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EUROPA/1352: Parteitagsbeschluss - Neues Vertrauen für ein besseres Europa


SPD-Pressemitteilung vom 15. November 2013

Neues Vertrauen für ein besseres Europa



Auf dem SPD-Parteitag in Leipzig wurde heute folgender Beschluss gefasst:

Wir wollen neues Vertrauen für Europa gewinnen. Vertrauen für ein besseres Europa, das in seinen Grundlagen demokratischer und in seiner Ausrichtung sozialer ist. Für dieses Europa werben wir bei der Europawahl im kommenden Jahr.

So sehr die europäische Idee Menschen weltweit fasziniert, die gegenwärtige Form der Europäischen Union schreckt viele ab. Das institutionelle Gefüge der EU ist für die Bürgerinnen und Bürger nur noch schwer verständlich. Die komplexen europäischen Verfahrenswege, die oft als wenig transparent und zu bürokratisch wahrgenommen werden, drohen die eigentliche Idee der europäischen Einigung in den Hintergrund zu drängen. Dabei ist diese Idee das vielleicht Großartigste und Faszinierendste, was Europa jemals in seiner Geschichte politisch verwirklicht hat. An die Stelle von Krieg, Misstrauen und nationaler Konfrontation die friedliche Zusammenarbeit auf geteilten Werten und zum gemeinsamen Vorteil zu stellen, war und ist eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften unseres Kontinents und unserer Zeit. Mit dem geeinten Europa ist es gelungen einen Ort zu schaffen, an dem Frieden herrscht, der Wohlstand und soziale Gerechtigkeit schafft, an dem die Demokratie transnational auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene organisiert ist und an dem Menschen und Staaten zusammenarbeiten im Vertrauen darauf, sich gemeinsam eine bessere Zukunft zu erarbeiten.

Dies alles macht Europa und die europäische Idee aus. Doch diese Errungenschaften sind in Gefahr. Denn Europa ist in keinem guten Zustand. Was als Finanzmarktkrise begann, sich als Schuldenkrise in einzelnen EU-Staaten fortsetzte, ist zu einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise geworden, die auch das Vertrauen in die Europäische Union untergräbt. Die Geburtsfehler der Währungsunion sind offenbar geworden. Renationalisierung bedroht das institutionelle Gefüge der Europäischen Union und spielt den Populisten in die Karten. Die soziale Schere in Europa reißt immer weiter auf. In manchen Ländern ist mehr als die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos. Angesichts der Krise wachsen bei vielen Menschen Zweifel und Sorgen. Rechtspopulistische Parteien, die gegen die Idee der europäischen Einheit Stimmung machen, gewinnen vielerorts an Zulauf.

Die SPD hat in den zurückliegenden Jahrzehnten den Fortgang der europäischen Einigung vielfach politisch mit gestaltet und aktiv vorangetrieben. Wir wissen um den Wert dieses gemeinsamen Europas. Wir wissen, dass Frieden, Wohlstand, soziale Sicherheit und kultureller Reichtum in unserem Land nur in einem geeinten und starken Europa gesichert sind. Und wir wissen: In der sich verändernden, zunehmend polyzentrischen Welt mit neuen und starken Partnern im Asien-Pazifikraum, Lateinamerika und Afrika wird nur eine geeinte EU über ausreichend Einfluss verfügen. Neben der Sicherung von Frieden, Demokratie und Wohlstand nach innen bekommt das europäische Projekt deshalb einen zweiten Auftrag: Es muss zur gemeinsamen Interessenvertretung der Bürgerinnen und Bürger unseres Kontinents nach außen werden. Das geeinte Europa - politisch stark, demokratisch und sozial gerecht - muss unsere gemeinsame Antwort als Europäer auf die Globalisierung sein. Nur im festen Zusammenschluss der Europäischen Union hat Europa eine Chance im globalen Wettbewerb von Ideen und Werten, von Politik und Wirtschaft.

Wir werden alles dafür tun, dass Europa die Herausforderungen der Krise geschlossen und solidarisch überwindet und sich so verändert, dass es verloren gegangenes Vertrauen bei den Menschen zurückgewinnen kann.


Die Europawahl - Chance für einen politischen Aufbruch in Europa

In diesen schwierigen Zeiten für Europa hat die Europawahl im kommenden Jahr eine besondere Bedeutung. Sie ist eine Gelegenheit dafür, mit möglichst vielen Menschen darüber zu sprechen, was ihnen am gegenwärtigen Zustand der EU Sorgen bereitet, wo sie politischen Veränderungsbedarf sehen und welche Zukunftshoffnungen sie mit Europa verbinden. Wir wollen diese notwendige öffentliche Debatte über den Zustand und die Zukunft der europäischen Einigung offensiv führen. Denn nur so kann neues Vertrauen wachsen. Kritik an der EU nehmen wir ernst. Doch wir machen zugleich deutlich, dass es für uns keine Alternative zu einem starken, geeinten Europa gibt, das in unser aller Interesse ist. Auch gibt es für uns keine Alternative zur gemeinsamen Währung, die sich bewährt hat und zum Wohlstand besonders in unserem Land erheblich beigetragen hat. Wir werden uns mit Nachdruck gegen all jene stellen, die die Antwort auf die Probleme Europas in einer Rückkehr zur nationalen Wagenburg sehen. Wir dürfen Europa nicht den Rechten und Populisten überlassen, die alte Gräben neu aufreißen und das nationale Gegeneinander neu befeuern wollen. Auch wer die Rückabwicklung von Kernbestandteilen der europäischen Einigung wie etwa der gemeinsamen Währung betreiben will, setzt Europa und die Menschen unkalkulierbaren ökonomischen, sozialen und politischen Risiken aus.

