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AFRIKA/815: Arbeitsalltag am Kap (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Arbeitsalltag am Kap
Die Realität 15 Jahre nach der Abschaffung der Apartheid
Interview mit Colette Solomon

Von Helga Neumayer


Auch nach dem Ende des Apartheidregimes in Südafrika ermöglichen alte gesellschaftliche Strukturen weiterhin die Unterdrückung einzelner Bevölkerungsgruppen. Davon besonders betroffen sind Farmarbeiterinnen, sie werden aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe und ihres sozialen Status diskriminiert. Das Projekt "Women on Farms" unterstützt betroffene Frauen und entwickelt gemeinsam mit ihnen Empowerment-Strategien. Im April d. J. sprach Helga Neumayer mit der Direktorin der Organisation, Colette Solomon(1), über die südafrikanische Landwirtschaft, über die Situation der Landarbeiterinnen, über die Sinnhaftigkeit von internationalen Beziehungen und über die Erwartungen an die Fußball-Weltmeisterschaft 2010


FRAUENSOLIDARITÄT: Wie ist eine Farm in Südafrika organisiert und welche Rolle kommt Frauen in der Landwirtschaft zu?

COLETTE SOLOMON: Unsere Organisation beschäftigt sich am Westkap Südafrikas mit Frauen, die auf Farmen arbeiten und leben und hier Früchte für den europäischen Exportmarkt produzieren. Eine Farm in Südafrika besteht aus riesigen Plantagen, die sich über hunderte Hektar erstrecken und in den meisten Fällen von einem weißen männlichen Farmbesitzer verwaltet wird. Dieser beschäftigt circa 60 bis 100 ArbeiterInnen für geringen Lohn. Die ArbeiterInnen werden ebenso wie die Farm von Generation zu Generation weitervererbt. Nach dem Ende der Apartheid 1994 wurden erstmals Gesetze zum Schutz der Farmarbeiterinnen erlassen wie z. B. ein geregelter Mindestlohn oder das Recht auf Mitgliedschaft in Gewerkschaften. Zwar hat sich die Situation für Farmarbeiterinnen dadurch verbessert, "Women on Farms" hat aber noch immer zahlreiche Aufgaben zu erfüllen. Besonders wichtig ist es zum einen, die FarmarbeiterInnen über ihre Rechte zu informieren, da sie sich dieser oft nicht bewusst sind. Gleichzeitig setzt sich die Organisation aber auch bei der Regierung und den Farmeigentümern ein, die Gesetze zu beachten und einzuhalten.

Um mehr Profit zu erwirtschaften, stellten die Farmeigentümer in den letzten Jahren vermehrt Frauen ein, da Frauen die gleichen Tätigkeiten wie Männer zu niedrigerem Lohn verrichten. Dadurch kam es zu einer Feminisierung und Prekarisierung der Farmarbeit. Frauen haben keinen richtigen Vertrag, das heißt, sie können jederzeit gekündigt werden. Darüber hinaus ist kein Mindestlohn für Frauen festgelegt und auch andere Vorteile, wie Mutterschaftsurlaub oder Ersatzzahlungen an Regentagen, bleiben Frauen verwehrt.

Die Arbeiten, die Frauen auf Farmen verrichten, wie Früchte pflücken und sortieren, werden als minderwertig betrachtet. Das Einkommen der Frau wird nur als Zusatz zum Einkommen des Mannes gesehen und so als nicht lebensnotwendig erachtet. Auch im häuslichen Bereich ist die Frau gänzlich von ihrem Mann abhängig, da Wohnverträge nur mit Männern abgeschlossen werden. Dieses patriarchale System führt dazu, dass sich Frauen in Fällen häuslicher Gewalt nicht in der Lage fühlen, die gewalttätige Beziehung zu beenden, da sie nirgendwo sonst hingehen können.

FRAUENSOLIDARITÄT: Worauf konzentriert sich die Arbeit der Women on Farms und welche Veränderungen konnten in den letzten Jahren festgestellt werden?

