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AFRIKA/1249: Côte d'Ivoire - Gerechtigkeit bislang nur für die Gbagbo-Opfer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2013

Côte d'Ivoire: Gerechtigkeit bislang nur für die Gbagbo-Opfer

Von Marc-Andre Boisvert


Bild: © Jessica McDiarmid/IPS

Eine Familie, die vor der Gewalt 2011 nach Butuo geflohen ist
Bild: © Jessica McDiarmid/IPS

Abidjan, 7. November (IPS) - "Wir sind traurig. Wir wollen unseren alten Präsidenten wieder haben", meint Yao Amandine aus Abidjan, der Wirtschaftsmetropole von Côte d'Ivoire. Dass sich der Internationale Strafgerichtshof (ICC) im letzten Monat gegen eine bedingte Haftentlassung des ehemaligen Staatschefs Laurent Gbagbo ausgesprochen hat, kann er nicht verstehen.

Gbagbo muss sich im Zusammenhang mit der Gewalt nach den Wahlen 2010 vor dem ICC in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Seine Weigerung, den international anerkannten Wahlsieg seines Herausforderers Allassane Ouattara zu akzeptieren, hatte dem westafrikanischen Land eine politische Krise beschert, die 3.000 Menschen das Leben kostete.

Im Juni erklärte das Haager Tribunal, dass die Beweismittel gegen Gbagbo unzureichend seien, und forderte den Chefankläger Fatou Bensouda dazu auf, neue Untersuchungen anzustellen, um die Vorwürfe gegen das ehemalige Staatsoberhaupt zu erhärten. Die Verteidigung nutzte ihrerseits die Verzögerung, um Gbagbos bedingte Freilassung zu fordern.

Wochenlang warteten Gbagbos Anhänger daraufhin auf dessen Freilassung. In den Zeitungen des westafrikanischen Landes machten Schlagzeilen wie 'Gbagbo sitzt auf gepackten Koffern' und 'Gbagbo ist bald zurück' die Runde. Doch am 29. Oktober hieß es aus Den Haag, dass der ehemalige Staatspräsident bis zu seiner möglichen Verhandlung in Untersuchungshaft bleiben werde.


Unverständnis vieler Ivorer über ICC-Beschluss

Mit dieser Nachricht hatten seine Anhänger nicht gerechnet. "Sie haben uns unseren Präsidenten gestohlen und weigern sich, ihn uns zurückzugeben. Da der Chefankläger Bensouda über keine Beweise verfügt, muss er Gbagbo freilassen", meint Broue Jean.

"Die Menschen können die ICC-Entscheidung einfach nicht nachvollziehen", meint Ali Ouattara, Vorsitzender der Ivorischen Koalition für den ICC, im IPS-Gespräch. "Sie wissen nicht, dass die Gerichtsentscheidung das Produkt einer Reihe von Ermittlungen ist. Der ICC sollte den Ivorern seine Entscheidungen erläutern."

In Côte d'Ivoire fühlen sich viele Menschen um Gerechtigkeit geprellt. Internationale Menschenrechtsorganisationen geben ihnen recht, indem sie ein Ende der "selektiven Gerechtigkeit" fordern. In einem Bericht wirft 'Human Rights Watch' (HRW) den Gerichten des Landes vor, mit zweierlei Maß zu messen. Während die Gewalt der Anhänger des Gbagbo-Nachfolgers Allassane Ouattara nach den Wahlen bis auf eine Ausnahme straffrei ausging, wurde 130 Gbagbo-Getreuen der Prozess gemacht.

Diese Ungerechtigkeit ist nach Ansicht von Menschenrechtsgruppen die Ursache dafür, dass eine nationale Versöhnung auf sich warten lässt. 'Amnesty International', HRW und die Internationale Menschenrechtsliga beschuldigen die Justiz des Landes, auf einem Auge blind zu sein und fordern, dass auch die Menschenrechtsverletzungen der Ouattara-Anhänger Gegenstand der Ermittlungen werden müssen.

