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ASIEN/746: Pakistan - Furcht vor Massenexodus, Clans wollen Offensive gegen Taliban verhindern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Juni 2011

Pakistan: Furcht vor Massenexodus - Clans wollen Offensive gegen Taliban verhindern

Von Ashfaq Yusufzai


Peschawar, 8. Juni. (IPS) - Die pakistanische Regierung plant nach US-Angaben eine größere Militäroffensive in der Grenzregion Nordwasiristan, die als Rückzugsgebiet radikalislamischer Taliban gilt. Die Ankündigung von Admiral Michael Mullen, dem scheidenden Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs der US-amerikanischen Streitkräfte, hat in dem Land ein gemischtes Echo ausgelöst.

Manche Beobachter halten ein Eingreifen der Armee für die einzige Möglichkeit, Nordwasiristan zu befrieden. Gegner eines solchen Schrittes befürchten hingegen, dass die Bevölkerung in der Region durch die Kämpfe weiteren Schaden erleidet.

Innerhalb des unter Bundesverwaltung stehenden Stammesgebiets gebe es nach wie vor rund eine Million Menschen, die durch Militäraktionen vertrieben worden seien, sagte Wakil Shah, ein Lehrer aus Südwasiristan. Die bevorstehende Offensive drohe die Lage der Flüchtlinge weiter zu verschlimmern.

Die Regierung in Islamabad hatte 2004 im Süden Wasiristans den ersten Militärschlag gegen Extremisten durchgeführt und damit eine Massenflucht von Zivilisten ausgelöst. Etwa 300.000 Vertriebene ließen sich in den Bezirken Tank und Dera Ismail Khan der Nachbarprovinz Khyber Pakhtunkhwa nieder.

"Wir befürchten, dass die Operation zu einem Massenexodus führen wird", sagte Shaukatullah, ein Bewohner von Detta Khel in Nordwasiristan im Gespräch mit IPS. "Wir wollen, dass die Regierung eine Militäraktion vermeidet. Andernfalls drohen Tausenden Menschen Hunger und Krankheiten."


Lokale Bevölkerung will offenbar mit Regierung kooperieren

Die meisten Menschen des Stammesgebietes verabscheuten jede Form von Terrorismus und seien bereit, sich an dem Kampf gegen die Taliban zu beteiligen, erklärte Shaukatullah. Die Regierung müsse daher die lokale Bevölkerung ins Vertrauen ziehen. Ein Militäreinsatz würde das Problem nicht lösen.

Neben Süd- und Nordwasiristan gehören fünf weitere Territorien zu den im Nordwesten gelegenen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA). Auf einer Fläche von mehr als 47.000 Quadratkilometern leben dort etwa fünf Millionen Menschen.

In der Region kommt es häufig zu Gefechten, seitdem die USA und ihre Verbündeten die Taliban-Regierung in Afghanistan 2001 gestürzt haben. Zahlreiche Taliban und Mitglieder des Terrornetzwerks Al Kaida sollen seitdem die 24 Kilometer lange und durchlässige Grenze nach Pakistan überquert und sich in den FATA verschanzt haben.

Auch Manzoor Shah vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) rechnet bei einer erneuten Militäroffensive vor allem mit negativen Folgen für die Zivilbevölkerung. "Etwa 80.000 Menschen aus Südwasiristan leben nach wie vor in Tank und Dera Ismail Khan. Hoffnung, dass sie in ihre Heimat zurückkehren können, gibt es nicht."

Bewohner von Südwasiristan mussten bereits im Januar 2008 ihre Häuser im Stich lassen, als die Armee mit der Operation 'Erdbeben' begann. Ein Jahr später folgte in Bajaur die Offensive "Weg zur Rettung". Rund 100.000 Menschen wurden dort vertrieben.

Nach Ansicht des ehemaligen Armeemajors Humayun Khan hat das Militär seine Ziele nicht erreicht. In Bajaur seien die Taliban immer noch aktiv, sagte Khan IPS. Auch in anderen Gebieten leide die verarmte Bevölkerung besonders an den Folgen. Die Leute lebten in Lagern und litten an Hunger, Krankheiten und der sengenden Hitze.


Regierung nach Tötung bin Ladens unter Druck

Die USA drängen Pakistan seit längerem zu einer groß angelegten Militäroperation in Nordwasiristan. Nachdem US-Truppen den Terroristenführer Osama bin Laden in der Garnisonsstadt Abbottabad getötet hätten, sei die Regierung in einer unangenehmen Lage und scheine nun die Linie der USA zu unterstützen, sagte Khan.

Während Mullen die Offensive als "wichtigen Kampf" bezeichnete, hält sich die pakistanische Regierung zunächst weiter bedeckt. "Wir lassen uns von niemanden etwas vorschreiben. Wir werden selbst sehen, ob ein solcher Einsatz notwendig ist", sagte Ministerpräsident Yousuf Raza Gilani kürzlich im Fernsehen.

Noch deutlichere Wort fand der große Rat der Stammesangehörigen in Nordwasiristan, der unmittelbar nach Mullens Ankündigung an die Regierung appellierte, von Militäraktionen abzusehen. Die Nationale Awami-Partei, die in Khyber Pakhtunkhwa regiert, sieht dagegen ein Eingreifen der Armee als einziges Mittel, um in Pakistan und dem benachbarten Afghanistan Frieden herzustellen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2011