COLETTE SOLOMON: Die Organisation wurde 1996, kurz nach dem Ende der Apartheid, gegründet. Ausschlaggebend dafür war vor allem die Marginalisierung der FarmarbeiterInnen, speziell der Frauen. Es gab keine Organisation, die Farmarbeiterinnen auf ihre Rechte aufmerksam machte. Die Ziele von Women on Farms sind daher sowohl Bildung und Mobilisierung von Frauen als auch das Setzen von Aktionen, um die Rechte von Frauen einzufordern. Dazu gehört unter anderem das Recht auf Bildung. Viele Farmarbeiterinnen wünschen sich ein besseres Leben für ihre Töchter. Frauen ab 40 Jahren haben ein niedriges Bildungsniveau, da sie bereits sehr jung wieder aus der Schule genommen wurden, um in der Landwirtschaft mitzuhelfen. Sie hatten keine andere Wahl, Probleme sind daher eine hohe Analphabetinnenrate, geringe Bildung und somit wenig Möglichkeit, abseits der Farm Arbeit zu finden. Diese Frauen wollen, dass ihre Töchter selbst über ihre Zukunft entscheiden können. Daher arbeitet Women on Farms jetzt auch sehr stark mit jungen Frauen zusammen. Unsere Aufgabe ist es dabei, das Denkschema der südafrikanischen Frauen und das verinnerlichte Bild der Unterdrückung, das schon seit Jahrhunderten existiert, zu verändern. Selbst heute müssen noch immer einige Farmarbeiterinnen den Eigentümer mit Master ansprechen. Doch wir merken Fortschritte, das Selbstbewusstsein vieler Frauen steigert sich in Zusammenarbeit mit unserer Organisation. Sie haben den Mut, sich gegen den Farmeigentümer zu stellen und ihre Rechte einzufordern. Auch auf nationaler Ebene gibt es Erfolge zu verzeichnen, wie z. B. das Gesetz für Mindestlöhne. International betreiben wir anwaltschaftliche Arbeit. Ein Beispiel hierfür ist die Nord-Süd-Zusammenarbeit zwischen Women on Farms, einer NGO, und einem Supermarkt in Großbritannien, der südafrikanische Produkte verkauft. Durch Information und Bewusstseinsbildung haben wir es geschafft, die positiven Auswirkungen des Exports auf die betroffenen Farmen zu vergrößern.

FRAUENSOLIDARITÄT: Wie gestalten sich die Beziehungen zu NGOs und VerbraucherInnen im Norden?

COLETTE SOLOMON: Unser Ziel ist es, den KonsumentInnen bewusst zu machen, woher die Lebensmittel kommen, und mehr Druck auf die Supermärkte auszuüben. Diese haben in vielen Fällen mehr Einfluss auf Produktionsbedingungen als die Regierung selbst. Es ist auch für Österreich wichtig, sich für faire Arbeitsbedingungen und -rechte in Südafrika einzusetzen, da zahlreiche Produkte von Südafrika nach Österreich exportiert werden und die EU einen der wichtigsten Exportmärkte darstellt. Als Beispiel für gute Zusammenarbeit mit NGOs im Norden ist die Dreikönigsaktion (DKA) zu nennen, die sowohl im Norden als auch im Süden tätig ist. Unser Ziel ist es, noch enger in Solidarität mit europäischen Organisationen und KonsumentInnen zusammenzuarbeiten.

FRAUENSOLIDARITÄT: In einigen Wochen wird die ganze Welt aufgrund der Fußball-WM auf Südafrika schauen. Welche Erwartungen haben die FarmarbeiterInnen an dieses Event?

COLETTE SOLOMON: Unsere Meinung ist hier ziemlich gespalten. Von der nationalen und der landwirtschaftlichen Ebene betrachtet, sind wir glücklich darüber, dass die Weltmeisterschaft nach Südafrika kommt. Unser Land wird wirtschaftlich davon profitieren, und wir freuen uns als patriotische SüdafrikanerInnen auf dieses Event. Auf der anderen Seite sehen wir die WM auf Entwicklungs- und Gemeinschaftsebene etwas kritischer. Ich bezweifle, dass die Weltmeisterschaft tatsächlich andauernde positive Auswirkungen auf FarmarbeiterInnen hat. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Einige Farmarbeiterinnen wurden bereits von ihren Farmen verwiesen, weil die Eigentümer das Haus renoviert und ein Hotel für TouristInnen daraus gemacht haben. Dies zeigt uns, dass wieder einmal nur die Reichen an diesem Ereignis verdienen, wie die FIFA (Fédération Internationale de Football Association) mit 208 nationalen Verbänden und die Geschäftsleute. Wir hoffen natürlich, dass wir mit unseren Vermutungen falsch liegen, aber ich fühle den Hype, die Aufregung unter den FarmarbeiterInnen nicht. Es betrifft sie nicht direkt, da das Event nicht in den abgelegenen Gegenden stattfindet. Tatsache ist, gehört man zur Elite oder zur Mittelklasse, ist man Teil des Events, gehört man aber zur Gruppe der sozial und ökonomisch Marginalisierten und Ausgeschlossenen, dann herrscht eine andere Realität.


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Anmerkung:

(1) Colette Solomon befand sich anlässlich der Konferenz "Gesellschaftliche Naturverhältnisse und Ernährungssouveränität" auf Einladung der Dreikönigsaktion - dem Hilfswerk der katholischen Jungschar - zu Besuch in Wien. Die promovierte Sozialanthropologin und Direktorin der südafrikanischen Organisation "Women on Farms" hat bereits in Ghana, Malawi und Namibia gearbeitet und ist eine der führenden Expertinnen zur Lebenssituation von Frauen in den Agrargebieten Afrikas und für alternative landwirtschaftliche Modelle.


Hörtipp:
Grapes from the Cape: Interview with Colette Solomon vom 13. April 2010 (www.noso.at).


Übersetzung aus dem Englischen: Laura Oberhuber


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 10-11
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010