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BUNDESTAG/9814: Heute im Bundestag Nr. 507 - 15.05.2020


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 507
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 15. Mai 2020, Redaktionsschluss: 09.47 Uhr

1. Amri gab sich als Emir aus
2. Streit um Telefon und Locher


1. Amri gab sich als Emir aus

1. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) Der spätere Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri hat sich im Herbst 2016 seinem Neffen in Tunesien gegenüber als "Emir", also Anführer einer deutschen Zelle des sogenannten Islamischen Staates (IS) ausgegeben. Zum Wahrheitsgehalt dieser Behauptung lasse sich allerdings nichts Sicheres feststellen, sagte eine Beamtin aus dem Bundeskriminalamt (BKA) am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss ("Breitscheidplatz"). Die heute 40-jährige Kriminalhauptkommissarin N.S. ist seit 2002 im BKA tätig und dort seit 2005 mit der Abwehr des radikalislamischen Terrorismus befasst. Nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz war sie an der Aufklärung der Kontakte des Attentäters Amri zu Gewährsleuten beim IS beteiligt.

"Ich habe eine Gruppe von Brüdern, die mir in Deutschland angehören", teilte Amri seinem Neffen mit, wie die Zeugin berichtete. Er habe damals versucht, den jungen Mann für den Dschihad zu rekrutieren und zur Ausreise aus Tunesien zu bewegen, nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen, oder nach Deutschland, wo er sich seiner Führung unterstellen sollte. Nicht auszuschließen sei, dass mit der "Gruppe von Brüdern" der Dagestaner Magomet Ali Chamagow und der französische Konvertit Clément Baur gemeint seien, mit denen gemeinsam Amri im Herbst 2016 Überlegungen anstellte, einen Sprengstoffanschlag auf das Berliner Gesundbrunnen-Center zu verüben.

Seinerseits stand Amri spätestens seit Herbst 2016 in engem Kontakt mit einem tunesischen Landsmann, der ihn vermutlich von Libyen aus in der Zeit vor der Tat, wie die Zeugin formulierte, "emotional und ideologisch" begleitet habe. Den Ermittlern wurde er nach dem Anschlag als "Mouadh Tounsi" alias "Momo1" bekannt. Der IS habe über Mentoren verfügt, deren Funktion darin bestanden habe, Anhänger im Ausland zu Attentaten zu motivieren, sie "bei der Stange zu halten" und nach verübter Tat die Führungsebene zu informieren, damit sich der IS zeitnah die Urheberschaft zuschreiben könne. "Momo1", gegen den ein Haftbefehl der Bundesanwaltschaft wegen Beihilfe besteht, sei einer dieser Mentoren gewesen, meinte die Zeugin.

Amri tauschte mit "Momo1" bis unmittelbar vor der Tat am Abend des 19. Dezember 2016 Nachrichten aus. Zuvor hatte er allerdings den gesamten bisherigen Chatverlauf auf seinem Mobiltelefon gelöscht. Deshalb sei zwar mit Sicherheit davon auszugehen, dass "Momo1" über Planung und Vorbereitung des Attentats genau im Bilde war. Nachvollziehen lasse sich der Informations- und Gedankenaustausch allerdings nicht mehr. Ebenso wenig sei bekannt, wie und wann der Kontakt mit "Momo1" zustande kam. Sicher sei, dass er spätestens am 10. November 2016 bestand. Damals schickte "Momo1" ein 143 Seiten starkes PDF-Dokument des IS an Amri mit dem Titel: "Die frohe Botschaft zur Rechtleitung für diejenigen, die Märtyrer-Operationen durchführen".

Unmittelbar bevor er am Tatabend den Lastwagen kaperte, mit dem er in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz fuhr, nahm Amri um 19.15 Uhr die Verbindung zu "Momo1" wieder auf: "Bleib in Kontakt mit mir." Später meldete er: "Ich sitze jetzt in der Karre." Dann schickte er ein Foto des Armaturenbretts. Zuletzt gegen 20 Uhr, als er den Weihnachtsmarkt erreichte, bat er "Momo1", für ihn zu beten. Dieser meldete sich wenige Stunden, nachdem Amri in Norditalien erschossen worden war, am Morgen des 23. Dezember ein letztes Mal auf dessen Mobiltelefon: "Hallo, wie geht's?", fragte er auf Französisch.

