Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1159: Südafrikas schwarze Mittelklasse zwischen Aufstieg und Krise (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September/Oktober 2012

Sich durchzuschlagen gelernt
Südafrikas schwarze Mittelklasse zwischen Aufstieg und Krise

von Armin Osmanovic



Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Südafrikas zurückgeworfen. Kein anderes Land der G20 mit Ausnahme der USA, wo die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 ihren Ausgang nahm, wurde so hart von der Krise getroffen wie Südafrika, denn seit Ende 2008 gingen über eine Million Arbeitsplätze am Kap verloren.

Südafrikas offizielle Arbeitslosenquote liegt heute wieder bei 25 Prozent. Die nach dem Zusammenbruch der so genannten New Economy in den USA und Europa gemachten Beschäftigungsgewinne sind damit fast vollständig verloren gegangen. Berücksichtigt man auch all jene Arbeitslosen, die aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen, sind knapp acht Millionen oder fast 40 Prozent der Arbeitnehmer/innen in Südafrika auf der Suche nach Beschäftigung. Und in den ländlichen Regionen Südafrikas ist Arbeitslosigkeit mit einer Rate von 60 Prozent und mehr der "Normalfall".


Krisenverlierer

Betroffen von der globalen Krise sind in Südafrika vor allem die schlecht qualifizierten Arbeitnehmer. Die Arbeitsplatzverluste seit 2008 in Industrie (-147.000), Baugewerbe (-70.000) und Bergbau (-38.000) gingen vor allem zu ihren Lasten. Dies gilt auch für die Landwirtschaft (-187.000) und in den Privathaushalten (-67.000), wo viele Südafrikaner sich als Haushaltshilfe oder Gärtner mit einer niedrigen Entlohnung von ein bis zwei Euro pro Stunde verdingen müssen. Und auch im für Südafrika wichtigen informellen Sektor (-161.000) ging Arbeit verloren.

Besonders betroffen vom wirtschaftlichen Einbruch und Beschäftigungsabbau sind die jungen Südafrikaner. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt derzeit bei über 50 Prozent. Fast vollständig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind denn auch Jugendliche mit schlechter Ausbildung.

Mit Blick auf diese "verlorene Generation" Südafrikas spricht Cosatu-Generalsekretär Zwelenzima Vavi von einer "tickenden Zeitbombe" für die Gesellschaft, die jederzeit explodieren könnte. Nur der in den vergangenen Jahren stark ausgebaute "Sozialstaat" mit seinen Leistungen wie Kindergeld und Alterspensionen und die aktive Beschäftigungspolitik mit Arbeitsprogrammen hat verhindert, dass die Armut im Land in Folge der Krise wieder steigt (siehe Abb. 2 in der Printausgabe).


Jenseits der Krise: Südafrikas neue - schwarze - Mittelklasse

Südafrikas Mittelklasse ist seit dem Ende der Apartheid stark gewachsen. Gehörten 1994 nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung zur Mittelklasse, sind es heute etwa 20 Prozent, die einen höheren Lebensstandard, gemessen an der Ausstattung der Haushalte mit Haushaltsgeräten, PKWs, Wohnraumqualität und anderen Indikatoren, genießen (siehe Abbildung 3 der Printausgabe).

Neben der alten weißen Mittelklasse hat sich im neuen Südafrika eine schwarze Mittelklasse etabliert, die heute doppelt so viele Haushalte zählt als vor 18 Jahren, als die Apartheid zu Ende ging. Ermöglicht wurde dieser soziale Aufstieg durch den gleichberechtigten Zugang der schwarzen Südafrikaner nach Ende der Apartheid zu besserer Ausbildung und damit besser bezahlter Erwerbsarbeit. Zudem unterstützt der Staat aktiv die Beschäftigung von ehemals benachteiligten schwarzen Südafrikanern, nicht zuletzt im öffentlichen Sektor, wo zudem die Gehälter seit geraumer Zeit stärker steigen als in den privaten Unternehmen. Und schließlich unterstützte die seit dem Jahr 2003 stark wachsende südafrikanische Volkswirtschaft den sozialen Aufstieg eines Teils der schwarzen Südafrikaner.

