Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FDP

EUROPA/1345: Lambsdorff zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine


fdk - freie demokratische korrespondenz 309/2014 - 22. Mai 2014

LAMBSDORFF zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine



Berlin. Zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine erklärte der Spitzenkandidat zur Europawahl und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF vor Journalisten:

Aufruf der FDP zum 25. Mai: Für eine neue EU-Ostpolitik und die Stabilisierung der Ukraine - Gegen eine neue Teilung Europas

Am 25. Mai finden nicht nur die Wahlen zum Europaparlament statt, sondern auch die Präsidentschaftswahlen in der krisengeschüttelten Ukraine. Diese Wahl muss zu einer Wende in der Ukraine genutzt werden, um das Land vor Zerfall und Anarchie und um Europa vor einer dauerhaften Bedrohung seiner Sicherheit und Stabilität zu bewahren.

Noch ist es nicht zu spät, um eine neue Ost-West-Konfrontation mit ideologischen Vorzeichen zu vermeiden. Dazu müssen sich beide Seiten bewegen. Es ist Zeit für eine neue, entschlossene und pro-aktive EU-Ostpolitik aus einem Guss. Dabei muss die EU in ihren Bemühungen in dieser schwierigen Phase von Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten aktiv unterstützt werden.

Europa muss in der Unterstützung der Ukraine mit einer Stimme sprechen und aktiv agieren, um Russland von einer sinnlosen Konfrontations- und Destabilisierungspolitik abzubringen. Es ist im gemeinsamen Interesse Deutschlands, der gesamten EU und Russlands, dass dieses große Brückenland zwischen Ost und West rasch seine Stabilität wiedergewinnt und unter neuer Führung nachhaltige Reformen entschlossen angehen kann.

Russland muss durch aktive Diplomatie, sowie die Kontakte unserer Wirtschaft und Zivilgesellschaft davon überzeugt werden, dass die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, aus Annexion und Sanktionen jetzt durchbrochen werden kann und muss, um einen endgültigen neuen Riss zwischen dem Osten und dem Westen unseres Kontinents zu verhindern. Die Annexion der Krim durch Russland war die illegale Antwort des Kreml auf die monatelangen Massenproteste in der Ukraine gegen eine korrupte Staatsführung, die auf russischen Druck hin die Assoziierung mit der EU und damit die Hoffnung auf unabhängige Justiz, echte Demokratie und durchgreifende Reformen abbrach.

Die Ostpolitik liberaler Außenminister seit Walter Scheel in den siebziger Jahren hat es in Jahrzehnten großer Ost-West Spannungen und nach dem Fall der Berliner Mauer immer verstanden, die Werte von Demokratie und Rechtsstaat entschlossen zu verteidigen und gleichzeitig unsere Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen aktiv zu vertreten. Das führte dazu, dass auf der Grundlage der UN-Charta sowie der Helsinki-Schlussakte der OSZE in Europa die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren triumphierte. Das ist heute mit der Krim-Annexion anders geworden, Grenzen sind in Europa erstmals wieder mit Gewalt verändert worden.

Es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse Russlands, die Politik der aktiven Destabilisierung der Ukraine zu beenden und zu einer pragmatischen und von gemeinsamen Interessen geprägten Zusammenarbeit mit der Ukraine ebenso wie mit der EU zurückzukehren. Die tatsächlichen Herausforderungen, die es in unserer heutigen weltumspannenden Informationsgesellschaft zu bestehen gilt, heißen: globale Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Entwicklung und nicht etwa Rivalitäten über vermeintliche Einflusssphären ohne Rücksicht auf souveräne Entscheidungen der Länder.

Die Alternative zur Zusammenarbeit heißt Konfrontation und Entfremdung, mit Wirtschaftssanktionen der EU als Antwort auf Destabilisierung und Gewalt. Die Liste verpasster Möglichkeiten unserer Zusammenarbeit mit Russland reicht von dem Ausbau unserer Partnerschaft für Modernisierung zu Freihandel, von der Diversifizierung der russischen Wirtschaft bis zu Visafreiheit und verstärkter Kooperation im Energiebereich.

