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AFRIKA/1049: Südafrika - MaSisulu 1918-2011 (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2011

MaSisulu 1918-2011


"Die Mutter aller Südafrikaner" nannte Nelson Mandela Albertina Sisulu. Sie starb am 2. Juni 2011 im Alter von 93 Jahren in Johannesburg. Ihr Leben steht wie kaum ein anderes für den Kampf um die Freiheit Südafrikas.


Im September 1918 erreichte die spanische Grippe Südafrika. Allein in der Transkei starben daran 30.000 Menschen. Auch die hochschwangere Monica Thetiwe hatte sich angesteckt. Aber ihr Baby erwies sich von Anfang an als Überlebenskünstlerin; das kleine Mädchen kam gesund zur Welt. Der erleichterte Vater, ein Bauer und Wanderarbeiter, pries Gott für die glückliche Geburt und nannte sie Nontsikelelo (die Gesegnete) - abgekürzt Ntsiki. Damit sie nicht von der Grippe angesteckt wurde, durfte Mutter Monica sie nicht stillen. Stattdessen gab ihr die Großmutter einen aus der Wurzel inembe gepressten Saft, dazu abgekochte Kuhmilch und Sauermilch.

Sie war das zweite von fünf Kindern; ihr folgten zwei Brüder und eine Schwester. Da Vater Bonilizwe Thetiwe als Wanderarbeiter mindestens sechs Monate im Jahr in den Bergwerken arbeitete, lebte die Familie meist bei den Eltern der Mutter.

Das Aufwachsen in einer ländlichen Großfamilie der Transkei war für Ntsiki prägend. Als älteste Enkelin musste sie sich besonders um die acht jüngeren Cousinen kümmern. Die sagten später, Ntsiki habe streng auf Disziplin geachtet - von der Großmutter gelerntes Verhalten. Als Ntsiki fünf Jahre alt war, durfte sie Gcotyelwa, das Baby ihres Onkels Orpen, füttern, baden und auf dem Rücken tragen. Jahrzehnte später sagte sie mit leuchtenden Augen: "Das war mein Baby; sie war so schön, und ich liebte sie so sehr." Kein Zufall, dass sie später gern als Hebamme arbeitete. Alle Mädchen durften ein kleines Beet selbst bebauen, das dort gezogene Gemüse verkaufen und den Gewinn behalten. Daher die lebenslange Leidenschaft der Albertina Sisulu für Gartenarbeit als Trost in harten Zeiten.

Der Großvater war Dorfvorsteher und ein geachteter Mann. Er sorgte dafür, dass junge Männer die Felder von Witwen pflügten und dass Alte und Kranke versorgt wurden. Er war kein Christ und konnte auch nicht lesen und schreiben. Aber er wusste, dass die Jungen ohne Schulausbildung keine Chance in der kolonialen Gesellschaft haben würden. Deshalb schickte er vor Beginn eines jeden Schuljahres seine Boten zu jedem Haushalt. Sie mahnten, die Kinder in die Schule zu schicken. Ntsiki wurde in eine presbyterianische Grundschule geschickt. Etwa 500 Schüler, Jungen wie Mädchen, Schwarze und Weiße, wurden dort unterrichtet. Die weißen Kinder kamen aus Missionarsfamilien, konnten fließend Xhosa sprechen und waren voll integriert. Zu Anfang - der Preis für die Ausbildung - mussten die Kinder getauft werden. Dafür sollten sie sich "christliche" Namen auswählen. Ntsiki gefiel der Name Albertina, und so wurde sie auf diesen Namen getauft.

Albertina liebte die Schule und verehrte ihre Klassenlehrerin: "Zu der schaute ich auf: So möchte ich auch werden." Die Lehrerin achtete auf vorbildliches Verhalten: "Euer Verhalten ist der beste Lehrer. Es ist weitaus wirksamer als alles, was ihr sagt", pflegte sie zu sagen - eine Botschaft, an die sich Albertina als Mutter, als Krankenschwester und als politische Aktivistin immer erinnerte.