Wir werden dagegen bei der Europawahl deutlich machen, dass wir dieses Europa so verändern wollen, dass es besser im Interesse der Menschen arbeitet. Wir wollen ein anderes, demokratischeres und sozialeres Europa mit handlungsfähigen Gemeinschaftsinstitutionen und einem starken Europäischen Parlament als Mittelpunkt der europäischen Demokratie. Und bei der Europawahl wird es darum gehen, für dieses, unser Europa die notwendigen politischen Mehrheiten zu gewinnen. Wir wollen, dass die Europawahl ein Signal für einen neuen politischen Aufbruch in Europa wird.

Erstmals gemeinsame Spitzenkandidaten bei der Europawahl Wir finden uns auch nicht damit ab, dass seit den ersten Wahlen zum Europaparlament im Jahr 1979 die Wahlbeteiligung immer weiter gesunken ist. Um diesen Trend zu brechen, ist es wichtig, dass bei der Europawahl klar ersichtliche politische Alternativen zur Wahl stehen sowie Personen, die diese politischen Programme öffentlich wahrnehmbar und unterscheidbar vertreten. Deshalb ist es ein historischer Schritt, dass bei der nächsten Europawahl die europäischen Parteienfamilien mit gemeinsamen gesamteuropäischen Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten antreten. Es gibt der Europawahl eine völlig neue Qualität, weil nun die Bürgerinnen und Bürger viel unmittelbarer als bisher, die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten beeinflussen können. Die Chance besteht, dass so eine europäische Debatte über nationale Grenzen hinweg in Gang kommt. Dies wäre eine neue Dimension europäischer Innenpolitik und ein Schritt auch nach vorn für eine europäische Öffentlichkeit.

Die SPD bekennt sich dazu, dass sie zukünftig nur einen Kommissionspräsidenten mittragen wird, der zuvor als Spitzenkandidat bei der Europawahl sein politisches Programm zur Wahl gestellt hat und der eine Mehrheit im Europäischen Parlament bekommt. Ein so gewählter Kommissionspräsident, mit einer hohen parlamentarischen Legitimation als Resultat eines vorausgegangenen Wahlkampfes, macht die EU insgesamt demokratischer.

Die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) hat Martin Schulz als gemeinsamen gesamteuropäischen Spitzenkandidaten für die Europawahl und das Amt des EU-Kommissionspräsidenten nominiert. Sie ist damit die erste der europäischen Parteienfamilien, die ihren Spitzenkandidaten nominiert hat. Die SPD ist stolz, dass damit ein deutscher Sozialdemokrat erster gesamteuropäischer Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten ist. Dies ist ein starkes Signal der politischen Verbundenheit in der sozialdemokratischen Parteienfamilie in Europa.


Unsere Ziele für die Europawahl

Unsere Ziele, für die wir als europäische Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit unserem gemeinsamen europäischen Spitzenkandidaten gegen die Konservativen und Liberalen in Europa bei der Europawahl antreten, sind klar: Wir wollen ein Europa, das die Menschen einbindet, indem es mehr Raum für demokratische Mitbestimmung bietet. Ein Europa, das im Interesse der Menschen arbeitet und nicht der Märkte und Banken. Ein Europa, das eine umfassende politische Antwort auf die Krise gibt und solide Finanzen mit nachhaltigem Wachstum und guter Beschäftigung verbindet. Ein Europa, das den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit entschieden führt und die soziale Dimension der Europäischen Union stärkt. Ein Europa, das die Gleichstellung von Frauen und Männer in allen gesellschaftlichen Bereichen voranbringt. Ein Europa, das nach innen und außen Frieden wahrt. Dies sind unsere politischen Leitplanken für die Europawahl im kommenden Jahr und die künftigen Entwicklungsperspektiven der Europäischen Union.


Mehr europäische Demokratie wagen

Die gegenwärtige Krise hat die Defizite der europäischen politischen Ordnung offenbart. Die von den europäischen Staats- und Regierungschefs wesentlich bestimmten politischen Reaktionen auf die gegenwärtige Krise schwächen die Gemeinschaftsinstitutionen. Immer mehr Entscheidungen werden auf Gipfeln der Staats- und Regierungschefs getroffen, das Europäische Parlament und die EU-Kommission bleiben außen vor. Die Krise darf keine Rechtfertigung zur Beschneidung von Parlamentsrechten sein. Um die demokratische Legitimation zu sichern, brauchen wir eine weitere Stärkung des Europäischen Parlaments. Ein "Europa der Parlamente" mit einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten muss das Gegengewicht zur Zusammenarbeit auf Regierungsebene darstellen. Statt auf vertragliche Vereinbarungen zwischen nationalen Regierungen setzen wir darauf, dass das Europäische Parlament an allen Entscheidungen umfassend beteiligt ist. Die Gemeinschaftsmethode ist das Herzstück der europäischen Einigung.

