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ASIEN/844: Pakistan - Niederlage für die Regierung, Sieg für die Demokratie (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Niederlage für die Regierung, Sieg für die Demokratie
Zu den Parlamentswahlen in Pakistan

von Philipp Kauppert
Mai 2013



• Der frühere Premierminister Nawaz Sharif und seine konservative Pakistan Muslim League - Nawaz (PML-N) haben die Parlamentswahlen in Pakistan deutlich gewonnen und werden nun zeitnah damit beginnen, eine neue Regierung zu bilden.

• Die aus dem Amt scheidende Regierungspartei Pakistan People's Party wurde aufgrund ihrer negativen Bilanz in der Energie- und Wirtschaftspolitik sowie der gewalttätigen internen Konflikte im Nordwesten des Landes und in Belutschistan abgewählt.

• Der vom ehemaligen Cricket-Star Imran Khan angekündigte große Wandel blieb aus. Dennoch konnte seine Partei Pakistan Thereeb-e-Insaf einen Achtungserfolg erzielen, indem sie die meisten Sitze in der strategisch wichtigen Provinz Khyber Pakhtunkhwa eroberte.

• Angesichts der schlechten Sicherheitslage und der Drohungen von Extremisten kann die hohe Wahlbeteiligung als Erfolg für die noch junge Demokratie gewertet werden. Allein am Wahltag kamen 38 Menschen in Folge von Anschlägen, Attentaten und politisch motivierter Gewalt ums Leben. Auch dank der hohen Anzahl weiblicher Wähler stieg die Wahlbeteiligung dennoch von 44 Prozent im Jahr 2008 auf über 60 Prozent.

• Das schlechte Wahlergebnis der säkularen und liberalen Parteien hat das Machtgefüge deutlich zugunsten der konservativen und religiösen Akteure verändert. Dennoch verspricht die politische Konstellation auf der nationalen und der Provinzebene nach den Wahlen zunächst eher Kontinuität als Wandel.

*

Überblick

Die konservative Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N) und ihr Anführer Nawaz Sharif konnten bei den Parlamentswahlen in Pakistan am 11. Mai mit deutlichem Abstand vor Imran Khans Pakistan-Tehreeb-e-Insaf (PTI) die meisten Sitze in der Nationalversammlung gewinnen. Der vom ehemaligen Cricket-Star und Nationalhelden erhoffte große Wandel blieb zwar aus, jedoch konnte seine noch junge PTI einen durchaus bemerkenswerten Erfolg gegenüber den etablierten Parteien feiern. Das schlechte Abschneiden der Pakistan People's Party (PPP) um den Parteichef Bilawal Bhutto Zardari und seinen Vater, den amtierenden Präsidenten Asif Ali Zardari, kann als Abstrafen der aus dem Amt scheidenden Regierung und deren schlechter Bilanz angesichts der enormen energie-, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Probleme des Landes gewertet werden. Nawaz Sharif, der bereits von 1990 bis 1993 und von 1997 bis 1999 Premierminister war, wird nun versuchen, möglichst bald eine Regierung zu bilden und die dringend notwendigen Reformen anzugehen.

Angesichts der schlechten Sicherheitslage und der wiederholten Drohungen seitens der pakistanischen Taliban TTP (Tehreek-e-Taliban Pakistan) zeigt die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung, dass sich die Bevölkerung der immensen Bedeutung der Wahlen und des ersten demokratischen Übergangs von einer aus dem Amt scheidenden, zivilen Regierung zu ihren neu gewählten Nachfolgern bewusst war. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten bei der Ernennung der Übergangsregierung im März 2013 und den Vorbereitungen der Wahlen durch die Wahlkommission können die Wahlen insgesamt als ein Fortschritt auf dem Weg der Demokratisierung Pakistans betrachtet werden. Die zunehmende unabhängige Justiz und die sehr dynamische und kritische Medienlandschaft haben wichtige Beiträge dazu geleistet, dass der Machtwechsel auf demokratischem Wege und innerhalb eines letztlich stabilen institutionellen Rahmens stattgefunden hat. Auch das Bekenntnis des Militärs zu freien und fairen Wahlen sowie dessen Unterstützung des Wahlprozesses zeugt davon, dass sich die zivil-militärischen Beziehungen während der letzten Jahre tendenziell verbessert haben. Unregelmäßigkeiten in einzelnen Wahlbezirken Karachis und in Khyber Pakthkunkhwa (KPK), wo Frauen ihr Wahlrecht enthalten wurde, könnten in einigen Wahlämtern und -bezirken eventuell noch zur Wiederholung der Wahlen führen.