Anfang 1929, als sie elf Jahre alt war, starb Albertinas Vater an Staublunge. Auf dem Sterbebett hatte der Vater sich von Albertina versprechen lassen, dass sie sich um die drei jüngeren Geschwister kümmern werde. Sie hielt ihr Versprechen.

Von 1936 bis 39 erhielt Albertina ein Stipendium der katholischen Mission für das bekannte Mariazell-Kolleg in Matatiele. Als Gegenleistung für Verpflegung und Unterkunft im Internat musste Albertina in ihrer Freizeit im Büro und im Garten arbeiten, Wäsche waschen und bügeln.

Mitten in der Studienzeit starb ihr Großvater, und Onkel Campbell übernahm die Verantwortung als Familienoberhaupt. Ohne ihr Wissen hatte Campbell Albertinas Hochzeit mit einem gerade graduierten Jurastudenten arrangiert. Von den Nonnen in Mariazell war Albertina aber so beeindruckt, dass sie zum Katholizismus konvertiert war und ernsthaft mit dem Gedanken spielte, Nonne und Lehrerin zu werden. Sie lehnte daher die Hochzeit ab.

Doch Albertina hatte Verantwortung für die drei jüngeren Geschwister. Da sie als Nonne aber über kein Geld verfügen würde, entschloss sie sich für eine Ausbildung zur Krankenschwester. Sie begann Anfang 1940 in Johannesburg am "Non-European"-Krankenhaus.

Erst in Johannesburg fiel ihr die Rassentrennung innerhalb der Schwesternschaft auf. Junge, weiße Schwestern in der Ausbildung konnten allen schwarzen Schwestern - auch denen mit langer Berufserfahrung - Anordnungen geben, nur weil sie weiß waren. Wenn ihre Sektion des Krankenhauses mit schwarzen Patienten überfüllt war, so durften diese nicht in die leeren Betten des für Weiße reservierten Teils des Krankenhauses gebracht werden, sondern mussten auf dem nackten Boden liegen, auch die Schwerkranken.

Anfang 1941 starb Albertinas Mutter. Albertina beantragte Sonderurlaub, um an der Beerdigung teilnehmen zu können. Der Antrag wurde höhnisch abgelehnt: "Was soll's? Deine Mutter wird nicht deinetwegen von den Toten auferstehen", sagte die Oberin. Das hat Albertina tief verletzt: "Sie tat gerade so, als sei nur ein Hund gestorben", klagte sie noch Jahrzehnte später.


Heirat und Politisierung

1941 lernte Albertina Walter Sisulu kennen. Der war ein Jahr zuvor dem ANC beigetreten. Walter stellte Albertina seiner Mutter Alice und seiner Schwester Barbie vor, mit denen er in Orlando West im Haus Nr. 7372 lebte. Albertina besuchte bald regelmäßig dieses Haus. Dort wurde sie in Walters Debatten mit seinen politischen Freunden wie Nelson Mandela und Oliver Tambo politisch sozialisiert. Der ANC war damals ein Männerverein. Erst 1943 wurden Frauen als gleichberechtigte Mitglieder zugelassen.

1944 nahm Albertina den Heiratsantrag von Walter unter der Bedingung an, dass dieser ihre Verpflichtung gegenüber ihren jüngsten drei Geschwistern akzeptierte. Da Walter selbst in einem großen Familienklan aufgewachsen war, hatte er damit keine Schwierigkeiten. Für Albertina wiederum war es kein Problem, mit ihrer Schwägerin und ihrer Schwiegermutter im selben Haus zu wohnen. Am 15. Juli 1944 heirateten sie. Es sollte eine außerordentlich glückliche Ehe werden, die trotz aller Probleme hielt. Und Probleme gab es genug.

