Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1110: Madagaskar - Landreform im Schneckentempo, mit Hilfe von Aktivisten zur eigenen Scholle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. April 2012

Madagaskar: Landreform im Schneckentempo - Mit Hilfe von Aktivisten zur eigenen Scholle

von Grit Porsch



Berlin, 18. April (IPS) - Kleinbauern in Madagaskar, die ihr Land registrieren lassen möchten, brauchen einen langen Atem. Denn die wenigen Katasterämter lassen sich bei der Bearbeitung der Anträge viel Zeit. Ausländische Agrarkonzerne hingegen, die auf Großplantagen Palmöl, Jatropha oder Zuckerrohr für die Produktion von so genanntem Biosprit anpflanzen wollen, haben keine bürokratischen Hürden zu befürchten.

Wie aus einem Papier hervorgeht, das auf der Internationalen Konferenz über globales Land Grabbing vor gut einem Jahr im britischen Brighton vorgestellt wurde, sind 30 der etwa 50 zwischen 2005 und 2010 für Madagaskar angekündigten Großprojekte umgesetzt worden. Sie vereinnahmen eine Gesamtfläche von etwa 150.000 Hektar.

Im vergangenen Jahr erwarb Jean Philibert Rakotoarison aus Talata in der Zentralregion Amoron'i Mania ein kleines Grundstück, um sich ein neues Haus zu bauen. "Es kostete mich umgerechnet 500 Dollar. Bis der Kauf registriert war, verlangten die verschiedenen Behörden von mir weitere 750 US-Dollar. Das Verfahren zog sich über ein ganzes Jahr hin", berichtet der Lehrer.

2007‍ ‍hatten die Behörden die Bevölkerung von Talata aufgefordert, im Rahmen einer nationalen Landreform ihre Landansprüche registrieren zu lassen. Doch der seit langem dringend benötigte Reformprozess, der von der US-amerikanischen 'Millennium Challenge Corporation' (MCC) mit 110 Millionen Dollar unterstützt werden sollte, lief schleppend an.

Der von Andry Rajoelina angeführte Putsch gegen den damaligen Präsidenten Marc Ravalomanana brachte den Landreformprozess weiter ins Stocken. Man hatte entdeckt, dass dem südkoreanischen Konzern 'Daewoo Logistics' über einen Zeitraum von 99 Jahren 1,3 Millionen Hektar Land für den Anbau von Ölpalmen und Mais überlassen worden war. Das entsprach der Hälfte des für die Landwirtschaft geeigneten Bodens.

Nach der Regierungsübernahme durch Rajoelina, der den Vertrag rückgängig machte, stellte die MCC ihre Hilfe für Madagaskar ein, obwohl das Landregistrierungsprogramm noch längst nicht abgeschlossen war. "Wir hatten 235 lokale Büros in sechs Regionen eingerichtet, Fachpersonal ausgebildet und Dokumente für 60.000 Landtitel ausgestellt", so die ehemalige Leiterin des MCC-Projektes, Yolande Razafindrakoto, gegenüber dem UN-Informationsdienst IRIN.


Retten, was zu retten war

Um zumindest das bisher Erreichte zu erhalten, gründete sie die zivile Organisation EFA ('Ezaka ho Fampandrosoana any Ambanivohitra' - 'Gemeinsam für ländliche Entwicklung'). "Ich wusste, dass die Bauern mich brauchten. Man kann ihnen zwar beibringen, ihr Land zu bewirtschaften. Doch sie werden nichts in den Anbau investieren, solange sie befürchten müssen, dass ihnen das Land weggenommen werden kann", erläutert Razafindrakoto.

Inzwischen gibt es neben EFA zwei weitere Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich um Madagaskars Landreform kümmern. Die Arbeit der Aktivisten wird mit bescheidenen Mitteln aus dem Nationalen Landprogramm und vom Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) finanziert. EFA leistet den 39‍ ‍Katasterbüros in der nördlichen Region Antsinanana technische Hilfe.

In der Umgebung von Talata wartet man bisher vergeblich auf eine lokale Katasterbehörde. Wer einen Landtitel anmelden oder einen Kaufvertrag über Landbesitz amtlich bestätigen lassen möchte, muss in der Hauptstadt Antananarivo bei verschiedenen Ämtern vorsprechen. Razafindrakoto hält die Landreform für eine Revolution, doch wegen der fehlenden Dezentralisierung könne sie zu einem bürokratischen Albtraum werden, kritisiert die Aktivistin.

Besondere Probleme gibt es für Bauern, die Land bewirtschaften, das Franzosen als ehemalige Kolonialherren vor Jahrzehnten aufgegeben haben. Nach madagassischem Recht können sie dieses Land nach 20 Jahren erwerben. "Sie können vor Gericht einen Antrag auf Übereignung stellen, doch das Verfahren ist selbst für gebildete Leute kompliziert. Einfache Farmer haben da kaum Chancen", klagt Razafindrakoto.


Entschädigungsansprüche durch Besitzurkunden

Wie sie betont, ist es ungeheuer wichtig, dass Bauern Dokumente über ihre registrierten Landtitel vorweisen können, sobald ausländische Investoren ihnen ihr Land streitig machen. "Mit diesen Unterlagen haben sie zumindest ein Recht auf Entschädigung." Um die Folgen des Land Grabbing zu verringern, entwickelt EFA mit finanzieller Hilfe des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) sozialverträgliche Modelle für Investoren. "Wir wollen verhindern, dass Investoren hier mit ihren großen Landmaschinen anrollen und den Anwohnern nicht einmal Jobs verschaffen", sagt sie.

Ein solches Modell hat die NGO mit dem französischen Konzern 'Phileol' ausgehandelt, der in der Umgebung von Fort Dauphin im Süden eine Rizinusplantage unterhält und eine Produktionsanlage für Rizinusöl gebaut hat. Anfangs wurde vereinbart, dass die einheimischen Bauern die Fabrik mit Rizinuspflanzen beliefern. Doch die Qualität des Saatguts war schlecht, und die Strukturen reichten nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Inzwischen arbeitet EFA mit den Farmern zusammen, um deren Kapazitäten zu verbessern und ihnen beizubringen, als organisierte Gruppe aufzutreten und selbst mit der Fabrik zu verhandeln. "Farmer, die die Fabrik beliefern, erhalten ein Training und ordentliches Saatgut und können ihre Waren zu einem guten Preis verkaufen", berichtete Razafindrakoto. "Wir haben alle dazu gebracht, sich einem Dorfkomitee anzuschließen. Wenn wir hier weggehen, werden sie alleine zurechtkommen." (Ende/IPS/mp/2012)

Links:
http://www.future-agricultures.org/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=1547&Itemid=978
http://www.mcc.gov
http://www.ifad.org
http://www.undp.org
http://www.irinnews.org/printreport.aspx?reportid=95283

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. April 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2012