Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/715: Standortbestimmungen südafrikanischer Frauenorganisationen (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2009

Von der Hilflosigkeit zur Hoffnung
Standortbestimmungen südafrikanischer Frauenorganisationen

Von Rita Schäfer


"Von der Hilflosigkeit zur Hoffnung"; mit diesem Slogan wandten sich namhafte südafrikanische Frauenrechtlerinnen kürzlich an die Öffentlichkeit. Noch vor dem bald beginnenden Wahlkampf bündeln sie ihre Kräfte neu. Sie wollen die weit verbreitete Missachtung von Frauenrechten und die grassierende sexualisierte Gewalt in Südafrika nicht länger hinnehmen.


Bereits der Vergewaltigungsprozess gegen den derzeitigen ANC-Chef Jacob Zuma im Frühling 2006 brachte die Frauenorganisationen auf die Barrikaden. Während des Prozesses inszenierte sich Zuma wiederholt als militanter und potenter Zulu-Mann, wofür ihm seine Anhänger applaudierten. Sogar die ANC-Frauenliga zählte zu seinen Unterstützern, was zahlreiche unabhängige Frauenorganisationen heftig kritisierten. Die Bagatellisierung von erzwungenem und ungeschütztem Geschlechtsverkehr motivierte sie, den Dialog mit Aids-Organisationen zu suchen. Denn sexualisierte Gewalt ist auch jenseits der politischen Ebene eine alltägliche Bedrohung für Frauen und Mädchen. Allein 2007 wurden über 52.000 Vergewaltigungen offiziell registriert, sogar die Polizei geht davon aus, dass die Dunkelziffer bis zu neun Mal höher ist. Viele Vergewaltigte infizieren sich durch den erzwungenen Geschlechtsverkehr mit dem HI-Virus. Dawn Cavanagh vom Forum zur Stärkung von Frauen erläutert: "Erstmals bildeten Frauen- und Aids-Organisationen 2006 neue Allianzen, um gegen die politische Vereinnahmung von sexualisierter Gewalt zu protestieren." Davor hatte die Konkurrenz um die immer spärlicheren Fördergelder internationaler Entwicklungsorganisationen die Bewegungen tief gespalten.

Nun appellieren namhafte Aktivistinnen an alle Frauenorganisationen, zur Überwindung der Gewalt zusammenzuarbeiten. "Wir müssen uns neu formieren, um die gravierenden gesellschaftlichen Probleme öffentlich zu diskutieren", fordert die Frauenrechtlerin Pregs Govender. Als junge ANC-Aktivistin hatte sie am Kampf gegen das Apartheidregime mitgewirkt, zunächst in Studentenorganisationen und dann in Gewerkschaften. Im Zuge der politischen Wende Anfang der 1990er Jahre sorgte sie gemeinsam mit anderen Aktivistinnen dafür, dass Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit in der neuen Verfassung verankert wurden.

Govender erläutert zurückblickend: "Wir bildeten ein breites Bündnis ganz unterschiedlicher Frauenorganisationen: die nationale Frauenkoalition. Damals konnten wir uns gegen die Chiefs durchsetzen." Diese wollten mit allen Mitteln verhindern, dass Frauen als gleichberechtigte Bürgerinnen anerkannt wurden. Schließlich war die Kontrolle über Frauen eine wichtige Machtbasis, die ihnen das Apartheidregime aus taktischem Kalkül zugestanden hatte. Daran wollten die Chiefs auch unter veränderten politischen Vorzeichen festhalten, wobei sie geschickt auf Kultur und Tradition pochten.


Schwächung der Frauenbewegung

Zwar siegten die Frauenrechtlerinnen, doch ihre gemeinsame Interessenvertretung und Durchsetzungskraft wurde durch zahlreiche Faktoren geschwächt: Besonders problematisch war, dass kompetente Aktivistinnen für Parteiposten abgeworben wurden. Das führte zu Konflikten mit den früheren Mitstreiterinnen, denn viele Frauen an der Basis fühlten sich von den Parlamentarierinnen im Stich gelassen. Enttäuscht stellten sie fest, dass die neuen Politikerinnen nur begrenzt ihre Interessen vertraten. "Die Parlamentarierinnen mussten sich in kürzester Zeit eigenständig in sehr komplexe Aufgabenbereiche einarbeiten. Vor allem aber wurden sie in die Parteidisziplin eingebunden", gibt Pregs Govender zu bedenken. Deshalb war es schwierig, einen parteiübergreifenden Dialog zwischen Parlamentarierinnen anzuregen und frauenpolitische Ziele durchzusetzen.