Insgesamt lässt sich am Wahlergebnis ein Trend hin zur Bestärkung von konservativen Werten und Akteuren innerhalb der pakistanischen Gesellschaft ablesen. Der Wahlkampf, sowohl der PML-N als auch der PTI, war von wertkonservativen Diskursen und Annäherungen an religiöse Gruppierungen geprägt. Die Spitzenkandidaten Nawaz Sharif und Imran Khan hatten beide mehrmals angedeutet, dass sie angesichts der Konflikte in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze sowie in weiten Teilen KPKs und Belutschistans für Verhandlungen mit den pakistanischen Taliban bereit stünden. Dieser Herausforderung werden sie sich nun in der Regierungsverantwortung auf nationaler und provinzieller Ebene stellen müssen. Obwohl die pakistanische Gesellschaft während der letzten Jahre insgesamt von den demokratischen Errungenschaften seit dem Ende des Militärregimes unter Musharraf profitiert hat und auch hinsichtlich der Meinungsäußerung freier geworden ist, stehen die progressiven Akteure und Gruppierungen nun vor einer schwierigen politischen Ausgangssituation. Von den sich als säkular und liberal gerierenden Parteien (vor allem der PPP und der Awami National Party, ANP) sind sie massiv enttäuscht worden, doch ernsthafte Alternativen sind kurz- bis mittelfristig nicht in Sicht.


Die Sitzverteilung in der Nationalversammlung

Der deutliche Wahlsieg der PML-N basiert vor allem auf deren starker Unterstützung im Punjab, wo 148 der im Mehrheitswahlrecht direkt gewählten 272 Sitze für die Nationalversammlung vergeben werden. Darüber hinaus sind 60 Sitze für weibliche Kandidaten sowie zehn Sitze für ethnische Minderheiten reserviert, die je nach Wahlergebnis prozentual über Parteilisten verteilt werden. Auch vor der Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse durch die Wahlkommission [1] sieht es sehr stark danach aus, dass die PML-N mit über 120 gewonnenen Sitzen und gemeinsam mit ein paar unabhängig angetretenen Kandidaten die einfache Mehrheit im Parlament und damit den Premierminister stellen kann.


Tabelle: Geschätzte Sitzverteilung in der Nationalversammlung, nach Parteien und Provinzen
Quelle: GEO News

Tab. 1: Geschätzte Sitzverteilung in der Nationalversammlung, 
 nach Parteien und Provinzen

PML-N
PPP
PTI
MQM
Islamabad
Punjab
Sindh
KPK
Belutschistan
FATA
   1
 116
   3
   4
   -
   1
  -
  2
 29
  -
  1
  -
  1
 11
  -
 18
  -
  1
  -
  -
 17
  -
  -
  -
Insgesamt
 125
 32
 31
 17


Obwohl der von Imran Khan angekündigte große Wandel ausblieb, ist es bemerkenswert, dass seine PTI mit über 30 Sitzen als drittstärkste Kraft ins Parlament einzieht und durch ihren Erfolg in Khyber Pakhtunkwha (KPK) die Awami National Party (ANP) fast komplett von der Bildfläche verschwinden ließ. Die PPP hat angesichts der Aussichten von knapp 32 Sitzen landesweit enorme Stimmeneinbußen verzeichnen müssen und nur im Sindh ihre wichtigste Basis verteidigen können. Die Muttahida Qaumi Movement (MQM) hat ihre Dominanz in Karachi, Hafenmetropole und wirtschaftliches Zentrum des Landes, mit 17 Sitzen behaupten können. Die beiden islamistischen Parteien Jamiat Ulema-i-Islam-Fazl (JUI-F) (10 Sitze) und Jamaat-e-Islami (JI) (3 Sitze) haben ähnlich wie bei vergangenen Wahlen zur Nationalversammlung nur eine relativ kleine Anzahl von Sitzen erringen können. Die vom ehemaligen Militärdiktator Pervez Musharraf [2] gründete Partei All Pakistan Muslim League (APML) hat einen Wahlkreis gewinnen können.