Die Krise hat sicherlich den sozialen Aufstieg einiger Mittelklassehaushalte unterbrochen oder gar umgekehrt. Denn der Arbeitsplatzabbau in Folge des Wirtschaftseinbruchs erfasste auch einige qualifizierte und besser bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie. Im viele Jahre boomenden Finanzsektor Südafrikas sind zwischen 2008 und 2011 17.000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Doch der Staat schuf in Zeiten der Krise neue Arbeitsplätze (+190.000).

Wegen der Ausweitung der Beschäftigung im öffentlichen Sektor, der bevorzugten Beschäftigung von schwarzen Südafrikanern und wegen der anhaltenden Nachfrage nach gut qualifizierten Arbeitnehmern und ihrer geringen Verfügbarkeit, die daher auf dem Arbeitsmarkt einen Gehaltsbonus erhalten, ging und geht die Krise an der Mehrheit der neuen schwarzen Mittelklassehaushalte jedoch vorbei.

Auch, weil trotz der allgemeinen Zunahme an Arbeitslosigkeit die gut organisierten südafrikanischen Gewerkschaften für die weiterhin beschäftigten Arbeitnehmer hohe Lohnforderungen durchsetzen konnten. Mit 8-10 Prozent jährlichen Lohnsteigerungen lagen die Zuwächse oberhalb der Preissteigerungsrate, so dass die Arbeitnehmer Reallohnsteigerungen erzielen konnten.


Neue Mittelklasse und die Zukunft der Politik

Für viele Experten ist neben dem Erbe der Apartheid, der Vernachlässigung der ehemaligen Homelands und dem anhaltend schlechten Bildungssystem, die viele junge Menschen ihrer Lebenschancen beraubt, die fehlende Entwicklungsorientierung der Eliten, der neuen schwarzen "Tenderpreneurs" und der alten weißen Elite, ihre Selbstbereicherungsmentalität, Grund für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme.

In der in Südafrika seit Jahren kontrovers geführten Debatte um Wege zu mehr Wachstum und Beschäftigung wird die Rolle der neuen schwarzen Mittelklasse häufig wenig beachtet. Ihr mangelt es auch an einer Entwicklungsorientierung. Südafrikas neue schwarze Mittelklasse ist mit sich selbst beschäftigt. Ihre Nachbarn, die alt eingesessene weiße Mittelklasse, verfügt über einen im internationalen Vergleich hohen Lebensstandard. Sie hat mehr und größere Autos und Häuser sowie Hausangestellte als Mittelklassen in den USA und Europa. Und nirgendwo sonst findet man eine so große Swimmingpooldichte in Mittelklassehaushalten wie in Südafrika.

Dieses Erbe von Kolonialismus und Apartheid, die die weiße Mittelklasse weiter genießt, und die zur Schau gestellte BlingBling-Kultur aus Breitling-Uhr, Designer-Jeans und BMW-Cabriolet, spornen nicht wenige in der neuen schwarzen Mittelklasse an, es nach zu tun.

Im Gegensatz zur alten weißen Mittelklasse steht den schwarzen Mittelklassehaushalten kein oder nur kaum ein gewachsenes Vermögen zur Verfügung. Auto, Haus, Schmuck und teure Bekleidung können daher nicht selten nur über eine hohe Verschuldung unterhalten werden. Brechen Einkommen durch Arbeitsplatzverlust, Trennung, Krankheit oder Tod weg, drohen die haushalte mit ihren zahlreichen Verbindlichkeiten in ein tiefes finanzielles Loch zu stürzen. Der frühere Finanzminister Südafrikas, Trevor Manuel, der nun als Planungsminister amtiert, hat denn auch unlängst vor einer ausufernden Verschuldung der privaten Haushalte aufgrund eines teuren Lebensstilmodells gewarnt.