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2. Streit um Telefon und Locher

2. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/CHB) Ein Vertreter des Bundesverkehrsministeriums hat Vorwürfe zurückgewiesen, das Ministerium habe den Bundesrechnungshof bei der Prüfung der Pkw-Maut bewusst behindert. Er teile den vom Bundesrechnungshof vorgetragenen Eindruck ausdrücklich nicht, das Verhalten des Ministeriums habe "an Arbeitsverweigerung gegrenzt", sagte Referatsleiter Karsten H.-R. am Donnerstag, 14. Mai, vor dem 2. Untersuchungsausschuss ("Pkw-Maut").

Der Zeuge leitet das Referat, das im Bundesverkehrsministerium unter anderem für Angelegenheiten des Bundesrechnungshofs zuständig ist. Dabei habe das Referat eine koordinierende Funktion zu den Fachreferaten, erklärte H.-R. Grundsätzlich stehe dem Bundesrechnungshof für seine Prüfungen ein Raum zur Verfügung, der mit einem PC und einem Telefon ausgestattet sei. Vertreter des Bundesrechnungshofs hatten in einer früheren Sitzung des Untersuchungsausschusses kritisiert, es habe an der für die Prüfung nötigen technischen Infrastruktur gemangelt.

Die Prüfer des Bundesrechnungshofs wüssten um die technischen Rahmenbedingungen, sagte der Referatsleiter in der vom Ausschussvorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten Sitzung weiter. "Wenn sie mehr Räume brauchen, müssen sie das sagen." Allerdings räumte der Zeuge ein, dass das Telefon anfangs nicht funktioniert habe und es Schwierigkeiten mit dem Zugang zum ministeriumsinternen Aktenverwaltungssystem gegeben habe. Zudem habe es zwischen einer Prüferin und einer Mitarbeiterin des Ministeriums Streit um einen defekten Locher gegeben. "Das", sagte der Zeuge, "fand ich übertrieben".

Grundsätzlich könne man zwar nicht sagen, dass das Verhältnis zwischen Bundesrechnungshof und Verkehrsministerium konfliktfrei sei. Ein gewisses Konfliktpotenzial liege aber in der Natur der Sache: "Wenn ein Ministerium ein herzliches Verhältnis zum Bundesrechnungshof hätte, würde einer etwas falsch machen." Auch seien nicht allen Mitarbeitern des Verkehrsministeriums die Rechte des Bundesrechnungshofs bekannt, sagte der Referatsleiter. "Das führt manchmal leider Gottes zu Reibungsverlusten."

Breiten Raum in der Befragung nahm die im November 2019 verfasste Stellungnahme zum Entwurf des Berichts des Bundesrechnungshofs über die Pkw-Maut ein. Unterschrieben wurde diese Stellungnahme nach längerem Hin und Her nicht vom zuständigen Referat Z 21, sondern vom Abteilungsleiter. Er selbst habe gar nicht unterschreiben können, da er damals nach einer Operation im Krankenstand gewesen sei, sagte der Zeuge. Er hätte es aber auch nicht getan, wenn er im Dienst gewesen wäre, da eine Stellungnahme von dieser Tragweite von einem politischen Beamten unterschrieben werden müsse. Das gelte umso mehr, als damals bereits absehbar gewesen sei, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden würde. Aus diesem Grund habe es auch eine Mitarbeiterin im Rang einer Oberamtsrätin abgelehnt, die Stellungnahme zu unterschreiben.

Im Übrigen erklärte der Zeuge, er sei im Vorfeld der Sitzung in keiner Weise von Vertretern des Ministeriums unter Druck gesetzt worden. Hintergrund der Bemerkung ist, dass im Ausschuss wiederholt die Frage aufgeworfen wurde, ob Erinnerungslücken von Mitarbeitern des Verkehrsministeriums darauf zurückzuführen seien, dass ihr Haus ihnen in Vorbereitungsgesprächen inhaltliche Vorgaben gemacht habe. Der Ausschussvorsitzende Schiefner hatte dazu in der vorangegangenen Sitzung erklärt, "subjektive Eindrücke" von Mitgliedern des Ausschusses reichten nicht, um Maßnahmen zu ergreifen. Beweise für eine Einflussnahme auf die Zeugen gebe es nicht.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 507 - 15. Mai 2020 - 09.47 Uhr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2020

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