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ASIEN/907: Sri Lanka - Rehabilitierte Rebellen auf der Suche nach Erwerbsquellen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2014

Sri Lanka: Kämpfer zu Friseuren - Rehabilitierte Rebellen auf der Suche nach Erwerbsquellen

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Der Ex-Kämpfer Aloysius Patrickeil hat es zum erfolgreichen Friseur gebracht
Bild: © Amantha Perera/IPS

Kilinochchi, Sri Lanka, 18. Juli (IPS) - Für eine Rasur oder einen Haarschnitt sind Alyosius Patrickeils Kunden gern bereit, lange Wartezeiten in Kauf zu nehmen. Hier, im Laden des 32-Jährigen in der nordsrilankischen Stadt Kilinochchi, sitzen ältere Männer mit eindrucksvollen Schnauzern neben jüngeren, die sich eine modische Frisur wünschen, dazwischen Kinder in Begleitung ihrer Mütter, die ebenfalls einen Haarschnitt bekommen sollen. "Alyosius ist einfach der Beste in der Stadt", versichert Kalliman Mariyadas, ein weiterer Kunde.

Vor einigen Jahren war Patrickeil noch nicht so bekannt wie heute und wollte das auch gar nicht sein. Bis 2009 war er Mitglied der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE), der bewaffneten Separatistengruppe, die 26 Jahre lang einen blutigen Krieg gegen die srilankische Regierung führte.

Patrickeil, inzwischen Vater eines Kleinkindes, gehörte bis zur Niederlage der LTTE 2009 den 'Meertigern' an, der Marineeinheit der Kämpfer um einen tamilischen Staat. Über seine Vergangenheit redet er nur ungern. "Was geschehen ist, ist geschehen", sagt er, während er einem Kunden den Kopf massiert. "Ich will darüber nicht mehr reden."

Sein wichtigstes Ziel ist es, sein Geschäft in Gang zu halten und Geld zu verdienen. "Friseure werden immer gebraucht. Ich habe eine gute Berufswahl getroffen", meint er. Das angesehene Mitglied der Gemeinde spricht leidenschaftlich gern über seine Zukunft. Wenn vom Bürgerkrieg die Rede ist, der auf allen Seiten rund 100.000 Menschen das Leben kostete, wird er still.

Nach dem vernichtenden Schlag der Regierungstruppen über die Tamilenrebellen im Mai 2009 im Norden und Osten des Landes, ergaben sich an die 12.000 LTTE-Kader den Siegern oder aber wurden festgenommen. Bis Juni hatten mehr als 11.800 ein Rehabilitationszentrum durchlaufen. 132 sind nach wie vor in Haft.


Schwierige Rückkehr ins normale Leben

Patrickeil war im Februar 2013 aus einem solchen Rehabilitationszentrum entlassen worden, wo er seine Friseurlehre machen konnte. Seither muss er wie viele seiner ehemaligen Mitkämpfer als Zivilist klarkommen. "Sie wollen wie alle anderen Srilanker ein normales Leben führen", meint Murugesu Kayodaran, Rehabilitationsbeamter der Kilinochchi-Bezirksabteilung.

Bild: © Amantha Perera/IPS

Ein Mann, der in Jaffna, der politischen und kulturellen Hauptstadt der srilankischen Nordprovinz, Bananen transportiert
Bild: © Amantha Perera/IPS

Doch nach so vielen Jahren Krieg und Gewalt ist die Umsetzung dieses Wunsches schwieriger als man meinen könnte. Die meisten der freigelassen Ex-Tiger gehen im Norden des Landes einem Handwerk nach, wie aus dem Büro des Generalbeauftragten für Rehabilitation zu erfahren ist. Aber auch die Fischerei, Landwirtschaft oder die Sicherheitskräfte sind als Brotgeber gefragt.

Problem ist nur, dass die offiziellen Programme, die den ehemaligen Kämpfern Starthilfe ins neue Leben leisten, dünn gesät sind. Es existiert ein staatliches Kreditprogramm, das den Betroffenen bis zu 25.000 Rupien (192 US-Dollar) in Aussicht stellt. Doch bisher haben gerade einmal 1.773 der Antragssteller den Betrag erhalten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) vergibt Kleinkredite in Höhe von umgerechnet 380 Dollar, doch wurden seit letztem Jahr gerade erst einmal 523 Personen begünstigt. "Wir versuchen in den dringendsten Fällen Hilfe zu leisten", meint M. S. M Kamil, der Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit des IKRK, im IPS-Gespräch.

Der Mangel an solchen Starthilfen bedeutet, dass es tausende Menschen ohne festes Einkommen gibt. Kayodaran zufolge ist jedoch eine langjährige Hilfe wichtig, um die Reintegration der ehemaligen Kämpfer zu bewerkstelligen, von denen sich viele nach wie vor stigmatisiert fühlten. Abgesehen von der finanziellen Unsicherheit leiden viele Kämpfer an psychischen Problemen wie Depressionen, Traumata und dem Mangel an familiärem Beistand.

Nur wenige Kilometer von Patrickeils Friseursalon entfernt, in Mallavi, betreibt der 37-jährige Selliah Bavanan eine Reifenreparaturwerkstatt. Über seine Zeit als 'Tiger' mag er lediglich sagen, "dass die damalige Situation die Entscheidung erforderlich machte, der LTTE beizutreten". Nun hält er die Straße nach Kilinochchi im Auge, dem wichtigsten Wirtschaftszentrum der Region.

"Meine Hauptkunden sind die Halter großer Fahrzeuge", berichtet er. "Von denen sind derzeit viele unterwegs. Sie transportieren die Materialien für den Wiederaufbau der durch den Bürgerkrieg zerstörten Tamilengebiete." Bavanan profitierte von einem der IKRK-Kredite. "Ich verdiene zwischen 1.500 und 3.000 Rupien (elf bis 21 Dollar) pro Tag. Das ist nicht schlecht", sagt er.

Bild: © Amantha Perera/IPS

Auch Selliah Bavanan, der sich mit Reifenreparaturen durchschlägt, spricht nicht gerne über seine Vergangenheit als Tamilentiger
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Patrickeil hatte einen ähnlich hohen Kredit erhalten und davon Spiegel, Scheren und andere Accessoires für sein Geschäft gekauft. Die Hälfte seiner Einnahmen geht für die Ladenmiete drauf. Auch er verdient um die 3.000 Rupien am Tag. Die Lebenshaltungskosten in der Region liegen bei 190 bis 230 Dollar.


Harte Realität für Ex-Kämpferinnen und Kriegsversehrte

Mit so wenig Geld auszukommen, ist für viele Ex-Kämpfer nicht leicht, vor allem wenn sie eine Kriegsverletzung davon getragen und mehre Mäuler zu stopfen haben. Die Regierung schätzt, dass zehn bis 20 Prozent der Menschen in Sri Lankas Nordprovinz kriegsversehrt sind, unter ihnen auch viele ehemalige Kämpfer.

Besonders schwer haben es die Frauen, die auf Seiten der LTTE gekämpft hatten, so Kamil vom IKRK, der zudem beklagt, dass die psychologischen Hilfsprogramme im Norden des Landes erst vor kurzem angelaufen sind, keines jedoch auf die besonderen Bedürfnisse der Ex-Rebellen zugeschnitten ist.

"Zuerst war Krieg, dann Frieden und jetzt Armut", meint Patrickeils Kunde Mariyadas, der auf einen freigewordenen Stuhl zusteuert. "Hoffen wir, dass als nächstes der Wohlstand kommt." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/07/from-tigers-to-barbers-tales-of-sri-lankas-ex-combatants/

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IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014