In besonderer Weise herausgefordert ist die neue schwarze Mittelklasse auch deshalb, weil sie im Gegensatz zu den weißen Mittelklassehaushalten eine weitreichende Familie mit zu versorgen hat. Diese "armen Verwandten" bedürfen mangels eigenem sozialen Aufstieg ständiger Unterstützung. Da Einkommen und Dispo-, Haus- und Konsumkredite nicht immer ausreichen, greifen einige in der neuen schwarzen Mittelklasse mehr als erlaubt in öffentliche und private Kassen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Einige von ihnen tun dies auch deshalb, weil der soziale Aufstieg weniger auf den eigenen Stärken als auf Beziehungen beruht. Der Zugang zu Arbeit und Geld könnte also nur vorübergehender Natur sein, umso mehr muss man sich so schnell wie möglich bedienen.

Die Mittelklasse verlangt nicht einen Millionenanteil an einem Waffendeal. In der Mittelklasse geht es um den Gemeinderat, der Aufträge bevorzugt an Familienmitglieder oder Freunde vergibt oder solche anstellt und sie mit besonderen Boni für die Benutzung des eigenen Autos versorgt, auch wenn diese nie für dienstliche Zwecke zum Einsatz kommen. Zur dieser sich selbst bedienenden Mittelklasse zählen beispielsweise auch Betriebsräte, die nebenher ein Catering-Geschäft führen und so bei jedem Betriebstreffen mit jedem Häppchen etwas für sich und ihre Familien hinzuverdienen.

Diese alltägliche Bereicherung bezeichnet man in Südafrika häufig als "streetwise". Man hat gelernt sich durchzuschlagen, und nicht wenige schwarze Südafrikaner sehen sich im Recht, sich "so" durchzuschlagen, denn all zu lange war ihnen während der Apartheid der Zugang zu Geld und gutem Leben verwehrt. Einige schreien denn auch Rassismus, wenn man sie daran erinnert, dass ihre Vorgehensweise illegal oder wenigstens bedenklich ist, klagt etwa Joel Netshitenze, ehemaliger Berater von Staatspräsident Thabo Mbeki.

Was für den einzelnen als taugliche Überlebensstrategie erscheint, höhlt die finanziellen Grundlagen für einen gesamtgesellschaftlichen Aufstieg genauso aus wie eine natürlich auch in der neuen schwarzen Mittelklasse anzutreffende, auf eigene Leistungen gegründete Arbeitsethik.

Der von ANC-Präsident Jacob Zuma, dem selbst Verstrickungen in Korruptionsfälle nachgesagt werden, ausgerufene Kampf gegen die Kultur der Selbstbereicherung in ANC und Regierung gilt denn auch nicht nur den Eliten. Der ANC weiß darum, dass auch in der Mitte von Gesellschaft und Politik, der Masse der ANC-Autoritäten, eine Kultur der Verantwortung wachsen muss, will er seinem Auftrag von einem "better life for all" gerecht werden. Ob dieser Wandel gelingen kann, ist derzeit nicht zu sagen.


Der Autor ist Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Prozent seit 1994
Quelle: South African Institute of Race Relations 2011.

Abb 2. Südafrikas Sozialstruktur im Wandel - Rückgang der absoluten Armut
Quelle: South African Institute of Race Relations 2011.

Abb 3. Südafrikas Sozialstruktur im Wandel - Besserer Lebensstandard
Anmerk.: LS misst den Lebensstandard anhand von 28 Indikatoren. Dazu zählt die Ausstattung privater Haushalte mit PKWs, Kühlschränken, Waschmaschinen, Fernsehgeräten, Spülmaschinen etc. Darüber hinaus wird auch die Region (urban/rural) der Haushalte berücksichtigt sowie der Wohnraum als auch die Versorgung mit Haushaltshilfen.
Quelle: South African Institute of Race Relations 2011

*

Weitere Artikel in afrika süd Nr. 5, September/Oktober 2012

DAS MENETEKEL VON MARIKANA
Ein Kommentar von Hein Möllers.

