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ITALIEN/003: Geht es mit Berlusconi zu Ende? (Gerhard Feldbauer)


Geht es mit Berlusconis zu Ende ?

- Nach schwerer Wahlniederlage will der Mediendiktator 2013 abtreten
- Opposition fordert sofortigen Rücktritt

Von Gerhard Feldbauer, 13. Juli 2011


Nach dem Bruch des früheren Führers der AN-Faschisten Gianfranco Fini mit Silvio Berlusconi entkam dieser im Dezember 2010 im Parlament nur knapp einer Abstimmungsniederlage. Jetzt aber hat er gleich zwei richtig schwere Niederlagen erlitten. Während er 2008 bei den Parlamentswahlen auf 47 Prozent kam, sanken seine Stimmen bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai auf 30 Prozent. Pausenlose Hetztiraden, mit den Linken kämen islamische Terroristen, Drogenabhängige und Schwule an die Macht, die italienischen Metropolen würden zu Zigeunerlagern verkommen, verfehlten diesmal ihre Wirkung.

Zur Wahl hatten sich Linke und bürgerliche Mitte meist zu Listenbündnissen zusammengefunden, was zu einer wichtigen Grundlage des Erfolgs der Opposition wurde. In Mailand wurde Giuliano Pisapia von der Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) zum Bürgermeister gewählt. In der FIAT-Metropole Turin gewann der Kandidat der Demokratischen Partei (DP), in Neapel der Bewerber der Partei der Werte Italiens (IdV) Antonio Di Pietros, der in den 1990er Jahren die Korruptionsermittlungen der Mailänder Staatsanwaltschaft "Saubere Hände" leitete. Der Wahlniederlage folgte die ebenso schwere Schlappe bei drei Referenden. Eine Mehrheit von über 90 Prozent stimmte gegen den Wiedereinstieg in die Atomenergie, die Wasserprivatisierung und für die Aufhebung der berüchtigten "Lex Berlusconi", das Immunitätsgesetz, das den Premier von der Strafverfolgung in mehreren laufenden Prozessen, freistellt.


FIAT-Schelte für den Mediendiktator

Unter bestimmenden Kreisen des Kapitals verliert Berlusconi den Rückhalt. Immer mehr Unternehmer sind es leid, dass der Regierungschef sein Amt, vor allem zum Wirtschaften in die eigene Tasche nutzt. Angesichts der sich verschärfenden internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise wird befürchtet, der ständig mit seinen Strafprozessen belastete Berlusconi werde die Situation nicht in den Griff bekommen und Italien könnte wie Griechenland schon bald am Tropf der die nationale Souveränität beeinträchtigenden EU-Hilfe hängen. FIAT-Präsident und Agnelli-Erbe Cordero di Montezemolo gab Berlusconi "die Schuld am Bankrott" des Landes und der "beispiellosen Staatskrise". Im Mailänder "Espresso" und der römischen "Repùbblica" war zu lesen, dass der Regierungschef "die persönlichen Interessen über die des Staates" stelle, er "das Ansehen des Landes in Europa beschädigt". Es wachse der Eindruck einer "ineffizienten und unverantwortlichen" Regierungsführung.

Wenn Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone mit deutlichem Bezug auf die Sex-Orgien des Premiers sagte, die Kirche ermutige all jene, die in Verwaltung, Politik oder Justiz Verantwortung trügen, "für eine stärkere Moral sowie für Gerechtigkeit und Legalität" einzutreten, war auch das eine deutliche Abfuhr für den Premier. Führende katholische Blätter wie "Avveniere" oder "Famiglia Christiana" schrieben über das Thema und griffen Berlusconi direkt an. Die Erwähnung der Justiz stellte eine nachgerade Ermutigung für die Mailänder Richter dar, gegen Berlusconi Anklage zu erheben. DP-Vorsitzender, Luigi Bersani, und weitere Oppositionspolitiker forderten den unverzüglichen Rücktritt des Premiers. Um seinem drohenden Sturz abzuwenden, erklärte Berlusconi nach einem Bericht der römischen "Repubblica" vom 8. Juli, er werde 2013 nach Ablauf der Legislatur nicht wieder kandidieren. Beobachter in Rom sehen darin nur einen Aufschub. Nach der Sommerpause des Parlaments dürfte das Ende der Ära des Mediendiktators eingeleitet werden: Entweder vorgezogene Neuwahlen oder ein technisches Übergangskabinett, wie es schon einmal nach dem Sturz Berlusconis 1994 eingesetzt wurde.