1947 ging Walters Immobiliengeschäft pleite. Walter war seitdem unbezahlter Vollzeitaktivist im ANC. Albertina war es, die das tägliche Brot verdiente. Im Dezember 1949 wurde Walter Sisulu zum Generalsekretär des ANC gewählt. Prof. Matthews aus Natal fragte Walter: "Wie stellst Du Dir das vor, die Nation führen zu können, wenn Du nicht einmal die Familie ernähren kannst?" Die Antwort war Albertina. Sie ernährte sie alle: Ihre jüngeren drei Geschwister, die Schwiegermama Alice, Walter, die fünf Kinder der Sisulus und die drei Kinder von Schwägerin Barbie.

Der ANC war organisatorisch so schwach, dass er den für den Generalsekretär vorgesehenen Lohn von 5 Pfund im Monat nur selten auszahlen konnte; mit ihrem Lohneinkommen als Hebamme und Krankenschwester subventionierte Albertina also auch noch den ANC.

Ab 1955 engagierte sich Albertina aktiv in Protesten und Demonstrationen - gegen die minderwertige Ausbildung für Afrikaner, gegen die Ausweitung der Passgesetze auch auf afrikanische Frauen. Bei einer solchen Demonstration wurde sie 1958 zusammen mit 1.200 anderen Frauen festgenommen. Ihr Mann brachte ihr jeden Tag Essen in den Knast.

Im November 1962 starben Walters Mutter im Alter von 78 Jahren und kurz danach auch seine Schwester. Beide hatten sich um die Kinder gekümmert, wenn Albertina zur Arbeit musste. Walter wurde häufig verhaftet und ging 1963 in den Untergrund. Albertina war daher ganz allein bei der Sorge um die fünf eigenen Kinder und um die drei ihrer Schwägerin.

Am 11. Juli wurde das Oberkommando der noch im Aufbau befindlichen Befreiungsarmee Umkhonto we Sizwe (MK) auf der Farm Lielieleaf verhaftet, neben Nelson Mandela und anderen auch Walter Sisulu. Die verhafteten Widerstandskämpfer wurden im Rivoniaprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Albertina organisierte während der Gerichtsverhandlung die ANC-Frauen zu Demos vor dem Gerichtsgebäude, um die Moral der Angeklagten zu stärken. Über das Urteil "lebenslang" fiel sie nicht in Depressionen. Sie freute sich darüber, dass ihr Mann nicht zum Tode verurteilt worden war. Doch hatte sie schlaflose Nächte über die ungewisse Zukunft.

Albertina selbst wurde - ohne Gerichtsverhandlung - politisch gebannt. Das hieß: Sie durfte den Bereich von Johannesburg nicht verlassen, sie durfte in keine schwarze Vorstadt außer der, in der sie selbst lebte. Sie durfte mit anderen gebannten Personen nicht kommunizieren - die einzige Ausnahme war ihr Mann auf Robben Island. Sie durfte in keiner Weise an einer Veröffentlichung beteiligt sein, sie durfte in keiner Schülerversammlung reden oder Kinder unterrichten. Jedes Treffen mit mehr als drei Personen war verboten. Jede Woche musste sie sich einmal bei der lokalen Polizeistation melden, fünf Jahre lang und zusätzlich weitere 10 Jahre unter Hausarrest. Gleichzeitig musste sie die Schulgebühren und Internatskosten für die Kinder verdienen, die sie und Walter nach Swasiland in Sicherheit gebracht hatten. "Das war die schlimmste Zeit", sagte Albertina Sisulu später.

Ihre Tochter Jongumzi erzählte: "Das Leben in Nr. 7372 war nicht einfach. Die Polizei setzte Mama mit vielen Razzien heftig zu. Die Polizei sprang in solchen Fällen über die Gartenmauer, trat die Tür ein und durchsuchte das Haus. Sie waren besonders scharf auf die Bücher im Haus. Sie blätterten sie durch und warfen sie überall hin. Mama schimpfte und verlangte von ihnen, dass sie Respekt zeigen. Sie wollte wissen, wer ihnen den Auftrag für ihre Hausdurchsuchung gegeben habe und was sie eigentlich wollten. Sie antworteten, sie täten nur ihre Pflicht und müssten ihre dummen Fragen nicht beantworten."


