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AFRIKA/979: Kritik an Menschenrechtsklausel in Handelsabkommen mit EU (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. März 2011

Afrika: Kritik an Menschenrechtsklausel in Handelsabkommen mit EU

Von Isolda Agazzi


Genf, 24. März (IPS) - Die zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs), die an den Verhandlungen der west- und zentralafrikanischen Länderböcke um Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit der EU teilnehmen, machen eine Menschenrechtsklausel für die Verzögerungen beim Abschluss der Verträge verantwortlich.

Afrikanische Staaten und ihre CSOs sind aus verschiedenen Gründen gegen die Klausel. Sie sei einseitig und somit ein Verstoß gegen das Prinzip der Gegenseitigkeit, erklärte Cheikh Tidiane Dieye, der Vertreter der Zivilgesellschaft bei der westafrikanischen Verhandlungsdelegation. So erlaube sie Westafrika beispielsweise nicht, Schritte gegen die EU zu unternehmen, wenn ein senegalesischer Einwanderer in Frankreich widerrechtlich ins Gefängnis gesperrt werde.

Die EPAs sollen an die Stelle der in den 70er Jahren vereinbarten Präferenzbestimmungen im Handel zwischen Europa und seinen ehemaligen afrikanischen, karibischen und pazifischen Kolonien (AKP-Staaten) treten und die Beziehungen den Richtlinien der Welthandelsorganisation (WTO) und somit dem Freihandel angleichen.

Die Verträge hätten termingerecht bis Ende 2007 unter Dach und Fach sein sollen, scheiterten aber vor allem in Afrika, wo sie auf großen Widerstand insbesondere von Seiten der Zivilgesellschaft stießen. Am Ende einigte man sich zunächst auf Interimsabkommen, das Kamerun für Zentralafrika, Côte d'Ivoire and Ghana für Westafrika unterzeichneten.


"Menschenrechte und Entwicklung nicht gegeneinander ausspielen"

"Die Verhandlungen bedürfen einer klaren Strategie", meinte Jacob Kotchao, der als Vertreter Zivilgesellschaft an den Verhandlungen der zentralafrikanischen Staaten mit der EU teilnimmt. "Unsere Länder müssen, was die Menschenrechte angeht, noch einen weiten Weg gehen. Doch wollen wir nicht, dass Menschenrechte und Entwicklung gegeneinander ausgespielt werden."

Die CSOs der westlichen und zentralafrikanischen Länderblöcke haben sich in den Verhandlungen mit der Europäischen Union über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen als unabhängige und zuverlässige Berater ihrer Regierungen erwiesen. Geschätzt werden sie nicht nur wegen ihrer Expertisen, sondern auch für die Beharrlichkeit, mit der sie die entwicklungspolitischen Interessen ihrer Länder im Auge behalten.

Mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der sogenannten Nicht-Anwendungsklausel (Non-Execution Clause) unterschieden sich die afrikanischen CSOs von europäischen Nichtregierungsorganisationen. "In dieser Frage sind wir nicht der gleichen Meinung", bestätigte Marc Maes von der Nichtregierungsorganisation 11.11.11 mit Sitz in Brüssel.


Europäische Aktivisten für eine Klausel

Wie Maes berichtet, geht die Forderung der europäischen Aktivisten nach einer Einführung der Menschenrechtsklausel auf die Verhandlungen des Abkommens zwischen EU und Kolumbien zurück, das noch ratifiziert werden muss. Dass Kolumbien für Gewerkschaftler ein besonders gefährliches Pflaster sei, erkläre ihren Wunsch nach einer Menschenrechtsklausel

"Das Abkommen ersetzt das GSP+-Schema, das Entwicklungsländern Handelspräferenzen einräumte, die sich zur Einhaltung von Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards verpflichtet hatten", erläuterte Maes. Europäische und kolumbianische Organisationen hätten die Menschenrechtsklausel als Instrument begrüßt, um auch weiterhin Druck auf Kolumbien ausüben zu können.

Nach Ansicht von David Hachfeld, Handelsexperte bei Oxfam Deutschland, stehen Handelsabkommen und Menschenrechte in Beziehung zueinander. "Das Problem ist nur, dass sich Menschenrechtsverletzungen, die durch Handelsabkommen entstehen, nicht allein mit einer Menschenrechtsklausel beheben lassen." Allerdings könnten von den Klauseln, sollte auf ihre Umsetzung gepocht werden, positive Signale ausgehen.


Unzufriedenheit mit Interims-EPAs

Eine weitere Schwierigkeit, die die afrikanischen CSOs sehen, sind die EPA-Rumpfverträge, auf die sich einzelne Staaten eingelassen haben. Sie werden als Gefahr für die regionale Integration betrachtet. Sollten sich die einzelnen Länderblöcke von einem vollständigen EPA verabschieden, bestünde das Problem, dass die Interims-EPAs einzelner Staaten zu Lasten der regionalen Integration gingen.

Nach Ansicht von Cheikh Tidiane Dieye haben EPAs nur dann eine Chance, wenn sich die EU mit einer 70-prozentigen Verringerung der afrikanischen Außenzölle zufrieden gibt und neben der Nicht-Anwendungs- auch die Meistbegünstigtenklausel streicht, mit der sich die EU automatisch die Handelsvorteile sichern will, die AKP-Staaten untereinander aushandeln. Ansonsten gebe es für Westafrika nur noch die Option, dass der Länderblock das EPA endgültig ablehne und Côte d'Ivoire aus seinem Rumpfvertrag aussteige. In einem solchen Fall müssten jedoch regionale Solidaritätsmechanismen entwickelt werden. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011