertuscht werden sollte. Doch Tombrink blieb bei ihrer Darstellung. Sie habe im übrigen mehrfach und bis zum letzten Moment bei der Bundesanwaltschaft nachgefragt, ob nicht doch noch Hinweise aufgetaucht seien. Dann hätte sie die Abschiebung sofort gestoppt. Direkt danach gefragt, gab Tombrink aber an, dass sie in ihrer Funktion, die sie seit Sommer 2014 ausübt, keine andere Abschiebung so schnell über die Bühne gebracht habe.

Weitere Zeugen waren Simon Henrichs, Oberstaatsanwalt beim Generalbundesanwalt, und dessen unmittelbarer Vorgesetzter, Bundesanwalt Matthias Krauß. Henrichs leitete ab 2015 ein Ermittlungsverfahren um drei terrorverdächtige Tunesier in Berlin. Im dessen Rahmen wurde auch Ben Ammar abgehört, der in engem Kontakt zu dem Trio stand. Dabei kam erstmals, wenn auch nur am Rande, Anis Amri in den Gesichtskreis des Bundeskriminialamts, weil er mit Ben Ammar telefonierte. Der Terrorverdacht gegen die drei Tunesier hat sich im übrigen nicht bestätigt.

Henrichs und Krauß bestätigten vor dem Untersuchungsausschuss all dies, was schon frühere Befragungen von Beamten des Bundeskriminalamts ergeben hatten. Zum Anschlag vom Breitscheidplatz und einer möglichen Rolle Ben Ammars konnten sie dagegen nichts Erhellendes sagen, da sie mit diesen Ermittlungen nicht befasst waren. Dass Amri in mögliche Terrorpläne der drei Tunesier einbezogen gewesen sein könnte, darauf hätten ihre Observationen keinen Hinweis ergeben. Bemerkenswert war der Hinweis von Krauß, als er sich an ein Detail nicht erinnern konnte, dass in drei Jahren über tausend Ermittlungsverfahren über seien Schreibtisch gegangen seien.

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2. General hatte Wunschkandidaten

Verteidigung/Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/fla) An der Vergabe eines millionenschweren IT-Dienstleistungsauftrags, der vom Untersuchungsausschuss des Verteidigungsausschusses unter die Lupe genommen wird, hat General Eberhard Bühler als damaliger Abteilungsleiter Planung im Verteidigungsministerium entscheidenden Anteil. Dies wurde bei der Sitzung unter der Leitung von Wolfgang Hellmich (SPD) deutlich. Der Bundesrechnungshof hatte das Vorgehen bei der Vergabe beanstandet.

Es geht um das 2017 angestoßene Projekt PLM (Product-Lifecycle-Management), einer Effizienzsteigerung der IT, die von der Bundeswehr als Pilotprojekt beim Lufttransporter A 400 M getestet werden sollte. Der für das Vorhaben verantwortliche Referatsleiter, Oberst Michael Mager, sagte den Abgeordneten, das Unternehmen Accenture sei von vornherein der "Wunschkandidat" Bühlers gewesen. Von einem besonders freundschaftlichen Verhältnis zwischen Bühler und Accenture-Mann Michael Nötzel habe er nichts gewusst, entgegnete Mager auf Fragen. Allerdings hätten sich beide auch in öffentlicher Sitzung geduzt. Doch habe dies in keiner Beziehung zu dem Projekt gestanden. Beide seien professionell miteinander umgegangen.

Magers seinerzeit unmittelbare Vorgesetzte, Unterabteilungsleiterin Elisabeth Totter, erklärte von sich aus, das Duz-Verhältnis sei ihr bekannt gewesen. Für sie gebe es keinen Anlass zu der Einschätzung, dass diese Beziehung Anlass gewesen sein könne, Accenture zum Wunschkandidaten zu erklären. Bühler und Nötzel sind als Zeugen für die letzte Sitzung des Ausschusses vor der Sommerpause am 27. Juni geladen.

Die Entscheidung für die Firma war nach ihrer Ansicht sachgerecht, weil sie sich zuvor schon in zwei Digitalprojekten bei der Bundeswehr bewährt gehabt habe. Sie teile Bühlers Ansicht, dass PLM - schon eingeführt bei großen Unternehmen - für die Streitkräfte wichtig sei, um nach ihren Worten "aus dem schlechten Zustand der Waffensysteme herauszukommen".

Für die Vergabe griffen das Ministerium und das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz auf einen Rahmenvertrag für IBM-Bestandskunden zurück, den das Bundesinnenministerium - nutzbar für den Bund insgesamt - mit der Firma SVA (Systemvertrieb Alexander) abgeschlossen hatte. Bei der Prüfung, ob dieser Vertrag überhaupt für PLM genutzt werden kann, verließen sich die damit befassten Stellen im Ministerium und beim Koblenzer Bundesamt immer darauf, dass die jeweils anderen Stellen die Frage geprüft hätten. Dies ergab sich bisher aus den meisten Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss.

Die Vergabe erfolgte dann an die Firma SVA - ein Vehikel, wie Mager sich ausdrückte, um Accenture den Auftrag zukommen zu lassen. Denn Accenture wurde zum Unterauftragnehmer von SVA, der selbst keine Leistung erbrachte, aber mit einem Aufschlag die Rechnungen des formalen Unterauftragnehmers an die Bundeswehr weiterreichte, wie Mager bestätigte. Er sei früher schon mal von einem Accenture-Mitarbeiter auf die Idee gebracht worden, womöglich besagten Rahmenvertrag in Anspruch zu nehmen.

Mit Aussicht darauf habe Accenture bereits vor der Auftragsvergabe mit der Arbeit begonnen. Das Risiko, dass es nicht zu einer Beauftragung kommen würde, habe das Unternehmen getragen.

Der Bundesrechnungshof stellte fest, dass der Rahmenvertrag für das fragliche Vorhaben nicht in Anspruch genommen werden durfte. Dem schloss sich später das Ministerium an. Accenture arbeitete auch nach der Rechnungshofkritik bis zum Abschluss des Projekts im August vergangenen Jahres weiter. Da der Leistungskatalog noch nicht abgearbeitet gewesen sei, sei das vom Ministerium als weiter gültiger Vertrag gewertet worden. Die Rechnung für die noch nicht bezahlten Leistungen schickte Accenture direkt an das Bundesamt. Das verweigerte indes die Bezahlung. Wie der Fall ausgeht, sei noch offen, sagte Totter.

Den Erlass an das Koblenzer Bundesamt, der dann letztlich zur Vergabe per Rahmenvertrag führte, war am 1. Dezember 2017 von in der Beschaffungsabteilung eingesetzten Referatsleiter Oberst Stefan Werner Neumann übermittelt worden. Darin war nur von einem Auftragsnehmer die Rede. Neumann bestritt zunächst, gewusst zu haben, dass damit Accenture gemeint war. Er korrigierte sich, als er mit einer gegenteiligen Aussage in internen Verwaltungsermittlung konfrontiert und ermahnt wurde, er müsse im Ausschuss die Wahrheit sagen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 664 - 7. Juni 2019 - 10.02 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2019

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