Blick auf die Provinzebene

Die Kräfteverteilung in der Nationalversammlung spiegelt sich insgesamt auch bei den Ergebnissen der Wahlen zu den Parlamenten auf der Provinzebene wider, die parallel ebenfalls am 11. Mai stattfanden. Die PML-N konnte mit deutlicher Mehrheit die meisten Sitze im Parlament des Punjab (208 von 297 Sitzen), der bevölkerungsreichsten Provinz an der indischen Grenze, erringen und wird dort ziemlich sicher alleine regieren können. Im ländlich geprägten Sindh hat die PPP immerhin die Mehrheit der Sitze im Parlament (69 von 130 Sitzen) verteidigt und wird aller Voraussicht nach, wie bereits in der vergangenen Legislaturperiode, in einer Koalition mit der MQM (18 Sitze) regieren.

Interessant dürfte die Regierungsbildung allerdings in der strategisch wichtigen und von Konflikten heimgesuchten Provinz Khyber Pakhtunkwha (KPK) werden, wo die PTI erstmals die größte Fraktion des Parlaments (34 von 99 Sitzen) stellt, zur Mehrheitsbildung jedoch auf die Unterstützung der anderen Parteien angewiesen sein wird. Imran Khan hatte im Laufe des Wahlkampfs durch seine scharfe Kritik an den Drohneneinsätzen der amerikanischen Truppen auf pakistanischem Gebiet sowie an den Offensiven des pakistanischen Militärs die Unterstützung der größtenteils paschtunischen Bevölkerung gewonnen. Nun wird er unter dem Druck stehen, einerseits seine Forderungen nach Verhandlungen mit den Taliban in der Regierungsverantwortung auf Provinzebene zu konkretisieren, und andererseits mit der von der PML-N geführten Zentralregierung in Islamabad gewisse Eingeständnisse im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik machen zu müssen. Die Region KPK im Nordwesten des Landes hat ebenso wie die Stammesgebiete FATA (Federally Administered Tribal Areas) an der afghanisch-pakistanischen Grenze stark unter dem grenzüberschreitenden Terrorismus und den Folgen des amerikanisch angeführten »Kriegs gegen den Terror« gelitten.

In der flächenmäßig größten, aber sehr dünn besiedelten Provinz Belutschistan ist das Ergebnis zur Wahl des Provinzparlaments weniger eindeutig. Die größte Fraktion stellt wahrscheinlich die Pushtunkhwa Milli Awami Party (PkMAP), gefolgt von der PML-N und der National Party (NP). Aufgrund von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen und blutigen Anschlägen auf Schiiten hatte die Zentralregierung in Islamabad zu Beginn des Jahres 2013 die Provinzversammlung aufgelöst und dem Gouverneur weitgehende Vollmachten gegeben. Mit Spannung wird nun erwartet, ob mit der PkMAP das erste Mal eine paschtunisch dominierte Partei die Regierung in einer Provinz stellen wird, die traditionell von ethnischen Belutschen dominiert ist.

Im Gesamtbild ergibt sich, trotz der Dominanz der PML-N in der Nationalversammlung, auf der Provinzebene ein recht diversifiziertes Muster. Der designierte Premierminister Nawaz Sharif wird sicher bereits bei der Regierungsbildung versuchen, seinen Einfluss auch auf der Provinzebene möglichst weitreichend zu gestalten. Die Wahlergebnisse zeigen aber, dass die meisten Parteien ebenso wie die Provinzen prinzipiell entlang ethnischer Grenzen definiert sind, die in bestimmten Fällen aufgebrochen werden. Inwiefern die potenzielle Dominanz der punjabi-dominierten PML-N von den einzelnen Provinzen, Regierungen und ethnischen Gruppen herausgefordert wird, liegt auch am Verhandlungsgeschick und Regierungsstil des zukünftigen Premierministers.


Angespannte Sicherheitslage rund um die Wahlen

Nach einer Studie des Pakistan Institute of Peace Studies (PIPS) hat es allein im Monat April im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der Wahlen und des Wahlkampfes 110 Tote und mehr als 700 Verletzte gegeben. 81 Menschen sind bei Attacken von Extremisten umgekommen, zu denen sich bei einem Großteil die TTP bekannt hat. Die anderen registrierten Fälle waren Opfer von Konflikten zwischen den unterschiedlichen Parteien und deren Anhängern. Am stärksten von den Anschlägen betroffen waren einerseits die paschtunisch dominierte ANP in Kyber Pakhtunkhwa und andererseits die von indischstämmigen Muhajirs gegründete Partei MQM in der Hafenmetropole Karachi. Im Rahmen von Wahlveranstaltungen wurden mehrmals Anschläge auf die beiden Parteien verübt, bei denen Kandidaten und Parteiarbeiter ums Leben kamen. Der Wahlkampf der vormaligen Regierungspartei PPP fand hingegen größtenteils über das Fernsehen und über Videobotschaften statt, während öffentliche Großveranstaltungen eher eine Seltenheit darstellten.