Im Unterschied zu vielen anderen linientreuen ANC-Frauen stritt Pregs Govender aber weiterhin für Frauenrechte. 2001 kritisierte sie die Aids-Politik Mbekis und seiner Gesundheitsministerin, dabei bezog sie sich explizit auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von HIV/ Aids. Im gleichen Jahr stimmte sie gegen die Waffengeschäfte des ANC, denn der Waffenkauf u.a. von deutschen Firmen in Höhe von 50 Millionen Rand waren aus ihrer Sicht ein Hohn angesichts des Leids HIV-positiver und Aids-kranker Frauen und Mädchen. 2002 legte sie ihr Mandat nieder und gehört seitdem einem Expertenkreis an, der die Regierungspolitik kritisch beobachtet. Darüber hinaus engagiert sie sich als unabhängige Frauenrechtlerin insbesondere gegen sexualisierte Gewalt.

Während die ANC-Regierung von einer Politik des sozialen Ausgleichs auf einen neo-liberalen Kurs umschwenkte, zogen sich internationale Geber aus der Förderung zivilgesellschaftlicher Gruppen zurück. Der Kampf um Gelder verstärkte Spannungen zwischen informellen Frauengruppen an der Basis und autonomen Frauenorganisationen, die auf nationaler Ebene politische Lobbyarbeit leisten. Außerdem brachen Interessenunterschiede auf, die u.a. auf sozio-ökonomischen Divergenzen beruhten. Zusätzlich erschwerte die fortbestehende große Kluft zwischen weißen und schwarzen Frauen die Arbeit der Frauenorganisationen.


Rassistische Mentalitäten

Den noch immer tief verankerten Rassismus bekommen vor allem Farmarbeiterinnen und Hausangestellte zu spüren. Zwar haben die Gewerkschaften Reformen im Arbeitsrecht und Mindestlöhne durchgesetzt, dennoch verhalten sich viele weiße Frauen in ihrer Privatsphäre nach wie vor als Herrinnen. Zahllose schwarze Hausangestellte werden tagtäglich mit Schikanen gedemütigt. Weiße Frauen unterstellen ihnen, durch Unsauberkeit Krankheiten zu übertragen und zu stehlen. Mehrheitlich reflektieren weiße Frauen weder die rassistischen noch die patriarchalen Machtstrukturen, die ihr eigenes Verhalten prägen. Sie verstanden sich immer eher als Allianzpartnerinnen ihrer Ehemänner und distanzierten sich von Frauenrechtlerinnen - ganz unabhängig von deren Hautfarbe. Nur wenige weiße Frauen zeigen sich heute mit den Frauenorganisationen solidarisch, die gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorgehen. Und das, obwohl auch sie mit ehelicher Gewalt konfrontiert sind.

Angelika Pino, die in einem interdisziplinären Wissenschaftlerinnen-Team über geschlechtsspezifische Gewalt forscht, erklärt: "Viele weiße Frauen betrachten häusliche Gewalt als Privatproblem und schweigen öffentlich über die erlittenen Demütigungen. Sie suchen höchstens heimlich bei niedergelassenen Psychologen Rat. Deshalb bleiben die tief verankerten Gewaltmuster in der weißen Gesellschaft verborgen."


Initiativen gegen sexualisierte Gewalt

Nur auf den ersten Blick erscheint das Land am Kap als Paradies für Frauenrechte. "Es hat die geschlechtergerechteste Verfassung und umfassende Gesetze zum Schutz vor häuslicher und sexueller Gewalt", erläutert die Kapstädter Aktivistin Gertrude Fester. In vielen Bereichen mangelt es aber am politischen Willen zur Umsetzung. Fester zählte zu den wichtigsten Kämpferinnen gegen die Apartheid im Western Cape, wo sie maßgeblich für die Vernetzung von Frauengruppen an der Basis sorgte. Ende der 1980er Jahre wurde sie festgenommen und kam in Isolationshaft. Nach der politischen Wende mobilisierte sie im Western Cape Wähler für den ANC und war Mitglied in der Gender Kommission der Regierung, doch ihr Fazit ist ernüchternd. Sie gibt zu bedenken, dass sich trotz aller institutionellen Bemühungen die Lebenssituation vieler Frauen und Mädchen in den Townships und Homelands kaum verbessert hat. Deshalb engagiert sie sich heute für die neue nationale Kampagne gegen sexualisierte Gewalt. Sie will vor allem junge Mädchen stärken und setzt sich für die Vernetzung zwischen Frauenorganisationen ein.