Um weiteres Blutvergießen und Leiden in der Ukraine sowie eine tiefe Wirtschaftsrezession abzuwenden, um eine weitere Verschlechterung der Beziehungen EU-Russland auf Kosten unserer Bürger und Wirtschaft zu vermeiden, bedarf es einer intensiven Zusammenarbeit im Format der internationalen Ukraine-Verhandlungen, also mit der Ukraine, mit Russland, der EU und den USA.

Kurzfristig gilt es jetzt konkrete Schritte vorzunehmen, die geeignet sind, zu einer schnellen Befriedung zwischen den Konfliktparteien in der Ukraine beizutragen. Wir Liberale sagen dabei deutlich: Es gibt keine Lösung für die Ukraine über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich das "Memorandum für Frieden und Eintracht", das am 20. Mai von dem ukrainischen Parlament zur Überraschung Vieler mit breiter Mehrheit angenommen wurde und das den Weg heraus aus der Krise in einem einheitlichen Staat vorzeichnet.

I. In dieser Lage wenden wir uns heute an all diejenigen, die eine besondere Verantwortung für die Lage in der Ukraine tragen, zunächst und vor allem an den Gewinner des ersten Wahlganges und voraussichtlichen künftigen Präsidenten sowie an alle politischen Kräfte, die im ukrainischen Parlament, der Rada, vertreten sind:

1. tragen Sie zur Deeskalation bei, in dem Sie einem sofortigen Waffenstillstand bei gleichzeitiger Räumung aller besetzten Gebäude und Straßensperren zustimmen, ein Entwaffnungsprogramm zur Rückgabe illegaler Waffen und zur Wiederherstellung des Gewaltmonopols des Staates beginnen und allen Besetzern, die keine schweren Straftaten begangen haben, Amnestie zusichern;
2. vertiefen Sie den nationalen Dialog mit allen Regionen der Ukraine, um an den Runden Tischen über die künftige Gestaltung der Verfassung zu beraten, die in einem nationalen Verfassungsreferendum angenommen werden sollte, um das Land wieder zusammenzuführen;
3. nehmen Sie die Verfassungsreform mit einer klaren Abgrenzung der Befugnisse von Präsident und Regierung vor, mit einer Stärkung der Rechte des Parlamentes; dabei müssen die Rechte der Minderheiten entsprechend der Anforderungen des Europarates garantiert werden, einschließlich eines besonderen Status für die russische Sprache;
4. wenn es eine Dezentralisierung geben sollte, muss diese im Rahmen der Einheit der Ukraine bleiben und darf nicht zur Schaffung eines Vetorechtes von Drittstaaten in inneren Angelegenheiten des Landes missbraucht werden;
5. tragen Sie nach den traumatischen Ereignissen der letzten Monate zu einem Neustart in der ukrainischen Politik mit neuer demokratischer Legitimität bei, auf der Grundlage der neuen Verfassung: nach den Präsidentschaftswahlen im Mai (und Juni) sollten Parlamentswahlen vor Ende des Jahres und Regional- und Gemeindewahlen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres erfolgen;
6. nutzen Sie entschlossen die vielen neuen Möglichkeiten zu einer umfassenden Modernisierung der Ukraine, die Ihnen das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU bietet. Dafür bedarf es vieler weiterer mutiger Reformen, um die Last jahrzehntelanger Misswirtschaft und systemischer Korruption abzuwerfen, eine umfassende Reform von Justizwesen und Sicherheitskräften zu betreiben, sowie das Geschäftsumfeld für die private Wirtschaft zu verbessern.

II. Wir rufen Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier, ebenso wie EU-Ratspräsident van Rompuy, Kommissionspräsident Barroso und die Hohe Vertreterin Ashton auf, die Aufgaben in der Ukraine als eine zentrale Herausforderung an die Gestaltungskraft der EU in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu begreifen. Es gilt nun, die Hoffnungen von Millionen von Bürgern in unseren Nachbarländern aufzugreifen, und entschlossene Reformen im Dialog nach innen und außen zu unterstützen. Die Politik der EU ist im Grundsatz richtig, sie muss aber entschlossener und deutlicher vertreten werden, auch und gerade in der Auseinandersetzung mit Russland.

