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ASIEN/887: Nepal - Millionen Menschen ohne Ausweispapiere (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. März 2014

Nepal: Millionen Menschen ohne Ausweispapiere - Erwerb der Staatsbürgerschaft soll weiter erschwert werden

von Mallika Aryal


Bild: © Mallika Aryal/IPS

Arjun Kumar kämpft um die nepalesische Staatsbürgerschaft
Bild: © Mallika Aryal/IPS

Kathmandu, 12. März (IPS) - Etwa 4,3 Millionen der insgesamt 27 Millionen Einwohner Nepals besitzen keinen Personalausweis und gelten als staatenlos, wie aus einem neuen Bericht des unabhängigen nepalesischen Forums für Frauen, Recht und Entwicklung (FWLD) hervorgeht. Und die Zahl wächst.

In Nepal kann heutzutage niemand, der über kein solches Dokument verfügt, Geburten oder Adressänderungen registrieren und sich in ein Wählerverzeichnis aufnehmen lassen. Auch der Zugang zu einem Bankkonto bleibt den Betroffenen verschlossen, ganz zu schweigen von dem Recht, Land zu erwerben. Selbst eine einfache Mobiltelefonkarte ist in dem südasiatischen Land ohne Ausweispapiere nicht erhältlich.

Seit 2006 gilt in dem ehemaligen Himalaja-Königreich ein Gesetz, das allen Kindern mit mindestens einem nepalesischen Elternteil die Staatsbürgerschaft garantiert. Dieses Recht ist in der 2007 in Kraft getretenen Übergangsverfassung festgeschrieben und wurde 2011 vom Obersten Gerichtshof bestätigt. "Der Erwerb der Staatsbürgerschaft über die Mutter ist allerdings schwierig, wenngleich nicht das einzige Problem, warum Millionen Nepalesen staatenlos sind", erläutert die FWLD-Rechtsanwältin Sabin Shrestha.


Gesetze sollen verschärft werden

Vor 2006 konnte die Staatsbürgerschaft lediglich über einen nepalesischen Vater erworben werden, danach über den nepalesischen Vater oder die nepalesische Mutter. 2012 jedoch entwarfen die Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung ein neues Gesetz, wonach beide Elternteile nepalesische Staatsbürger sein müssen. Bisher ist die Neuregelung noch nicht in Kraft getreten.

Auch wenn das Gesetz von 2006 mit Blick auf die nepalesische Staatsbürgerschaft am liberalsten ist, wird es auf regionaler Ebene nicht unbedingt angewendet. Dem obersten Bezirksbeamten steht es nämlich frei zu entscheiden, wem er die Staatsbürgerschaft verleiht oder nicht.

Heiratet ein Nepalese eine Ausländerin, erhalten die Kinder automatisch die nepalesische Staatsbürgerschaft aus Gründen ihrer Herkunft. Schließt eine Nepalesin jedoch die Ehe mit einem Ausländer, können sich die Kinder nur einbürgern lassen. Frauen sind somit ohnehin schon klar benachteiligt.

Der 24-jährige Arjun Kumar Sah wurde in Nepal als Sohn einer nepalesischen Mutter und eines indischen Vaters geboren. Er hat nie anderswo gelebt. Mit 16 beantragte er einen Personalausweis, den er aber nicht erhielt, weil sein Vater Inder ist. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes 2006 stellte Sah unter dem Namen seiner Mutter einen neuen Antrag, der aber wieder abgelehnt wurde.

Im letzten Jahr reichte Sah beim Obersten Gerichtshof eine Petition ein, in der er die Entscheidungen des Innenministeriums, der Bezirksverwaltung und des Büros des Ministerpräsidenten in Frage stellte und die Staatsbürgerschaft über seine Mutter beantragte. "Der Oberste Gerichtshof schickte daraufhin ein Schreiben an die drei Stellen und forderte sie zu einer Stellungnahme auf. Das ist neun Monate her und noch immer habe ich nichts gehört."


Verstoß gegen demokratische Rechte

Der Anwalt Dipendra Jha, der Sah rechtlich vertritt, kritisiert die geplante Neuregelung als regressiv und einen Verstoß gegen demokratische Rechte wie das Gleichheitsprinzip. "Wenn wir sie unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit betrachten, erkennen wir eine große Kluft. Doch auch unsere Verfassung und das Gesetz von 2006 besagen im Grunde, dass ein nepalesischer Mann eine Frau aus einem beliebigen Land heiraten kann und ihr Kind automatisch Nepalese wird. Heiratet dagegen eine nepalesische Frau einen Ausländer, hat das Kind ein Problem. Was für eine Gleichheit soll das sein?"

Deepti Gurung hat zwei Töchter und will sie ins Geburtenregister eintragen lassen, damit sie nepalesische Staatsbürger werden. Die Behörden wollen von ihr jedoch wissen, wer der Vater ist. "Ich habe meine Kinder allein aufgezogen und für sie gesorgt. Ihr Vater hat sie verlassen, als sie klein waren. Warum soll er auf einmal eine Rolle spielen?"

Dass die Staatsbürgerschaft über die mütterliche Linie verweigert wird, hält Gurung für den gravierendsten Gewaltakt gegen Frauen. Vieles liege im Ermessen der Bezirksverwaltungen, erklärt sie. Wenn ein Nepalese oder eine Nepalesin die Volljährigkeit erreichen, werden er oder sie vom Dorfrat der Behörde als künftige Staatsbürger empfohlen, die dann über die Staatsbürgerschaft entscheidet.


Staatenlosigkeit ein wachsendes Problem

Aktivisten zufolge wird die Zahl der Staatenlosen besonders in grenznahen Gebieten und dort vor allem im Süden Nepals weiter zunehmen, wo aufgrund der offenen Grenze viele Ehen zwischen Nepalesen und Indern geschlossen werden. Doch das eigentliche Problem sei nationaler Natur.

"Benachteiligt sind in erster Linie arme Familien", sagt Jha. "Sahs Vater hat nie die Staatsbürgerschaft beantragt, weil er ein kleines Geschäft hatte und keine staatliche Leistungen brauchte. Seine Kinder leben aber woanders, wo Personalausweise wichtig sind, um alle möglichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können."

Sah studiert Betriebswirtschaft in der Hauptstadt Kathmandu. "Ich mache bald mein Examen. Doch wie soll ich ohne Personalausweis eine Arbeit finden?" Die Zahl der Staatenlosen nimmt von Jahr zu Jahr weiter zu, weil auch deren Kindern die nepalesische Staatsangehörigkeit verwehrt wird", sagt Shrestha.

Die Debatten über die Gewährung der Staatsbürgerschaft werden oft im Zusammenhang mit den Themen nationale Souveränität und Sicherheit geführt, vor allem mit Blick auf die offene Grenze zu Indien. "Sollen wir uns nun aber Sorgen machen, dass uns ein anderes Land einnehmen könnte, wenn wir selbst 4,3 Millionen Staatenlose haben und nicht wissen, was wir mit ihnen anfangen sollen?" fragt Jha.

Srijana Chettri von der 'Asia Foundation' in Nepal warnt, dass gerade Staatenlose leicht Opfer von Menschenhandel, Ausbeutung und Missbrauch werden können. Nach Monaten politischer Unsicherheit hat Nepal im November eine neue Verfassunggebende Versammlung gewählt, die die neue Verfassung erarbeiten soll. Aktivisten zufolge ist dies der richtige Zeitpunkt, um für eine Reform der rigiden Staatsbürgerschaftsbestimmungen einzutreten. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/03/stateless-nepal/

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IPS-Tagesdienst vom 12. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2014