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ASIEN/680: Pakistan - Folter in der Todeszelle, Verurteilte sind Freiwild für Gefängniswärter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2010

Pakistan: Folter in der Todeszelle - Verurteilte sind Freiwild für Gefängniswärter

Von Zofeen Ebrahim


Karatschi, 4. November (IPS) - In Pakistans überfüllten Todeszellen herrscht Terror. In vielen Gefängnissen sind die Insassen, die oft Jahre auf ihre Hinrichtung oder auf die Umwandlung des Todesurteils in eine lebenslange Gefängnisstrafe warten müssen, Freiwild für folternde Wärter.

Alarmierte Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI) klagen, dass in pakistanischen Haftanstalten Folter praktisch zum Alltag gehört. Im September stellten Vertreter der unabhängigen Menschenrechtskommission Pakistans (HCRP) in einem Gefängnis im Punjab bei drei Gefangenen, die von Wärtern misshandelt worden waren, schwere Nierenschäden fest. Zwei der Männer sind Todeskandidaten.

"Wer in der Todeszelle sitzt, hat nach Ansicht der Gefängniswärter sein Leben ohnehin verwirkt", kommentierte Rafia Zakaria, die aus Pakistan stammende Direktorin von Amnesty International USA, den von der Justiz schweigend tolerierten Umgang mit zum Tode Verurteilten in pakistanischen Gefängnissen.

"Wer wegen eines schweren Verbrechens in der Todeszelle sitzt, hat offenbar keine menschenwürdige Behandlung verdient", meinte die Menschenrechtsaktivistin Zohra Yusuf. Das Ausreißen von Fingernägeln und Stockschläge auf die Fußsohlen oder auf nackte, an den Füßen aufgehängte Häftlinge gehören bei Gefängniswärtern zum gängigen Folterrepertoire.

Der britische Staatsbürger Mirza Tahir Hussain verbrachte 20 Jahre in der Todeszelle, bevor das Todesurteil in lebenslängliche Haft umgewandelt wurde. Er berichtete IPS von 'Panja' und 'Jahaz', zwei besonders beliebten Foltermethoden. Bei Panja wird das Opfer an beiden Armen festgehalten und bis zur Bewusstlosigkeit auf Kopf und Nacken geschlagen. Bei 'Jahaz' muss sich der Häftling mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen, wird von vier Wärtern hoch gehoben und mit einer Art Ledergürtel durchgeprügelt.

Doch damit nicht genug. So hatte man drei Häftlinge, die durch Misshandlungen schwere Nierenschäden erlitten hatten, zunächst geschlagen, nackt ausgezogen und ihre unteren Körperöffnungen mit Klebeband verschlossen, so dass sie nicht urinieren konnten. Anschließend flößte man jedem der Gequälten gewaltsam vier Liter Wasser ein und spritzte ihnen zusätzlich ein Entwässerungsmittel. Erst nach vier Stunden wurden die Fesseln entfernt.

Die Menschenrechtskommission berichtete auch von 20 Häftlingen, die im gleichen Gefängnis verprügelt wurden, weil Wärter in ihren Zellen nach unerlaubten Handys gesucht und nichts gefunden hatten.


Kein Schutz durch Konventionen und Verfassung

Pakistan hat sowohl die UN-Konvention gegen Folter wie die internationale Vereinbarung über bürgerliche und politische Rechte von 1966 unterzeichnet. Zudem heißt es in Paragraph 14 der Landesverfassung: "Niemand darf gefoltert werden oder einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen werden."

Für Häftlinge in pakistanischen Gefängnissen scheint dieses Verbot nicht zu gelten. Der angesehene Menschenrechtsaktivist I. A. Rehman berichtete, überall würden Gefangene misshandelt, sobald sich die Gefängnistore hinter ihnen schließen. Die fehlende Klagemöglichkeit der Opfer oder ihrer Angehörigen ist nach Ansicht von Menschenrechtsgruppen einer der Hauptgründe für die Zustände in den Gefängnissen.

Der Direktor eines Gefängnisses in der Provinz Sindh weist diese Kritik als unbegründet zurück. "Seit einem Jahr werden die Gefängnisse in Sindh täglich von einem Justizbeamten besucht, der mit jedem einzelnen Häftling unter vier Augen sprechen kann. Einmal pro Woche sieht sich auch ein Bezirksrichter im Gefängnis um." Die dabei vorgebrachten Klagen seien meist nicht gerechtfertigt, betonte er. Gewalttätige Gefangene müsse man "disziplinieren", denn es habe schließlich Häftlingsrevolten gegeben.

Pakistans Menschenrechtskommission bestätigt, dass es in den vergangenen Jahren immer häufiger Unruhen in Gefängnissen gegeben hat, nicht zuletzt als Protestaktionen der Häftlinge gegen die exzessiven Misshandlungen durch die Aufseher. Der Brite Hussain, der nach 18 Jahren in der Todeszelle schließlich freikam, hält gerade das Foltern von zum Tode Verurteilten für eine gezielte Drohung für Mithäftlinge. "Wer im Todestrakt sitzt, kann lange und völlig grundlos von jedem Dienstgrad misshandelt werden", berichtete er.

In Pakistan müssen zum Tode Verurteilte durchschnittlich zehn Jahre auf die Exekution, meist durch Hängen, warten. Nach Angaben von Amnesty International gab es 2009 in dem südasiatischen Land zwar keine Hinrichtungen. Die Gerichte verhängten dennoch mehr als 200 neue Todesurteile. Das 'Asian Legal Centre (ALRC) erklärt die große Zahl der Todeskandidaten in pakistanischen Gefängnissen vor allem mit dem der Ausweitung des Strafgesetzes, das bei immer mehr Delikten die Todesstrafe vorsieht.

Danach wurden in Pakistan vor 63 Jahren nur Mord und Hochverrat mit dem Tod bestraft. Inzwischen sind es 27 Verbrechen, darunter Gotteslästerung, das Entkleiden einer Frau in der Öffentlichkeit, Terrorakte, Sabotage in sensiblen Einrichtungen und bei der Eisenbahn, Aufruhr, Hasstiraden auf die Streitkräfte sowie Verbrechen im Internet. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.hrcp-web.org/
http://www.ai.org
http://www.alrc.net/
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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2010