Zur Lösung der Krisen müssen die erheblichen, bereits bestehenden Spielräume des Vertrags von Lissabon voll ausgeschöpft werden. Die Krisenlösung im Interesse der Menschen hat für uns Vorrang vor institutionellen Reformdebatten. Ein neuer europäischer Konvent bleibt für uns darüber hinaus eine Perspektive, um die Politische Union Europas fortzuentwickeln auf der Basis einer europäischen Verfassung. Wenn in der Zukunft ein europäischer Konvent eingesetzt wird, muss dieser vorrangig parlamentarisch besetzt sein und Akteure der Zivilgesellschaft einschließen.

Besonders wichtig ist es für uns, dass bei allen künftigen Reformschritten der EU die Rolle des Europäischen Parlamentes gestärkt wird. Das Europäische Parlament ist der zentrale Ort zur demokratischen Legitimierung europäischer Politik. Perspektivisch muss das Europäische Parlament zum vollwertigen europäischen Gesetzgeber werden, mit vollem Haushaltsrecht und eigenem Gesetzesinitiativrecht. Um eine engagierte europäische Bürgeröffentlichkeit zu fördern, wollen wir zudem das Instrument der europäischen Bürgerinitiative noch stärker fördern. Und wir wollen daran mitwirken, ein freiwilliges, bezahltes europäisches Jahr für alle Alters- und Berufsgruppen als einen Baustein für eine europäische Zivilgesellschaft zu entwickeln. Die europäische Vertrauenskrise können wir letztlich nur überwinden, wenn wir den Mut haben, auf unterschiedlichen Wegen mehr europäische Demokratie zu wagen.


Für eine umfassende politische Antwort auf die Krise

Für uns steht fest: Europa muss eine solidarische, gemeinsame Antwort auf die Krise geben, die sich nicht in einseitiger Sparpolitik erschöpfen darf. Die Lösung der Krise muss über eine rein fiskalpolitische Antwort hinausgehen. Es ist ein breiter politischer Ansatz erforderlich, der neben fiskalpolitischen Maßnahmen auch striktere Regeln für die Banken und Finanzmärkte, notwendige Reformschritte in der Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion, gemeinsame europäische Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung und eine stärkere soziale Dimension der EU einschließen muss. Die Strategie, die Krise in Europa allein auf zwischenstaatlichem Wege mithilfe von Troika-Missionen zu lösen, kann angesichts weiter wachsender Staatsverschuldung und explodierender Arbeitslosenziffern nicht als nachhaltig erfolgreich angesehen werden.


Die Finanzmärkte strikt regulieren

Nie wieder dürfen wir es zulassen, dass Akteure auf den Finanzmärkten durch verantwortungslose Profitgier und exzessive Spekulation ganze Volkswirtschaften und Staaten gefährden. Europa muss dabei die treibende Kraft für eine neue Ordnung der Finanzmärkte sein. Gerade auch auf das Betreiben der Sozialdemokraten in den europäischen Institutionen sind einige wichtige Fortschritte bei der Regulierung der Finanzmärkte bereits erzielt worden, etwa bei der Finanzmarktaufsicht oder strikteren Eigenkapitalanforderungen von Banken. Doch vieles bleibt auch noch zu tun. Wir wollen, dass kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Markt in Zukunft unreguliert ist. Und unser Ziel ist, dass keine Bank künftig ganze Staaten mit in den Strudel ziehen kann.

Die vereinbarten strengeren Eigenkapitalvorschriften müssen noch weiter ergänzt werden. Wir wollen gerade auch auf europäischer Ebene eine deutlichere Einschränkung riskanter Geschäfte und eine striktere Trennung von Investment- und Geschäftsbanking erreichen. Akteure des sogenannten Schattenbanksektors, vor allem die hochspekulativen Hedgefonds, müssen endlich so reguliert werden, dass für sie bei gleichem Geschäft die gleichen Maßstäbe und Pflichten gelten wie im klassischen Bankensektor. Der Hochfrequenzhandel muss effektiv eingedämmt werden, Rohstoff- und Nahrungsmittelspekulationen müssen beendet werden. Derivate müssen künftig weiter verstärkt auf transparenten und geregelten Handelsplattformen und über zentrale Gegenparteien gehandelt werden.

Außerdem bedürfen Rating-Agenturen einer strengen Regulierung. Das Gewicht externer Ratings bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Finanzprodukten muss weiter reduziert, die zivilrechtliche Haftung der Rating-Agenturen verschärft werden. Wir treten auch mit Nachdruck dafür ein, die Gründung europäischer Ratingagenturen zu fördern. Das Oligopol der drei großen Ratingagenturen muss beendet werden

Daran, ob es Europa gelingt, in Europa selbst und darüber hinaus den Finanzmärkten Zügel anzulegen, wird sich wesentlich mitentscheiden, ob unser europäisches Modell einer am Gemeinwohl orientierten, sozialen Marktwirtschaft auch in Zukunft Bestand haben wird. Deshalb müssen wir alles dafür tun, mit der gemeinsamen politischen Kraft Europas den Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten wieder zurückzugewinnen.


Eine europäische Wirtschaftsregierung

Wir wollen Schritte hin zu einer demokratisch legitimierten europäischen Wirtschaftsregierung verwirklichen. Es geht dabei letztlich um nichts weniger, als den Geburtsfehler der europäischen Währungsunion zu beheben: die fehlende Flankierung der gemeinsamen Währung durch eine gemeinsame koordinierte Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Die finanz- und wirtschaftspolitische Koordinierung sollte nicht nur auf die Sparziele des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beschränkt bleiben. Es sind ebenso verbindlicher koordinierte Anstrengungen für Investitionen in Wachstum und Beschäftigung erforderlich. Auch müssen exzessive wirtschaftliche Ungleichgewichte im Euroraum, die eine der entscheidenden strukturellen Probleme der Wirtschafts- und Währungsunion darstellen, im Rahmen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik mit längerfristig ausgeglichenen Leistungsbilanzen bekämpft werden. Hierzu müssen alle Mitgliedstaaten ihren Beitrag leisten. Auch treten wir dafür ein, dass in die Leitlinien für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung künftig sozial- und beschäftigungspolitische Kriterien wirksam mit einfließen. Einen reinen EU-Wettbewerbspakt lehnen wir ab.