In der flächenmäßig größten Provinz Belutschistan wurden alle an den Wahlen teilnehmenden Parteien von sezessionistischen Gruppierungen wie der Balochistan Liberation Army (BLA), der Balochistan Liberation Front (BLF) und der Balochistan Republican Army (BRA) angegriffen. Gegen Ende des Wahlkampfes fanden auch in anderen Landesteilen vereinzelt Anschläge auf die konservativen bis hin zu islamistischen Parteien statt. Im Prinzip war nur im Punjab und in ländlichen Teilen des Sindhs eine einigermaßen freie und friedvolle Vorbereitung der Wahlen möglich gewesen. Am Tag der Wahl wurden insgesamt 750.000 Sicherheitskräfte an die landesweit über 72.000 Wahlstationen beordert - davon allein 59.000 in Karachi, das von der National Crisis Management Cell (NCMC) als das am meisten von Bedrohungen betroffene Gebiet eingestuft worden war. Der Armeechef Ashfaq Pervez Kayani hatte während der vergangenen Wochen mehrmals öffentlich erklärt, dass das Militär alles dafür tun werde, um einen möglichst fairen und friedlichen Ablauf der Parlamentswahlen zu garantieren.


Hohe Wahlbeteiligung, insbesondere von Frauen

Trotz der angespannten Sicherheitslage war die Wahlbeteiligung mit geschätzt über 60 Prozent deutlich höher als bei den letzten Parlamentswahlen 2008 (44 Prozent). Vor allem in Karachi und Belutschistan gab es zahlreiche Zwischenfälle bei der Durchführung der Wahlen. Durch einen Bombenanschlag und bewaffnete Überfälle kamen allein am Wahltag in der Hafenmetropole elf Menschen ums Leben, insgesamt gab es nach offiziellen Angaben über das Land verteilt mindestens 38 Todesopfer. In Karachi wurde der Wahlkommission vorgeworfen, durch mangelhafte Rahmenbedingungen in einzelnen Bezirken der regierenden MQM die Manipulation der Wahlen ermöglicht zu haben. Daher kündigte die Wahlkommission am Tag nach den Wahlen an, die Beschwerden zur Durchführung der Wahlen innerhalb von zehn Tagen nach Rücksprache mit Wahlbeobachtern (darunter auch der EU-Delegation) zu überprüfen. Im Extremfall müssten die Wahlen in Karachi zu sieben Sitzen der Nationalversammlung und im Sindh zu 14 Sitzen des Provinzparlaments wiederholt werden.

Die hohe Wahlbeteiligung ist auch der Tatsache zu verdanken, dass nach Angaben verschiedener Wahlbeobachter bei diesen Wahlen deutlich mehr Frauen zur Urne gegangen sind. Insgesamt hatten sich im Vergleich zu den vergangenen Wahlen in diesem Jahr bereits doppelt so viele Frauen registrieren lassen, die Anzahl der weiblichen Kandidatinnen hatte sich auf der nationalen Ebene verdoppelt und auf der Provinzebene sogar verdreifacht. Dennoch wurde von verschiedenen Wahlbeobachtern [3] richtet, dass in einigen Wahlbezirken KPKs weibliche Wähler im Vorfeld der Wahlen stark eingeschüchtert worden waren oder ihnen gar komplett der Zutritt zu den Wahllokalen verweigert wurde. In manchen der ländlichen Gebiete KPKs und Belutschistans hatten die Clanchefs gemeinsam mit einzelnen Kandidaten erklärt, dass die Wahlen wie viele andere öffentliche Geschäfte eine rein männliche Domäne seien und Frauen deshalb am Wahltag zu Hause bleiben sollten. Im regionalen Vergleich war die Wahlbeteiligung in Belutschistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage deutlich geringer als im Punjab, wo die Wahlen insgesamt weitgehend friedlich abliefen.


