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IPS-Tagesdienst vom 6. Januar 2015
Pakistan: Hunderte Kinder sterben bei Dürre im Bezirk Tharparkar - Behörden Vernachlässigung vorgeworfen
von Irfan Ahmed
Kinder in der pakistanischen Dürreregion Tharparkar sind besonders anfällig für Krankheiten
Bild: © Irfan Ahmed/IPS
Mithi, Pakistan, 6. Januar (IPS) - Der Haupteingang zu dem Krankenhaus in Mithi in der pakistanischen Provinz Sindh wird von einer Gruppe Männer in traditionellen Gewändern und Turbanen versperrt, die eine schluchzende Frau zu trösten versuchen. Gerade hat sie ihren zweijährigen Sohn verloren. Ihre Verwandten hatten ihr geholfen, das Kind in das Hospital zu bringen. Doch alle Rettungsversuche kamen zu spät.
Nur wenige Meter entfernt warten Sanitäter darauf, dass die verstörte Familie den Eingangsbereich zum Krankenhaus verlässt. Szenen wie diese gehören in dem von anhaltender Dürre betroffenen Bezirk Tharparkar mittlerweile zum Alltag. Allein in den vergangenen zwei Monaten sind dort Dutzende Menschen, vor allem Kinder, an den Folgen von Hunger gestorben. Bis Ende 2014 wurden etwa 650 Hungertote registriert. Im neuen Jahr dürften die Opferzahlen weiter steigen, da die knappen Vorräte der Bevölkerung immer weiter zur Neige gehen und ihr Vieh weiter unter der sengenden Sonne verendet.
In Tharparkar sind etwa 650 Menschen verhungert, die meisten waren Kinder
Bild: © Irfan Ahmed/IPS
Unter den Toten waren auch der erst drei Wochen alte Ramesh, die vier Monate alten Zwillinge Resham und Razia und die noch namenlosen neugeborenen Söhne eines weiteren Elternpaares. Die Tragödie nahm nicht einfach über Nacht ihren Lauf. Der Journalist Amar Guriro erklärt, dass die extreme Trockenheit in der an die indischen Bundesstaaten Rajastan und Gujarat angrenzende Region bereits das dritte Jahr anhält.
Selbst in den traditionellen Monsun-Monaten Juli bis September fallen die Niederschläge mittlerweile spärlich aus. Obwohl längst Klarheit darüber besteht, dass in diesem Zeitraum zusätzliche Nahrungsvorräte notwendig sind, hat es die von der Pakistanischen Volkspartei PPP angeführte Regierung von Sindh bislang versäumt, Notfallpläne für die Bevölkerung zu entwerfen und umzusetzen.
Viele Familien müssen lange Strecken zurücklegen, um Wasserquellen zu erreichen
Bild: © Irfan Ahmed/IPS
Niederschläge unterhalb von 200 bis 300 Millimetern während der Monsun-Monate seien ein Zeichen für ein schlechtes Jahr, erklären Bewohner der Region. In solchen Fällen hat die Regierung die Aufgabe, 250.000 Familien, die sich nicht aus eigener Kraft ernähren können, Säcke mit jeweils 50 Kilogramm Weizen bereitzustellen. Die unzureichende Koordinierung der Nahrungshilfen, Korruption und das Horten von Lebensmitteln haben die Verteilungskette jedoch unterbrochen. Wie Amar erklärt, wurden manche Säcke mit Sand statt mit Weizen gefüllt.
Schwere Wasserkanister werden auf Eseln oder Kamelen transportiert
Bild: © Irfan Ahmed/IPS
Für die etwa 1,5 Millionen Menschen in dem Dürregebiet bilden Landwirtschaft und Viehzucht die wichtigsten Existenzgrundlagen. Aufgefangenes Regenwasser und unterirdische Brunnen, manchmal in mehr als 120 Metern Tiefe, sind die einzigen Süßwasserquellen.