Investitionen in Wachstum und Beschäftigung

So wichtig strikte Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung sind. Dauerhafter nachhaltiger Schuldenabbau setzt wirtschaftliches Wachstum voraus. Ziel einer gemeinsamen, demokratisch abgestimmten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sollte es deshalb sein, Europa auf einen innovationsgetragenen, nachhaltigen Wachstumskurs bringen. Es bedarf dazu auch umfassender europäischer Impulse für Wachstum und Beschäftigung als tragenden Pfeilern einer europäischen Krisenpolitik, die Reformen für Wettbewerbsfähigkeit und solide Finanzen mit Wachstum und Beschäftigung sowie einer stärkeren sozialen Dimension verbindet.

Der auf maßgebliches Betreiben der SPD und der europäischen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen vereinbarte Europäische Wachstumspakt muss endlich zügig umgesetzt werden. Die Zusagen für ein europäisches Wachstumsprogramm wurden bislang nur zum kleineren Teil realisiert. Ein besonderer Schwerpunkt bei den Wachstumsmaßnahmen ist hierbei etwa auf Energieeffizienzprogramme bei Wohnen und Produktion, den Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zu Finanzmitteln sowie auf wirtschaftliche Infrastrukturverbesserungen etwa beim Verkehr oder der Breitbandversorgung zu legen. In Ländern, in denen administrative Schwächen die Umsetzung des Wachstumspaktes blockieren, sollen gezielte Implementationshilfen die Programme zum Erfolg führen. Perspektivisch sollten Mittel in einem europäischen Investitions-, Wachstums- und Aufbaufonds gebündelt werden, der gezielt Gelder für Zukunftsinvestitionen mobilisiert. Ein besonderer Schwerpunkt der europäischen Wachstumspolitik muss darauf gerichtet sein, die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas in den Leitmärkten der Zukunft zu verbessern und einen Prozess der Re-Industrialisierung in Europa anzustoßen. Wir brauchen dazu eine umfassende europäische Industriepolitik. Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und der USA darf es nur geben, wenn die europäischen Sozial-, Verbraucherschutz-, Naturschutz- und Umweltstandards gewährleistet werden.


Eine umfassende digitale Agenda

Die Rolle, die Europa im 21. Jahrhundert spielen wird, hängt wesentlich auch davon ab, ob es uns gelingt, gerade auch im Bereich der digitalen Welt Anschluss zu halten. Das ist nicht nur eine Standortfrage, von der Arbeitsplätze und die Erhaltung und der Ausbau von technologischem Knowhow abhängen. Bei der Frage der digitalen Agenda geht es um viel mehr: Denn davon, welche Standards sich in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts durchsetzen, wer an welcher Stelle mit welcher Durchsetzungsmacht Algorithmen programmiert, hängt letztlich auch ab, ob wir unser europäisches Gesellschaftsmodell bewahren können, ob unser Modell von Demokratie, Freiheit, Solidarität und Chancengleichheit Bestand haben wird. Wir treten deshalb für eine umfassende digitale europäische Agenda ein, die Verbraucherschutz, Datenschutz, Innovation, Netz- und Informationssicherheit, ein unternehmensfreundliches Umfeld zusammenbringt.


Wir wollen ein soziales Europa

Der europäische Einigungsprozess steht für das Versprechen auf Frieden, Wohlstand und soziale Balance. In den Jahren der Krise ist gerade die soziale Balance in Europa in Gefahr geraten. Denn die bisherige Krisenpolitik hat nicht zur Überwindung der Krise beigetragen, sie hat im Gegenteil, verheerende Auswirkungen für die betroffenen Länder und die dort lebenden Menschen. Die einseitige Sparpolitik schränkt die Handlungsspielräume der Staaten ein, es fehlen die Mittel um Wachstumsimpulse zu setzen und die Voraussetzungen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung zu setzen. Die Folgen der Sparpolitik sind Kürzungen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, sowie bei Löhnen, Gehältern und Pensionen. Die Austeritätspolitik führte somit zu Rezession und Massenarbeitslosigkeit.

Ängste vor einer übermäßigen Belastung durch Hilfskredite in den Geberländern stehen Zukunftsängste vieler Menschen in den Krisenländern gegenüber, die durch Einsparungen ihren Job verloren haben oder erst gar keinen finden, die keine Perspektive für ihre Kinder in ihrem Heimatland sehen oder um ihre Rente und ihr Erspartes fürchten. Europa kann es sich nicht leisten, diese Ängste vieler Menschen zu ignorieren. Sonst droht der europäische Zusammenhalt zu brechen.


