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AFRIKA/877: Äthiopien - Entwicklungshilfe als Instrument der Unterdrückung, Geber sollen handeln (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2010

Äthiopien:
Entwicklungshilfe als Instrument der Unterdrückung - Geber sollen handeln

Von Karina Böckmann


Berlin, 19. Oktober (IPS) - Die äthiopische Regierung nutzt die internationale Entwicklungshilfe zur Unterdrückung der Opposition und als Druckmittel, um Menschen politisch zu beeinflussen. Diesen Vorwurf erhebt die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) und appelliert an die internationalen Geber einschließlich Deutschland, den verantwortungsvollen und transparenten Umgang mit den Mitteln zu gewährleisten.

Äthiopien gehört zu den ärmsten Länder der Welt. Die Hälfte der 85 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze. Das ostafrikanische Land ist nach Indonesien der größte Hilfsempfänger der Welt - Irak und Afghanistan ausgenommen - und wird von Gebern wie Weltbank, USA, Europäische Kommission und Großbritannien und Deutschland mit insgesamt drei Milliarden US-Dollar unterstützt. Nach OECD-Angaben beträgt die bilaterale Hilfe aus der Bundesrepublik 98,25 Millionen US-Dollar.

Die Gelder würden jedoch politisch instrumentalisiert, um die Vormachtstellung der regierenden Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker (EPRDF) zu sichern, heißt es im neuen HRW-Bericht 'Development without Freedom: How Aid Underwrites Repression in Ethiopia'. Dem Report liegen die Aussagen von mehr als 200 Menschen in 53 Dörfern in drei äthiopischen Regionen und in der Hauptstadt Addis Abeba zugrunde.


Selbst Schulkinder indoktriniert

"Beamte auf lokaler Ebene verweigern Oppositionellen und Bürgerrechtlern routinemäßig staatliche Hilfen, selbst wenn sie in ländlichen Gebieten leben und dringend Lebensmittel benötigen", protestiert HRW. " Um Schulkinder mit der Ideologie der Regierungspartei zu indoktrinieren, Lehrer einzuschüchtern und den Staatsdienst von Menschen mit unabhängigen politischen Ansichten zu säubern, missbraucht die Regierung Capacity Building-Programme, die durch Gelder aus dem Ausland finanziert werden und für die Entwicklung des Landes förderliche Handlungskompetenz vermitteln sollen."

Bauern, die im Rahmen der von Juni bis Dezember 2009 durchgeführten HRW-Untersuchung befragt wurden, berichteten, dass ihnen der Zugang zu landwirtschaftlicher Hilfe, Mikrokrediten, Saatgut und Dünger mit der Begründung verweigert worden sei, dass sie die Regierungspartei nicht unterstützten. Andere gaben an, dass auch den Familien von Oppositionellen die Teilnahme an staatlichen Hilfsprogrammen verweigert werde.

"Wie selbstverständlich benutzt die äthiopische Regierung den Zugang zu Hilfsleistungen als Waffe, um Menschen zu beeinflussen und oppositionelle Gedanken zu bekämpfen", kritisiert Rona Peligal, Leiterin der HRW-Afrika-Abteilung. "Wer sich nicht an die Regeln der Regierungspartei hält, verliert seinen Anspruch auf Unterstützung. Und doch belohnen internationale Geber dieses Verhalten mit immer höheren Summen an Entwicklungshilfe."


Problem bekannt

Laut HRW haben etliche Vertreter der Geber inoffiziell eingeräumt, dass sich die Menschenrechtslage in Äthiopien verschlechtert und sich die Regierung immer autoritärer verhält. Vertreter von einem Dutzend westlicher Geberstaaten bestätigten gegenüber der Menschenrechtsorganisation die Vorwürfe, dass spendenfinanzierte Programme zur politischen Unterdrückung missbraucht würden. Bislang habe jedoch kein Geberland eine glaubwürdige unabhängige Untersuchung des Spendenmissbrauchs in Äthiopien durchgeführt.

Die EPRDF ist ein Zusammenschluss ethnischer Gruppen unter der Führung der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die seit dem Sturz der Militärregierung von Mengistu Haile Mariam 1991 an der Macht ist. Trotz der Einführung eines Mehrparteiensystems und der in der Landesverfassung von 1994 verankerten Menschenrechte wird die Arbeit von Oppositionellen und Menschenrechtlern erbarmungslos unterdrückt.

Wie Rona Peligal beklagt, sind die wenigen unabhängigen Organisationen, die die Achtung der Menschenrechte überwacht haben, durch das repressive Vorgehen der Regierung und ihr neues Gesetz über zivilgesellschaftliche Aktivitäten in die Bedeutungslosigkeit verbannt worden. "Gerade diese Organisationen werden jedoch dringend gebraucht, um den Missbrauch von Hilfsgeldern zu verhindern."


Weniger Menschenrechte, mehr Entwicklungshilfe

Während sich die Menschenrechtslage in Äthiopien verschlechtert habe, hätten die Geberländer ihre Hilfe deutlich aufgestockt. Das Volumen der internationalen Entwicklungshilfe für Äthiopien hat sich zwischen 2004 und 2008 verdoppelt.

Seit 2005 hat die äthiopische Regierung ihre politischen Freiräume immer weiter eingeschränkt. "Ein im vergangenen Jahr verabschiedetes Gesetz über zivilgesellschaftliche Aktivitäten verbietet Nichtregierungsorganisationen, die mehr als zehn Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, zu Themen wie Menschenrechten, guter Regierungsführung und Konfliktbewältigung zu arbeiten", so die HRW-Kritik.

2005 hatte die Regierung Unruhen im Anschluss an die Parlamentswahlen gewaltsam niedergeschlagen. Dabei wurden mehr als 200 Menschen getötet und etwa 30.000 Demonstranten, darunter Dutzende Oppositionspolitiker, verhaftet. Damals setzten die Weltbank und andere Geber ihre direkten Finanzhilfen an die äthiopische Regierung vorübergehend aus.

Doch wenig später wurde die Hilfe im Rahmen eines neuen Programms zur 'Sicherung grundlegender Leistungen' wieder aufgenommen. Die finanziellen Mittel wurden direkt an die Bezirksregierungen vergeben, die wie die Zentralregierung jedoch unter der Kontrolle der EPRDF stehen. "Die EPRDF hat die Kontrolle über sämtliche Hilfsprogramme, weil sie die Regierung auf allen Ebenen beherrscht", berichtet Rona Peligal. "Ohne eine wirksame, unabhängige Kontrolle wird die internationale Hilfe auch weiter für den Machterhalt eines repressiven Einparteienstaats missbraucht werden."

HRW wirft den Vertretern von Gebern vor, "in ihrem Eifer, Fortschritte in Äthiopien zu vermelden, die Augen vor der Unterdrückung zu verschließen, die sich hinter den Statistiken verbirgt". Geberländer, die den äthiopischen Staat finanzieren, müssten der Tatsache ins Auge blicken, dass ein Teil ihrer Hilfen zu Menschenrechtsverletzungen beitrage. (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.hrw.org/de/news/2010/10/19/thiopien-entwicklungshilfe-f-rdert-unterdr-ckung
http://www.hrw.org/en/reports/2010/10/19/development-without-freedom-0
http://stats.oecd.org/Index.aspx?DatasetCode=TABLE2A
http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/PROJECTS/0,,countrycode:ET~menuPK:64820017~pagePK:64414648~piPK:64414956~subTitle:All+Loans~theSitePK:40941~pageNo:1~pageSize:Show%20All,00.html

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2010