AKTUELL


SÜDAFRIKA: MARIKANA

MIT SCHARFER MUNITION
Das Massaker von Marikana, bei dem 34 Bergleute erschossen wurden, hat Südafrika in einen Schockzustand versetzt. Till Henkel fasst die Ereignisse zusammen.

VOM HÄUTEN DER ZWIEBEL
Die Todesschüsse auf Streikende der Platinmine brachten harte Wahrheiten im Südafrika nach der Apartheid an den Tag - Wahrheiten, die die neuen Eliten zu ignorieren versuchten, meint Roger Southall.

DIE FRAUEN VON MARIKANA
Sie kämpfen an vorderster Front gegen die Polizei, sind Opfer sexueller Übergriffe und sichern das Überleben ihrer Familien. Samantha Hargreaves über die Frauen von Marikana.

DER LOHN EINES MINENARBEITERS
Statt die Produktivität des Managements in Frage zu stellen, dreht sich die Diskussion um die Produktivität der Arbeiter bei Lohnforderungen, beklagt Saliem Fakir.


SÜDAFRIKA

SICH DURCHZUSCHLAGEN GELERNT
Die globale Finanzkrise hat die Entwicklung Südafrikas zurückgeworfen. Das hat auch den Aufstieg der Mittelklasse unterbrochen. Armin Osmanovic zum Zusammenhang von Krise und Politik.


MOSAMBIK: LITERATUR

ERFUNDENES AUS DEM DAZWISCHEN
Zwischen der Sprache von Entwicklungshelfern - mögen sie noch so guten Willens sein - und der "Zielgruppe" vor Ort klaffen oft eklatante Lücken. Ein Essay über sprachliche Missverständnisse von Mia Couto.

AUSWEITUNG DER TAUSCHVERHÄLTNISSE
Ein Gespräch mit den Schriftstellern José Eduardo Agualusa und Mia Couto über die postkoloniale Rolle der portugiesischen Sprache von Patrick Straumann.


ANGOLA

WAHLEN UND DAS MACHTSYSTEM
Präsident José Eduardo dos Santos wurde bei den Wahlen Ende August in Angola im Amt bestätigt. Die Wahlen haben einem ausgeklügelten Machtsystem den Anschein von Legitimität verliehen, meint Peter Meyns.

NICHT VERFASSUNGSGEMÄSS
Die Wahlen in Angola waren nach Erkenntnissen kritischer Beobachter weder frei noch fair. Von Lothar Berger.

REBELLISCHER RAPPER AUS GUTEM REVOLUTIONÄREN HAUSE
Junge Musiker wie der Rapper Ikonoklasta nutzen die Musik zum Protest gegen das angolanische Regime. Alain Vicky über den Zusammenhang von Musik und Politik in Angola.


DR KONGO

DAS ENDE DES VIERTEN RUANDISCHEN KONGO-KRIEGES
Ein UN-Bericht belegt, dass Ruanda die M23-Rebellen im Ostkongo unterstützt und die "Paten" in Übersee die fördernde Hand über Ruandas Präsident Kagame gehalten haben. Zu Ruandas Verwirrspiel macht sich Helmut Strizek seine Gedanken.


SÜDAFRIKA

SONNE ODER KOHLE
Die südafrikanische Energiepolitik steht vor der Herausforderung, klimaschädliche CO2-Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig eine bezahlbare Stromversorgung bereitzustellen. Von Andreas Bohne und Armin Osmanovic.

AUFKLÄRER IN WELTBÜRGERLICHER ABSICHT
Am 27. August starb Neville Alexander im Alter von 75 Jahren in Kapstadt an Krebs. Hein Möllers erinnert an einen ebenso diskussionsfreudigen wie warmherzigen Menschen.



SERVICE
Rezensionen, Nord-Süd-Infos

*

Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
41. Jahrgang, Nr. 5, September/Oktober 2012, S. 16 - 19
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org
 
"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2012