Ein Rettungsschirm für Europas Jugend

Besonders die Jugendarbeitslosigkeit hat in etlichen europäischen Ländern eine besorgniserregender Höhe erreicht. Teilweise ist mehr als jeder zweite Jugendliche ohne Job, und das obwohl viele von ihnen gut qualifiziert und ausgebildet sind. Europa darf diese jungen Menschen, die Europas Zukunft sind, nicht im Stich lassen. Der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit muss daher eine erste Priorität europäischer Politik sein. Die auf sozialdemokratische Initiative hin vereinbarten europäischen Mittel im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit müssen jetzt zügig in den nächsten zwei Jahren zur Verfügung stehen und nötigenfalls aufgestockt werden. Die von uns ebenfalls politisch durchgesetzte Europäische Jugendgarantie muss national und europäisch rasch umgesetzt werden, um Wirkung zu entfalten.


Gleichstellung für Frauen und Männer voranbringen

Frauen sind von den Folgen der Krise besonders betroffen. Deshalb verstehen wir, Gleichstellungspolitik in einem sozialen Europa als zentrale Querschnittsaufgabe. Das betrifft unsere europäische Programmatik ebenso wie die Arbeit des EU Parlaments der Kommission und des Rates. Wir wollen die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen voranbringen. Deshalb wollen wir insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung von gleichem Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, mehr Frauen in Führungspositionen, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer wirksame und verbindliche Regelungen auf europäischer Ebene voranbringen. Die Sozialdemokratie wird mit einem modernen, an Partnerschaftlichkeit orientierten Leitbild auch weiterhin in Europa eine Vorreiterrolle im Bereich der Gleichstellungspolitik einnehmen. Die Gleichstellungspolitik der EU sollte in einem eigenen Ressort der Kommission gebündelt werden. Wir werden uns zudem dafür einsetzen, dass nach 1999 erneut ein "Europäisches Jahr zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen" ausgerufen wird.


Eine europäische Sozialunion aufbauen

Darüber hinaus müssen wir Schritt für Schritt daran weiter arbeiten, eine europäische Sozialunion aufzubauen, die ihre Politik an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet und Mindeststandards und Zielkorridore für soziale Grundrechte, wie Löhne, Arbeitnehmerrechte, Sicherungssysteme sowie Mitbestimmung garantiert. Der demografische Wandel und damit das verhältnismäßige Anwachsen des älteren Bevölkerungsanteils in den westlichen Industrieländern setzen dabei unsere Sozialsysteme unter Veränderungsdruck.

Wir wollen Ziele für Sozial- und Bildungsausgaben vereinbaren, die sich an der jeweiligen nationalen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Staaten orientieren. Weiterhin muss mit einer sozialen Fortschrittsklausel klargestellt werden, dass soziale Grundrechte den Marktfreiheiten im Binnenmarkt nicht untergeordnet sind. Für besonders wichtig halten wir einen Pakt für Mindestlöhne der Korridore für existenzsichernde Mindestlöhne gemessen am jeweiligen Durchschnittseinkommen in allen EU-Mitgliedsstaaten festlegt. Die öffentliche Daseinsvorsorge darf durch die europäische Politik und die Interpretation der Markfreiheiten im europäischen Binnenmarkt nicht in Frage gestellt werden. Nationale, regionale und lokale Besonderheiten in der öffentlichen Daseinsvorsorge müssen erhalte und geschützt werden. Für uns ist auch klar: Wir wollen, dass alle Menschen den gleichen Zugang zu notwendigen Gütern und Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge haben. Wir setzen uns deshalb auf europäischer Ebene dafür ein, dass eine Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge verhindert wird und wirksame Strategien erarbeitet werden, die eine Rekommunalisierung ermöglichen.


Lohn- und Sozialdumping bekämpfen

Beschäftigte in Europa müssen effizienter vor Ausbeutung und sittenwidrigen Arbeitsbedingungen geschützt werden. In Europa muss gelten: gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort - für Männer und für Frauen! Das europäische Entsenderecht sollte entlang dieses Prinzips weiterentwickelt werden. Lohn- und Sozialdumping darf in Europa kein Raum gegeben werden. Dort, wo wirtschaftliche Aktivität grenzüberschreitend ist, dürfen Arbeitnehmerrechte und soziale Absicherung nicht an den Grenzen Halt machen. Wir müssen Verstöße gegen das Arbeitsrecht wie Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht auf europäischer Ebene ahnden und sanktionieren. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die in verschiedenen europäischen Ländern Arbeiten und wohnen, dürfen nicht durch Regelungslücken zwischen den nationalen Sozialsystemen benachteiligt werden.

Hinzu kommt: Der massiv angewachsene Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen muss gerade auch auf europäischer Ebene mit wirksamen Maßnahmen bekämpft werden. Wir müssen europaweit zusammenarbeiten um grenzüberschreitendem Betrug und Missbrauch zu begegnen. Dazu braucht es mehr Kontrollrechte auf europäischer und nationaler Ebene! Neben verbesserten Kontrollrechten muss für gute Arbeit auch der soziale Dialog, die europäischen Betriebsräte und die Mitbestimmung in europäischen Unternehmen gestärkt werden.


Steuergerechtigkeit schaffen und Steuerflucht effektiv bekämpfen

Die Einnahmen aus Steuern finanzieren die soziale Marktwirtschaft und sind damit die Grundlage für soziale Gerechtigkeit. Über eine Billion Euro gehen EU-weit der Allgemeinheit, d.h. den Bürgerinnen und Bürgern, jährlich allein aufgrund von Steuerbetrug und Steuervermeidung verloren. Fehlende Einnahmen bedeuten fehlende öffentliche Investitionen. In einem europäischen Binnenmarkt mit grenzenloser Unternehmens- und Kapitalmobilität kann ein effektiver Kampf gegen Steueroasen, Steuerbetrug und Steuerumgehung nur europäisch funktionieren. Dazu muss europäisch koordiniert aktiv gegen Steuerbetrug vorgegangen, rechtliche Schlupflöcher geschlossen und dem schädlichen Steuerwettbewerb ein Ende gemacht werden.