Der Verlust an Wählerstimmen wird auch darauf zurückgeführt, dass Berlusconi völlig einseitig auf die Peitsche setzte und es an Zuckerbrot fehlen ließ, will heißen, er die Nutzung der auf der Linken vor sich gehenden neuen reformistischen Prozesse ignorierte. Kann das Kapital in Italien derzeit doch vom Verschwinden des Gros der sozialdemokratischen Linken profitieren, die sich mit der katholischen Mitte zu einer Demokratischen Partei vereinigten, die sich bereits im Wahlkampf 2008 zur "authentischen produktiven Bourgeoisie" eines "demokratischen Kapitalismus" Italiens bekannte und einen "Pakt zwischen Arbeitern und Bourgeoisie" vorschlug. Dabei ist es auch unter dem jetzigen DP-Chef Luigi Bersani geblieben.

Diese Realitäten will Gianfranco Fini aufgreifen. Er verspricht die Rückkehr zu einem neuen Mitte Rechts-Konzept mit wieder "klaren politischen Lagern", was "das Land regierbarer" machen werde. Er wies den Separatismus der Lega zurück, aber auch Berlusconis Präsidialherrschaftsziele, wenn er vorgab, er stehe für die "Unverletzlichkeit der Institutionen". Die von ihm gegründete vorgebliche Mitte-Rechts-Partei Zukunft und Freiheit (FeL) werde "eine Politik betreiben, die nicht automatisch Nein sagt zu dem, was die Linke vorbringt, sondern in einigen Fragen die Übereinkunft mit ihr sucht". Der führende Politologe Giorgio Galli warnte, dass jetzt jene "Terza Destra liberale" entstehe, die Fini schon lange schaffen wollte und als deren Basis er einen "Faschismus des 2000" theoretisierte. Sein Modell sei die frühere Liberale Partei, die 1922 Mussolini an die Macht half und nach 1945 bis zu ihrem Untergang Anfang der 1990er Jahre für ein Zusammengehen mit den Faschisten eintrat.


PRC mit DP für Ausnahmeallianz

Das Kapital zögert noch, Berlusconi sofort den Laufpass zu geben, weil es befürchtet, sein Sturz könnte den Linken, vor allem den Kommunisten wieder Auftrieb geben, ihren früheren Einfluss auf die Mitte beleben, und unter diesen Vorzeichen eine Neuauflage der alten Mitte-Links-Koalition zustande kommen, wie es bei den jüngsten Kommunalwahlen der Fall war. In dieser Situation kam es unter der Opposition zu Diskussionen, ob die Krise des faschistoid-rassistischen Berlusconi-Regimes mit der des Faschismus 1943 vergleichbar sei, in der führende herrschende Kreise Mussolini fallen ließen, um nicht in die Niederlage Hitlerdeutschlands hineingezogen zu werden? Bersani wandte sich mit einem Appell an alle Oppositionsparteien, eine "Ausnahmeallianz" als "gemeinsame Front der Opposition für den Fall vorgezogener Neuwahlen" zu bilden, in die er Finis neue FeL einbezog. Der Sekretär des Partito della Rifondazione Comunista (PRC), Paolo Ferrero, schloss sich dem Aufruf an, da die Situation einem "Weimar im Zeitlupentempo" ähnele. "Angesichts des Ernstes der Lage" sei es wie 1943 "das Gebot der Stunde, ein neues Nationales Befreiungskomitee" zu bilden.

