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AFRIKA/1141: Sudan/Südsudan - Zankapfel Abyei, "Sollen die Gemeinschaften entscheiden" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Oktober 2012

Sudan/Südsudan: Zankapfel Abyei - 'Sollen die Gemeinschaften entscheiden'

von Charlton Doki


Abyei wird auch für sein Weideland geschätzt - Bild: © Charlton Doki/IPS

Abyei wird auch für sein Weideland geschätzt
Bild: © Charlton Doki/IPS

Juba, 5. Oktober (IPS) - Der Druck ethnischer Gemeinschaften im Grenzgebiet, Sicherheitsüberlegungen und Ressourcenreichtum machen es dem Sudan und dem Südsudan schwer, ihren Streit um die landwirtschaftlich attraktive und ölreiche Region Abyei beizulegen und die Grenze zu ziehen. Bei Gesprächen in der Türkei am 1. Oktober plädierte der sudanesische Vizepräsident Ali Osman Taha für ein Referendum, um das leidige Kapitel endlich abzuschließen.

In Gesprächen Ende September in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba hatten der sudanesische Staatschef Omar al-Bashir und sein südsudanesischer Amtskollege Salva Kiir ein Wirtschafts- und Sicherheitsabkommen für die Wiederaufnahme der Exporte aus dem Südsudan geschlossen. Doch über die Zugehörigkeit der Region Abyei konnte keine Einigung erzielt werden.

Der hochrangige Umsetzungsausschuss der Afrikanischen Union (AUHIP), der zwischen beiden Ländern vermittelt, hatte am 21. September Vorschläge für den möglichen Status von Abyei unterbreitet. Demnach soll der Sudan die Region als historisches Territorium der Dinka Ngok, der größten ethnischen Gruppe des seit Juli 2011 unabhängigen Staates Südsudan, anerkennen. Außerdem wurde er aufgefordert, die Rechte der Dinka Ngok auf zivile und politische Partizipation sowie den Schutz ihrer Individualrechte anzuerkennen.

Juba hatte die Vorschläge der Afrikanischen Union akzeptiert, von Khartum wurden sie mit der Begründung abgewiesen, dass die Mediatoren nicht das Recht der arabischen Misseriya-Nomaden berücksichtigt hätten, an einem Referendum über den endgültigen Status von Abyei teilzunehmen. "Ein Verzicht auf Abyei ist aufgrund der Notwendigkeit, die Bedürfnisse aller ethnischen Gruppen im Grenzgebiet zu befriedigen, für beide Länder schwierig", meinte dazu Leben Nelson Moro, Professor für Entwicklungsstudien an der Universität der südsudanesischen Hauptstadt Juba.


Von der Schwierigkeit, verschiedenen Interessen gerecht zu werden

Seit Jahrzehnten haben arabische Nomaden aus dem sudanesischen Bundesstaat Süd-Kordofan ihr Vieh in Abyei geweidet, wo selbst in der Trockenzeit Gras und Wasser vorhanden sind. Doch die Dinka Ngok, die traditionellen Bewohner des Gebietes, betrachten das Land als das ihre. "Die sudanesische Regierung will aber auch den Interessen der Misseriya gerecht werden", sagte Egbert Wesselink von der 'European Coalition on Oil in Sudan' (ECOS). "Sie wollen diese Menschen nicht gegen sich aufbringen."

Doch Abyei ist für das südsudanesische Volk der Dinka Ngok von existenzieller Bedeutung. Vor etwa zehn Jahren hatten sich die Ältesten der Dinka Ngok getroffen und beschlossen, das Öl dem Norden zu überlassen und für sich selbst das Land zu behalten. "Land ist für die Menschen wichtiger als Öl", versicherte Wesselink.

Nach der sudanesischen Unabhängigkeit 1956 trugen der muslimisch dominierte arabische Norden und der christlich-animistische Süden zwei Bürgerkriege aus. Der letzte dauerte über zwei Jahrzehnte und kostete zwei Millionen Menschen das Leben. Vier Millionen Menschen wurden bis zum Abkommen 2005, das den Konflikt beendete und zur Gründung des neuen Staates Südsudan führte, vertrieben.