Der Widerstand reorganisiert sich

Ende der 1960er Jahre bildeten sich die ersten Organisationen des Black Consciousness Movement (BCM). Anfang der 70er waren Albertinas Sohn Zwelakhe und ihre Tochter Lindiwe in der Bewegung aktiv. Wie viele Jugendliche warfen sie dem ANC vor, nicht mehr aktiv gegen die Unterdrückung zu kämpfen. Albertina sagte später: "Ich musste Zwelakhe an den Küchentisch setzen. Dann lehrte ich ihn die Geschichte des Widerstandes und die seiner Familie." Lindiwe erinnerte sich so: "Sie sagte nicht, dass ihr Weg besser sei als meiner. Sie nahm sich aber jede Menge Zeit, um mit mir zu diskutieren und ihre Sichtweise zu erklären. Sie nahm sich mehr Zeit für mich als je zuvor. Ich war unter anderem auch ihr Zugang zu dem, was in meiner Generation ablief. Sie lehnte Black Consciousness nicht ab, aber sie war sich der Grenzen dieser Bewegung bewusst. Ich hatte den Eindruck, dass Mama und Genossen vor allem über den Neuaufbau von Strukturen nachdachten. Ich warf ihrer Generation aber vor, dass sie nicht mehr an Widerstandsaktionen beteiligt war."

Lindiwe schloss sich ab 1974 dem ANC an; sie wurde am 14. Juni 1976 für ein Jahr nach dem Terrorismus-Gesetz verhaftet. Sohn Lungi arbeitete mit älteren ANC-Genossen im Untergrund zusammen und übermittelte seinem Vater die Sorge, dass sich BCM als Alternative zum ANC verstehen könnte. Walter Sisulu war nicht besorgt. Er sagte später: "Dass BCM im Prinzip alle Unterdrückten einschloss, sah ich als Zeichen wachsenden Selbstbewusstseins der erwachenden sozialen Kräfte in unserem Land." Tochter Nkuli marschierte am 16. Juni 1976 (als Soweto-Aufstand in die Geschichte eingegangen) gegen Afrikaans als Unterrichtsmedium, wurde verhaftet und gefoltert. Zwelakhe arbeitete damals als Reporter der Rand Daily Mail und berichtete über den Schüleraufstand.

Albertina war nicht nur besorgt, ob ihre Kinder die Repression des Aufstands überleben würden. Sie war auch beunruhigt über das teilweise Abgleiten der politischen Proteste in kriminelles Verhalten wie Plünderung und Abfackeln von Lieferwagen, die den Einzelhandel in den Vorstädten beliefern wollten. Albertina sagte: "Die Kinder waren zu der Zeit völlig unmöglich. Du konntest ihnen nichts sagen zur Verteidigung einer weißen Person." Entsetzt war sie über den aufflackernden schwarzen Rassismus, als Dr. Marvin Edelstein ermordet wurde, ein Arzt, den sie für seine Arbeit in den Kliniken von Soweto sehr respektierte und bewunderte: "Es war einfach furchtbar; es brach uns das Herz. Er war einer der besten Ärzte. Er liebte seine Arbeit und die Menschen, die er behandelte. In allen Kliniken bis hinauf zu Noordgesig (bei Soweto/Johannesburg) kannte man ihn", sagte Albertina.

Trotz Bann und Hausarrest durchbrach sie ihre soziale Isolation. Sie beriet Mütter, die wegen ihrer verfolgten Kinder zu ihr kamen. Albertina begann, ihre Frauenorganisation wieder aufzubauen. Dabei arbeitete sie zusammen mit June Mlangeni und Schwester Bernard Ncube in einer Zelle, die sich Thusang Basali (Wacht auf, Frauen) nannte. Sie unterstützte Familien von politischen Gefangenen. Seit 1979 arbeitete sie auch mit einer Gruppe von Studentinnen aus sog. Mischlingsvierteln, die Erziehungsprobleme unter der Perspektive nationaler Befreiung studieren wollten. Dazu gehörten etwa Jessie Duarte und Susan Shabangu. Sie galten als "die Mädchen von MaSisulu". Albertina wollte eine junge Frauengeneration auf künftige politische Führungsfunktionen vorbereiten. Jessie Duarte sagte: "Wir haben beinahe täglich zusammen gearbeitet. Zwölf Jahre lang habe ich praktisch als ihre Sekretärin gearbeitet. MaSisulu war ein Mentor für uns junge Frauen, die keine politische Heimat hatten."

