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AFRIKA/1086: Nigeria - Korruption schürt den Volkszorn, Proteste gehen weiter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Januar 2012

Nigeria: Korruption schürt den Volkszorn - Proteste gehen weiter

von Mustapha Muhammad

Proteste in Kano gegen die Abschaffung der Benzinsubventionen - Bild: © Mustapha Muhammad/IPS

Proteste in Kano gegen die Abschaffung der Benzinsubventionen
Bild: © Mustapha Muhammad/IPS

Kano, 13. Januar (IPS) - In Nigeria gehen die landesweiten Massenproteste gegen die staatlich verordnete Abschaffung der Benzinsubventionen nach dem Scheitern von Gesprächen zwischen Regierungsvertretern, Gouverneuren und Gewerkschaftsführern weiter. Analysten fordern die Rücknahme der umstrittenen Regierungsentscheidung und stattdessen wirksame Maßnahmen gegen die verbreitete Korruption im Erdölsektor, die dem Land Verluste in Milliardenhöhe beschert.

Die Abschaffung der Benzinsubventionen hat die Preise für einen Liter Benzin von 65 Naira (35 US-Cent) auf 150 Naira (93 Cent) praktisch über Nacht mehr als verdoppelt. Die Regierung von Präsident Goodluck Jonathan begründete ihre Entscheidung damit, dass die eingesparten 7,5 Milliarden Dollar dringend für den Ausbau der Infrastruktur benötigt würden.

Die Gelder seien besser in Sozialleistungen und Infrastrukturprojekte investiert, erklärte der Gouverneur der Zentralbank, Lamido Sanusi, gegenüber Journalisten in Kano. Den Behörden zufolge verschwindet ein Teil des subventionierten Benzins ohnehin in den Nachbarländern, wo es von Schmugglern verkauft werde. "Von den Beihilfen, die sich auf über eine Billon Naira belaufen, haben auch Länder wie der Tschad, Niger und Kamerun profitiert", erläuterte Abdullahi Umar Ganduje, Vizegouverneur des nigerianischen Bundesstaates Kano.

Doch nach Ansicht der Kritiker wird an falscher Stelle gespart. "Wir wissen, dass aufgrund von Korruption und unpassenden Personen in Schlüsselpositionen eine Menge Rohöl verloren geht", meinte dazu Garba Ibrahim Sheka, ein Wirtschaftsdozent an der Bayero-Universität in der nordnigerianischen Stadt Kano. Wären diese 'Lecks' geschlossen worden, hätte man sich die Abschaffung der Subventionen sparen können.

Nigeria gehört zu den Ländern mit den niedrigsten Benzinpreisen. Allerdings hat in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas die Mehrheit der Bevölkerung keine zwei US-Dollar pro Tag zum Leben. Die Abschaffung der Benzinsubventionen am 1. Januar trifft deshalb gerade die Armen. Die Maßnahme sorgt dafür, dass sich die Erdölpreise und Transportgebühren verdoppeln, was wiederum zu einem Anstieg der Preise für Nahrungsmittel und andere Güter des täglichen Lebens führt.

"Die Entscheidung der Zentralregierung fällt in eine Zeit hoher Arbeitslosigkeit", gab Sheka zu bedenken. Mehr als 40 Millionen der 158 Millionen Nigerianer sind ohne Beschäftigung. "Die Abschaffung der Benzinsubventionen führt zu einer weiteren Verarmung der Bevölkerung. Armut generiert auch mehr Unsicherheit. Wir rechnen mit mehr Hunger, mehr sozialen Problemen wie Raubüberfällen und einer Verschärfung des Boko-Haram-Problems."

Boko Haram ist eine militante islamische Sekte, die im Verlauf des letzten Jahres etliche Überfälle und Bombenanschläge durchführt hat, die zahlreichen Menschen das Leben kosteten.


Occupy Nigeria: Landesweite Streiks und Proteste

Das Unterhaus des Parlaments hatte am 8. Januar eine Sondersitzung einberufen und den Präsidenten aufgefordert, die Entscheidung vom 1. Januar wieder rückgängig zu machen und die Gewerkschaften dazu aufzurufen, ihre Pläne für einen unbefristeten Streik abzusagen. Doch die Regierung blieb hart, und die Arbeitervertretungen, Studenten, Akademiker und Aktivisten setzten ihre Massenproteste am 9. Januar fort.

Die Einsätze der Polizei, die in einigen Bundesstaaten mit Waffengewalt gegen die Occupy Nigeria-Bewegung vorging, haben bereits um die zehn Todesopfer gefordert, etliche Demonstranten wurden verletzt.

Millionen Menschen nehmen an den landesweiten Demonstrationen teil und ziehen singend durch die Hauptstraßen der großen Städte. Alle anderen Straßen sind weitgehend verwaist und die Geschäfte geschlossen. Im Bundesstaat Kano werden die Protestmärsche von zwei ehemaligen Gouverneuren angeführt.

"Wir haben keine Angst vor Polizeigewalt", erklärte Kabiru Musa, der an der Demonstration in Kano teilnimmt.


Warnung vor den Erfahrungen des Arabischen Frühlings

Dem Wirtschaftsexperten Sheka zufolge werden die wirtschaftlichen Folgen der Proteste verheerend sein. "Je länger der Streik anhält, umso schlimmer die wirtschaftlichen und sozialen Folgen", meinte er. An die nigerianische Regierung richtete er den Appell, "klug genug zu sein" und sich die Erfahrungen zu ersparen, wie sie Regierende im Arabischen Frühling machen mussten.

Nach offiziellen Angaben werden seit der Amnestie für die Milizen des Nigerdeltas pro Tag 2,09 Millionen Barrel Rohöl gefördert. Die Amnestie zielte darauf ab, die Unruhen in der erdölreichen Region zu verringern.

Analysten zufolge gibt es Behördenvertreter, die mit den Erdölunternehmen unter einer Decke stecken und das Land um die dringend erforderlichen Erdöleinnahmen prellen. "Wenn diese 'Löcher' endgültig gestopft würden, könnte eine Menge Geld für Nigeria freigesetzt werden", ist Scheka überzeugt.

Da die Kapazitäten der vier Erdölraffinerien nicht vollständig ausgeschöpft werden können, muss das Land raffinierte Erdölprodukte aus dem Ausland importieren, um die Binnennachfrage zu decken.


Unsicherheit und Gewalt nehmen zu

Im Bundesstaat Kano und in anderen Teilen des Landes wurden Ausgangssperren verhängt und in den vier Bundesstaaten Borno, Yobe, Plateau und Niger der nationale Notstand erklärte. Doch die Maßnahmen konnten weder die Massenproteste noch Bombenanschläge verhindern.

So kam es in Borno und Yobe zu Sprengstoffanschlägen, die Boko Haram angelastet werden. Und mindestens 25 Menschen starben bei Übergriffen auf Kirchen in Gombe und Adamawa im unruhigen Nordosten. Angenommen wird, dass der Anschlag auf eine Moschee im südnigerianischen Bundesstat Edo als Vergeltungsschlag für die Bombenattentate auf die Kirchen gedacht war. (Ende/IPS/kb/2012)


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http://civilrightscongress.org/index.htm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2012