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ASIEN/948: Pakistan - Fraueneliteeinheit gegen die Taliban (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2015

Pakistan: Fraueneliteeinheit gegen die Taliban

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Eine Polizistin, die kürzlich ein Trainingsprogramm für das Frauen-Anti-Terror-Kommando im Norden Pakistans abgeschlossen hat
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

PESHAWAR, PAKISTAN (IPS) - Robina Shah wollte schon immer Polizistin werden. Seit ihr Vater, ein Wachtmeister, in Peshawar, der Hauptstadt der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa, einem Selbstmordattentat der Taliban zum Opfer fiel, ist sie entschlossener denn je, den Sicherheitskräften ihres Landes zu dienen.

Im letzten Jahr erhielt sie das ungewöhnliche Angebot, ein fünfmonatiges Anti-Terror-Programm zu durchlaufen, um in eine kleine Eliteeinheit von Frauentruppen aufgenommen zu werden. Die Entscheidung der Lokalregierung, auch Frauen militärisch auszubilden, war die Folge eines Terroranschlags auf eine öffentliche Armeeschule in Peshawar im letzten Jahr, der 145 Menschen das Leben kostete, darunter 132 acht- bis 18-jährige Schüler.

Zu dem Massaker, einem Vergeltungsschlag für die Militäroffensive 'Operation Zarb-e-Azb', die im Sommer 2014 in Nord-Waziristhan gegen die Taliban gestartet worden war, bekannte sich die 'Tehreek-e-Taliban Pakistan' (TTP). Die Taliban sind seit ihrer Vertreibung von der Macht in Afghanistan 2001 in der Gebirgsregion aktiv.

Das pakistanische Militär hat sich in den mehr als zehnjährigen Kämpfen gegen die Taliban aufgerieben. Sämtliche Boden- und Luftoffensiven, die durchgeführt wurden, um die nördlichen Provinzen von den Extremisten zu befreien, sind gescheitert. "Allein in den letzten neun Jahren haben wir 5.000 Polizisten in Kämpfen gegen die illegale TTP verloren", berichtet der Polizeichef von Khyber Pakhtunkhwa, Nasir Khan Durrani, im IPS-Gespräch. Insgesamt wurden in der letzten Dekade in Pakistan terrorbedingt 50.000 Menschen getötet.

Der Anschlag auf die Schule im letzten Jahr hat zu einer Verschärfung des Anti-Terror-Kampfes in der Provinz geführt. "Wir haben die Zahl der Sicherheitskräfte von 70.000 auf 90.000 aufgestockt. Zudem sind wir die erste Provinz des Landes, die über Frauenkommandos verfügt", erläutert der Polizeichef.

Frauen den Zugang zu einem Männerberuf zu ermöglichen, ist ein gewagter Schritt, erst recht, weil die Taliban Mädchenbildung und die Berufstätigkeit von Frauen immer wieder gewaltsam zu unterbinden versuchen.


Harte militärische Schule

Nachdem Dutzende Frauen am 16. Juni den Trainingskurs an einer Militärakademie im Bezirk Nowshera hinter sich gebracht haben, stehen 35 Frauenkommandos bereit, um sich den Kampfverbänden der Taliban zu stellen. Tag für Tag von fünf Uhr morgens bis kurz vor Mitternacht hatten sich die Frauen fünf Monate lang auf die künftige Herausforderung vorbereitet, Teil einer Elitekampftruppe zu werden und den Umgang mit Panzerfäusten und Fliegerabwehrraketen zu erlernen.

"Es ist eine Frage der Ehre, unsere Leute vor der Gewalt der Taliban zu verteidigen", sagt die 22-jährige Zainab Bibi, die ebenfalls den Trainingskurs abgeschlossen hat. "Unsere Leute brauchen uns, damit wir sie schützen. Wir haben den Umgang mit allen möglichen Waffen gelernt und können überall dort, wohin wir von der Regierung geschickt werden, gegen die militanten Kämpfer vorgehen", sagt sie mit fester Stimme. "Wir kennen keine Angst."

Nach Ansicht des Analysten Khadim Hussain sollte die Regierung den Aufbau eines Kaders von Frauenkampfverbänden in Erwägung ziehen. "Es wird höchste Zeit, dass die Regierung den Frauen mehr Anreize bietet, um sie für den Polizeidienst zu gewinnen."

Tatsächlich sind Bildungs- und Beschäftigungsangebote für Frauen in der 22 Millionen Einwohner zählenden Provinz dürftig. Frauen machen nur 40.000 der 740.000 Beschäftigten im Gesundheitssektor aus. Nur ein Zehntel aller Ärzte sind Frauen.

Aus der letzten pakistanischen Wirtschaftsstudie geht hervor, dass Frauen im informellen Sektor überrepräsentiert sind, wo sie als Köchinnen und Putzfrauen schlecht bezahlt werden. Keine zwei Prozent arbeiten in Büros oder der Verwaltung. Experten führen diesen niedrigen Prozentsatz auf verschiedene Faktoren wie die soziale Stigmatisierung von Frauen, religiösen Konservatismus und familiäre Zwänge zurück.

Diejenigen, die sich aktiv um einen Arbeitsplatz bemühen, werden meist enttäuscht. Zwischen 2010 und 2011 waren in Khyber Pakhtunkhwa schätzungsweise 200.000 Frauen, die gern einer bezahlten Tätigkeit nachgegangen wären, arbeitslos.

Vor diesem Hintergrund bedeutet die Aufnahme von Frauen in die höheren Ränge der Streitkräfte einen bemerkenswerten Schritt in Richtung Gleichberechtigung und könnte die Öffnung anderer Bereiche für Frauen nach sich ziehen.

Wie der Leiter des militärischen Trainingsprogramms, Noor Wazir, berichtet, sollen die Frauen, die das militärische Schulungsprogramm durchlaufen haben, ihre neu erworbenen Kenntnisse an Frauen in anderen Bezirken weitergeben. Von dem Schneeballprinzip verspricht man sich hunderte neue Frauenkommandos in wenigen Jahren.


Vielzahl von Aufgaben

Die Frauen werden nicht allein in den Kampftruppen eingesetzt, sondern zur Überwachung der Wahllokale, der Krankenhäuser oder Marktplätze herangezogen. Dies gäbe auch den Frauen Pakistans, die nur ungern ohne männliche Begleitung das Haus verlassen, ein Gefühl von Sicherheit.

Die Frauen, die das Trainingsprogramm durchlaufen haben, erfahren inzwischen sehr viel Anerkennung. Vor ihrer Ausbildung hatten sie sich immer wieder anhören müssen, dass ein Leben im Militärdienst nichts für Frauen sei. Doch inzwischen gibt es viele Eltern, die ihren Töchtern zutrauen, ihre Sache gut zu machen.

Dazu meinte der Gouverneur von Khyber Pakhtunkhwa, Pervez Khatta, im IPS-Gespräch: "Hut ab vor diesen couragierten Polizistinnen. Wir grüßen und bewundern sie. Es ist schon sehr beeindruckend, dass Frauen Bereitschaft zeigen, sich dem Terrorismus zu stellen." (Ende/IPS/kb/15.07.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/07/female-commandos-ready-to-take-on-the-taliban/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2015

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