Albertinas Bann war Anfang 1981 abgelaufen, und sie nahm ihre politischen Aktivitäten wieder auf. Ende April 1982 unterzog sich Walter einer Nierenoperation. Albertina konnte ihren Mann kurz vor der Operation im Krankenhaus sehen. Das erste Mal seit 18 Jahren trennte sie keine Glasbarriere. Die erste Umarmung, der erste Kuss, das erste Mal, wo sie seine Hand halten konnte. Albertina fand es großartig.


Der Apartheidstaat zieht die Notbremse

Adapt or die - anpassen oder untergehen: Diese Parole hatte P.W. Botha bei seinem Antritt als Staatspräsident 1978 ausgegeben. 1982 legte das Regime seine Reform vor: Mischlinge und Inder sollten in eigenen Kammern "ihre Angelegenheiten" regeln, die weiße Minderheit würde weiter die Politik bestimmen. Die Afrikaner wurden zu Bürgern von Bantustans erklärt, sollten aber in den schwarzen Industrievororten Stadträte wählen dürfen.

Der Vorsitzende des Weltbundes der reformierten Kirchen, Prf. Alan Boesak, rief 1983 alle zivilen Organisationen der Unterdrückten dazu auf, eine gemeinsame Front gegen die Verfassungsreform des Regimes zu bilden. Bei der Vorbereitung der Gründung der Vereinten Demokratischen Front (UDF) wurde Albertina Sisulu um ihre Unterstützung gebeten. Sie sagte zu und wurde in Abwesenheit - sie saß wieder einmal für ein halbes Jahr in Haft - zur Vorsitzenden der UDF-Transvaal und zwei Wochen später zu einer von drei Präsidenten auf nationaler Ebene gewählt.

Nach ihrer Pensionierung 1984 bot der Gesundheitssekretär der BC-nahen Azapo, Dr. Abu Baker Asvat, der Präsidentin der ANC-nahen UDF einen Job in seiner Arztpraxis an. Albertina nahm an. Trotz unterschiedlicher politischer Ausrichtung verstanden sie sich blendend, besonders in der medizinischen Betreuung von Obdachlosen.

In jenem Jahr arbeitete Albertina intensiv mit jungen Aktivistinnen an der Wiederbelebung des südafrikanischen Frauenbundes Fedsaw. Sie folgte dem strategischen Rat der jungen Generation, zuerst autonome Ortsgruppen und dann unabhängige Provinzorganisationen zu schaffen, die später eine nationale Föderation bilden würden. So konnte das vorzeitige Verbot einer nationalen Zentrale vermieden werden.

Immer wieder suchte Albertina solche Verbindungen über die Organisationsgrenzen hinweg. So sprach sie etwa vor den Frauen der Azaso, einer BCM-Organisation. Sie umriss die Geschichte des Widerstands der Frauen gegen die Passgesetze in den 50er Jahren und sagte dann: "Alle diese Jahre haben wir Frauen Seite an Seite mit den Männern gekämpft...und ich wage zu sagen: ohne die Frauen hat der Freiheitskampf keine Chance. Heute sind wir (rassisch) getrennt. Unsere eigenen Kinder, die sog. Inder und Mischlinge, werden uns entfremdet. Unsere Kinder werden als Soldaten rekrutiert, um gegen ihre eigenen Brüder zu kämpfen. Wir Frauen sind die einzigen Menschen, die das stoppen können. Denn die Kinder gehören uns, nicht der Regierung; sie gehören ausschließlich den Müttern dieses Landes. Wir müssen daher aufstehen und Nein sagen gegenüber der neuen Verfassung dieser Regierung."