Viele junge Wähler waren das erste Mal an der Urne

In den pakistanischen Medien wurde viel darüber diskutiert, welchen Einfluss der große Anteil an jungen Wählern auf den Ausgang der Wahl haben würde. Unter den insgesamt 85,4 Millionen registrierten Wählern waren 16,9 Millionen jünger als 26 Jahre, während 12,7 Millionen der Altersklasse zwischen 26 und 30 Jahren zuzurechnen waren. 34,7 Prozent der registrierten Wähler fielen somit in die Altersklasse unter 30. Dieser Teil der Bevölkerung war insbesondere während der letzten Tage vor der Wahl bei den politischen Rallyes und Großveranstaltungen in den großen Städten deutlich sichtbar und auch in den sehr dynamischen elektronischen Medien und sozialen Netzwerken enorm engagiert. Vor allem die PTI hatte große Hoffnungen darauf gesetzt, dass die jungen Wähler der Partei »außerhalb des etalierten Parteienspektrums« ihre Stimme geben würden. Auch wenn die Hoffnungen der PTI nicht ganz erfüllt wurden, hat die Mehrheit der unter 30-Jährigen wohl eine der beiden konservativen Parteien gewählt. Laut einer am Wahltag von Gallop Pakistan veröffentlichten Studie hätten in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen 37 Prozent für die PML-N und 26 Prozent für die PTI (PPP: 16 Prozent) gestimmt, in der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen 30 Prozent für die PML-N und 22 Prozent für die PTI (PPP: 19 Prozent).

Viel Aufmerksamkeit hatten während der letzten Jahre auch die Ergebnisse der Studie »Pakistan: The Next Generation« bekommen, die junge Frauen und Männer zu ihren Einschätzungen des politischen Systems und der Zukunftsperspektiven ihres Landes befragt hatte. In der Ende 2009 vom British Council herausgegebenen Studie hatten 79 Prozent der Befragten gesagt, dass das Land sich nicht auf dem richtigen Wege befinde, um die bestehenden Herausforderungen zu bewältigen. Nur 33 Prozent glaubten, dass Demokratie das beste politische System für Pakistan sei, während 33 Prozent ein auf der Scharia basierendes System befürworteten. Zudem gab es viele Stimmen, die ein Militärregime gegenüber der zivilen Regierung bevorzugen oder zumindest akzeptieren würden. Das Militär gilt in Pakistan als deutlich weniger korrupt als die politische Elite, als vergleichsweise effizient und als einzige wahrhaft meritenbasierte Organisation mit sozialer Durchlässigkeit, während sich fast alle politischen Parteien entlang der bestehenden Strukturen von ethnischen Clans und Feudalfamilien organisieren.


Der Einfluss der Taliban: ein Trend nach rechts

Die pakistanischen Taliban hatten bereits im April erklärt, dass die bevorstehenden Parlamentswahlen »unislamisch« seien und sie deshalb alles dafür tun würden, sowohl die Vorbereitung als auch die Durchführung der Wahlen zu verhindern. Ein am 1. Mai vom TTP-Chef Hakimullah Mehsud an den TTP-Sprecher Ehsanullah Ehsan versandter Brief war kurz vor den Wahlen öffentlich geworden und hatte die Bevölkerung in noch größere Angst versetzt. In dem Brief schrieb Mehsud, dass am Tag der Wahlen in allen Landesteilen Bombenattentate sowie Anschläge durch Selbstmordattentäter durchgeführt werden sollten, um die Wahlen zu verhindern, da Demokratie und Islam nicht miteinander vereinbar seien und das bestehende System von »Untreuen« geführt werde. Bereits früher hatten die TTP in einem öffentlichen Video erklärt, dass ihre Gegner vor allem die »säkularen und liberalen Parteien« (explizit genannt wurden PPP, MQM und ANP) seien, die eine unheilige Allianz mit den Amerikanern eingegangen wären und das Land an den Rand des Abgrunds geführt hätten. Außerdem erklärten die TTP, dass sie in Pakistan ein Scharia-basiertes Rechtssystem einführen wollten, um die in der aktuellen Verfassung dominanten, liberalen Ideen der »unislamischen Denker Kant, Rousseau und Bentham« auszurotten. Inwieweit die Taliban das Verhalten an den Urnen tatsächlich beeinflusst haben, lässt sich schwer nachweisen. Jedoch können die Aussagen sowie die Attacken gegen die säkularen Parteien als eine deutliche Empfehlung und einen Versuch gewertet werden, die Wahlen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Das desaströse Wahlergebnis der ANP in weiten Teilen KPKs sowie der anstehende Regierungswechsel haben das Machtgefüge jedenfalls deutlich zugunsten der konservativen und religiös orientierten Akteure verändert.