1. Dabei muss deutlich werden, dass eine Politik der Gewalt und Bestrafungsaktionen niemals die Billigung der EU bekommen wird. Souveräne Nationen müssen über ihren eigenen Kurs bestimmen können, und ihre territoriale Integrität und Unabhängigkeit muss von ihren Nachbarn geachtet werden.
2. Wir rufen Bundeskanzlerin Merkel dazu auf dafür zu sorgen, dass der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs am 27. Juni nunmehr auch den wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens der EU mit der Ukraine mit dem neu gewählten Präsidenten des Landes unterschreibt.
3. Die EU sollte zusätzlich zu Freihandel und politischer Assoziation sowie erheblicher finanzieller Unterstützung der Ukraine im nächsten Monat eine EU GASP - Mission in die Ukraine senden, um bei dem notwendigen umfassenden Umbau seiner Polizei und anderer Sicherheitsdienste zu helfen, die das Vertrauen ihrer Bürger verloren haben und zurückgewinnen müssen.

III. Wir fordern Präsident Putin auf, eine Abkehr von seiner konfrontativen Politik vorzunehmen und sich auf die langfristigen Entwicklungs- und Modernisierungschancen seines Landes zu besinnen. Es gilt nun. Schaden von Russlands Bürgern durch Repression, Selbstisolation und eine negative wirtschaftliche Entwicklung des Landes abzuwenden.

Es ist nicht zu spät zu einer Umkehr; die Feiern zum 60. Jahrestag der Befreiung in der Normandie sollten zu intensiven Gesprächen mit Präsident Putin genutzt werden. Wir fordern Präsident Putin im Hinblick auf die Ukraine auf,
1. sofort jegliche Art russischer Unterstützung für gewaltsame Separatisten im Osten und Süden der Ukraine einzustellen;
2. den nationalen Dialog und die Bemühungen zur Deeskalation, einschließlich derer der OSZE-Beobachtermission (SMM) tatkräftig zu unterstützen;
3. den Abzug der russischen Truppen von der ostukrainischen Grenze zu den ständigen Standorten unverzüglich vorzunehmen und nicht nur anzukündigen;
4. neue wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zu unterlassen, die zu neuer Instabilität führen können, so wie die einseitige Erhöhung des Gaspreises, die angedrohte Aufkündigung des bilateralen Freihandelsabkommens Russlands mit der Ukraine im Falle einer Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU, oder die willkürliche Einführung von protektionistischen Handelsbeschränkungen, die zum Erliegen von Ausfuhren nach Russland führen können;
5. die massive und einseitige russische Propaganda in allen Medien gegen die Handlungen der ukrainischen Regierung sowie der EU einzustellen; 6. eine intensive Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten der Ukraine zur Befriedung des Landes und zur Wiederherstellung der staatlichen Autorität zu beginnen, und
7. sich an der wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes zu beteiligen, einschließlich der Beteiligung an einer internationalen Geberkonferenz.

Die Eurokrise hat zur Stärkung der EU bei der Überwindung der Krise mit Banken- und Haushaltsunion geführt. Für uns Liberale soll Vergleichbares auch aufgrund der Ukrainekrise möglich werden: die Schaffung einer effektiveren und alle Möglichkeiten der EU und ihrer Mitgliedstaaten bündelnden europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Diese Chance muss jetzt genutzt werden, im Interesse der Menschen in der Ukraine, in Russland und in der Europäischen Union.

*

Quelle:
fdk - freie demokratische korrespondenz
Pressedienst der Freien Demokratischen Partei
Herausgeber: FDP-Bundespartei, Pressestelle
Reinhardtstr. 14, 10117 Berlin
Tel: 030/28 49 58 43, Fax: 030/28 49 58 42
E-Mail: presse@fdp.de
Internet: www.fdp.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014