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AFRIKA/1102: Steve Biko und die swasische Zivilgesellschaft (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2012

Steve Biko und die swasische Zivilgesellschaft

von Peter Kenworthy



Steve Biko war ein Vordenker der Bewegung des Schwarzen Selbstbewusstseins (BCM). Am 18. Dezember 2011 wäre er 65 Jahre alt geworden. Die südafrikanische Polizei brachte ihn 1976 um. Seine Ideen werden heute von der swasischen Zivilgesellschaft aufgegriffen.


Wenn man heute auf Südafrika schaut, muss man feststellen, dass der ANC sein Ziel verfehlt hat: die sozio-ökonomische Gerechtigkeit für die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist vielmehr größer geworden, und Südafrika hat heute eine der ungleichsten Gesellschaften der Erde.

Das lässt sich sicher auch von vielen Staaten Afrikas südlich der Sahara sagen. Südafrikas winziger Nachbar Swasiland setzt nun auf vergangene Konzepte für die Lösung seiner Probleme.

Es sind die Ideen von Steve Biko, die heute in der demokratischen Bewegung auf hohes Interesse stoßen. Einer der wohl prominentesten Vertreter dieser Bewegung ist Maxwell Dlamini, Student und politischer Gefangener, der gerade für den internationalen studentischen Friedenspreis vorgeschlagen wurde (siehe aktuell in afrika süd 6, 2011) und bekennender Anhänger von Steve Bikos Ideen ist. Die Stiftung Foundation for Socio-Economic Justice orientiert sich in ihrer gesellschaftspolitischen Aufklärung in Swasiland weitgehend an den Ideen der BCM aus den 1970er Jahren.


Steve Biko

Stephen Bantu Biko wuchs in der Schwarzensiedlung Ginsberg bei King William Town auf. Damals lebten dort etwa 200 Familien, es gab knapp 40 Wasserzapfstellen und öffentliche Toiletten. Er studierte Medizin und Recht und erfuhr die ganze Plackerei durch die Apartheidbehörden.

Biko gilt als Gründer der BCM, er war ihr wohl profiliertester Denker und eine Schlüsselfigur der Bewegung, achtete aber darauf, seine Person nicht in den Vordergrund zu drängen, um auch anderen die Möglichkeit zu geben, Verantwortung zu übernehmen. Er widersetzte sich jedem Personenkult.

Ihm war nicht bange, in aller Öffentlichkeit der Obrigkeit zu widersprechen. So etwa im SASO-BCP Prozess, als das Apartheidregime neun Mitglieder der Bewegung verfolgte und wegen "versuchter Subversion" verurteilte. Er reagierte unmittelbar auf Beleidigungen und Kränkungen, er missachtete Bannverordnungen. All das dürfte zu seinem frühen gewaltsamen Tod beigetragen haben. Er starb im September 1976 in Polizeigewahrsam nach schweren Folterungen und Schlägen. Seine aufrechte Haltung gegen die Obrigkeit trug wesentlich zu einer Kultur der Furchtlosigkeit bei, die half, die Apartheid zu beenden.

Biko erkannte: "Der typische Schwarze heute (in den 1970er Jahren) beugt sich seinem als gegeben hingenommenen Schicksal." Er glaubte, dass "die schärfste Waffe in der Hand des Unterdrückers der Kopf des Unterdrückten" ist. Die Bewegung des Schwarzen Selbstbewusstseins suchte diesen Defätismus zu bekämpfen, Hoffnung zu wecken, das Menschsein der Unterdrückten aufzubauen und sie zu ermutigen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen "statt darauf zu warten, dass andere es definieren".

BCM verschwendete "weiter keine Zeit mehr damit, das System zu reformieren", sagte Biko. Befreiung sei nicht einfach die Abschaffung materieller Vorbedingungen, sondern "Befreiung bedeutet zuerst, sich der psychologischen Fesseln zu entledigen, erst dann die materiellen Fesseln abzustreifen". Eine bloße Kosmetik der herrschenden Bedingungen - z.B. eine gerechtere Verteilung des Reichtums - bringe jede politische Reform zum Scheitern.


Bewegung des Schwarzen Selbstbewusstseins

Steve Biko war dabei, als 1968 die South African Student Organisation SASO aufgebaut wurde, die offen war für alle unterdrückten Gruppen - Schwarze, Farbige und Inder. 1972 begann er für die Black Community Programmes BCP zu arbeiten. In der Bewegung entwickelte er konkrete Programme und Organisationen, die zuvorderst den psychologischen und dann erst den materiellen Wandel voranbringen sollten.

Die Black Community Programmes betrafen alle Bereiche: Gesundheit, Erziehung, Ausbildung von Führungskräften, Heimgewerbe und Kindererziehung. Vor allem die Ausbildungsprogramme transportierten die Botschaft des Selbstvertrauens und Schwarzen Bewusstseins. Diese Programme waren somit die praktische Umsetzung der Philosophie des Selbstvertrauens.

Die Ideen und Praxis Bikos und der Black Consciousness Movement haben entscheidend dazu beigetragen, die Apartheid bloßzustellen. Vor allem die psychologische Seite der Befreiungsbewegung konnte erfolgreich die Furcht in den Köpfen der Schwarzen abbauen, die sich vor dem Entstehen der BCM in den 1960er Jahren völlig verängstigt von Politik ferngehalten hatten.