Im November 2008 organisierte sie während einer großen internationalen Frauenrechtskonferenz der Association tor Women's Rights in Development (AWID) in Kapstadt ein Diskussionsforum für junge Südafrikanerinnen aus ganz unterschiedlichen Landesteilen. Für die Teenager war es das erste Mal, dass sie ihre Positionen, Probleme und Ziele öffentlich artikulieren und sich untereinander austauschen konnten. Sie berichteten von ihren Aktivitäten in lokalen Mädchengruppen, die versuchen, emotionale Unterstützung bei familiärer Gewalt und bei Vergewaltigungen zu bieten.

Dabei wurde deutlich, dass viele junge Mädchen oft keine Hilfe von älteren Frauen erhalten, die Gewalt aus religiösen Gründen oder unter Berufung auf verinnerlichte kulturell geprägte Rollenmuster hinnehmen. Hier sind keineswegs nur selektive Interpretationen von Traditionen oder Rückbezüge auf Normen in etablierten islamischen oder christlichen Glaubensgemeinschaften zu nennen, sondern auch rigide Verhaltensvorschriften dubioser fundamentalistischer Pfingstkirchen, deren Einfluss in den Townships ständig zunimmt und die Frauen- und Menschenrechten den Kampf angesagt haben. Häufig verlangen ältere Frauen von den Teenagern, männliches Machthandeln zu erdulden, und gelegentlich werfen sie ihnen vor, durch aufreizende Kleidung selbst für Vergewaltigungen verantwortlich zu sein.

Deshalb versuchen Frauenrechtlerinnen wie Gertrude Fester nun, gezielt junge Mädchen zu unterstützen und den Generationendialog zwischen älteren und jungen Aktivistinnen zu fördern. Die Association for Women's Rights in Development bietet dafür einen wichtigen Referenzrahmen, da dieses internationale Netzwerk sich ausdrücklich den Austausch zwischen engagierten Frauen unterschiedlichen Alters auf die Fahnen geschrieben hat. Explizit sollen maternalistische Bevormundungen durch angesehene Feministinnen und dogmatische Festlegungen auf ein eng gefasstes Feminismusverständnis vermieden werden. Vielmehr will AWID die Diskussion über unterschiedliche feministische Positionen und verschiedenartige Strategien im Kampf gegen Gewalt und Angriffe auf Frauenrechte fördern; daran orientieren sich nun die Südafrikanerinnen.

Ausdrücklich betonen sie ihre Solidarität mit HIV-positiven und an Aids erkrankten Frauen und Mädchen, die oft angefeindet oder stigmatisiert und marginalisiert werden, sowie mit den immer häufiger an Leib und Leben bedrohten Lesben. Ausgehend von diesen eindeutigen Positionierungen stehen die südafrikanischen Frauenrechtsaktivistinnen vor der großen Aufgabe, die vielschichtigen Interessengegensätze zwischen Frauen in ihrer alltäglichen Arbeit konstruktiv aufzuarbeiten.

Dies bedeutet auch, den eigenen, teilweise sehr ausgeprägten Nationalismus zu reflektieren und sich mit der Problemlage von Flüchtlingsfrauen in Südafrika auseinander zu setzen. So waren Simbabwerinnen, die aus Angst vor den systematisch vergewaltigenden Schlägertrupps des Mugabe-Regimes ins Nachbarland Südafrika flohen, nicht nur im Mai 2008 mit organisierter xenophober Gewalt konfrontiert, die für zahllose Frauen sexuelle Bedrohung und Vergewaltigungen bedeuteten. Deshalb ist für Exil-Simbabwerinnen die Kluft zwischen den vorbildlichen Gesetzesgrundlagen und der langlebigen sexistischen Gewaltkultur der früheren Apartheid-Gesellschaft besonders spürbar. Für sie ist die Solidarität der neu formierten Frauenbewegung in Südafrika in vieler Hinsicht überlebenswichtig.