Kinder helfen ihren Eltern beim Wasserholen
Bild: © Irfan Ahmed/IPS
Private Hilfsinitiativen können das Sterben nicht aufhalten. Dominic Stephen, Vorsitzender der Hilfsorganisation 'Future in Our Hands Pakistan' (FIOHP), berichtet, dass die Regierung zu Beginn der Dürre Weizen zur Verfügung gestellt habe und später mit den Lieferungen in Rückstand geraten sei. FIOHP hilft auf lokaler Ebene, kann aber nicht aus eigener Kraft den gesamten Bezirk versorgen. Die Bevölkerung verteilt sich auf mehr als 2.300 Dörfer in einem Gebiet von rund 22.000 Quadratkilometern. Laut Stephen stützt sich die Regierung bei der Ermittlung der Hilfsbedürftigen allerdings auf alte Daten, die beim Zensus 1998 gesammelt wurden. "Aus diesem Grund haben viele Opfer keine Notrationen erhalten."
In den Familien sind Frauen für die Wasserbeschaffung verantwortlich
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Die strukturellen Ungleichheiten, die in der Region seit Langem zu beobachten sind, haben die Auswirkungen der Dürre verschärft. Forschungen haben belegt, dass Tharparkar von allen 25 Bezirken der Provinz Sindh auf der untersten Stufe des Indexes für menschliche Entwicklung steht.
Unterernährung und eine Unterversorgung der Krankenhäuser tragen dazu bei, dass vor allem immer mehr Kinder an Durchfall und Lungenentzündung sterben. Sono Khangrani von der 'Hisaar-Stiftung' führt die hohe Kinder- und Müttersterblichkeitsrate auch auf die verbreitete Praxis der Frühehen zurück.
Weinendes Kind bei einer ärztlichen Untersuchung
Bild: © Irfan Ahmed/IPS
Mangelnde Existenzgrundlagen würden die Einwohner von Tharparkar dazu zwingen, sich an anderen Orten nach Arbeit umzusehen, erläutert der Mediziner. Berufspendler gehen bei der Verteilung von Lebensmitteln aber oft leer aus. Diejenigen, die in der Stadt eine feste Beschäftigung gefunden haben, verkaufen häufig überschüssige Nahrungsmittelhilfen. In Zeiten des Mangels fehlt es dann an Weizen.
Viele Nutztiere sind aufgrund der langanhaltenden Trockenheit verendet
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Bei juristischen Ermittlungen in Tharparkar kam im vergangenen November heraus, dass mehr als 20 Prozent der Gesundheitsarbeiter und für den Sektor zuständigen Beamten in der Provinzregierung, die aus dem Dürrebezirk stammen, nicht dort tätig waren. Der Bericht empfiehlt, diese öffentlichen Bediensteten in den Bezirk zu schicken, damit sie dort ihre Kenntnisse zum Wohl der Lokalbevölkerung einsetzen.
Manche Beobachter sind der Ansicht, dass die Regierung die Region vor allem deshalb vernachlässigt, weil sie von vielen Hindus bewohnt wird. Letztere machen einen Anteil von etwa 35,6 Prozent der Tharparkar- Bevölkerung aus, während 64,4 Prozent der Bevölkerung Muslime sind.
Die Regierung weist indes die Vorwürfe zurück. Senator Taj Haider, Koordinator des von der Provinzregierung in Sindh gebildeten 'Tharparkar-Hilfskomitee' (TRC), bestreitet, dass Hunger und Unterernährung zu den zahlreichen Todesfällen geführt haben. Er sieht in erster Linie Frühgeburten und den schlechten Gesundheitszustand von Frauen als Auslöser.
Nutztiere sind die wichtigste Existenzgrundlage für die Bevölkerung
Bild: © Irfan Ahmed/IPS
Die Regierung von Sindh verfolgt nach seinen Angaben eine "langfristige Strategie", um die Entwicklung des gesamten Distrikts voranzutreiben. Bis Juli 2015 sollen etwa 750 Umkehrosmose-Anlagen installiert werden, die die Trinkwasserversorgung und die Bewässerung von Feldern sichern und künftigen Dürren vorbeugen sollen. (Ende/IPS/ck/2015)
Link:
http://www.ipsnews.net/2015/01/children-starving-to-death-in-pakistans-drought-struck-tharparkar-district/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2015