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AFRIKA/1322: Kenia - Regierung ordnet Auflösung von UN-Lager mit somalischen Flüchtlingen an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. April 2015

Kenia: Regierung ordnet Auflösung von UN-Lager mit somalischen Flüchtlingen an - Reaktion auf Massaker der Al-Shabaab an Studenten der Universität von Garissa

von Lisa Vives


New York, 16. April (IPS) - Die kenianische Regierung hat den Vereinten Nationen eine Frist von drei Monaten eingeräumt, um mit Afrikas größtem Flüchtlingscamp nach Somalia umzuziehen. Für den Fall, dass das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) der Anordnung nicht Folge leistet, ließ Vizepräsident William Ruto in einer Mitteilung vom 11. April wissen, dass man die 600.000 Somalier selbst in ihre Heimat deportieren werde.

Die Regierungsentscheidung begründete er mit dem Massaker an 147 Studenten und Wachleuten Anfang des Monats auf dem Campus der Universität Garissa, einer Stadt nordwestlich von Nairobi und rund 200 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt. "So wie die USA nach 9/11 wird sich Kenia nach Garissa verändern", so Ruto.

Die Abschiebung der vielen Flüchtlinge sei eine Herkulesaufgabe, meinte dazu Macharia Munene, Professor für internationale Beziehungen am Afrika-Zentrum der 'United States International University'. Wie er betonte, gibt es in Somalia sichere Gebiete, nachdem es den Truppen der Afrikanischen Union in den letzten Jahren gelungen sei, die bewaffnete Al-Shabaab-Terrormiliz von dort zu vertreiben. Die Entscheidung, Dadaab aufzulösen, sei der Versuch, die eigene Bevölkerung besser vor Anschlägen zu schützen.


Bau von Schutzmauer an kenianisch-somalischer Grenze

Auch hat die Regierung mit dem Bau einer Mauer längs der über 700 Kilometer langen kenianisch-somalischen Grenze begonnen, um einen erneuten Einfall von Al-Shabaab-Kämpfern zu verhindern. Allerdings hat die Strategie einen entscheidenden Makel, wie der Sicherheitsanalyst Abdulahi Boru Halakhe erklärte. Sie blende die Tatsache aus, dass es auch auf kenianischer Seite Al-Shabaab-Zellen gebe und die Dschihadisten Kenia problemlos über Uganda und Tansania erreichen könnten.

"Tatsache ist, dass der Drahtzieher des Massakers auf dem Universitätsgelände von Garissa ein örtlicher Lehrer gewesen sein soll, während ein Komplize Sohn eines kenianischen Regierungsvertreters ist", schrieb er in einem Beitrag für den Fernsehsender 'Al Jazeera'.

Kenia befindet sich seit vielen Jahren in einem Krieg mit den im Nachbarland Somalia stationierten Al-Shabaab-Dschihadisten, die bereits mehrfach mit Anschlägen auf Hochschulen in Garissa und anderswo gedroht hatten. In den Morgenstunden des 2. April drangen sie schließlich auf den Campus der Universität von Garissa vor und ermordeten 147 Studenten und Wachleute. Die Opfer waren mehrheitlich Christen in einem christlich dominierten Land.

Joshua Meservey vom Afrika-Zentrum des Atlantikrats wirft Kenia vor, die mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge zu Sündenböcken für das Unvermögen zu machen, im Lande für Sicherheit zu sorgen.


Leichte Beute für Al-Shabaab-Rekrutierungsversuche

Mohamed Abdi, ein von der Abschiebung bedrohter Somalier, befürchtet, dass er und die anderen Insassen nach einer Verlegung des Flüchtlingscamps nach Somalia Gefahr liefen, Zielscheibe von Rekrutierungsbemühungen der Al-Shabaab zu werben.

Kritisch ist die Lage in Kenia vor allem seit Mitte Oktober 2011, als kenianische Truppen im Zuge der militärischen Zusammenarbeit zwischen den somalischen, kenianischen und äthiopischen Streitkräften nach Somalia vordrangen, nachdem Al-Shabaab-Einheiten ausländische Touristen und Entwicklungshelfer in Kenia verschleppt hatten.

Eigentlich hätte der Abzug der kenianischen Truppen aus Somalia bereits im letzten Jahr erfolgen sollen. Für dieses Versäumnis habe Kenia nun die Quittung bekommen, warnen kritische Stimmen. "Wir müssen unsere Strategien überdenken und sollten eine Grundsatzentscheidung bezüglich unseres Engagements in Somalia fällen, anstatt unsere Leute in Gefahr zu bringen", twitterte unlängst Senator James Orengo in '#GarissaAttack'.

Es stelle sich die Frage, ob das Massaker in Garissa nur das letzte einer Serie vermeidbarer terroristischer Verbrechen sei, die inzwischen mehr als 350 Menschenleben gefordert hätten, so auch der Sicherheitsexperte Patrick Gathara. Er erinnerte ferner an einen Sicherheitseinsatz kurz nach dem Amtsantritt des kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta am 9. April 2013. Damals waren mehr als 600 Einwohner von Garissa, darunter neu gewählte lokale Führer, willkürlich von einer staatlichen Sicherheitseinheit festgenommen worden, die von der Regierung selbst als "verkommen" bezeichnet worden war.

Das UNHCR hat derweil mitgeteilt, von der kenanischen Regierung in Sachen Dadaab-Auflösung bisher nicht offiziell kontaktiert worden zu sein. "Pauschalmaßnahmen, die Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Staat oder einer Bevölkerungsgruppe ins Visier nehmen, bringen großes Leid über unschuldige Menschen und sind in aller Regel wirkungslos", erklärte der UNHCR-Sprecher Adrian Edwards. Zudem sei eine Frist von drei Monaten, um so viele Menschen umzusiedeln, eine viel zu kurze Zeit. (Ende/IPS/kb/2015)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2015

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