Das wichtigste Vermächtnis Bikos ist zweifellos, dass es bei Entwicklung - der nationalen wie der persönlichen - nicht einfach um wirtschaftliche oder materielle Bedingungen geht, sondern um Bewusstsein und Selbstvertrauen.


Unterwürfigkeit in Swasiland

Eine strenge traditionelle Hierarchie und konservatives Denken, Analphabetismus, mangelnde Bildungseinrichtungen und Armut allgemein behindern eine Demokratisierung und ein auf Recht begründetes Bewusstsein in Swasiland, vor allem auf dem Lande. Eine repressive Gesellschaft wie die in Swasiland domestiziert - wenn man es so sagen will -, da die Unterdrückten dazu tendieren, das Bild des Unterdrückers zu verinnerlichen, und von einer Angst vor der Freiheit beherrscht werden. Eine zivilgesellschaftliche Erziehung und Bildung ist auf dem Lande unerlässlich, nicht nur für den Kampf um Demokratie, sondern auch für eine mentale Befreiung vor aller physischen.

Was die Menschen in Swasiland zuvorderst brauchen, ist ein politisches Bewusstsein, dass Demokratie förderlich ist, die Grundrechte achtet und ganz allgemein der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit dient. Mannigfache Hindernisse stehen dem entgegen. Zwei Drittel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von 2 US-Dollar pro Kopf und Tag. Viele überleben nur mit Nahrungshilfen der Vereinten Nationen. Die Lebenserwartung liegt bei nicht einmal 40 Jahren, nicht zuletzt eine Folge der hohen HIV/Aids-Rate. Das Land ist praktisch bankrott aufgrund finanziellen Missmanagements. Die Medien haben entweder die Schere bereits im Kopf oder unterliegen der Zensur. Die Bevölkerung ganz allgemein ist nicht in der Lage oder nicht Willens, ihre Armut und ihre Nicht-Teilhabe mit der unverschämt reichen Königsfamilie in Verbindung zu bringen.

Doch das beginnt sich zu ändern, weil die Menschen zusehends verzweifelter werden und das Regime die Lage immer weniger in den Griff bekommt. Es fährt die Sozialleistungen herunter und geht immer brutaler gegen die demokratische Bewegung vor, die es wagt, Reformen zu fordern.


Die Stiftung für sozio-ökonomische Gerechtigkeit

Noch bis vor wenigen Jahren gab es in Swasiland kein Programm für eine umfassende zivilgesellschaftliche Aufklärung. Erst 2003 wurde eine Organisation gegründet, die sich dieses Anliegens annahm - die Foundation for Socio-Economic Justice. Sie hat sich die Aufgabe gestellt, Programme für eine gesellschaftspolitische Aufklärung zu entwickeln, "um demokratische Partizipation anzuregen und ein Bewusstsein von Menschen- und Verfassungsrechten unter der ländlichen Bevölkerung zu verbreiten sowie die Erkenntnis, dass damit eine Grundlage für die Bekämpfung der Armut geschaffen wird".

Das übergeordnete Ziel der Stiftung ist der "Aufbau einer auf die Massen gegründeten demokratischen Kraft" von unten nach oben. Ein Eckpfeiler der Stiftung sind die Programme der Foundation's Rural Civic Education. Ihre Mitarbeiter vor Ort ermitteln eine ganze Bandbreite von Themen, die sich an Demokratie- und Rechtsfragen orientieren - die Geschichte Swasilands und der Gewerkschaften, die politische Geschichte des Landes und Fragen der ländlichen Organisation. In den Diskussionen über diese Fragen werden auch ganz konkrete Probleme angegangen: Gesundheit, Schule und Klassenräume, Wasser und Arbeit - all das kommt dann zur Sprache.

Wie im Südafrika unter der Apartheid sind die Voraussetzungen für solch eine Arbeit äußerst widrig. Dorfvorsteher und Chiefs drangsalieren die Aktivisten und Teilnehmer. Sie sehen ihre Autorität bedroht. Polizei überwacht die meisten der Veranstaltungen.

Dass diese Aktionen nicht umsonst sind, sieht man daran, dass immer mehr Menschen sich trauen, im Beisein der Obrigkeit, der Chiefs, Headmen und Polizeioffiziere offen zu reden. Andere weigern sich, traditionell sanktionierte Zwangsarbeiten auszuführen, wie etwa das unbezahlte Pflügen der Felder des Chiefs.

Der Erfolg kann auch am anhaltend lauten Ruf nach Demokratie in den letzten Jahren gemessen werden, insbesondere seit der letztjährigen so genannten "Erhebung vom 12. April". Damals gingen Tausende für Demokratie und gesellschaftliche und wirtschaftliche Gerechtigkeit auf die Straße.

Die Stiftung hat große Schritte und Fortschritte gemacht in Gegenden, wo politische Themen und Widerspruch gegen das traditionelle Obrigkeitssystem bis dahin undenkbar waren - gerade so wie die Bewegung des Schwarzen Selbstbewusstseins von Steve Biko in den 1970er Jahren unter der Apartheid.


Aus: Pambazuka News, Issue 564, 20.12.2011 Der Autor ist Soziologe, Amateurmusiker, mittelmäßiger Fußballspieler und betreibt den Stiffkitten's blog, dem wir den obigen Text entnommen haben. Er hat über Jahre bei NRO im Südlichen Afrika, darunter in Swasiland, gearbeitet.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
41. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2012, S. 17 - 18
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2012