Doch derzeit sieht alles danach aus, dass sich Gbagbo als einziger Ivorer vor dem ICC verantworten wird. Der ICC hat zwar auch Haftbefehl gegen Gbagbos Frau Simone erlassen, der ebenfalls eine Mitverantwortung für die Gewalt nach den Wahlen im Dezember 2010 gegeben wird. Bisher jedoch weigert sich die Ouattara-Regierung, die ehemalige First Lady auszuliefern. Als Begründung hieß es, die nationale Gerichtsbarkeit sei sehr wohl in der Lage, den Fall zu verhandeln.

Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Auch Abidjan, die Hauptstadt von Côte d'Ivoire, war Schauplatz der Gewalt nach den Wahlen 2010 und 2011
Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Auch gegen Charles Ble Goude, den ehemaligen Führer der Pro-Gbagbo-Miliz 'Junge Patrioten', liegt ein Haftbefehl des Haager Menschenrechtstribunals vor. Ihm wird vorgeworfen, während der Ausschreitungen von Dezember 2010 bis April 2011 Menschenrechtsverletzungen begangen und Frauen vergewaltigt zu haben. Ble Goudes Anwälte plädieren dafür, dass ihrem Mandanten vor einem ivorischen Gericht der Prozess gemacht werde. "Wir haben die Regierung aufgefordert, eine genauso mutige und gesunde Entscheidung zu treffen wie im Fall von Gbagbos Frau", sagte der Anwalt Kouadio N'Dry Claver im letzten Monat auf einer Pressekonferenz.


Arbeit der Untersuchungsausschüsse beendet

Die Regierung hat sich in dieser Frage noch nicht entschieden, wohl aber die Auflösung der beiden Gremien angekündigt, die mit der Untersuchung der Gewalt im Anschluss an die letzten Wahlen befasst waren. So erklärte der Regierungssprecher Bruno Koné im Oktober, dass das Mandat des 2011 eingerichteten Sonderuntersuchungsausschusses nicht verlängert werde und die Landespolizei und die Gerichte durchaus fähig seien, ihre Aufgaben wahrzunehmen.

"Nachdem sich die Lage im Land entspannt hat, gibt es keinen Grund, die Arbeit des Ausschusses zu verlängern", betonte Koné. Seit April sind Richter und Ermittler abgezogen und anderen Abteilungen zugewiesen worden. Doch Patrick Baudouin von der Internationalen Menschenrechtsliga wirft der Regierung vor, keine schlüssigen Argumente für die Schließung des Gremiums vorgebracht zu haben.

Ebenso wenig soll das Mandat der vor zwei Jahren eingerichteten Kommission für Dialog, Wahrheit und Versöhnung verlängert werden. Nach Ansicht der Menschenrechtsliga steht nun zu befürchten, dass insbesondere die Menschenrechtsverletzungen der Ouattara-Anhänger straffrei ausgehen werden.

Der Vorsitzende des Kollektivs der Opfer der Elfenbeinküste, Issiaka Diaby, ist weniger pessimistisch. "Gerechtigkeit braucht Zeit", gab er gegenüber IPS zu bedenken. Laurent Gbagbo sei aus Sorge um den sozialen Frieden nicht freigelassen worden. "Und den brauchen wir in unserem Lande. Außerdem muss der Gerechtigkeit nicht nur für die Zeit nach, sondern auch für die Zeit vor den Wahlen Genüge getan werden." Damit spielt er auf den Bürgerkrieg der Jahre 2002 bis 2007 an, als die sogenannte Patriotische Bewegung der Elfenbeinküste die Gbagbo-treuen Sicherheitskräfte angegriffen und die Kontrolle über den Norden des Landes übernommen hatte.

Dem HRW-Bericht vom April zufolge haben seit 2003 die politischen und militärischen Führer beider Lager Gräuel begangen, ohne dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen wurden. "Wir müssen eine ganze Dekade der Straffreiheit beenden", betonte Diaby. "Wenn der Minister der Meinung ist, dass wir den Sonderuntersuchungsausschuss nicht mehr brauchen, soll uns das recht sein. Allerdings werden wir darauf achten, dass unsere Gerichte und Ermittler mit ihrer Arbeit fortfahren." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/CDI0413_ForUpload.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/10/ivoirians-face-an-incomplete-justice/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2013