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ASIEN/684: Pakistan - Mit Kunst gegen Fanatismus, Haftanstalt will Islamisten rehabilitieren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. November 2010

Pakistan: Mit Kunst gegen Fanatismus - Haftanstalt will Islamisten rehabilitieren

Von Zofeen Ebrahim

Aus Häftlingen werden Künstler - Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Aus Häftlingen werden Künstler
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Karatschi, Pakistan, 10. November (IPS) - Die rund 30 Männer, die in dem kleinen Raum zusammensitzen, weisen auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten auf. Sie sind unterschiedlichen Alters und kommen aus den verschiedensten Berufen. Besaß der eine von ihnen einst einen Computerladen, war ein anderer in seinem früheren Leben Autohändler. Der Runde gehören ferner ein ehemaliger Schneider und ein LKW-Fahrer an.

Und doch gibt es zwei Dinge, die alle Anwesenden verbindet: Sie sind Insassen des Zentralgefängnisses der südpakistanischen Hafenstadt Karatschi und die ersten der Haftanstalt, die an einem Malkurs teilnehmen.

"Anfangs hatte ich ein bisschen Angst", räumt der Kunstlehrer Sikander Ali Jogi ein. Immerhin sitzen in der Haftanstalt auch der Mörder des US-Journalisten Daniel Pearl und andere islamistische Extremisten ein, die 2006 das Konsulat der USA in Karatschi angegriffen hatten. "Doch nach zehn Tagen der Zusammenarbeit wurde mir klar, dass die Kursteilnehmer Menschen sind wie du und ich."

Das Zentralgefängnis in Karatschi ist die größte der 18 Haftanstalten in der Provinz Sindh. Das Gebäude, das Platz für maximal 1.800 Insassen hat, ist zurzeit mit mehr als 3.400 Gefangenen völlig überfüllt. Das war der Grund, der Gefängnisdirektor Nusrat Mangan veranlasste, den Insassen durch das Rehabilitierungsprogramm 'Criminon' mehr Freiräume zu schaffen.

"Die Idee ist, die Selbstachtung der Männer zu stärken", erklärte der Ausbilder Wasim Akhlaq. "Die Häftlinge lernen besser zu kommunizieren, ihre Wut zu beherrschen und positiv zu denken."


Therapie statt Strafe

Die Malkurse ergänzen die kreativen Seminare, zu denen auch Musikunterricht gehört. Mangan ist fest davon überzeugt, dass Kunst eine therapeutische Wirkung hat und einen "verurteilten Gefangenen wieder zu einem Menschen machen kann". Manche Häftlinge konzentrierten sich auf das Gebet, andere entdeckten die Kunst, meinte er. "Und wir geben ihnen den Raum dafür."

Nach Ansicht des Anstaltsleiters verdienen die meisten Insassen keine Strafe, sondern eine Therapie. Musizieren, Malen und Zeichnen könnten die besten Seiten eines Menschen zum Vorschein bringen, sagte Mangan. Das Sozialverhalten der Gefangenen verbessere sich, sie zeigten größere Toleranz gegenüber anderen Menschen.

Dennoch mussten die Therapeuten auch Rückschläge hinnehmen. Nach drei Monaten Musikunterricht brachen mehrere Häftlinge in den Raum mit den Instrumenten ein und schlugen alles kaputt. Die Täter hätten sich damit gerechtfertigt, dass der Islam keine Musik zulässt, sagte ein Mitgefangener IPS. Ein Teilnehmer des Kunstkurses berichtete, dass es im Gefängnis "einige extremistische Elemente gibt, denen es nicht gefällt, dass wir menschliche Gesichter malen".

Mangan sieht die Haftanstalt als "Mikrokosmos unserer Gesellschaft und unserer Stadt". Genauso wie sich Extremisten unter die Bevölkerung gemischt hätten, seien sie auch in dem Gefängnis präsent. "Wir können sie aber nicht 'exkommunizieren', denn sie müssen nach ihrer Freilassung wieder in die Gesellschaft integriert werden." Nach Ansicht des Direktors brauchen gerade die radikalisierten Gefangenen solche Therapieangebote, wie er sie ermögliche. Anstatt sie zu isolieren, wolle er lieber "ihre Idee mit einer anderen Idee töten".

Bei denjenigen, die keiner extremistischen Ideologie anhängen, rechnen Experten damit, dass 'Criminon' das Risiko erneuter Straftaten nach ihrer Haftentlassung deutlich verringern kann. "Sobald jemand ins Gefängnis kommt, wächst die Gefahr, dass er in eine 'Abwärtsspirale' gerät und rückfällig wird", sagte Saleem Khan, der Geschäftsführer der Organisation SAHEE, die das Programm 'Criminon' begründet hat.


Rückfallquote deutlich reduziert

Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass 'Criminon' die Rückfallquote bei Ex-Häftlingen um zehn bis 15 Prozent senken kann. Laut Akhlaq entspricht dies nach Informationen von Gefängnisverwaltungen genau dem statistischen Anteil der Wiederholungstäter.

Ghaffar Alavi, der zunächst zum Tode verurteilt wurde, hat durch den Kunstkurs erkannt, "dass mich meine Wut ins Gefängnis gebracht hat". Das Urteil wurde inzwischen in lebenslange Haft umgewandelt. Die Malerei habe ihm geholfen, mit sich ins Reine zu kommen, und mache sein Leben hinter Gittern erträglicher, sagt Alavi.

Jogi, der seit zwei Jahren in Gefängnissen Seminare abhält, hat psychische und physische Veränderungen bei seinen Schülern festgestellt. Die Kunst habe ihnen "Frieden und Trost" gebracht. Das Ergebnis sind zahlreiche Landschafts- und Porträtgemälde, Zeichnungen und kalligrafische Werke. Ein Häftling aus dem nordwestpakistanischen Swattal hat die Unterdrückung der Frau als Thema für seine Kunst entdeckt. (Ende/IPS/ck/2010)


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2010