Bei nicht auszuschließenden gewissen Möglichkeiten einer solchen Allianz ist die sehr unterschiedliche Situation und vor allem das damalige Kräfteverhältnis zu sehen. Kommunisten und Sozialisten handelten 1943/44 in Aktionseinheit, waren die führende Kraft der Resistenza und dominierten bis Ende 1945 die antifaschistische Einheitsregierung. Von einer derart vorherrschenden Position kann heute keine Rede sein. Forderungen nach einem Truppenabzug aus Afghanistan und einem Bruch mit dem Expansions- und Kriegskurs von USA und NATO sucht man bei der Opposition bisher vergeblich. Während die Kriegsgegner in Rom zum Protest auf die Strasse gingen, begrüßen oder tolerierten Bersani, SEL-Vorsitzender Nicola Vendola und selbst der PRC die Teilnahme des Berlusconi-Regimes an der neuzeitlichen Kolonialaggression der NATO in Libyen.


Kommunistische Identität bleibt Erfordernis

Innenpolitisch müsste sich ein Anti-Berlusconi-Bündnis gegen die Faschisierungsprozesse und den Rassismus wenden, für eine Wiederherstellung grundlegender Normen bürgerlicher Demokratie, eingeschlossen die Beseitigung oder zumindest Einschränkung der unter Berlusconi etablierten Mediendiktatur und die Aufhebung des reaktionären Mehrheitswahlrechts eintreten. Bleiben die sozialen Forderungen, für deren Durchsetzung sich nach einem Sturz Berlusconis und damit der Beseitigung der Personalunion von Kapital und Exekutive etwas verbesserte Bedingungen ergeben könnten. Besonders hier, aber auch insgesamt bleibt für einen demokratischen Forderungskatalog die entscheidende Grundlage, eine stärkere und gemeinsam handelnde Linke, für welche das Zusammenfinden der zersplitterten kommunistischen Kräfte ein unabänderliches Erfordernis ist. Fortschritte sind hier kaum auszumachen.

Der PRC und der Partito dei Comunisti Italiani (PdCI) bildeten im Juli 2009 mit der linkssozialdemokratischen Gruppe Sozialismus 2000 eine Alternative Linke, die sich im November 2010 zusammen mit einer Strömung der CGIL-Gewerkschaft Arbeit und Solidarität zu einer Föderation der Linken (FdL) zusammenschloss. Um den Wiedereinzug in Parlament zu schaffen, will der PRC mit Vendolas Linkspartei zusammen gehen und damit auch zum Beitritt zu einer Wahlkoalition mit der DP kommen. Zweifelsohne um dieser Bündniskonstellation den Weg zu bereiten, enthielten die Gründungsdokumente der FdS kein Bekenntnis von PRC und PdCI zu ihrer kommunistischen Identität. Es gab, nicht einmal in Ansätzen, eine Analyse der schweren politischen und sozialökonomischen Krise, keine Vorschläge, wie ihr begegnet werden sollte, keine Gedanken über die Rolle der Kommunisten in dieser Situation (wie sie beispielsweise die KPs in Griechenland und Portugal beziehen). PRC-Sekretär Ferrero lehnt weiter eine Vereinigung mit dem PdCI ab, was den Bemühungen um eine Einheit der Kommunisten entgegensteht.

Der bürgerliche Block, eingeschlossen die DP, sucht ein Bündnis mit Fini. Die DP biedert sich unverändert bei den führenden Kapitalkreisen und dem Industriellenverband Confindustria an, um diesen über die schwere Krise hinweghelfen. Vendola tritt nicht nur für eine Koalition mit der DP ein, sondern will sich auch als ihr Spitzenkandidat bewerben.


Eine neue Regenbogenlinke?

Was die FdL-Konzeption betrifft, so ähnelt sie in gewisser Weise einer Neuauflage der Linie der Regenbogenlinken, mit der PRC und PdCI 2008 drei Viertel ihrer Wähler verloren. Eine kritische Position zur kapitalfreundlichen DP ist nicht auszumachen. Gegen ein Wahlbündnis der FdS mit der DP wäre nichts einzuwenden, wenn PRC und PdCI eigenständig auftreten. Ferrero versicherte zwar, die FdS werde nicht in eine Regierung eintreten, diese nur im Parlament unterstützen. Aber erst nach einem Wahlsieg würde sich zeigen, ob die Führung des PRC der Versuchung widersteht, in eine DP oder gar von Fini mit geführte Regierung einzutreten oder sie sich erneut vor den Karren der liberalen Bourgeoisie spannen ließe.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2011