Obwohl sich beide Länder inzwischen darauf geeinigt haben, sich zu 75 bis 80 Prozent an den Grenzverlauf zu halten, wie er auf der Karte der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien eingetragen ist, hat eine Demarkierung noch nicht stattgefunden. Beide Länder stehen unter dem Druck, es ihren jeweiligen Gemeinschaften recht zu machen, um sicherzustellen dass sie Abyei auch weiterhin nutzen dürfen. "Die Festlegung einer Grenze entspricht nicht der Lebensart der betroffenen Völker", kommentierte Wesselink.

Auf südsudanesischer Seite gibt es die Menschen im Verwaltungsbezirk Pariang im Bundesstaat Unity, die das umstrittene Ölfördergebiet Panthou, in dem sich das Heglig-Ölfeld befindet, als ihr Territorium beanspruchen. Moro zufolge fühlt sich die südsudanesische Regierung in der Verantwortung, die Interessen dieser Menschen zu vertreten.

Ein weiterer Faktor, der einer Lösung des Konflikts und der Grenzziehung im Wege steht, ist die gerade für den Sudan durchaus berechtigte Sorge um die eigene Existenz. "Die arabischen Hirtenvölker der Rezeigat, Misseriya und Baggara fühlen sich von Khartum marginalisiert. Die sudanesische Führung ist sich dessen bewusst und will die Interessen dieser Menschen schützen", erläuterte Edmong Yakani, Koordinator der lokalen Nichtregierungs-Organisation zur Förderung des Fortschritts der Gemeinde (CEPO), die die zwischen den Gemeinschaften existierenden Beziehungen untersucht hat.


Sudan will weiteren Rebellionen vorbeugen

"Khartum befürchtet, dass sich die Völker im Stich gelassen fühlen könnten, wenn die Grenze gezogen ist und das Weideland dem Südsudan zugeschlagen wird. Angesichts der Tatsache, dass die Regierung in Khartum bereits gegen die Rebellen der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung - Nord (SPLM-N) in den Bundesstaaten Blauer Nil und Süd-Kordofan zu Felde zieht, ist sie bestrebt, nicht noch mehr ethnische Gruppen vor den Kopf zu stoßen und somit weitere Rebellionen zu riskieren", erläuterte Yakani.

Wegen des Konflikts in diesen beiden sudanesischen Bundesstaaten will Khartum möglichst alle umstrittenen Gebiete übernehmen, um den Rebellen auf diese Weise den Zugang zum Südsudan versperren zu können. "Die Regierung hätte gern Verbündete in diesem Gebieten wie zum Beispiel die arabischen Nomaden der Murahalin", sagte Moro.

Der südsudanesische Armeesprecher Oberst Philip Aguer hob unlängst hervor, dass seiner Meinung nach die sudanesische Regierung Südsudan-feindliche Milizen einsetzt, um Pläne zur Lösung der Grenzstreitigkeiten zu unterwandern. Motiv seien die Ölvorräte in den betreffenden Grenzregionen.

2009 hatten sich Juba und Khartum zur Klärung des Grenzverlaufs und der Zugehörigkeit der Menschen in Abyei an das Ständige Schiedsgericht in Den Haag gewandt. Die Entscheidung wurde jedoch später von Khartum abgelehnt. "Heute ist die Situation eine andere. Khartum steht unter einem gewaltigen Druck und würde wahrscheinlich jeden Vermittlungsvorschlag akzeptieren", ist Wesselink überzeugt.

Trotz der derzeitigen Spannungen vor allem zwischen den Armeen beider Länder leben die Grenzgemeinschaften seit langem weitgehend friedlich nebeneinander. Angesichts der vielen Eheschließungen zwischen den Ethnien würden diese sicherlich unglücklich über eine Grenze sein, unterstrich Yakani. "Karthum und Juba kennen die Menschen in der Grenzregion bei weiten nicht so gut, wie sich diese untereinander kennen. Sollen diese Gemeinschaften selbst entscheiden, welche Lösung des Grenzdisputes sie bevorzugen." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://pca-cpa.org/
http://ecosonline.org/
http://www.ipsnews.net/2012/09/international-community-overselling-sudan-south-sudan-pact/
http://www.ipsnews.net/2012/10/abyei-region-still-a-stumbling-block-between-south-sudan-sudan/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2012