Wir wollen ein Europäisches Bündnis zur Stärkung der Staatsfinanzen. Dem Wettlauf zwischen den EU-Mitgliedstaaten um die niedrigste Unternehmensteuer muss durch eine gemeinsame Bemessungsgrundlage bei der Körperschaftssteuer und die Einführung eines Mindeststeuersatzes ein Ende gesetzt werden. Es muss der Grundsatz gelten, dass Unternehmen dort ihre Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Die Finanztransaktionssteuer muss endlich beschlossen und umgesetzt werden.

Aufsichtsbehörden sollten Finanzinstituten, die am Steuerbetrug mitwirken oder diesen erleichtern, die Banklizenz entziehen können. Unternehmensregister in der EU müssen um Informationen zu den wirtschaftlich Begünstigten von Unternehmen, Stiftungen, Trusts und ähnlichen Rechtsstrukturen ergänzt werden. Großunternehmen müssen ihre Gewinne und Steuern nach Ländern verschlüsselt öffentlich zugänglich veröffentlichen. Durch einen automatischen Informationsaustausch der Mitgliedstaaten über Zinserträge, die nicht im Wohnsitzland erzielt werden, kann sichergestellt werden, dass weitere Schlupflöcher bei der Besteuerung von Zinserträgen geschlossen werden können. Der Rat muss die überarbeitete EU-Zinssteuerrichtlinie endlich annehmen und perspektivisch auf alle Kapitaleinkünfte sowie alle juristische Personen ausgeweitet werden. Eine effektive Besteuerung verlangt zudem einen gleichartigen Steuervollzug in allen EU-Mitgliedstaaten. Bis Ende 2014 sollen Steueroasen identifiziert und auf einer europäischen schwarzen Liste veröffentlicht werden. Gegen die auf dieser Liste geführten Drittstaaten sollen von den EU-Staaten zuvor gemeinsam festgelegte Sanktionen verhängt werden können. Finanzinstitute aus Drittstaaten, die in der EU Finanzdienstleistungen anbieten wollen, müssen den EU-Mitgliedstaaten die Steuerdaten liefern. Andernfalls wird ihnen die Geschäftstätigkeit in der EU untersagt.


Für eine humanitäre europäische Flüchtlingspolitik

Nicht erst die dramatischen Schiffsunglücke vor Lampedusa haben uns eindringlich vor Augen geführt, dass es einen grundsätzlichen Kurswechsel in der europäischen Flüchtlingspolitik geben muss. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind eine Wertegemeinschaft, die den gemeinsamen menschenrechtlichen Traditionen der Mitgliedstaaten verpflichtet sind. Das muss sich auch in der tatsächlichen Flüchtlingspolitik widerspiegeln. Die Genfer Flüchtlingskonvention und weitere einschlägige Konventionen, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention, sind Teil der EU-Verträge und verpflichten alle Mitgliedstaaten auf eine völkerrechtskonforme, humanitäre Flüchtlingspolitik.

Die Lage an den Außengrenzen der EU macht deutlich, dass sich die europäische Flüchtlingspolitik heute regelrecht ad absurdum führt: Einerseits haben wir eine gute und ausdifferenzierte Anerkennungsmöglichkeiten für Verfolgte und Flüchtlinge in Europa, die auf sehr hohem menschenrechtlichem Niveau liegen.

Andererseits haben wir eine extrem ungleiche Verteilung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern innerhalb der EU. Einige Länder, darunter Deutschland, kommen ihren Verpflichtungen umfassend nach. Es müssen aber alle Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen, damit endlich die EU-rechtwidrigen Zustände bei Aufnahme-, Verfahrens- und Anerkennungsbedingungen beseitigt werden.


Solidarische Zuständigkeitsregelung einführen - einheitliche Verfahren EU-weit durchsetzen

Nach der sogenannten Dublin-Verordnung werden die Kriterien und das Verfahren festgelegt, welches Mitgliedsland für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Das Dublin-System war ursprünglich dazu gedacht, Mehrfachasylanträge innerhalb der Europäischen Union zu verhindern. Weiterhin sollte die Verordnung dazu beitragen, dass gewährleistet ist, dass immer ein Mitgliedsland für einen schutzsuchenden Menschen verantwortlich ist ("no refugee in orbit"). Heute ist klar: das System ist ineffizient, dysfunktional und unfair. Das gilt für die Schutzsuchenden genauso wie für die Mitgliedsstaaten.

Ohne Frage bringt das im Juni 2013 beschlossene "Gemeinsame Europäische Asylsystem" wichtige Verbesserungen. Hiervon umfasst ist die am 1. Januar 2014 in Kraft tretende Neufassung der Dublin-Verordnung ("Dublin III") wie auch die Asylverfahrensrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie. So werden durch das "Gemeinsame Europäische Asylsystem" etwa das Recht auf Berufung für schutzsuchende Menschen, die Implementierung eines Frühwarnsystems und die Ergreifung von geeigneten Schutzmaßnahmen für schutzbedürftige Menschen verbessert. Das Kernproblem der ungleichen Verteilung von Asylsuchenden und der mangelnden Solidarität unter den Mitgliedsstaaten besteht weiter in gravierender Weise. Den Preis zahlen die Schutzsuchenden und die betroffenen Mitgliedstaaten.