Die Bedeutung der Wahlen von 2013 wurde von manchen Experten mit der Bedeutung der Wahlen von 1970 verglichen, den ersten allgemeinen und direkten Wahlen zur Nationalversammlung. Die Wahlen 1970 waren von der drohenden Abspaltung des damaligen Ost-Pakistans [4] und der starken Polarisierung zwischen den Unterstützern und Gegnern des PPP-Kandidaten Zulifkar Ali Bhutto und seinem Modell des »Islamischen Sozialismus« geprägt. Ähnlich wie bei den Wahlen von 1970 mussten die Wähler angesichts der multiplen internen und externen Krisen Pakistans auch in diesem Jahr eine richtungsweisende Entscheidung treffen. Während die Wahl 1970 mit einem klaren Sieg der sich als progressivsäkular gerierenden PPP endete, zeigen die Ergebnisse von 2013 eine deutliche Tendenz in die konservative Richtung. Eine kurz vor den Wahlen erschienene Studie des Think-Tanks Pakistan Institute for Legislative Development and Transparency (PILDAT)[5] hatte argumentiert, dass die seit 1970 existierende Polarisierung zwischen Links und Rechts nun beendet werden könnte und somit die politische Landschaft Pakistans auf Dauer verändern würde. Inwieweit die PPP und die anderen säkularen und liberalen Parteien und Bewegungen sich von dieser Niederlage erholen werden, bleibt abzuwarten.


Die Themen des Wahlkampfs: Energie, Korruption und Sicherheit

Die wichtigsten Themen des Wahlkampfs waren der Kampf gegen die gravierende Energiekrise des Landes, das hohe Maß an Korruption auf den verschiedenen Regierungsebenen sowie die Verschlechterung der Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes, in Verbindung mit der Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit. Nawaz Sharif, der aus einer einflußreichen Industriefamilie im Punjab stammt, hat bei seinen zahlreichen Auftritten versucht, sich als erfahrenen Pragmatiker darzustellen, der im Gegensatz zur phlegmatischen und passiven Grundhaltung der PPP-Regierung die Herausforderungen offensiv annehmen würde. In den Werbespots seiner Partei wurde oft auf die von ihm initiierten Infrastrukturprojekte verwiesen - wie die Autobahn von Islamabad nach Lahore, das kurz vor der Wahl eingeführte Metrobus-System in Lahore und sogar auf die 1998 unter ihm erstmals durchgeführten Atombombentests.

Die regierende PPP hatte sich zu Beginn des Wahlkampfs teilweise als Opfer der Attacken undemokratischer Kräfte inszeniert, bis sich ihr Vorsitzender Bilawal Bhutto Zardari in den letzten Wochen schließlich immer mehr aus der breiten Öffentlichkeit zurückzog und sich vor allem per Videobotschaften an seine verunsicherten Anhänger wandte. Dabei entstand bisweilen der Eindruck, dass sich der Sohn der 2007 ermordeten, früheren Premierministerin Benazir Bhutto und des aktuellen Präsidenten Asif Ali Zardari angesichts der schlechten Umfragewerte bereits mit der drohenden Niederlage seiner Partei abgefunden hatte.

Imran Khans medial inszenierter und allpräsenter Slogan war der Kampf für ein »Naya Pakistan«: ein »Neues Pakistan«, im Sinne eines Aufbruchs aus dem System der etablierten Parteien und deren von Korruption und Misswirtschaft geprägtem Regierungsstil. Der ehemalige Cricket-Star und Nationalheld, der später das erste große auf Krebs spezialisierte Forschungszentrum und Krankenhaus Pakistans aufbaute, hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Wandel von »außerhalb des Systems« anzustoßen. Seine zum Teil antiamerikanische Rhetorik, die zwiespältige Haltung gegenüber religiösen Extremisten und die populistische Instrumentalisierung der schwierigen Sicherheitslage brachten ihm allerdings auch viel Kritik seitens der progressiven Zivilgesellschaft Pakistans ein.

