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AFRIKA/850: DR Kongo - Von Staatlichkeit keine Spur (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, April / Mai / Juni 2010

Von Staatlichkeit keine Spur

Bericht der International Crisis Group zur Entwicklung in der DR Kongo


Eine Demokratie ist in der Demokratischen Republik Kongo nicht in Sicht. Der Demokratisierungsprozess ist auf allen Feldern zum Stillstand gekommen, das Regime ist brüchig. Als Präsident Joseph Kabila 2006 aus demokratischen Wahlen als Sieger hervorging, feierte die internationale Gemeinschaft die Wahl als Meilenstein im Friedensprozess. Doch bis heute gibt es keine checks and balances, das Präsidialamt hat die Macht von Regierung, Parlament und Gerichtsbarkeit beschnitten. Bürgerliche Freiheiten sind stets bedroht, wichtige institutionelle Reformen wie Dezentralisierung oder Neuordnung des Sicherheitsapparates sind praktisch ausgeblieben.

Wenn die politisch Verantwortlichen im Kongo keinen neue Anstoß für einen demokratischen Übergangsprozess und eine institutionelle Neuordnung geben, werden selbst die Erfolge zu Beginn der Übergangszeit zunichte gemacht. Der internationale Einsatz in diesem Riesenland ist dann vergeudet. Deshalb müssen auch die internationalen Partner der DR Kongo Demokratisierung und institutionelle Reform endlich ins Zentrum ihres Dialogs mit der Regierung stellen und ihre Hilfszusagen mit diesem Projekt verknüpfen.

Erstmals nach Jahrzehnten Diktatur und Bürgerkrieg haben die Menschen in der DR Kongo in glaubhaften Wahlen ihre Repräsentanten auf nationaler wie regionaler Ebene gewählt. Erst ein Jahr zuvor war eine demokratische Verfassung in einem Referendum angenommen worden. Sie bildete den Eckpfeiler für radikalen politischen Wandel und Wirtschaftsführung und spiegelt die demokratischen Erwartungen wider, die seit der Unabhängigkeit 1960 unerfüllt blieben. Die neue Verfassung fordert eine grundlegende institutionelle Reformen wie Dezentralisierung und Neuausrichtung des gesamten Bereiches der Sicherheit. Dieses politische Projekt, dessen Grundstein bei den Waffenstillstandsverhandlungen im südafrikanischen Sun City gelegt wurde, aber auch auf die Nationalkonferenz 1990 zurückgeht, verbindet die Rückkehr zum Frieden mit dem Grundsatz einer ausgewogenen Machtteilung zwischen der Zentralregierung und den Provinzen und einer wirklichen Gewaltenteilung auf beiden Ebenen.

Kabila gewann die fünfjährige Präsidentschaft, weil er während des Wahlkampfes auf diese Vision setzte. Er versprach den kollabierenden Staat zu stabilisieren und die Korruption zu bekämpfen. Er verkündete ein Programm, nach dem der Kongo wieder aufgebaut werden sollte. Es gründete auf fünf strategischen Prioritäten: Infrastruktur, Gesundheit, Ausbildung, Wohnungsbau und Arbeit. Er versprach die Weiterführung der Demokratisierung, Respekt vor Recht und Gesetz und lokale Wahlen. Nun, nahezu vier Jahre später, ist das Ergebnis ernüchternd. Seine Präsidentschaft strebt die Macht über alle Bereiche des Staates an und den Aufbau paralleler Entscheidungsstrukturen an der Verfassungsvorgaben vorbei.

"Während der Übergangsphase nach dem Bürgerkrieg haben sich die ehemaligen Rivalen auf eine gemeinsame Vision eines demokratischen Kongo verständigt, die letztlich dauerhaften Frieden und Entwicklung ermöglichen werde", sagt Guillaume Lacaille, ein führender Analyst der International Crisis Group. "Doch unter der Ägide Kabilas ist dieser Konsens in Vergessenheit geraten. Solange die Verantwortlichen in der DR Kongo die Demokratisierung nicht wieder auf die Tagesordnung setzen, riskieren sie, jeden Fortschritt in Richtung langfristige Stabilität aufs Spiel zu setzen und die internationalen Investitionen in die Zukunft des Landes zu verschleudern."

Das Regime Kabila hat die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit unterminiert, führt einen Kampf gegen Korruption, der eindeutig politisch ausgerichtet ist. Mit Geld und Zwang bringt es Herausforderer zum Schweigen und führt Krieg gegen lokale Aufstände, die seit 2006 immer wieder ausbrechen und nichts mit den Rebellenkriegen in den Ostprovinzen zu tun haben. Kabila will die Verfassung verändern unter dem Vorwand, es gebe Probleme bei der Durchführung der Dezentralisierung. Jede Verfassungsänderung, die dem Präsidenten mehr Macht zuschanzt und auf die Kontrolle von Abweichlern abzielt, bedeutet eine weitere Schwächung der Gewaltenteilung. Es gilt als unwahrscheinlich, dass vor Ende der derzeitigen Legislaturperiode Lokalwahlen stattfinden werden. Das wirft seine Schatten auf die allgemeinen Wahlen 2011.

Trotz diesen offensichtlichen Trends zur autoritären Staatsführung schweigt die internationale Gemeinschaft, die eine Menge in den kongolesischen Friedensprozess investiert hat. Die führenden kongolesischen Politiker zeigen sich äußerst empfindlich gegen jedes Anzeichen einer internationalen Vormundschaft. Die Regierung pocht auf ihre Souveränität und hat die UN-Mission Monuc zum Abzug bis Sommer 2011 aufgefordert und angekündigt, sie werde die Organisation der Wahlen übernehmen. Sie drängt ferner auf einen massiven Schuldenerlass vor dem 50. Jahrestag der Unabhängigkeit am 30. Juni.

Angesichts der angespannten innenpolitischen Lage besteht ständig die Gefahr lokaler Rebellionen, die sich aus Enttäuschung und Unzufriedenheit speisen und rasch außer Kontrolle geraten können. Deshalb ist eine neue internationale Strategie zur Stabilisierung der Demokratie und der Abwendung weiterer Destabilisierung überfällig, um das Land kurz- und mittelfristig zu stabilisieren.

Entwicklungshilfe sollte an den Fortschritt bei der Demokratisierung gekoppelt werden. Angesichts der bedeutenden Rolle der Geber im Kongo sollten diese ihr politisches Gewicht in die Waagschale für den Aufbau demokratischer Institutionen werfen und dabei auch die neuen asiatischen Partner des Landes einzubinden suchen, die ebenfalls von einer stabilen und effektiven Regierung nur gewinnen können. Es gilt dabei, die Konzentration auf rein technische Probleme aufzugeben, meint Thierry Vircoulon, der Projektdirektor der International Crisis Group für Zentralafrika.

"Will man den derzeitigen Trend umkehren, dann muss die internationale Gebergemeinschaft im Staatsaufbau mehr sehen als einen technischen Prozess. Sie muss ausloten, wieweit Kabila den politischen Willen hat, seine Versprechen einzulösen, und ihre Entwicklungshilfe an den messbaren Fortschritt des demokratischen Transformationsprozesses koppeln."


International Crisis Group, Congo: A Stalled Democratic Agenda, Africa Briefing N°73, 8. April 2010
Die Gesamtstudie ist auf Französisch zu erhalten unter http://www.crisisgroup.org


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 2, April / Mai / Juni 2010, S. 36
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2010