Die SPD steht für eine Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik, die Grundrechte über Repression und Abschottung stellt. Deshalb wollen wir das "Gemeinsame Europäische Asylsystem" durch ein alternatives, auf Verantwortungsteilung beruhendes System ersetzen. Eine deutsche Bundesregierung soll auf europäischer Ebene auf solche Mitgliedstaaten einwirken, die bis heute eine solche Verbesserung verweigern.

Bis dahin wollen wir als Sofortmaßnahme mehr Flexibilität im weiter bestehenden Dublin-System ermöglichen: In Fällen, in denen in einem Mitgliedstaat das Asylsystem oder die Infrastruktur akut überlastet ist, soll durch einen zeitlich befristeten Aufhebungsmechanismus der Transfer von Flüchtlingen in einen anderen Mitgliedstaaten ermöglicht werden. Diese müssen aber einer guten Behandlung und Versorgung der Flüchtlinge nachgekommen sein.


Einwanderungskontinent Europa - für eine europäische Strategie zur legalen Migration

Europa ist ein Einwanderungskontinent. Diese Erkenntnis erfordert als logische Konsequenz ein legales Einwanderungssystems. Hierfür fordern wir eine europäische Strategie, die auch tauglich ist, Antworten auf kriminelle Schlepperbanden zu geben, die mit der Not von Menschen Geschäfte machen und sie in seeuntauglichen Booten auf eine ungewisse und lebensgefährliche Reise schicken.


Fluchtursachen bekämpfen - Lebensbedingungen verbessern

Neben einem Ausbau der Regelungen zum klassischen Flüchtlingsschutz und zur legalen Einwanderung muss die deutsche wie auch die europäische Entwicklungszusammenarbeit künftig stärker darauf setzen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die wenigsten Menschen wollen ihre Heimat verlassen. Wir müssen daran mitwirken, dass sie auf der Suche nach einem menschenwürdigen, erfüllten Leben nicht auf das Verlassen ihres Landes als Ausweg angewiesen sind.

Notwendig für die Überwindung von Armut ist ein breitenwirksames, nachhaltiges Wachstum. Dafür bedarf es der Überwindung von Ungleichheiten in den Gesellschaften und der Schaffung von guter Arbeit, die sich an der "Decent Work Agenda" der ILO orientiert. Es bedarf Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung, Hilfen beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme im Sinne eines Basisschutzes nach dem Konzept des "Social Protection Floor" der UN und der ILO sowie der Gleichstellung von Männern und Frauen. Wichtige Voraussetzung dafür sind der Zugang zu guter Bildung, Gesundheitsversorgung und Ernährung.

Die Zivilgesellschaft ist ein zentraler Partner in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie leistet einen wichtigen Beitrag für Gerechtigkeit, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, politische Teilhabe und demokratische Entwicklung - gerade auch in fragilen Staaten.


Menschenrechtskonforme Praxis der Grenzsicherung

In einem vereinten Europa ist es richtig, dass die Mitgliedstaaten ihre Grenzen vor illegaler Migration sichern und hierbei zusammenarbeiten. Das geschieht unter Koordination der EU-Agentur Frontex. Verfahren der Grenzsicherung dürfen nicht im Widerspruch zu den Zielen einer humanitären Flüchtlingspolitik stehen.

Der gemeinsame europäische Grenzschutz, weitgehend auf exterritoriales Gebiet oder in Drittstaaten ausgelagerte Grenzkontrollen sowie die Zusammenarbeit mit Drittstaaten führen dazu, dass viele, die Schutz suchen, ihren Weg nach Europa gar nicht oder nur unter lebensgefährlichen Bedingungen finden können. Deshalb muss bei allen von Frontex koordinierten Operationen ebenso wie bei Kooperationen mit Drittstaaten der Grundsatz der Nichtzurückweisung (non refoulement) gewährleistet sein. Die Pflicht zur Seenotrettung muss selbstverständlich und umfassend berücksichtigt werden. Zudem muss unmissverständlich klar gestellt werden, dass es keine Kriminalisierung derer geben darf, die Flüchtlinge aus Seenot retten. Letztendlich muss gewährleistet werden, dass eine Ausschiffung ausschließlich in auch flüchtlingsrechtlich sichere Häfen erfolgt.


Die EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik weiterentwickeln

Die Erweiterung der EU ist aktive europäische Friedenspolitik. Die EU muss weiterhin für neue Mitglieder offen sein. Neben der strikten Einhaltung der Beitrittskriterien, an denen sich alle Verhandlungen mit beitrittswilligen Staaten zu orientieren haben, muss die Europäische Union auch aufnahmefähig sein.