Die pakistanische Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren nicht vom Aufschwung vieler Volkswirtschaften in der Region profitieren können. Die Wachstumsrate von 3,6 Prozent [6] reicht nicht aus, um angesichts des weiterhin hohen Bevölkerungswachstums mehr Beschäftigung zu schaffen. Aufgrund der mangelnden Investitionen in den produzierenden Sektoren, verstärkt durch die gravierende Energiekrise und die schlechte Sicherheitslage, findet ein schleichender Prozess der De-Industrialisierung statt, während der Agrarsektor weiterhin die meisten Menschen beschäftigt. Trotz des weitverbreiteten Wissens um die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Reformen wurde das Thema während des Wahlkampfs von den Parteien nur wenig substanziell behandelt, und auch die Darstellung in den Medien war nur sehr oberflächlich. Ebenso konnte keine der Parteien in ihrem Wahlprogramm ausreichend erläutern, wie der Energieknappheit begegnet werden soll, die sich in urbanen Bereichen des Landes in Stromausfällen von täglich 12 bis 14 Stunden, in ländlichen Bereichen sogar von täglich 16 bis 18 Stunden ausdrückt.

Der Einfluss der Parteiprogramme sowie der medial vermittelten inhaltlichen Debatten gerät in einem Land wie Pakistan allerdings auch an seine Grenzen. Bei einer Alphabetisierungsrate von 57 Prozent (Frauen: 45 Prozent, Männer 69 Prozent), in ländlichen Räumen gar bei nur 48 Prozent, in Verbindung mit den direkten und indirekten Abhängigkeitsverhältnissen innerhalb der bestehenden Feudalstrukturen und den Zugehörigkeiten zu ethnischen Clans, muss schließlich auch stark hinterfragt werden, wie frei und unabhängig die Wähler ihre Wahlentscheidung tatsächlich treffen konnten. Vor allem die beiden traditionellen Parteien PPP und PML-N setzen sich aus Industriellen und Großgrundbesitzern zusammen, in deren Abhängigkeit große Teile der ländlichen Bevölkerung in Punjab und im Sindh stehen.


Ausblick: Eher Kontinuität als Wandel

Aktuell fehlen der PML-N zur Regierungsbildung noch ein paar wenige Stimmen im Parlament, die sie sich innerhalb der kommenden Tage aber von unabhängigen Kandidaten zusichern dürfte. Entgegen der meisten Umfragen fiel der Sieg der PML-N gegenüber der PPP und der PTI so deutlich aus, dass keine Koalitionsbildung im weiteren Sinne und damit verbundene Parteienverhandlungen notwendig sein werden. Eine durchaus wichtige Rolle werden die beiden großen Oppositionsparteien und die weiteren kleineren Parteien jedoch auf der Provinzebene spielen, die seit der 18. Verfassungsänderung 2010 und der damit begonnenen Dezentralisierung wieder an Bedeutung gewonnen hat. Die 18. Verfassungsänderung, die als eine der größten Errungenschaften der vergangenen Legislaturperiode gilt und eine Machtverschiebung vom unter Musharraf existierenden semipräsidentiellen hin zu einem parlamentarischen System darstellt, hatte die Rückkehr von Nawaz Sharif durch die Aufhebung der Begrenzung auf zwei Mandate für den Premierminister überhaupt erst ermöglicht. Nach der Durchführung der Wahlen auf der nationalen und provinziellen Ebene hofft ein Teil der Zivilgesellschaft darauf, dass die aufgeschobenen lokalen Wahlen auf der Distriktebene nun ebenfalls noch in der zweiten Jahreshälfte 2013 stattfinden können. Hierfür ist allerdings eine Einigung zwischen allen beteiligten Parteien nötig. Insgesamt verspricht die politische Konstellation nach den Parlamentswahlen also eher Kontinuität als Wandel und zeigt auch die Notwendigkeit politischer Kompromisse auf. Im Senat, der sowohl für Gesetzesvorhaben als auch für die Wahl des Präsidenten bedeutenden zweiten Kammer, hat die ehemalige Regierungskoalition aus PPP und ANP momentan noch eine Mehrheit. Darüber hinaus wird Asif Ali Zardari zumindest bis September 2013 Präsident bleiben, bevor dann von der Nationalversammlung, dem Senat und den Provinzparlamenten ein (neuer) Präsident gewählt wird.

