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ASIEN/715: Pakistan - Armut und Gewalt im Nordwesten, Rückhalt für Taliban schwindet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Februar 2011

Pakistan: Armut und Gewalt im Nordwesten - Rückhalt für Taliban schwindet

Von Ashfaq Yusufzai

Unterstützung für Taliban-Kontrollchecks - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Unterstützung für Taliban-Kontrollchecks
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Süd-Waziristan, Pakistan, 2. Februar (IPS) - Einst wurden sie als wahre Gotteskrieger verehrt. Doch inzwischen ist der Stern der Taliban im Nordwesten Pakistans im Sinken begriffen. Mit ihren Anschlägen auf Moscheen, Schulen und unschuldige Zivilisten verlieren sie in der Region den Rückhalt in der Bevölkerung.

"Die Unterstützung, die sie noch zum Zeitpunkt des Einmarsches der US-geführten Truppen in Afghanistan genossen, ist längst dahin", bestätigt Jamilur Rehman, ein junger Mann aus Süd-Waziristan, der an der Universität von Peshawar studiert. Peshawar ist die Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Dass die radikal-islamischen Fundamentalisten noch nicht einmal davor zurückschreckten, Frauen und Kinder zu töten, habe ihr Ansehen in der Region erheblich geschmälert, berichtet er.

Von religiösen Gefühlen angestachelt hatten tausende Pakistaner die Taliban im Kampf gegen die in Afghanistan anrückenden US-Truppen im September 2001 unterstützt. Millionen Rupien wurden für diesen Zweck von religiösen Parteien gespendet. Unzählige junge Pakistaner reisten ins Nachbarland, um die Gotteskrieger in ihrem Feldzug gegen die US-Truppen tatkräftig zu unterstützen. Bis heute sitzen Tausende von ihnen in afghanischen Gefängnissen, Hunderte gelten als vermisst.

Das Wort 'Taliban' bedeutet soviel wie 'Religionsschüler'. Es wird heute als Synonym für Militanz, Gewalt und Terrorismus verwendet. Die pakistanischen Taliban traten erstmals 1994 in Erscheinung und nahmen in wenigen Jahren 95 Prozent Afghanistans ein. Ihre Schreckensherrschaft dauerte von 1996 bis 2001.


Taliban zunächst willkommen ...

Nach ihrer Vertreibung durch die US-geführte Militäroperation 'Enduring Freedom' setzten sich die meisten von ihnen nach Pakistan ab, von wo aus sie als Rebellenbewegung gegen die demokratisch gewählte afghanische Regierung und die internationale Schutztruppe ISAF kämpften.

Der Großteil der fünf Millionen Menschen, die in den pakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) leben, begrüßten die Ankunft der Taliban, die später von hier aus Angriffe auf die pakistanische Armee durchführten. Wie beliebt sie damals waren, zeigt der Erdrutschsieg der 'Muttahida Majlis-i-Amal' (MMA) in Khyber Pakhtunkhwa und dem pakistanischen Teil von Belutschistan. Die Allianz der pro Taliban eingestellten religiösen Parteien erzielte bei den Regionalwahlen im Oktober 2001 die absolute Mehrheit und regierte die beiden Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan fünf Jahre lang.

Der MMA-Führung war der US-Krieg gegen den Terrorismus im benachbarten Afghanistan stets ein Dorn im Auge. Den damaligen pakistanischen Präsident Pervez Musharraf betrachtete die Gruppe als Handlanger der US-amerikanischen Außenpolitik und warb mit dem Versprechen, in Pakistan das islamische Recht einzuführen die hier stationierten US-Truppen zu vertreiben.

Die MMA, der mit Jamiat Ulema-e-Islam, Jamiat Ulema-e-Islam, Jamaat-e-Islami, Jamyat-e Ulema-e Pakistan und Tahrik-e Jaffariya-e Pakistan die fünf größten Parteien Pakistans angehören, konnte bei den pakistanischen Präsidentschaftswahlen 2002 elf Prozent oder 3.349,436 Stimmen auf sich vereinigen. Inzwischen jedoch ist ihr Einfluss merklich zurückgegangen. Bei den Wahlen 2008 errang sie nur noch 772.798 Wählerstimmen und sechs Sitze in der Nationalversammlung.

"Auch der Tod von angesehenen religiösen Geistlichen wie Muhammad Farooq Khan, Maulana Hasan Jan und Mufti Farooq Naeemi trug zum Popularitätsverlust der Taliban bei", meint Majeed Shah, Dozent am politischen Institut der Gomal-Universität in Dera Ismail Khan. "Von denjenigen, von denen sie einst verehrt wurden, werden nun verflucht." Dera Ismail Khan ist einer von 24 Bezirken in Khyber Pakhtunkhwa. Hier leben 80.000 Menschen, die aus dem benachbarten Süd- umd Nord-Waziristan vertrieben wurden.


... inzwischen unerwünscht

"Unsere Kinder können wegen des Ausgehverbots und der fortgesetzten Kämpfe das Haus nicht verlassen. Die Taliban erlauben nicht, dass Kinder spielen und zur Schule gehen. Wie kämen wir also dazu, sie zu unterstützen?", fragte Jamal Akbar, einst ein strammer Taliban-Anhänger. Der Ladenbesitzer aus Süd-Waziristan macht die Taliban-Umtriebe für die zunehmende Armut in der Region verantwortlich.

"Dass die Taliban Moscheen und Schulen attackieren, verletzt die Gefühle der Menschen", meint Wajid Ali, ein 25-jähriger Lehrer an der Religionsschule in Khyber Agency - einem von sieben FATA-Stammesgebieten. Ihm zufolge haben die Taliban 54 Menschen hingerichtet, die von islamischen Gerichten verurteilt worden waren.

Selbst Frauen werden nicht geschont. So ermordeten Taliban eine Tänzerin und knüpften ihre Leiche an einem Stahlseil auf. Anfang Januar seien einem Mann in Orakzai Agency in FATA nach einem Familienstreit mit einem Taliban-Kommandanten beide Hände abgehackt worden, berichtet Wajid Ali.

Vor 2004 quittierten die Menschen im Nordwesten Pakistans den Tod eines jeden Talibans mit Protestaktionen. Nach 2005 blieben die Proteste aus, obwohl jede Woche rund 50 Taliban durch unbemannte US-Drohnen ums Leben kommen.

"Im vergangenen Jahr kamen bei 52 Selbstmordanschlägen der Taliban 1.224 unschuldige Menschen ums Leben, weitere 2.100 wurden verletzt. Das hat dazu geführt, dass die Menschen den Taliban inzwischen ein Gefühl der Verachtung entgegenbringen", meint Sajjad Shah, ein Polizist in Dera Ismail Khan. Nach islamischem Recht sei es niemandem gestattet, einen Menschen ohne fairen Prozess umzubringen, zu verletzen oder zu verstümmeln. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2011