Die laufenden Verhandlungen mit der Türkei führen wir mit dem mit dem erklärten Ziel eines Beitritts weiter. Die Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen mit der Türkei und deren Anbindung an die EU liegen im deutschen Interesse. Die EU fußt auf der unbedingten Achtung von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Meinungsfreiheit. Gerade im Umgang mit oppositionellen Kräften zeigt sich die Reife eines demokratischen Rechtsstaates. Daher erwarten wir auch von der türkischen Regierung sowohl die Respektierung dieser Werte und Prinzipien als auch deren innerstaatliche Durchsetzung. Wir begrüßen die in der Türkei mit Blick auf die Beitrittsverhandlungen unternommenen Reformanstrengungen und die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel durch die EU-Kommission. Dies verleiht den Verhandlungen mit dem Ziel eines Beitritts eine neue Dynamik. Deutschland hat weiterhin ein grundlegendes Interesse an der dauerhaften Stabilisierung des Westlichen Balkans. Wir halten deshalb an der Beitrittsperspektive dieser Länder fest und werden darauf hinwirken, gebunden an klare Kriterien den notwendigen politischen und gesellschaftlichen Wandel in diesen Ländern in diesem Sinne weiter aktiv voranzubringen.

Es liegt zudem im vitalen Interesse Deutschlands und der EU, Stabilität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung in angrenzenden Regionen zu fördern. In diesem Zusammenhang hat sich die Europäische Nachbarschaftspolitik bewährt. Wir wollen die Partnerländer dauerhaft für eine gute Zusammenarbeit gewinnen und die demokratischen Transformationsprozesse gezielter unterstützen. Insbesondere eine engere Anbindung der nordafrikanischen Staaten an die EU kann zu einer Stabilisierung der Region beitragen. Die mediterrane Partnerschaft braucht einen neuen glaubwürdigen Auftakt zur Zusammenarbeit.

Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union in ihrem internationalen Einsatz für Menschenrechte hängt maßgeblich davon ab, wie konsequent sie ihre Werte lebt und deren Verletzung im Innern ahndet. Wir unterstützen einen wirksamen Mechanismus zur Prüfung und Durchsetzung rechtsstaatlicher und demokratischer Standards in den EU-Mitgliedstaaten. Dazu sollte der Instrumentenkasten der EU zum Schutz der in Artikel 2 EUV verankerten Rechte ausgebaut, ein kontinuierliches Monitoring aller Mitgliedstaaten institutionalisiert und die Rolle der EU-Grundrechteagentur gestärkt werden.


Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU stärken

Wir wollen, dass Europa seiner Verpflichtung als Träger des Friedensnobelpreises auch künftig nachkommt und sein außenpolitisches Engagement als Friedensmacht wahrnimmt. Wir wollen neue politische Initiativen zur Stärkung und Vertiefung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf den Weg bringen. Hierbei sollen die Schwerpunkte auf diplomatischen und zivilen Mitteln, wie den Instrumenten der zivilen Krisenprävention und Konfliktregelung, liegen. Europa hat in diesem Bereich viele Erfahrungen in den letzten Jahren gemacht, die es auch im Rahmen des Europäischen Auswärtigen Dienstes auszubauen gilt.

Wichtig bleiben auch weitere Anstrengungen im Bereich der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir wollen mit neuen Initiativen einen Beitrag zur Überwindung der Renationalisierung der Sicherheitspolitik der EU-Länder leisten. Ziel bleibt eine Außen- und Sicherheitspolitik mit abgestimmten europäischen Konzepten und Aktionen. Unser langfristiges Ziel bleibt der Aufbau einer Europäischen Armee. Dies eröffnet auch große Chancen für substantielle konventionelle Abrüstung in Europa und zum effizienteren Einsatz der begrenzten Ressourcen für europäische Sicherheitspolitik. Mit dem Aufbau einer Europäischen Armee müssen jedoch die entsprechenden Informations- und Kontrollrechte des Europäischen Parlaments ausgebaut werden.


Neue Faszination für die europäische Idee wecken

Wenn von Europa die Rede ist, dann immer weniger im Zusammenhang von Frieden und Versöhnung, von Freiheit und Emanzipation, sondern mit Begriffen der Finanzmarktökonomie wie Rettungsschirm, Stabilitätsmechanismus oder Umschuldung. Wir dürfen nicht zulassen, dass die große Idee der europäischen Einigung zu der Frage zusammenschrumpft, wie die Gemeinschaft der europäischen Staaten die Schuldenkrise in den Griff bekommen kann. Europa ist so viel mehr: Es ist auch und vor allem eine großartige Idee vom Zusammenleben der Menschen und Völker. Die europäische Idee stellt die kulturelle Vielfalt über den Zwang zur Anpassung, die Lebensqualität über die Anhäufung von Reichtum, die nachhaltige Entwicklung vor die rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur. Die europäische Idee stellt auch die Zusammenarbeit über einseitige Machtausübung.

Wir wollen die Debatte über Europa aus der Verengung auf einen bloßen Krisendiskurs herausholen und dafür sorgen, dass die europäische Idee wieder weiter gedacht und diskutiert wird - als ein politisches Projekt, das immer schon mehr war als ein gemeinsamer Markt, aber auch als ein gesellschaftliches Projekt, das nicht allein Staaten in einem staatlichen Verbund vereint, sondern Gesellschaften und Menschen zusammenbringt. Diesen europäischen Gesellschaftsvertrag der Bürgerinnen und Bürger neu zu begründen, im Dialog und Verbund mit gesellschaftlichen Gruppen und Bündnispartnern, ist eine der großen Zukunftsaufgaben, der sich gerade die Sozialdemokratie in Deutschland und Europa zu widmen hat.

Wir wollen und werden alles dafür tun, dass gerade auch die Europawahl dieser so wichtigen Debatte über die Zukunft Europas einen wichtigen Impuls gibt und neue Faszination für die europäische Idee weckt.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 624/13 vom 15. November 2013
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2013