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ASIEN/764: Pakistan - Reform repressiver Bestimmungen, mehr Rechte in den FATA-Grenzregionen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. August 2011

Pakistan: Reform repressiver Bestimmungen - Mehr Rechte in den FATA-Grenzregionen

Von Ashfaq Yusufzai


Peschawar, 25. August (IPS) - Die umstrittenen Drohnenanschläge in Pakistan und der US-geführte Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan haben Pakistans Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) zu einer Reform repressiver Bestimmungen aus britischer Kolonialzeit verholfen. Die am 12. August vorgenommenen Änderungen, die auch die Zulassung von Parteien beinhalten, entspannen die Situation in den kriegsgebeutelten Gebieten.

Die sogenannten 'Frontier Crimes Regulations' (FCR) von 1901 berechtigten die ehemalige britische Kolonialmacht zur Durchführung von Strafmaßnahmen gegen ganze Stämme, um Gewaltverbrechen zu ahnden oder die Auslieferung flüchtiger Täter zu erzwingen. "Die Neuerungen sind wichtig, sehen sich die Menschen in den FATA nun in der Lage, ihre fundamentalen Rechte einzufordern", meinte der Abgeordnete Akhunzada Muhammad Chittan.

Im Zuge der Reform ist es nun verboten, ganze Stämme in Geiselhaft zu nehmen. Erlaubt ist nur noch die vorübergehende Festnahme enger männlicher Verwandter mutmaßlicher Straftäter. Weibliche Familienangehörige und Personen über 65 Jahren dürfen überhaupt nicht mehr stellvertretend für ein straffällig gewordenes Familienmitglied festgenommen werden.

Chittan and andere politische Entscheidungsträger in den FATA sind der Meinung, dass erst durch den Krieg in Afghanistan die internationale Aufmerksamkeit auf die anachronistischen Gesetze gelenkt werden konnte. "Der Krieg in Afghanistan und seine Auswirkungen auf die angrenzenden pakistanischen Stammesgebiete haben die Veränderungen herbeigeführt", sagte Chittan, der die Interessen der Menschen der Agentur Bajaur vertritt.

Die FATA bestehen aus sieben Verwaltungseinheiten, sogenannten Agenturen; und sechs Grenzregionen, die an Afghanistan anstoßen. Die dort lebenden acht Millionen Menschen sind mehrheitlich Paschtunen. "Der US-geführte Krieg gegen den Terrorismus hat die politischen und demokratischen Reformen in den FATA begünstigt", meint auch Munir Aurakzai, ein Abgeordneter der Agentur Orakzai.

Chittan zufolge hatten lokale Stammesführer und politische Autoritäten die Neuregelung aus Angst abgelehnt, an Einfluss zu verlieren. Doch die Reformen könnten nun von niemandem mehr aufgehalten werden, versicherte er. Der Krieg in Afghanistan habe den FATA schließlich doch noch etwas Gutes gebracht, die als Rückzugsgebiete von Taliban und Al-Kaida-Kämpfern in die negativen Schlagzeilen geraten sind.

Die FCRs sind eine Gegenmaßnahme der Briten gegen den in den FATA geltenden Ehrenkodex, all jenen Paschtunen Schutz zu gewähren, die seiner bedürfen. Taliban und Al-Kaida hatten sich den Kodex nach ihrer Vertreibung aus Afghanistan 2001 im Zuge der US-geführten Invasion zunutze gemacht.

Als die radikal-islamischen Krieger die FATA und andere Gebiete im Nordwesten Pakistans als Rückzugsgebiete ausbauten, reagierten die USA mit der Entsendung von Drohnen, die die Stützpunkte von Taliban und Al-Kaida bombardierten. Bei 265 Drohnenangriffen seit 2005 wurden mehr als 2.560 Menschen getötet.

Anfang April hatte das Weiße Haus in einem Bericht für den US-Kongress bemängelt, dass Pakistan eine klare Strategie vermissen lasse, um sich den Rückhalt der lokalen Bevölkerung zu sichern. Der Report merkt kritisch an, dass der Einsatz von 147.000 Soldaten nicht von Maßnahmen begleitet wurde, die lokale Bevölkerung für den Kampf gegen Taliban und Al-Kaida zu gewinnen. Chittan zufolge ist der pakistanischen Regierung inzwischen klar geworden, dass sich der Terrorismus ohne die Unterstützung der Stämme nicht besiegen lässt.


FATA-Tribunal

Die sieben Stammesgebiete in den FATA sind zwar Teil Pakistans, unterliegen aber nicht der Rechtsprechung der höheren pakistanischen Gerichte. Nun wurde ein 'FATA-Tribunal' eingesetzt, das aufgrund der FCR-Reformen befähigt ist, wie jeder andere hohe Gerichtshof in Pakistan die Einhaltung fundamentaler Rechte durchzusetzen.

Wie Shahid Habib Said von der unabhängigen Pakistanischen Menschenrechtskommission erklärte, habe man der Regierung nahe gelegt, die Rechtsprechung der obersten pakistanischen Gerichte auf die FATA auszuweiten. Die Einrichtung eines FATA-Gerichts sei aber ebenso willkommen.

Die Reform führte nicht zur völligen Ausmerzung repressiver FCR-Regelungen. So genießen Verwaltungsbeamte auch weiterhin besondere rechtliche Vollmachten, obwohl die Landesverfassung die Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive festschreibt. (Ende/IPS/kb//2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2011