Kurz nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an Bischof Tutu am 15. Oktober 1994 begann die 2. Phase der UDF-Geschichte: Aufstand der Vorstädte, Boykott der Mietzahlungen, Strom- und Wasserrechnungen der schwarzen Stadtverwaltungen, Massenstreiks und Schulboykotte. Die Armee musste eingreifen; über weite Teile des Landes wurde der Notstand verhängt.

Ab 1989 sah sich der Staat zum Rückzug gezwungen. Am 16. Juni 1989 erhielt Albertina Sisulu einen auf 31 Tage begrenzten internationalen Pass und flog zum ersten Mal in ihrem Leben ins Ausland zu Gesprächen mit den Staatschefs von Schweden, Frankreich, Großbritannien und der USA. In all diesen Gesprächen forderte sie die Aufrechterhaltung der Wirtschaftssanktionen, das Ende der Verfolgung von Anti-Apartheid-Aktivisten in Südafrika und Rechtssicherheit für die demokratische Opposition. Am 15. Oktober brachte die Polizei Walter Sisulu und andere politische Häftlinge nach 27 Jahren Haft wieder nach Hause. Anfang Februar 1990 wird das Verbot von ANC, PAC und SACP aufgehoben; am 4. März erklärte Albertina Sisulu die Selbstauflösung der UDF, um den Weg frei zu machen für eine organisatorische Stärkung des ANC.

Bis zur ersten allgemeinen, nicht rassischen und demokratischen Wahl Südafrikas im April 1994 stürzten sich Walter und Albertina Sisulu in den Wiederaufbau des ANC und seiner Strukturen. Während sich Walter im Mai 94 aus gesundheitlichen Gründen aus der öffentlichen Arbeit zurückzog, arbeitete Albertina zusammen mit ihren Kindern Max und Lindiwe von 94-99 als frisch gewählte Parlamentarier.

Am 17. Juli 1994 feierten Albertina und Walter Sisulu den 50. Jahrestag ihrer Hochzeit. Albertina sagte: "I got my freedom the day I married". Das wirft ein gutes Licht auf ihren Ehemann, wie schon Ruth First zu Walters 70. Geburtstag anmerkte: "Er hat sich zu der Befreiung aller Menschen verpflichtet. Er hat sich zur Befreiung der afrikanischen Frauen verpflichtet. In seiner Familie ist Albertina Sisulu selber eine feine Führungskraft; aber ihre Fähigkeit zu führen und ihre politische Kraft sind auch das Produkt einer guten Ehe, einer guten politischen Ehe, die auf echter Gleichheit und gemeinsamer Überzeugung beruht..."

Dazu kommt gegenseitige Zuneigung. Cyril Ramaphosa sah, wie sich Walter und Albertina nach 27 Jahren Haft begegneten. Er sagte: "Ihre Körpersprache ist die von zwei Leuten, die sich lieben. Im Widerstand erwartest Du nicht, dass Leute so expressiv sind. Aber diese Beiden sind ganz einfach das größte Liebespaar in der Geschichte des Widerstands."

Nelson Mandela sagte bei Walter Sisulus Beerdigung am 17. Mai 2003: "Wir können über diesen großen Einiger des Volkes nicht sprechen, ohne die große Einheit in seinem eigenen Leben zu erkennen und zu ehren: die von Walter und Albertina als Ehepaar, eine Einheit von tiefer Freundschaft und gegenseitigem Respekt, eine persönliche und politische Partnerschaft, die alle Härten der Trennung und Verfolgung überlebte und überwand. Wenn unsere Nation ein Beispiel für eine erstrebenswerte gemeinsame Zukunft sucht, brauchen wir nicht weiter zu blicken als auf die Familie, die von Walter und Albertina genährt, zusammengehalten und geführt wurde. Diese Familie lehrt uns, wie Größe aus Leiden und Qualität aus Widrigkeiten geboren wird."

MaSisulu starb am 2. Juni 2011.
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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2011, S. 16 - 17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2011