Interessant wird auch sein, das Verhalten und die zukünftige Entwicklung der nun größten Oppositionsparteien PTI und PPP zu beobachten. Jenseits der medialen Fokussierung auf Imran Khan hat es die PTI im letzten Jahr immerhin geschafft, neben PML-N und PPP eine dritte, landesweit verankerte politische Partei aufzubauen. Die internen Wahlen zu Beginn des Jahres 2013 und der dadurch entstandene, weitestgehend transparente Wettbewerb bei der Nominierung und Auswahl der Kandidaten stellten in Pakistan ein beeindruckendes Novum dar. Inwiefern dies die politische Kultur und die Entwicklung der Parteienlandschaft des Landes nachhaltig verändern wird, bleibt jedoch abzuwarten. Einige Beobachter sagen bereits vorher, dass die PTI in der Opposition die kommenden fünf Jahre bis zu den nächsten Parlamentswahlen nicht überleben wird. Auch im Hinblick auf die PPP fragen sich viele Experten, mit welcher politischen Strategie die Partei der Bhutto-Erben auf die heutige Niederlage antworten wird.

Für die politische Kultur Pakistans stellt es einen wichtigen Lernprozess dar, dass eine Regierung ohne nachweisbare Erfolge an den Urnen auch abgestraft werden kann. Der erste demokratische Übergang von einer zivilen Regierung zu ihrer gewählten Nachfolgerin wurde vor allem anhand der negativen Bilanz der PPP entschieden, während der PML-N am ehesten die Lösung der Probleme zugetraut wird. Allerdings steht die neu gewählte Regierung nun von Anfang an unter einem sehr hohen Erwartungsdruck, die so drängenden Herausforderungen des Landes anzugehen. Wenn auch die nächste Regierung keine deutlich bessere Bilanz im Kampf gegen die Extremisten und bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage vorweisen kann, werden sicher bald wieder Stimmen lauter, die das Militär als besser geeignet sehen, um mit starker Hand und klarer Linie die Richtung für ein Land wie Pakistan vorzugeben. Es geht also um vieles, auch um die Bestätigung und Vertiefung des gerade erst begonnenen Prozesses der Demokratisierung Pakistans.


Über den Autor

Philipp Kauppert ist seit 2012 Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Islamabad, Pakistan.



Anmerkungen

[1] Die im Text genannten Sitzverteilungen entsprechen Hochrechnungen von GEO News, die sich bis zur Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses noch verändern können. Die offiziellen Wahlergebnisse werden von der Wahlkommission innerhalb der kommenden zehn Tage veröffentlicht. Über die Grundtendenz des Ergebnisses waren sich jedoch alle beteiligten Medien und Meinungsforscher einig, auch die politischen Parteien haben diese bereits am Tag nach der Wahl anerkannt.

[2] Musharraf war im März medial inszeniert nach fast fünf Jahren im Exil nach Pakistan zurückgekehrt, um an den Wahlen teilzunehmen. Seine Kandidatur wurde jedoch von der Wahlkommission zurückgewiesen. Zudem steht er aufgrund zweier gegen ihn laufender Gerichtsverfahren aktuell unter Hausarrest.

[3] Das zahlreiche pakistanische NGOs umfassende, zivilgesellschaftliche Netzwerk FAFEN (Free and Fair Elections Network) hatte 41.000 Beobachter in die Wahlbezirke entsandt, um sowohl den Ablauf der Wahlen und die Zählung der abgegebenen Stimmen als auch die Auszählung und Konsolidierung der Stimmen zu überprüfen. Bereits am Tag nach den Wahlen forderten sie die Wahlkommission auf, die Wahlen in den Bezirken, in denen Frauen nicht wählen durften, als ungültig zu erklären und zu wiederholen.

[4] Vier Monate nach den Wahlen begann in Ost-Pakistan ein sehr blutiger und gewaltvoller Krieg, der von März bis Dezember 1971 andauerte. Indien griff aufseiten Ost-Pakistans in den Konflikt ein, der am 17. Dezember 1971 mit einem Waffenstillstand und der Ausrufung Bangladeschs als unabhängigen Staat endete.

[5] Die Studie »The First 10 General Elections of Pakistan: A Story of Pakistan's Transition from Democracy Above Rule of Law to Democracy Under Rule of Law: 1970-2013« hat das Verhältnis von sozialem Wandel, politischen Akteuren und staatlichen Institutionen anhand der Wahlergenisse und Umfragen zu den vergangenen zehn Parlamentswahlen untersucht.

[6] Im Vergleich: Afghanistan 9,5 Prozent, China 7,7 Prozent, Indien 4,5 Prozent.

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Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2013