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AFRIKA/983: Südsudans Unabhängigkeitsvotum als Herausforderung für den Kontinent (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2011

Südsudans Unabhängigkeitsvotum als Herausforderung für den Kontinent
Kommentar zu den Folgen der Abspaltung Südsudans

Von Wolf-Christian Paes


Der Ausgang des Referendums Anfang Januar über die staatliche Unabhängigkeit des Südsudans wurde auch in anderen Ländern Afrikas mit Spannung verfolgt. Seit ihrer Gründung hat sich die OAU und ihre Nachfolgeorganisation AU für eine verstärkte politische und wirtschaftliche Integration des Kontinents sowie für die Unabhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten eingesetzt. Zentrales Element dieser Politik war dabei das Beharren auf der Unverletzbarkeit der kolonialen Grenzen, obwohl jene Grenzen ohne Rücksicht auf ethnische, kulturelle oder religiöse Besonderheiten gezogen wurden.

Zwar hatten südsudanesische Politiker bereits 1967 die Unterstützung der OAU für ihren Kampf gegen die "interne Kolonialisierung" durch die Regierung in Khartum eingefordert, dies fiel aber auf wenig fruchtbaren Boden. Einzelne Nachbarstaaten wie etwa Uganda und zeitweise Äthiopien haben den bewaffneten Kampf der SPLA in der Vergangenheit unterstützt, dies geschah aber weniger aus Sympathie für das Los der Südsudanesen, sondern folgte vielmehr der Logik, dass der Feind meines Feindes mein Freund sein muss.

Auch heute - Monate vor der Unabhängigkeit des Südsudans im Juli 2011 - sind die Reaktionen unterschiedlich. Während Uganda und Kenia mit einem raschen Beitritt des neuen Staates zur Ostafrikanischen Union rechnen und sich wirtschaftliche Vorteile durch den Zugang zu Märkten und Bodenschätzen erhoffen, blicken andere Nachbarn mit Sorge auf eine mögliche "Somalisierung" des Landes.

In anderen Teilen des Kontinents herrscht die Sorge, dass der Virus der Sezession auf die eigenen ethnischen und religiösen Minderheiten übergreifen könnte, vor allem dort, wo reiche Vorkommen an Bodenschätzen grundsätzlich einen eigenen Staat finanziell ermöglichen würden, wie etwa im Nigerdelta oder im Ostkongo.

Tatsächlich lassen sich aus der Unabhängigkeit des Südsudans Lehren für andere Staaten Afrikas ziehen. Die Wurzeln des Konflikts reichen dabei bis weit in die koloniale Geschichte zurück. Schon in den Jahrzehnten der ägyptisch-englischen Herrschaft wurde die Peripherie des Landes im Vergleich mit der Zentralregion am Zusammenfluss des blauen und des weißen Nils vernachlässigt.

Dazu kommt im Südsudan noch eine ausgeprägte ethnische und religiöse Dimension: die arabisch und islamisch geprägte Elite in Khartum schaut auf die überwiegend nilotischen Volksgruppen herab und verfolgte über Jahrzehnte eine Politik der Zwangsislamisierung.

Vor diesem Hintergrund entstand der Widerstand gegen das Regime in Khartum, dessen wichtigste Strömung unter dem charismatischen SPLA/M-Führer John Garang sich jedoch keinesfalls für die Unabhängigkeit des Südsudans, sondern vielmehr für einen multi-ethnischen und säkularen Sudan einsetzte. Garang suchte und fand unter den anderen Völkern der unterentwickelten Randregionen - etwa in Darfur, in den Nubabergen und im Osten - Verbündete für diese Vision eines "Neuen Sudan".

Diese Idee bildete auch die Grundlage für das "umfassende Friedensabkommen", dessen Ziel es war, die staatliche Einheit durch Dezentralisierung und politische Reformen attraktiv zu machen. Erst nach Garangs plötzlichem Unfalltod wendete sich das Blatt und die Anhänger der Sezession wurden stärker. Gleichzeitig hintertrieb das Regime in Khartum die politischen Reformbemühungen für den Gesamtstaat und zog so den Befürwortern dieses Kurses im Süden den Boden unter den Füßen weg.

So wurde aus der "Reißleine" Unabhängigkeit eine reale Option, der Restsudan behält aber seine anderen Konfliktherde in Darfur oder den Nubabergen. Kurioserweise spielten die reichen Ölvorkommen dabei eine eher stabilisierende Rolle in der Beziehung zwischen Norden und Süden, die Aufteilung der Einnahmen wird auch nach der Unabhängigkeit wahrscheinlich erst einmal weitergehen, da die Vorkommen im Süden, Raffinerie, Pipelines und Häfen aber im Norden liegen.

Welche Lehren lassen sich nun für den Rest des Kontinents ziehen? Einerseits ist die AU aufgefordert, das Selbstbestimmungsrecht einzelner Volksgruppen ernster zu nehmen. Andererseits verlangen die meisten Minderheiten weniger einen eigenen Staat als politische und wirtschaftliche Teilhabe sowie den Schutz ihrer kulturellen Identität. Wäre Khartum bereit gewesen, diese den Südsudanesen (und anderen Volksgruppen jenseits des zentralen Niltals) zu gewähren, wäre es wahrscheinlich nicht zur Unabhängigkeit des Südsudan gekommen.


Wolf-Christian Paes, Technical Advisor South Sudan DDR Commission (SSDDRC)


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2011, S. 3
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2011