Nun mahnen die südafrikanischen Frauenrechtlerinnen alle politischen Entscheidungsträger an, sich auf die Grundlagen der neuen Verfassung zu besinnen. Schließlich sind Frauen- bzw. Menschenrechte und der Schutz vor Gewalt darin ausdrücklich verankert.


Die Autorin ist Ethnologin und arbeitet seit vielen Jahren über Frauenorganisationen in Südafrika. Zu ihren Publikationen zählen: Im Schatten der Apartheid (2. aktualisierte Auflage 2008); Frauen und Kriege in Afrika (2008)

http://www.awid.org/forum08/


*


Weitere Artikel in afrika süd Nr. 1, Januar/Februar 2009


Oh, o... Obama
Folgt auf die Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten eine neue Afrikapolitik der USA? Ein Kommentar von Hein Möllers.

aktuell

südafrika
To Cope or not to Cope?
Mit der Gründung des Congress of the People im Dezember 2008 ist das politische Koordinatensystem Südafrikas in Bewegung geraten, meinen Arndt Hopfmann und Gerd-Rüdiger Stephan

Von der Hilflosigkeit zur Hoffnung
Frauenrechtlerinnen wollen die Missachtung von ihren Frauenrechten und sexuelle Gewalt in Südafrika nicht länger hinnehmen. Eine Standortbestimmung südafrikanischer Frauenorganisationen von Rita Schäfer.

südafrika: fremdenfeindlichkeit
Xenophobie am Kap
Die Übergriffe gegen Ausländer wie im Mai 2008 sind zwar aus den Schlagzeilen, doch sie finden immer noch statt. Anja Schade fragt nach den strukturellen Hintergründen.

Kampf gegen Armut lokal führen
Marjorie Jobson, Direktorin der Khulumani Support Group, sagt in einem Interview mit medico international, was der Staat versäumt hat und tun muss, um die Gewalt gegen Ausländer in Südafrika zukünftig zu verhindern.

"Opfernde Gewalt"
Ein sozialpsychologischer Erklärungsversuch.

Index 2008

simbabwe
Erster Schritt? oder Verlängerung der Agonie?
Auf Druck der regionalen Entwicklungsgemeinschaft SADC haben Simbabwes Staatschef Mugabe und sein Widersacher Morgan Tsvangirai am 30. Januar vereinbart, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Hein Möllers zu den Hintergründen der brüchigen Vereinbarung, die Tsvangirai ohne Macht in den Händen lässt.

mosambik
Cholera und Katharsis
Im Norden Mosambiks machen die Menschen Politik und Hilfspersonal für die Cholera-Epidemie verantwortlich. Solch tief sitzendes Misstrauen gibt es schon lange, wie eine Studie vor sieben Jahren zeigte, zu der Joseph Hanlon ein Vorwort verfasst hat.

südliches afrika
Hymne an Obama
Der Wahlsieg Obamas bei den Präsidentschaftswahlen der USA wurde in Afrika besonders gefeiert. Der Mosambikaner Manuel de Araujo konnte den Wahlsieg in New York miterleben.

Was bringt das Jahr 2009?
In etlichen Ländern des Südlichen Afrika wird dieses Jahr gewählt, so in Südafrika, Malawi, Namibia, Mosambik und Angola (Präsidentschaftswahlen). Hein Möllers gibt einen Ausblick auf ein ereignisreiches Jahr.

Chinas Afrika-Offensive
Mit dem Afrika-Besuch zweier Minister zum Jahresbeginn 2009 hat China sein Interesse an Handelsbeziehungen und Investitionen in der afrikanischen Wirtschaft unterstrichen, wie Sanusha Naidu schreibt.

Neue Stimme - altes Lied?
Zu Chinas Rolle in Afrika hat sich Henning Melber grundlegende Gedanken gemacht.

südliches afrika: epas
Den Zug auf das richtige Gleis setzen
Die Kommissarin für Handel und Industrie der Afrikanischen Union, Elisabeth Tankeu, gibt Auskunft über die afrikanische Perspektive in den Verhandlungen mit der EU um Wirtschaftspartnerschaftsabkommen.

rezensionen
Geschichte der Anti-Apartheid-Bewegung
Reinhart Kößler bespricht das Buch "Kauft keine Früchte aus Südafrika" - Geschichte der Anti-Apartheid-Bewegung von Jürgen Barcia und Dorothée Leidig.

service
Rezensionen


*


Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
38. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2009, S. .. - ..
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2009